Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, February 21, 1872, Image 1

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; —1 317 —— E4 4 E E 1 1 : 1 S 44 I Droſ. C. I Banſemer, Redakteur. 1. Jahrgang Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter von : I.FSmithk. (Fortſetuna.) „So bringt ſie ihm und verliert fünf Sqiuirte daran; denn einlöſen könnt Ihr die Uhr doch nicht mehr.“ Der Mann ſchien zu zoögern; doch der Anblick ſeines Weibes und ſeiner Kinder, die vor der Ladenthüre draußen warteten, wirkte entſcheidend. „So werde ich ſie wohl dalaſſen müßen,“ ſagte der Mann mit einem Seufzer, „wenn wir nicht verhungern wollen.“ „Ihr habt die Wahl,“ verſetzte der Jude mit einem rohen Gelächter. „Ich dränge Niemand mein Geld auf.“ Der Weber biß ſich in die Lippen und ſteckte ſchweigend das Geld ein. „Zum Lumpenhändler damit.“ ſagte Notle zu einem armen Weib, das auf dem Ladentiſch einen Bündel mit Kleidern auf geknöpfi hatte. „Weiter ſind ſie nicht werth.“ „Iqh habe ſie hier gekauft,“ entgegnete das arme Geſchöpſ. „Wohl möglich.“ Der Shawl iſt unr ein einziges Mal getragen worden und noch wie neu.“ Der Jude überblickte mit anſcheinender Gleichgůltigkeit die Waaren und ſagte: „Ich will Euch meinetwegen fünf Schil linge dafür geben.“ Fünj Schillinge!“ rief die Frau ent· ſetzt. „Ich weiß, daß ich ein Narr bin und mich noch durch meine Freigebigkeit rui— nire,“ fůgte Norle bei. „Aber ich kann's nicht bringen über mein Herz, hart zu ſein in ſolchen Zeiten.“ Seine Gehülfen, zwei Männer von mittlerem Alter mit abſtoßenden Geſich lern, wechſelten grinſend Blicke, als liege etwas ungemein Komiſches in dem Ge— danken, daß ihr Dienſtherr ein Herz beſit zen ſollte. „Sagen Sie wenigſtens ſechs Schil linge,“ drängte das arme Weib flehend. Ei, daß Dich! Das heißt zu viel zu— gemnthet einem guten Willen,“ rief Norle das Buündel verächtlich zurückſchiebend. „Was ich ſage, dabei bleibt's; keinen Far~ thing mehr.“ Das Kind in den Armen der Frau begann zu weinen. Macht's kurz, ſfůgte der Sprecher bei. „Ich kann hier kein Kindergeſchrei brauchen.“ Die Mutter hielt die Hand hin, ſteckte das Geld ein und wankte nach der Straße hinaus. Kaum hatte ſie ſich entfernt, als der alte Bettler, welcher einige Stunden frůher vor dem Spital dem wohlhabenden Norle ſo ernſt nachgeſehen, in den Laden trat und in der Nähe des Eigenthümers ſich auf einen Waarenballen niederſetzte. Der Fremde war eine merkwürdig aus— ſehende Perſon, eiune große aber vom Alter gebeugte Geſtalt, wenn nicht etwa in der gedrückten Haltung Affektation lag. Haare uͤnd Bart waren weiß wie Schnee, die Er ſteren lang und in reicher Menge unter ei nem breiten K nenhut niederwallend. Ein Maler waroe eine Freude an dem Mann gehabt haben. Sein bräunliches Geſicht trug trot der tiefen Furchen alle Zeichen der Geſundheit, und gewann durch die kleinen, ſchwarzen, ſchlangenartigen Augen einen eigenthůmlich lebhaften Aus— druck. Ein faͤdenſcheiniger, mit Flecken verſehener Ueberrock, der faſt bis auf die tntel niederfiel, vervollſtändigte das ild. „Was kann ich thun für Euch, mein guter Freund ?“ fragte Norle, an das Ende des Ladentiſches gehend, wo der Fremde Platz genommen hatte. „Preſſirt nicht. Ich kann warten.“ Der Inde betrachtete ihn einige Augen blicke aufmerkſam und machte ſich dann mit einem anderen Kunden zu ſchaffen. Nachdem er einige weitere Shylockskäufe gematht hatte, kehrte er zu ſeinem auffal. lenden Beſuch zurück und wiederholte ſeine Frage. Ich kann warten,“ lautete abermals die Antwort. „Aber ich nicht,“ verſetzte der Ladenbe~ ſizer. „Zeit iſt Geld, und ich habe weder die eine, noch das andere wegzuwerfen.“ „Ihr könnt von Glück ſagen,“ bemerkte der Bettler ſarkaſtiſch. „Von Glück?“ „Ja. Ich hab' Euch gekaunt, als Ihr Zeit genug hattet und wenig oder nichts damit anzufangen wußtet.“ Narle faßte den Mann ſchärfer in's Auge, konnte aber nicht über ihn klug wer den. Ich verſtehe mich nicht auf Raäthſel,“ ſagte er eudlich, „und habe auch nicht Luſt mir damit den Kopf zu zerbrechen. Was wollt Ihr?“ Der Gaſt antwortete darauf iu einer fremden Sprache. Ein tiefes Roth über— flog die dunkein Züůge des Juden, und ſeine Augen zeigten einen unruhigen Aus druck; doͤch faßte er ſich bald wieder und xief mit einem erzwungenen Lachen: Was iſt das fur ein Kauderwelſch?“ Rumäniſch, Lin rumäniſch.“ Rumäniſch, Lin?“ wiederholte der La— debeſter. „Ich habe nie von einer ſol chen Sprache gehört.“ „Wielleicht berſteht Ihr Euch beſſer auf Zahlen,“ bemerkte der Bettler, ohne ſich aus der Faſſung bringen zu laſſen. „Dies ſchlͤgt allerdiungs eher in mein Fach ein.“ „Dachte mir's wohl. Was halet Ihr ſvon 3387?“ Norle erblaßte. „Könnt Ihr's zuſammenzählen und mir ſagen, wie viel es ausmacht?“ „Wie viel es ausmacht?“ wiederholte der Inde, halb todt vor Schrecken. „Denn wenn Ihr's nicht könnt, ſo weiß ich in Mancheſter Leute die's können. Ihr verſteht mich?“ „Kaum,“ ſtotterte Norle. „Denkt ein Bischen nach,“ ſagte der Beſuch mit ſeinem nnangenehmen Lä— ſcheln. „Wer ſeid Ihr? Welcher Teufel ſchickt ei~ her, mich zu quälen?“ „Ein grüner Teufel.“ „Ein grüner Tenfel?“ „Ja, von Liverpool. Verſteht Ihr mich jetzt?“ Die Leute im Laden hatten anfangs dieſem Geſpräch wenig Anfmereſamkeit ge~ zoilt, gewannen aber nachgerade ein In— tereſſe dafür und ſammelten ſich um die Beiden. „Wie viel ülhr iſts?“ fügte der Bettler bei, indem er eine ſilberne Uhr aus der Taſche zog und das Zifferblatt betrachtete. „Halb betrunken, wie gewöhnlich.“ rief Norle, ſich zu einem ſcheinbar herzlichen Lachen anſtrengend. „Ich erinnere mich jetzt Eurer und der Uhr, die Ihr mir vor einigen Jahren abkauftet. Wenn's mir recht iſt, ſo machten wir den Kauf bei einem Glas ab. Freut mich frent mich ſehr, Euch wieder zu ſehen,“ fügte er bei, dem Fremden die Hand hinbietend. „Kommt's ihm endlich,“ ſagte der Bett er. „Nur ein alter Kunde,“ bemerkte einer von den Umſtehenden. „Mr. Norle, Mr. Norle,“ riefen meh— rere Stimmen. „Meine Gehülfen werden die Bedie— nung beſorgen,“ verſetzte der Ladeninhaber haſtig. Dann lehnte er ſich über den Tiſch und ſagte einige Worte in derſelben Sprache, die er kurz zuvor verleugnet hatte. „Fällt Dir jetzt das Rumäniſche wieder ein, Lin?“ entgegnete ſein Beſuch. „Vorſichtig“ flüſterte Norle. „Kommt heute nach Ladenſchluß wieder her, und— „Laß Dich ruhig abthun meinſt Du Lin? Nein, nein ſo dumm bin ich nicht. Du haſt mich, als ich in den Laden trat, vom erſten Augenblick an erkannt.“ „Nein.“ „Lüge nicht.“ „Erſt als ich Euch ſprechen hörte.“ „Na, das iſt möglich, denn wir haben uns lange nicht geſehen, und mit den Jah— ren verändert man ſich. Ich bin immer ein guter Onkel gegen Dich geweſen, Lin, und hoffe, Du wirſt Dich als Neffe nicht ſchlecht erweiſen.“ „Alles mit Art.“ „Haſt Du mich je anders gefunden?“ „Bisweilen.“ Nach vielem Hin· und Widerreden mit gelegentlich eingemengten Drohungen und Flüchen händigte Norle dem alten Mann zwanzig Pfund ein. „Damit könnt ihr zufrieden ſein “ be— merkte er. „Vorläufig ja.“ Der Jude machte ein bitteres Geſicht. „Wenn's fertig iſt, ſiehſt Du mich wie der,“ fuhr der Bettler fort. „Nach ſo langer Trennung muß man die Freund— ſchaft deſto fleißiger pflegen.“ „Fluch über ihn!“ murmelte Norle, als der alte Mann den Laden verließ. Einundvierzigſtes Kapitel. Es gab in Mancheſter Wenige, die bei der allgemeinen Noth ſchwerer litten, als der blinde John, denn Muſik und Heiter-~ keit erſchien Leuten, denen das tägliche Brod fehlte, wie Hohn. Gleichwohl er trug er ſeine ſchwere Lage mannhaft und als er ſich endlich genöthigt ſah, um Un— terſtützung zu bitten, wies er ſie zurück, weil ſie ihm in der demüthigenden Form eines Armenhausaſyles geboten wurde. „Ich könnt nicht leben, Junge,“ ſagte er, als er dieſen Gegenſtand mit ſeinem Freund Willie beſprach, „wenn ich in je— nen garſtigen vier Mauern eingeſperrt ſein müßte. Man ließe mich meine Vö— gel nicht mitnehmen, und wie ſollte ich mich zurecht finden an dem fremden Platze?“ „Leider bin ich nicht in der Lage, Euch Beiſtand zu leiſten,“ bemerkte ſein Zuhö— rer mit einem Seufzer. „Gott behüt, wer könnte dies von Dir erwarten?“ entgegnete John. „Du haſt für vier Mäuler zu ſorgen, und das iſt keine leichte Aufgabe in ſo ſchwerer Zeit. Möchte nur wiſſen, was die Amerikaner mit ihrer Baumwolle angefangen haben. E kann's doch nicht lange mehr fortge en.“ „Der Himmel allein weiß, wann es ein Ende nehmen wird,“ verſetzte Willie. „Als ich dasletzte Mal imSchifflein ans ſpielte, hoörte ich den Ingwer-Ned ſagen, ſie machen Schießpulver daraus. Hat man je von einer ſolchen Dummheit gehört ?“ „Unmöglich iſt s nicht, ja nicht einmal unwahrſcheinlich,“ erwiderte Willie. „Was, Schießpulver machen aus Baum wolle?“ rief der blinde John hocherſtaunt. „Das iſt ſchon geſchehen.“ „Herr, uns bei! Nächſtens macht Savannah, Ga., den 21. Februar 1872. man aus den Brodlaiben Kanonenkugeln und ſchießt mit dem lieben Brod die Leute todt.“ „Wir leben im Zeitalter desFortſchritts.“ „Sauberer Fortſchritt, arme Leute aus— zuhungern, die nichts verlangen als Arbeit, um ehrlich durch die Welt zu tkommen! Wenn ich Königin wär, ſo wollt' ich zu der Haue bald einen Stiel finden.“ „Und wie würdet Ihr dies angreifen?“ ſagte ſein Freund mit einem matten Lä— cheln. „Ich ginge ſelber hinüber, nähme für ſchlimme Fälle den Löwen und das Ein— horn mit, und würde mit dem Volk dort ein Bischen von der Leber weg reden. Jungens, thät ich ſagen, ich komme nicht um euch den Text zu leſen, daß ihr nicht auf den Rath meines Freundes und Nach bars, des Herrn Napoleon, hört, (ich gäbe ihnen dann Wink über den wahren Sach verhalt) ſondern habe die Fahrt gemacht um zu ſehen, ob ich ench nicht zu einem gütlichen Vergleich verhelfen kann. Als England und Amerika ſich nicht mehr mit einander vertragen wollten, fielen ſie ſich in die Haare das war ganz natürlich und zulett ließen ſie . von einander ab, nachdem es hüben und drüben eine gehö— rige Menge blutiger Köpfe gegeben hatte. Auch ihr habt euch auf die Dauer nicht verſtändigen können kein Menſch hätte geglaubt, daß es ſo lang hielte; die Bal— gerei blieb nicht aus, aber warum könnt ihr nicht ein Ende finden, wie wir früher thaten?“ „Vortrefflich!“ rief Willie. „Kein Rath könnte beſſer ſein. Aber wie dann, wenn man Euch nicht hören wollte?“ „Dann würde ich ſagen: Schaut her, Jungens, England hat viel mit euch durch~ gemacht, der pennſylvaniſchen Schuldbriefe gar nicht zu gedenken, für die man ench alle in's Zuchthaus hätte ſchicken ſollen, wär's nicht wegen der Ehre der Familie geweſen; denn am Ende gehört ihr doch zu uns. Aber wenn die Weber verhun— gern ſollen, ſo iſts etwas ganz Anderes. Das Land gehört euch wir haben's euch vor langer Zeit überlaſſen, und was ihr damit anfangt, geht uns nichts an. Aber die See gehört uns. Rule Britan nia! Ihr habt, ſchätz wohl, die National hymne nicht vergeſſen? Baumwolle müſſen wir haben und wollen wir haben, wo im—- mer ſie ehrlich zu kriegen iſt; drum ſeht euch vor, daß es keinen Sturm gibt. Dann träte ich, wenn ich Königin wäre, dem Löwen ein Bischen auf den Schwanz und ließe ihn brüllen, um den Amerika nern zun zeigen, daß ich nicht ſpaſſe. Bis her haben ſie uns nicht geglaubt, und dies iſt der Grund, warum ſie gegen uns die Eiſenfreſſer ſpielen.“ „Ich glaube, es iſt ein Körnchen Ver ſtand in dem, was Ihr ſagt,“ bemerkte ſein Zuhörer. „Ein Körnchen?“ rief John. „Ein ganzer Metzen, meinſt Du.“ „Aber in der Zwiſchenzeit haben wir mit Mangel und „Hunger zu kämpfen, und das Armenhaus grinst uns an.“ „gum Henker mit dem Armenhans,“ errelte ſein Beſuch. „Nein, ſo weit iſt's noch nicht mit mir.“ „Daun könnt Ihr von Glück ſagen.“ „Ich habe mich ſeiner bisher erwehrt und hoffe, es wird mir auch ferner gelin— gen. Wie meinſt Dn wohl, Junge, daß ich's angreife? Ich hätte freilich nicht ge~ dacht, daß es mit mir ſo weit herunter kommen würde, und bei Tag könnt ich's nicht, aber wenn's dunkel wird gehe ich nach dem Spital und ſpiele ein Bischen auf der Geige. So arm nun anch die Leutchen ſind. fällt doch da und dort eine Kupſermünze, bisweilen ſogar ein Sechs— penceſtück in meinen Hut.“ „Spielt Ihr dieſen Abend auch?“ fragte Willie, ſeine Stimme zu einem Flüůſtern dämpfend. ; „Bleibt mir nichts Anderes übrig, Zunge.“ „Wollt Ihr kein Accompagnement ha— ben?“ „Ein was?“ „Aeccompagnement. Geige und Flöte zuſammen wurden —“ Er konnte nicht weiter ſprechen; die Scham erſtickte ſeine Stimme. „Du willſt doch nicht ſagen, daß Du—~“ „Ich kann nicht mein Weib und meine Mutter aus Mangel an Nahrung um— kommen laſſen,“ unterbrach ihn Willie in traurigem Ton. „Mangel an Nahrung?“ rief John tief bewegt. „So weit ſollte es bei Dir ge kommen ſein, bei dem der Arme ſtets einen Biſſen und eine warme Suppe fand ? Ach, daß ich dies erleben muß.“ Der Blinde blieb eine Weile, die Kniee mit den Hän den umfangend, gedankenvoll ſizen; dann fuhr er plötzlich auf und fragte ſeinen Un— glücksgefährten, ob ſie allein ſeien. „So riegle,“ entgegnete er auf die Bejahung dieſer Frage. „Und jetzt,“ fuhr er fort, nachdemn Willie dieſer Aufforderung ent—- ſprochen hatte,„borge mir einMeſſer, aber ein ſcharfes.“ „John,“ ſagte Willie, die Hand auf ſei nen Arm legend, „wozu braucht Ihr ein Meſſer? Ich hoffe nicht, daß Ihr Euer Gottvertrauen verloren habt und unge rufen vor Eurem Schöoöpfer erſcheinen wollt. Mein Schickſal iſt gewiß ſchwerer als Enres; aber lieber wollte ich zehnmal groößeren Jammer üůber mich ergehen laſ ſen und mein Brod vor den Thüren bet- teln, ehe ich einem ſolchen Gedanken Raum geſtattete.“ „Was für einem Gedanken?“ fragte der Muſikant erſtaunt. „Dem Gedanken an Selbſtmord.“ Der Blinde brach in ein herzliches La ſchen aus. „Gott behůte, Innge,“ ſagte ſer. „Ich meinte, Du kenneſt mich beſſer. Nein, nein, ich habe nicht ſo viele Jahre ſin der Finſterniß herumgetappt und täg— lich das mir von oben beſchiedene Brod ge ſfunden, um mich in dieſer undankbaren Weiſe zu benehmen. Die Blindheit iſt gottlob nur ein irdiſches Gebreſte, und ob— ſchon ich bloß ein armer Wurm bin, ſo hoffe ich doch, nſtie das Antlit meines Herrn und Meiſters und die Geſichter meiner Freunde zu ſehen. Gib nur das Meſſer her; ich will Dir zeigen, was ich damit vorhabe.“ „Willie zögerte nicht länger Der Mu ſikant hatte kaum dasMeſſer in der Hand, lals er von oben an die Knoöpfe ſeines Ue— berrocks zu zählen begann und den fůnften abſchnitt. „Du mußt Niemand davon ſa gen,“ flüſterte er. „Was ſoll ich Niemand ſagen?“ „Wart nur; Du wirſt's bald merken“ Er nahm dem Knopf. den Ueberzug ab, und ein Goldſtück kam zum leberzg „Gold!“ rief Willie, der die Münze durch's Gefühl erkannte. „Ja, Junge; wenn wir nur ein Simri ſvoll hätten.“ „Und Ihr glanbt, ich werde einwilligen, daß Ihr Euch Eures letzten Schatzes be ſraubt?“ ſagte ſein Freund tief ergriffen. „s iſt nicht der letzte.“ „Ihr, den Alter und Unglüct —“ „Kommt wieder Dein Stolz, Willie,“ unterbrach ihn John, „Dein einziger Feh ler? Doch nimm's nur; ich kann's ver ſwinden, denn ich habe noch drei andere. Ich ſparte mir das Geld zuſammen, um mir damit ein ehrliches Begräbniß zu er— kaufen und nicht der Gemeinde zur Laſt zu fallen; denn dies wäre noch ärger als das Armenhaus. Meinſt Du nicht auch ſo? Warum redeſt Du nicht, Junge?“ fügte er bei, als ſein Freund im Uebermaß ſeiner Gefühle vergeblich um Worte rang. „Laßt mir Zeit, mich zu ſammeln,“ ent gegnete Willie, ſeine Hand ergreifend. Treuer, leßter Freund, der mir geblieben iſt und mir in ſeinem eigenen Unglück ſich in ſo rührender Weiſe zu erkennen ſieu Ich danke Euch für Eure Liebe, als ob ich ſie annehmen könnte; aber es wäre nicht recht.“ „Nicht recht, wenn ichs Dir gebe? Das kommt gewiß wieder von Deiner Büchergelehrſamkeit her. wie's Deine Mut— ter nennt, obſchon ich es lieber Stolz hei~ hen möchte. Du willſts nicht nehmen?“ (Fortſetung folgt.) Eine Hinrichtung in Japan. (Von Str., in der,Nation“.) Im Winter des Jahres 1864, verbrei tete ſich in Hokohama plötzlich das Gerücht, unweit der Stadt Kamaknra ſeien zwei engliſche Offiziere ermordet worden. Die ſorgfältigſten Nachforſchuungen wurden angeſtellt und die japaneſiſche Regierung ließ es an Nichts fehlen, um die Mörder zu ermitteln. Lange Zeit erſchienen aber alle Verſuche ohne Erſolg zu ſein und man hatte ſchon die Hoffnung aufgege ben, als der Zufall einen der Thäter ent deckte. Das engliſche Conſulat wurde ſofort benachrichtigt und der Mörder, ein japa ide Edelmann, der ſich für einen Offizier (lonine) ausgab und die That Haß gegen die e vollführt hatte, nach kuͤrzem Prozeß zum Tode ver urtheilt. Eines Nachmittags erhielt ich die Nach lricht, daß ſich der Zug zur Vollziehung res Urtheils in Bewegung ſetzte. Eine compakte, aus Japaneſen und Fremden zuſammengeſetßzte Menge wälzte ſich die große Straße von Hokohama, Hondjidori hinauf. Inmitten derſelben befand ſich der Gefangene auf einem Pferde ſitzend ſund an Händen und Füſſen gefeſſelt; dem Zuge voraus liefen in bunter Unor— dnung einige Soldaten, von denen einer auf langer Pike eine Art von Plakat trug, den Namen (dimidso Sedji) ſtand, und Verbrechen des Verurtheilten enthal tend. Letzterer bot in ſeinen knochigen Ge— ſichtszügen nnd ſchillernden Augen das Urbild des japaneſiſchen Typus. Seine Kleidung war gewählt, faſt elegant zu ſuennen ſein Haar ſehr ſorgfältig geord ſnet. Ruhig, als ginge ihn der ganze Vorgang nichts an, betrachtete er ſanie Blickes die ihn umgebende Menge und nur zuweilen öffnete ſich ſein Mund zum klagenden Sterbegeſang: „Ich bin Si midſo Sedji, lonine von Awomori, ich ſrerbe weil ich einen Fremden getödtet habe. Noch bevor die Sonne unterge gangen, wird mein Kopf fallen; morgen ivird er auf der Hatoba von Lokohama ausgeſtellt werden. Dann werden die Fremden den Kopf eines Mannes ſehen, der keine Furcht kannte. Ein trauriger Tag für Japan, wo ein Edelmann ſ den Tod eines elenden Fremden der Hand des Henkers berit Mit feſter Hand hätte ich mir ſelbſt den Tod gegeben, aber es ſollte nicht ſein, die Gnade meines Herrſchers hat mich verlaſſen. Männer von Yokohama, erzählt den Leunten, daß Simidſo Sedji nicht zitterte.“ Es war ein recht kalter Wintertag.! Die Sonne ſpiegelte ſich in dem Schnee gipfel des Fouzi · Yama und ſandte roſige Streiflichter über die Erde. Gegen fünf Uhr langte der Zug ans Tobi, der Richt ſtätte an Man zu—ůndete Feuer an, um ſich zu wärmen. Zwei Männer hoben den Gefangenen vom Pferde; er rieb ſich die ſtarr gewordenen Beine und Arme und näherte ſich langſam einem der Feuer. Dort ſtand er mehrere Minuten ſtumm und unbeweglich, die Augen ſtarr auf ei nen brennenden Zweig gerichtet, dann ſeufzte er tief und wendete ſich an einen der neben ihm ſtehenden Japaneſiſchen Soldaten mit der Frage, wie ſpät es ſei. „Sieben Uhr“ war die Äntwort. „Sieben Uhr“, wiederholte er langſam. „In dedo hatte man mir verſprochen, daß um vier Uhr Alles vorbei ſein ſollte Ich friere. Warum läßt man mich ſo lange warten?“ Langſam ſette er ſich darauf vor dem Feuer nieder und forderte eine Taſſe heiſ ſen Thee, die ihm auf der Stelle gebracht wurde. Er zwang ſich entſchieden, gleich giltg zu erſcheinen und oft drehte er den Kopf hin und her, als wenn die in ſeiner Nähe befindlichen Leute ihn intereſſirten. Plötzlich hörte man in der Ferne ein Ge— räuſch und Schreie, welche die Läufer ansſtoſſen, wenn ſie die Ankunft eines Offiziers ankündigen, um ihm Bahn zn brechen. Schnell näherte ſich daſſelbe, und bald konnten wir die großen Laternen des Gouverneurs erkennen, die über den Boden zu fliegen ſchienen. „Der Gon verneur, der Gonverneur !“ rief man von allen Seiten. Ein Soldat legte Simidſo Sedji die Hand auf die Schulter. „Bereite Dich vor,“ ſagte er zu ihm, „der Gonverneur von Lokohama iſt angekommen.“ Keine Bewegung, kein Laut verrieth eine Bewegung. „Sajio“ (wirklich) war die einzige Antwort. Ein Offizier nä— herte ſich der Gruppe der Soldaten und flüůſterte ihnen einige Worte zu. „Die Exekution iſt auf morgen ver ſchoben, wiederholte man auf dem gan— zen Platßze. „Der engliſche Geſandte wünſcht, daß das Regiment der Ermorde— ten der Hinrichtung beiwohne.“ Es war in der That ſo. Als der Gefangene dieſ ſen Aufſchub hörte, wurde ſein ſchon blei— ches Geſicht noch blaſſer. „Morgen, morgen“ wiederholte er, ohne ein weiteres Wort zu äußern, und ließ ſich ruhig in den Kerker zurückführen. Der folgende Tag verſprach ſchönes Wetter. Die Luft war klar und kalt. Alle Fremden in Lokohama ſchienen ſich auf dem Plat Tobi Rendezvous gegeben zu haben. Diejenigen, welche Sedji au vorhergehenden Abend geſehen hatten, waren neugierig, ob er ſeine bisher ge zeigte Standhaftigkeit bis zum letßzten Mo· ment behaupten würde; Andere wieder waren begierig, den Mann kennen zu ler· nen, der 24 Stunden der Gegenſtand jeder Unterhaltung war. Wenn Sedji nur den Zweck im Auge hatte, den Frem den, ſeinen Feinden zu zeigen, daß ein Japaner dem Tode gegenůber ruhig blei ben könne, ſo durfte er mit ſich ſelbſt zu· frieden ſein. Jeder bewunderte ſeinen Muth und die Würde ſeiner Haltung. Gegen acht Uhr Morgens kam das Regiment, welchen die beiden Ermordeten angehört hatten, auf dem Platze an und nahm Frontſtellung auf. Zur ſelben Zeit öffnete ſich das Gefängnißthor und im Laufſchritt trugen zwei Männer einen Trageſtuhl herbei, in welchem der Verbre— cher ſich befand. Entgegen den Demon—- ſtrationen, die von Seiten des Publikums bei faſt jeder Hinrichtung in Enropa ſtatt zufinden pflegen, beobachteten die Zuſchan— er eine würdige, muſterhafte Haltung und nur hin und wieder, in der Menge zerſtrent, konnte man einen im Dienſt be~ findlichen Offizier oder Soldaten bemer ken, denen die Aufrechthaltung der Ord— nung nicht die geringſte Schwierigkeiten verurſachte. Die Vorbereitungen zu einer japaneſi ſchen Hinrichtung ſind überaus einfach. Man kennt weder Galgen, Guillotine noch Klotz. Eine Grube vor fünf Fuß Länge, eine Strohmatte zum Niederknien und ein Eimer warmen Vo das iſt Alles, was man nöthig hat. Für die ſchweren Verbrecher indeß exiſtiren noch die alten Strafen des Mittelalters, Kreu— zigung, Verbrennung auf den Scheiter— haufen und Zerhackung in kleine Stücke vor der eigentlichen Tödtung. Bei einer gewöhnlichen Hinrichtung, wie diejenige, welche jetzt ſtattfinden ſollte, kniet der Verurtheilte vor der offenen Grube nieder; er iſt zwar gefeßelt, aber ſo loſe, daß ſeine Bewegungen faſt frei zu nennen ſind; die Arme indeſſen ſind auf dem Rücken befeſtigt. Handwurzel gegen Handwurzel. Er trägt den gewöhnlichen Anzug der Japaner, ein weiter, oben offenes Klei— dungsſtück, welches Hals und Nacken dungenun entblößt läßt. Man verbindet ihm die Augen und befiehlt ihm, ſich voll ſtͤndig ruhig zu verhalten, da die geringſte Bewegung mit dem Kopfe, welche den Scharfrichter derhindert, ſicher zu treffeu, ſeinen Todeskampf nur verlängern würde. Der Scharfrichter befindet ſich links vom I. Stern. Herausgeber. No. 44. Verbrecher, mit ſeinen beiden Händen hält er ein langes Schwert. Sobald der Erſte ſeine Stelle eingenommen hat und die noöthige Ruhe beobachtet, gibt Letzterer dem Kopfe die erforderliche Lage und ſchnell wie der Blitziſt der verhängnißvolle Hieb ausgeführt. Iſt der Gefangene aber unruhig, oder wird er ohnmaͤchtig, ſo wird er von hinten derart befeſtigt und von einem Knechte unterſtützt, daß die Exekntion ſtattfinden kann. Nur höchſt ſelten trifft der Hieb fehl, in der Regel durchſchneidet das Schwert des Nachrich ters den Hals des Verurtheilten leicht und glatt wie ein Raſirmeſſer. Sobald die Thüre des Trageſtuhles geöffnet wurde, ſprang Simidſo Sedji zur Erde. Man befürchtete nicht, daß er ohnmächtig werden würde und hatte ihn auſcheinend nur gebunden, um ein Da— vonlaufen und den Gebrauch ſeiner Hände zu verhindern. Er warf den Kopf empor, zuckte mit den Schultern, athmete hoch auf und richtete dann den Blick mehrere Sekunden lang ſtarr auf die hell ſchei nende Sonne; dann ging er leichten und ſchnellen Schrittes auf die kleine Erhöhnng der Grube zu, wo der Tod ihn erwar tete. Wie am vorhergehenden Tage war er auch heute ſorgfältig gekleidet. Sein Geſicht war bleich, aber ſeine zuſammen gepreßten Zähn, welche die Kinnbacken übermäſſig hervortreten ließen, gaben ſei nen Zügen eine ſo wilde Energie, daß die Ermüdung des vorigen Abends darkn nicht mehr zu bemerken war; ein ſeltſames Lächeln der Verachtung und Verzweiflung umſpielte ſeine ſchmalen Lippen Vor der Grube angelangt wechſelte er einige Worte mit dem Scharfrichter, wahrſcheinlich in Bezug auf die Hinrich— tung ſelbſt, denn man ſah, wie er ſich um wendete, um mit dem Blicke den Platz anzudeuten, den er einzunehmen wünſchte. Als ein Knecht ſich nahte, um ihm die Augen zu verbinden, ſtieß er ihn zurück. „Fürchte nicht“ ſagte er mit ruhiger, höf licher Stimme zu ihm, „daß ich eine Be wegung mache. Ich weiß ſehr wohl, wie ich mich zu verhalten habe.“ Seine Bitte wurde ihm gewährt; man ſchien darauf vorbereitet und der Gouver— neur war gewiſſermaſſen ſtolz auf das Schauſpiel, welches er den Europäern jetzt darbot. Es war, als wenn er ſagen wollte: „Es iſt möglich, daß Du einſt eben ſo ruhig ſtirbſt als Sedji, beſſer aber gewiß nicht.“ . Die letzten Vorbereitungen waren bald getroffen. Sedji nahm, nachdem er den Fuß auf die Strohmatte geſetzt hatte, erſt die richtige Stellung ein und kniete dann nieder. Die Knechte ſtellten ſich neben ihn ans, um ihm erforderlichen Falles be~ hülflich zu ſein; aber ſene Knie zitterten nicht. Noch einmal macht er mit den Schultern eine Bewegung, als wenn er ſich bequemer machen und ſeinen Hals noch mehr entblößen wollte. Der Scharf richter erfaßte ſein Schwert und průste es ſorgfältig, dann ſtreifte er die weiten Aer— mel ſeines Gewandes auf und hob, um ſich zu überzeugen, daß nichts ſeine Bewe gungen hindern könne, ſeine beiden Arme uüber den Kopf empor. Sedji verfolgte jede ſeiner Bewegungen mit der groößten Aufmerkſamkeit „Iſt Alles fertig?“ fragte er, als der Scharf richter ſeinen Platz links neben ihm einge— nommen hatte. Und auf die bejahende Antwort deſſelben, fügte er hinzu: „Gieße nun warmes Waſſer auf Dein Schwert, und warte noch einige Minuten. Ich will noch einmal ſingen und wenn ich ge— endigt habe, ſo werde ich mich umdrehen und zu Dir „jetzt“ ſagen. Dann werde ich den Hals vorſtrecken und mich ganz ruhig verhalten. Du kannſt dann zielen und zuſchlagen, ohne Uebereilung.“ Nachdem er dies geſagt, ging eine ſchreckliche Verzerrung über ſeine Geſichts— züge, die Augen verdrehten ſich zum ſcheuß uge di Schielen und ließen nür noch das Weiße des Augenapfels erkennen. So ähnelte er den alten Goöttern und ſterben— den Helden der Japaner. Nun öffnete er den Mund und ſang mit ſtarker, klarer Stimme in faſt übernatürlich hohen und langgedehnten Tönen, die weithin ertön— ten: „jetzt ſtirbt Simidſo Sedji, der freie Edelmann Er ſtirbt ohne Gewiſſens— biße, denn, einen Barbaren toödten, das iſt eine Ehre für den Patrioten.“ Daunn wendete er den Kopf dem Scharf richter zn, ſah ihn einige Sekunden feſt an. und rief dann mit lauter Stimme „jetzt' Hierauf ſtreckte er den Hals aus, wie der Rabe, welcher einen Raub erhaſcht, biß die Zähne zuſammen und blieb unbeweg lich wie eine Bildſäule. Sein Kopf wurde auf einem Thor von gokohama drei Tage lang ausgeſtellt. Der Tod hatte den Zügen die frůhere Starrheit zwar genommen, der ſtolze und grauſame Ausdruck derſelben aber war geblieben. Einige Monate ſpäter wurde der Com-~ plice des Gerichteten verhaftet. Sein Tod hatte keine Aehnlichkeit mit dem Sedji s. Man ſchien Schwäche bei ihm befürchtet und ihn vorher mit narkotiſchen Mitteln betäͤubt zu haben. Eien und betrunken bis zur Bewußtloſigkeit, nerließ er, von zwei Männern unterſtůtht, ſeinen Kerker und rang mit ihnen, bis er halb erwürgt von dem todlichen Ealt er~ eilt wůrde. Sir)