Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, March 06, 1872, Image 1

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avannah Abend Zeitung ; : R All 08 nl9 L E Prof. C. I. Banſemer, Redakteur. 1. Jahrgang. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter von I HKSmitih. (Fortſetzuna.) Seit Jahren hatte Mrs. Bentley ſtets eine große nervöſe Angegriffenheit gezeigt, wenn ein Brief einen baldigen ezeigt ihres Gatten meldete; diesmal aber ſchien ſie ſeiner Ankunft wenn auch nicht mit Freude, ſo doch mit einer gewiſſen Unge— duld eutgegenzuſehen, vielleicht weil ſie zu— gleich ihren älteſten Sohn Gilbert, der ſchon lange nicht mehr in Mancheſter ge— weſen, und deſſen Gemahlin Lady Augu— ſta mit erwartete. „Noch zwei Tage, und ich werde mein Schickſal kennen,“ ſagte Friedrich, als er mit ſeiner Mutter und iyrer Tante im Be— ſuchzimmer ſaß. Vrmer Junge!“ ſeufzte Miß Weſtbury. „Der Vater kann ſeiner wiederholten und feierlich gegebenen Zuſage nicht ab— ſtehen.“ „Er hat ſchon eben ſo feierliche Ver ſprechen nicht gehalten,“ bemerkte die Tante. „In dieſem En —“ „In dieſem Fall muß ich eben meine Leibrente verkaufen“ unterbrach ihn die alte Dame, „damit Du ſelbſt ein Geſchäft anfangen kannſt.“ „Friedrich,“ ſagte die Mutter, „ich bitte Dich, laß gegen Deinen Vater keine Un— geduld blicken. Gib ihm keinen Anlaß, von ſeinem Wort zurückzutreten. Auch ich will ihn bitten; vielleicht fruchtet es, denn ich habe ihn noch nie um eine Gunſt angegangen Niß Weſtbury ſchüttelte den Knopf. „Wo nicht —“ Mrs. Bentley zögerte. „So ſuche ich mir einen Platz in einem Comptoir, ergänzte Friedrich, .denn ich kann nicht daran denken, das großmüthige Erbieten der Tante anzunehmen.“ „Durchaus nicht großmüthig, mein lie— ber Junge,“ rief die alte Dame. „Selbſt— ſůchtig, ganz ſelbſtſüchtig, kann ich Dir verſichern.“ Ihre Zuhörer lächelten; ſie wußten wohl, was Miß Weſtbury unter Selbſt ſucht verſtand. „Sollte es ſich ſo unglücklich fügen,“ ſagte die Mutter in großer Aufregung, „jſo biſt Du jung und haſt Talente und That— kraft. Die Welt liegt vor Dir. In ei— nem andern Land —“ „Ach nein,“ unterbrach ſie Friedrich haſtig. Mrs. Bentley ſah ihn ernſt an. „So lange ich Sie noch habe,“ fuhr er fort, „faällt es mir nicht ein, mein Geburts land zu perlaſſen. Ich muß in Ihrer Nähe bleͤben, um Sie zu tröſten und Sie zu ſchützen.“ „Gott ſegne Dich, mein edelherziger Sohn. Ich bin ſchwach, aber Deine Worte haben mir wieder Kiaft verliehen. Du haſt ſtets treu zu mir gehalten, und ſollte es zu einem Kampf kommen, ſo werde ~ wiſſen, was mir die Mutterpflicht auf— erlegt.“ In denmi Ton, in welchem die lange vernachlaſſigte Frau die letzten Worte ſprach, lag eine würdevolle Feſtig keit, welche ihre Zuhörer in Staunen ſetzte. „Nur keine Trennung, Mutter,“ ſagte Friedrich; „über dieſen Punkt ſteht mein Entſchluß feſt. Auch habe ich noch einen andern Beweonrund. in Mancheſter zu bleiben. Der Name, den ich trage, iſt be fleckt, und es liegt mir ob, ihm zu der Reinheit zu verhelfen, deren ſich der meines Grobpatere zu erfreuen hatte.“ „Ach wenn wir nur ſein Teſtament hät— ten,“ dachte Miß Weſtbuay. „Am andern Moregn trat Mrs. Bent— ley, zur großen Ueberraſchung ihrer Tante für einen Ausgang angekleidet, in das Beſuchzimmer; dem Wunſche ihres Gatten gemäß war nämlich die Equigage längſt abgeſchaft worden. „Iſt s möglich, Marie, daß Du ſchon ſo frůh ausgehen willſt?“ rief Miß Weſt bury. Zreiih „Warte nur ein paar Minuten; ich bin ſogleich bereit.“ Nach einigem Zögern theilte ihr die Nichte mit, daß ſie den Ausgang allein machen wolle. „Und darf ich fragen wohin?“ „Ich bitte, liebe Tane, fragen Sie nicht.“ Miß Weſtbury fühlte as ſehr verletzt. „Es iſt das erſte Geheimniß, das ich vor Ihnen habe, und ich gebe Ihnen das feier liche Verſprechen, daß es auch das letzte ſein ſoll.“ „Ein Geheimniß zwiſchen uns?“ „Haben Sie nicht auch eines vor mir?“ Miß Weſtburh erroöthete und fragte nicht weiter. Mrs. Bentley lenkte ihre Schritte nach dem Comptoir eines Freundes ihres ver— ſtorbenen Vaters, des Mr. Aſhton. Der alte Herr war höchlich erſtaunt über den Beſuch Mariens, die ſo zurückgezogen lebte, daß er ſie in Jahren nicht geſehen hatte. „Nennen Sie mich immerhin Marie,“ ſagte Mrs. Bentley, als er ſeine vertrau liche Anrede durch die förmlichere verbeſ ſern wollte. „Es erinnert an frühere Zei— ten. Mein Beſuch überraſcht Sie?“ Mr. Aſhton konnte es nicht leugnen. „Ich komme, Sie um eine Gunſt zu bitten. Mein Mann ſoll morgen hier eintreffen. Ich bitte Sie, Mancheſter nicht zu verlaſ— ſen, ohne mir davon Nachricht zu geben.“ „Nach Ihrem Wunſch.“ „Auch iſt es mir von Wichtigkeit, daß dieſer mein Beſnch ein Gehemniß bleibe.“ „Sie dürſen auf mich zählen. Haben Sie ſonſt noch ein Anliegen?“ „Ja; ich erſuche Sie, zu mir zu kommen wann immer ich nach Ihnen zu ſchicken für noͤthig halte.“ „Recht gerne.“ „Und bitte Sie in meinem Namen an meinen Onkel, Michael Haman, daſſelbe Erſuchen zn ſtellen.“ Der Fabrikant begann tief aufzuathmen. Das ſah ernſthaft aus. Vielleicht bedarf ich weder Ihrer, noch ſeiner Dienſte; aber wenn es der Fall ſein ſollte —“ „So koönnen Sie ſich auf mich verlaſſen.“ Mrs. Bentley wußte, daß ſie ſich von Ihrem Onkel des Gleichen verſehen durfte und verabſchiedete ſich. „Endlich!“ murmelte Michael Haman, als Mr. Aſhton ihn von der ſeltſamen Bitte, welche ſeine Nichte an ihn gerichtet in Kenntniß ſetzte. „Endlich!“ Dreiundpierzigſtes Kapitel. Bei aller Herzloſigkeit fühlte John Bentley doch eine leichte Glut der Scham auf ſeinen Wangen, als er der armen Dulderin wieder begegnete, deren Glücks traum er ſo erbarmenloß zerſtört hatte. Die faſt zu Feſtigkeit ſich ſteigernde Faſ ſung, mit der ſie ihn empfing, vermehrte ſeine Verwirrung. Aus Thränen und Vorwürfen würde er ſich nicht halb ſo viel gemacht haben. Was Miß Weſtbury betraf, ſo konnte man über ihre Gefühle gegen den Gatten ihrer Nichte nicht lange im Unklaren blei ben; ſie war keine Heuchlerin und ſtellte ſich nicht an, als ob ſie die ihr dargebotene Hand nicht ſehe, ſondern wandte ſich ein fach verächtlich ab. Lady Anguſta, die eben aus dem Wa— gen geſtiegen, fühlte ſich ſehr ergötzt von dieſer Szene. „Wie zartlich!“ flüſterte ſie ihrem Gatten zu. Dieſer antwortete darauf nur mit einem Achſelzucken, küßte ſeine Mutter förmlich auf die Wange und ſtellte den Damen ſeine Fran vor, die von denſelben mit jener ſtudirten Höflichkeit, welcher man ſogleich anmerkt, daß das Derz keinen Antheil dabei hat, begrüßt wurde. Das ſtolze Weib fühlte ſich da· durch beleidigt, obſchon ſie ſich bewußt war, keinen beſſeren Empfang verdient zu haben, da ſie ſeit ihrer Verheirathung ihrer Schwiegermutter nur ein einziges mal geſchrieben hatte. Unter dem Vor wand der Ermüdung drückte ſie den Wunſch aus, die Haushälterin möchte ſie nach ihrem Zimmer führen. „Die Haushälterin bin ich ſelbſt,“ ver— ſetzte Mrs. Bentley mit Würde. „Ich will dies beſorgen.“ John Bentley biß ſich auf die Lippen und begrüßte aus Aerger Friedrich mit mehr als gewöhnlicher Gleichgültigkeit weil er wußte, daß er damit der Mutter in's Herz griff. Die Begegnung zwiſchen den beiden Brüdern mar gleichfalls kalt, da der äl tere Bruder den warmen Willkommen des jüngeren durch die gemeſſene Anſprache und Hinbitten der behandſchuhten Hand zurückſtieß. Es war überhanpt ein ſelt ſames Wiederſehen auf der einen Seite Gleichgültigkeit, auf der anderen das Ge— fühl unverdienter Vernachläſſigung und Liebloſigkeit. Bei Tiſch wurde es Niemand behaglich, und alle waren unzufrieden. „So kann's nicht fortgehen,“ ſagte Mr. Bentley zu ſeiner Frau. „Lady Anguſta ſtirbt ja vor langer Weile. Du mußt Deine Freundinnen zu ihr einladen.“ „Ich habe keine mehr, “ lautete die ruhige Antwort. Abermals biß ſich ihr Gatte auf die Lippe. „Glaubt ſie mir trotzen zu kön— nen?“ dachte er. Und ein Läͤcheln über— flog ſeine Züge, denn er erinnerte ſich, wie ſie ganz durch die Umſtände von ihm ab— hängig geworden war. Ehe John Bentley von London abreiſte, hatte er den Entſchluß gefaßt, ſeinem zwei ten Sohn das wiederholt gegebene Ver— ſprechen nicht zu halten, da ihn eine Kom pagnonſchaft in dem Ankauf eines beden— tenden Guts, den er beabſichtigte, beengt haben würde, abgeſehen davon, daß er ſeine abſolute Gewalt über Friedrich nicht aus der Hand geben mochte. Gleich allen ſelbſtſüchtigen Naturen liebte er es, den Deſpoten zu ſpielen. „Wir müſſen auf eine gelegenere Zeit warten,“ ſagte er, als der Jüngling ihn an ſeine Zuſage erinnerte. „Man kann jetzt keine Aenderung vornehmen.“ „Und Ihr Wort, Vater?“ „Wird gehalten werden; aber das eilt nicht ſo ſehr, lautete die Antwort. „Dein Bruder beabſichtigt in ein anderes Regi ment zu treten, und außerdem bin ich ſelbſt noch nicht mit mir im Reinen, ob ich die gabrit behalte, oder nicht.“ Die Aus flucht war eben ſo gemein, als kränkend. „Dann iſt es Zeit, daß ich für mich ſelbſt etwas thue.“ „Wie beliebt. Ich habe nichts dagegen.“ „Vater,“ rief Friedrich in großer Auf regung, „was habe ich gethan, daß ich wie ein Fremder behandelt werde? Warum dieſer auffallende Unterſchied zwiſchen mei nem Bruder und mir? Habe ichs je an Savannah, Ga., den 6. März 1872. oder an Aufmerkſamteit für Ihre ontereſſen fehlen laſſen?“ „Du vergißt, daß Gilbert der Aelteſte liit~ „Soll ich deßhalb aus Ihrem Herzen verſtoßen ſein?“ „Verſtoßen iſt ein hartes Wort,“ be· merkte Mr. Bentley trocken. „Sie haben es mir abgedrungen,“ ver— ſehte der Jüngling bitter „Der Himmel weiß, wie lange ich gegen die traurige Ueberzeugung ankämpfte, daß ich keinen Platz in Ihrem Herzen beſitze. a Stellung iſt keine ſolche, die für einen Sohn paßt; ich werde nicht viel beſſer ge· halten, als ein bezahlter Diener.“ „Ou haſt meinen Entſchluß gehöoöͤrt,“ er widerte der Vater, „und dabei bleibts. Ueber was haſt Du Dich zu beklagen? Stellnng? Das iſt Stolz, Zunge. Mit den Salär, das Du erhaͤltſt, kannſt Du gnt ansreichen; aber ausreichend oder nicht, in Zeiten, wie die gegenwärtigen, iſt an eine Zulage nicht zu denken.“ Mrs. Bentley kam in das Zimmer. Sie erkanute aus Friedrich s glühendem Geſicht und dem kalten, aber zornigen Ausdruck in den Zügen ihres Mannes, daß die Verſprechung zu keinem befriedi genden Reſultat geführt hatte. „Laß mich mit Deinem Vater allein?“ flüſterte ſie. „Geben Sie ſich keine vergebliche Mühe, Mutter; ſein Herz iſt gegen mich verſchloſ ſen. ; Auf eine Wiederholung der Bitte ent fernte ſich Friedrich „Es iſt unnütz, Marie,“ bemerkte der Heuchler; „mein Entſchluß ſteht feſt. Er hat die Achtung gegen mich verletzt.“ „Und verlezt Du ihn nie durch Deine Liebloſigkeit ? entgegnete ſeine Frau ru— hig. Bentleh ſah ſie halb erſtaunt, halb be-~ luſtigt an. „Bin ich nicht ein geduldiges, gehorſa mes Weib geweſen?“ fuhr die arme Frau fort, die nur mit Mühe ihre Thränen zu rückzuhalten vermochte. „Iſt je ein Wort des Vorwurfs über meine Lippen gekom men? Ich habe ohne Klage jede Ver nachläſſigung ertragen; aber bei Allem, was ich durchgemacht, bei meiner geknick ten Jugend, bei dem bitteren Erwachen aus meinem Glückstraume beſchwöre ich Dich, handle gerecht gegen Deinen Sohn.“ „Sage, gegen Deinen Liebling; für ſei nen Bruder würdeſt Ou nicht ſo dringlich das Wort nehmen.“ „Es gab eine Zeit, in welcher dieſer Vorwurf getroffen haben würde; jetzt aber gleitet er an mir ab, da er ungerecht iſt. Hat ſich Gilbert je gegen mich wie ein Sohn benommen, mir die Achtung erwieſen, die einer Mutter gebührt?“ „Er bemerkte vhne Zweifel, daß Dir Friedrich lieber iſt.“ „Unmoͤglich. Ich habe es jahrelang vor mir ſelbſt verborgen. Doch wir ſpre chen heute wahrſcheinlich zum letztenmal über dieſen Gegenſtand. Für mich ſelbſt Gercqugiri oder Mitleid von Dir zu ſerflehen, würde ich für unter meiner Würde halten; aber ich bin Mutter, und n Mutterherz iſt ſtärker als der Stolz loder die Empfindlichkeit. Gewähre mir ſdie einzige Bitte, die letzte, die ich je an Dich ſtellen will, John, und die lange, traurige Vergangenheit, alles Unrecht, das lich als Weib erlitten, ſoll vergeſſen ſein.“ „Nein.“ „Du willſt Friedrich nicht in s Geſchäft aufnehmen, wie Du verſprochen?“ „Gewiß nicht.“ „Ueberlege wohl.“ „Pah! Ich glaube, die Madame will mich einſchüchtern.“ „Nein, nur flehen, demüthig flehen,“ lentgegnete Mrs. Bentley in Thraͤnen aus ſbrechend. „Du haſt den ganzen Reich t: meines armen Vaters geerbt; ſei ge— recht gegen ſeinen Enkel.“ „Ich bin gerecht,“ verſetzte der Heuchler, welcher des Auftritts ſatt zu werden be—- gann. „Wenn mein Entſchluß Dir als hart erſcheint, ſo haſt Du's nur Deiner unnatürlichen Vorliebe für den jüngeren Sohn zu danken; ſchon ſeit Jahren ſteht es bei mir feſt, die I tereſſen ſeines Bru— are zu ſchützen. Keine ſolche Narrhei ſten fuhr er fort, als ſein Weib ſich ihm ſzu Füßen werſen wollte. „Wenn du! wüßteſt, wie ich ſolche Szenen verabſchene, jo würdeſt Du mich nicht damit behelli gen wollen.“ Mrs. Bentley trocknete ihre Thränen ſund verließ das Zimmer. „Glaubt, mit einer Rü—hrſzene ſei es ab gethan“ brummte Jehn Bentley vor ſich ſhin. „Doch muß ich ihr die Gerchtigten widerfahren laſſen, es war ihre erſte Thor heit und wird hoffentlich auch ihre letzte ſin Eine falſche Anſchauung; ſie war ſich noch einer anderen bewußt, deren Fol gen den ganzen Jammer ihres Lebens ausmachte. „Mutter!“ rief Friedrich, ſie zärtlich! unarmend, als ſie in das Beſuchzimmer zurückkam, „Sie haben ſich vergeblich vor ihm gedemüthigt.“ „Das Ungehener!“ rief Miß Weſtbury. „Ach, wenn Dein armer Vater ſehen köͤnnte —“ „Bot!“ unterbrach ſie die Nichte. „Kein Wort. Ich bedarf meiner ganzen Kraſt, dieſen Schlag zu ertragen. Nicht wahr, lieber Friedrich, Da verläßt mich nicht?“ Sie verlaſſen?“ entgegnete der Jüng— ling. „Nicht um die ganze Welt könnte ich dies. Ich bleibe Ihnen nahe, wo Sie auch ſein mögen, um ſie ſchützen zu koön nen in Ihrem Leide.“ Die Mutter warf einen Blick ſtolzer Liebe auf den Sprecher und verließ das Zimmer, um in der Einſamkeit ihres Kämmerleins ſich durch Gebet zu ſtärken. „Die arme Marie!“ ſenfzte Miß Weſt bury. „Ich fürchte, dieſer Schlag iſt zu ſchwer für ſie geweſen.“ „Ich will ihn ihr zu erleichtern ſuchen, indem ich meinen eigenen Kummer ver· berge,“ verſetzte Friedrich. „Guter, edler Junge!“ rief die Tante. „Ach, daß ich auch ſo einfältig ſein mußte!“ „Sie, Tante? Was meinen Sie da mit? „O, nichts nichts Beſonderes. Es gibt keinen Menſchen, der nicht etwas zu bereuen hätte.“ Sie meinte die Verfü gung über ihr Vermögen, von dem Frie— drich Bentley nicht die mindeſte Ahnung i Laor Auguſta die ihren Beſuch bei ſihres Mannes Mancheſter -Verwandten ſbereits zu bereuen begann, zeigte bei Tiſch eine große Verſtimmtheit, weil ihre Schwi— egermutter und Miß Weſtbury weggeblie— ben waren, und ließ mehr als einmal merken, daß ſie darin einen Mangel an ſder gebührenden Achtung erkenne. John Bentley kniff die Brauen zuſammen und würde das hochmüthige Weſen der jungen Dame gerügt haben, wenn ihn nicht ſeine ee Zuneigung zu Gilbert angehalten hätte, „Meine Mutter iſt unwohl,“ bemerkte Friedrich ernſt. „Und wahrſcheinlich ihre Tante auch?“ verſette die Lady ſpöttiſch und fuhr, ohne auf den abmahnenden Wink ihres Gatten zu achten, fort: „Ich kannn ein ſo plötz liches Unwohlwerden nicht begreifen. In dem Kreis, in welchem ich mich zu bewe— gen gewohnt bin —“ „Erlaube mir die gnädige Frau Schwie gertochter eine kleine Verbeſſerung,“ un— erbrach ſie John Bentley. „Sie wollten ohne Zweifel ſagen in dem Kreis, welchem mein Geld hnen ſich zu bewegen geſtattet. Ent— ſchuldigen Sie meine Unterbrechung,“ fügte er bei, indem er ſich mit ironiſcher Höflichkeit verbengte. „Vater, lieber Vater!“ rief Gilbert, welcher den heftigen Charakter ſeiner Frau ſkannte und daher eine Szene r Gean „Sie mißverſtehen Auguſta.“ „Glaube kaum,“ lantete die Erwide— rung. 1 „Gilbert,“ ſagte die Gnädige mit eiſi ger Würde, „ich bin nicht nach dieſem Krämerneſt gekommen, um mich beſchimp zu laſſen.“ „Meine Liebe!“ „Sie können hier bleiben oder nicht, wie Ihnen beliebt; ich aber kehre morgen nach London zurüeck.“ Mit dieſen Wor ten erhob ſich die ſtolze Schönheit vom Tiſch und verließ das Zimmer. „Ein angenehmer Beſuch,“ n John Bentley. „Sehr,“ pflichtete ſein Aelteſter bei. „Und daran iſt Niemand ſchuldig als Du, Burſche, der Du Deine Mutter und Miß Weſtbury verleitet haſt, m ich re— ſpektswidrig zu behandeln. Aber damit lerreichſt Du nichts, kann ich Dir ſagen. Kein Wort! Wenn das morgen nicht anders kommt, ſo werde ich meiner Fa— milie zeigen müſſen, wer Herr und Mei ſter iſt“ ; Und es kam anders, nur nicht gerade ſſo, wie der Sprecher meinte. Um dem unnatürlichen Vater nicht weiteren An laß zu geben, verließ Friedrich ſogleich nach dem Diner das Haus und eilte nach der Wohnung Ellen's, die ihn mit Unge duld erwartete, aber ſchon in ſeiner Miene die Botſchaft, die er ihr brachte, leſen konnte Unter Thränen warf ſie ſich ihm an die Bruſt. „Du vertrauſt mir noch immer?“ Za “ flüſterte ſie. „Dein Vertrauen ſoll nicht zu Schan—- ſden werden,“ ſagte Friedrich lächelnd. „Morgen führe ich Dich nach Mancheſter.“ „Morgen?“ wiederholte Ellen hocher ſfrent. „Morgen!“ Sie konnte den gan— ſzen Tag an nichts Anderes denken, legte ſich mit dieſem Wort zu Bette und lis— pelte es ſogar in ihren Träumen. Nur mit Mühe hatte Mrs. Hannan ihrem Gatten das Verſprechen abgerungen, nicht mehr mit dem alten John vor dem Spital aufzuſpielen; ihr Stolz und ihre Liebe empoörte ſich bei dem Gedanken an die Demüůthigung des Mannnes, der ihr ſo thener war. Und doch mußte etwas geſchehen, um das bleiche Geſpenſt, den Hunger, abzuwehren, der ihr bereits aus den eingeſunkenen Augen ihres Sohnes und aus den hohlen Wangen der ſtumm duldenden Wittwe entgegenſtarrte. „An mir liegt nichts; ich habe meine Zeit ausgelebt,“ pflegte Letztere zu ſagen; „aber es iſt hart, mit anſehen zu müſſen, wie mein Herzens-Willie und der Knabe ſimmer magerer und magerer werden. Ich hoffe— der Allmächtige ruft mich zu erſt ab, denn ich bin nichts mehr nutz und euch nur noch eine Laſt.“ (Fortſetung folgt.) : Der Salonwagen des Reichskunzlers Bismart. Die von den dentſchen Eiſenbahngeſell ſchaften dem Kanzler des Deutſchen Reiches geſchenkte Salonwagen, eine tüchtige Lei ſtung der Technik, ausgeſtattet mit edlem Geſchmack, iſt vor einigen Tagen aus der Fabrik der ,„Aktiengeſellſchaft für Fabri— kation von Eiſenbedarf“ (frůher Pflug) hervorgegangen und am 19. Januar einſt weilen der Berlin- Hamburger· Bahn über geben. Am 20. wurde die erſte Probe~ fahrt vorgenommen, und es ſoll, wie die betreffenden Beamten verſichern, der Gang des Wagens ſich durch beſondere Leichtig keit und Ruhe auszeichnen. Das Außere deſſelben macht einen ſehr angenehmen Eindruck; überall dem tech niſchen Urtheil reichlich genügende und zugleich dem Auge wohlthnende Verhält niſſe; nirgends überladene Decoration, ſondern vornehme Einfachheit. Auf zwei mit gewöhnlichen Seetorrädern verſehenen Gußſtahlachſen ruhen ſolide eiſerne Laͤngs träger, welche (wie überhaupt die unteren, tragenden Conſtruetionstheile, Achsgabeln, Gehänge u. ſ. w.) ſchwarz gehalten ſind, während nur die von den Trägern vor ſpringenden Conſole und die ſchlanken Federn durch blaue Färbung mit wenigen heoen ourn ferner die tüchtigen Achs— buchſen durch Bronzierung vortheilhaft abgehoben werden Die Seitenfront des ſich hierauf bauen— den Wagens enthält 7 Fenſter mit gro ßen Spiegelſcheiben, wobon die beiden äußeren den Eingangsthüren angehören, zu denen bequeme, mit rothem Sammet beſchlagenene Falltreppen hinaufführen, ſo daß man kaum der Stütze des zierlich gearbeiteten, vergoldeten Handgriffes beim Einſteigen bedarf. Neben jeder Thür iſt eine prächtige Laterne mit ſilbernem Re— flector angebracht, welche ihr Licht durch ſchön geſchliffene Cryſtallgläſer hinaus~ wirft. Es wird in dieſen Laternen, wie überhaupt in allen Lampen des Wagons, Stearin gebraunt, mit der Einrichtuug, daß eine Spiralfeder die Kerze aus einer Hülſe, mit dem Verbrauch der Flamme Schritt haltend, beſtändig vorſchiebt. Die Grundfarbe des Wagens iſt ein ſchönes Dunkelblan, worauf Bergoldung in ſchwarzen Streifen als Umrandung der Fenſter und Thüren, als Verzierung der etwas vorſpringenden, zinnenartigen Verdeckſimſes angebracht iſt, während ſich unter dem Mittelfenſter jeder Seitenfront das fürſtliche Wappen zeigt mit deſſen Deviſe: „in trinitate robur.“ Ein beſonderes Wohlgefallen an der ſchönen Form erregt der ſanfte Bogen der Federn. Bei weiterer Betrachtung begeg~ net man noch anderen praktiſchen Einrich tungen. Zwiſchen beiden Achſen beſindet ſich ein ſchwarzer geräumiger Kaſten von Eiſenblech, der die ganze gern des Wa— gens einnimmt und dem Beſchauer ſofort in die Augen fällt. Es iſt dies der Ge— päckkaſten, wozu die genau hineinpaſſenden Koffer noch nachträglich zu liefern ſind, welche beſonders für den Fürſten einge richtet werden. An beiden Stirnſeiten des Wagens zeigen ſich Einrichtungen, die eine Verbindung mit anderen Salon— wagen zulaſſen, falls ſich einmal die Noth— wendigkeit einer ſolchen herausſtellen ſollte; alſo Thüren und die nöthigen Hacken für die in dieſem Falle einzuſchaltende Ver bindungsbrücke. In der Höhe des Fußbodens bemerkt man die Verſchlnßklappen der Heitzvoͤrrich tung. Die Heitzung geſchieht vermittelſt der in neuerer Zeit bei vielen Bahnen ge— bräuchlich gewordenen präparirten Kohle, welche ſich dadurch auszeichnet, daß ſie leicht, ohne eines bedeutenden Luftzuges zu bedürfen, verbrennt und nur wenig Gaſe und Aſchenbeſtandtheile hinterläßt. Die Heizvorrichtung iſt in den Räumen des doppelten Fußbodens angebracht, in— dem rechtwiukelige, röhrenartige Käſten von Eiſeublech, mit Roſten verſehen, ſich durch die Breiten des Wagens ziehen; auf den Roſt werden die dagene geſchoben, verpackt in einem Heizkorb aus Draht. Unten an dem Heizkaſten befinden ſich ei nige Zugröhren, welche ins Freie münden. Durch dieſe Heizkäſten ie ort umliegende Luft erwärmt und dringt durch Oeffnun— gen in die Räume des Wagens ein. Der Kohlenvorrath wird in emem Behältniß auf dem Verdeck mitgeführt Ebendort bemerken wir feruer eine An zahl kleiner Abzugsrohre mit Windflü geln. Es ſind dies Ventilationsvorrich tungen für die inneren Räume des Wa— gens. Deu beiden, zuletzt beſprochenen Vorrihtangen begegnen wir im Innern noch einmal. Beim Eintritt in den Wagen gelangt man zuerſt in den, drei Fenſter der Sei tenfront einnehmenden Salon der Füůrſtin. Weiche und ſchwere geblümte Teppiche be decken den Fußboden; eine Vertäfelung (aus Mahagoniholz gearbeitet, wie über haupt alle ſichtbareHolzarbeit des Wagens) zieht ſich in der Höhe bon etwa 3 Fuß an den Wänden herum. Die Tapete beſteht in einer Polſterung, bedeckt mit blaß rauem Seidenttel: etwas lichter iſt die artun der Decke, um welche ſich eine ranzdecoration zieht, Lorbeer· nnd Ei- I. Stern, Herausgeber. No. 46. chenblätter in Gold auf blauem Grund bezeichnet, zwiſchen derſelben wiederkehrend das fürſtliche Wappen. Durch die ſechs Fenſter des Gemaches ſtrömt helles Licht; man iſt jedoch im Stande, vermittelſt ſtellbarer Holzjalouſien das Licht beliebig zu reguliren, oder auch durch das Herab laſſen der ſchweren gelbgraunen Seidenvor~ hänge vollſtändig zu dämpfen. Am Abend geſchieht die Beleuchtung durch vier an— muthige, reichvergoldete, doppelarmige Wandlampen mit Kugelglocken von Milch-~ glas, welche, je nachdem man das Licht zu mildern oder zu verſtärken beabſichtigt, auf und nieder geſchoben werden können. Im Uebrigen findet ſich Garderoben— Comfort, wie ſeidene Netraufen und ver goldete Huthacken, beqnem an den Wän— den vertheilt. Aus der Vertäfelung vorſpringend, zeigen ſich die beiden Heizſchränkte dieſes Gemaches, ſehr hübſch in der Form von Kaminen gehalten, durch deren bergoldete durchbrochene Gitterthür die Luft des Sa lons mit den Heitzkäſten in direkter Ver bindung ſteht. In der Mitte der Decke befindet ſich eine vergoldete Ventilations— Drehkuliſſe, welche aufgedreht einen Aus— taunſch der innerea gegen äußere Luft be— werkſtelligt. Außerdem ſind noch die ge wöhulichen Ventilations · Schiebekuliſſen über den Fenſtern vorhanden. Ein an der Wand angebrachtes zierliches Thermo meter giebt den Grad der Temperatur an, welche man durch die beiden Faktoren Heitzung und Ventilation zu reguliren im Stande iſt. Das Mobiliar beſteht in einem beque— men Sopha mit Rückenkiſſen und Kopfkiſ ſen, Lehnſtühlen, Tavonrets, ferner aus einem großen, bequemen Schlaflehnſtuhl, aus dem eine Schieblade ſich unten vor ziehen läßt und ſo den Stuhl zum Lager berlängert. Unten im Sopha beſiudet ſich ein Raum zur Aufnahme von Decken und allen den Gegetſanden. welche ein Bett verlange. Die Bezüge des Mobiliars be ſtehen aus grauem Sauet, harmonirend mit dem Farbenton der Tapiſſerie. Außer einigen kleinen, marmornen Wandtiſchplatten vervollſtändigt die Ein richtung des Gemaches ein zierlicher mit blauem Tuch bezogener Spieltiſch, zum Aufklappen eingerichtet, an deſſen vier Ecken ſich Einläſſe befinden, in welche ſil berne Aſchbecher und Lenchter, die ihren Platz ſonſt auf dem Caminſims haben, nachdem ſie von ihrem Fuße geloͤſt ſind vermittelſt eines Bajonetverſchluſſes ein geſetzt werden können. Der Geſammt eindruck, den der Salon mit ſeiuen meiſt gebrochenen Farben, ſeinen zierlichen, be quemen Mobilien macht, iſt der eines vornehmen, feinen Geſchmacks. Die Wahl der Farben und Stoffe iſt denn auch von competenteſter Stelle getroffen. Vom Salon tritt man durch den kleinen ein Fenſter der Front einnehmenden Toi lettenraum, worin beſonders die anmu thige Einrichtung des Eckwaſchtiſches be merkenswerth iſt, in das Arbeitszimmer des Fürſten. Manche Einrichtung des kleinen Toilettenzimmers iſt für den prae tiſchen Techniker von großem Intereſſe, ſowie auch dem Schönheitsſinn hoch er freulich. Der kleine Raum wird durch eine Thür in zwei Theile getheilt, außer dem ſind zwei einander gegenüberliegende Thüren vorhanden, von denen die eine zum Salon, die andere ins Arbeitszimmer des Fürſten führt. Beſonders einnehmend iſt ferner der Eindruck, den man beim Betreten des Ar beitszimmers des Fürſten empfängt, eines kleinen, zwei Fenſter der Front einneh—- menden behaglich eingerichteten Gemaches. Wir finden n dieſelben dicken Fußtep— piche, dieſelben Jalouſien, Fenſtervorhänge, Lampen, Ventilationsvorrichtungen, ſei denen Netzraufen und Huthacken, wie im Gemache der Fürſtin, welche Einrichtung überhaupt durchgehend ſind ; dagegen fällt die Wandvertäfelung fort, die Tapiſſerie zieht ſich bis an den Fußboden hinunter; die Farbe des hierbei verwandten, gleich falls grauen Seidenſtoffes iſt nicht ſo zart, dunkler und intenſiver als im Salon; der nämliche Seidenſtoff bekleidet auch die Decke. Das Mobiliar beſteht nur aus Lehnſtuhl und Sopha, mit ſolidem, brau nen Saffian überzogen. Das Sopha iſt breit, lang und behaglich: wenn man ſteht, zum Sitzen, und wenn man ſitzt, zum Liegen einladend, einem Vielbean— ſpruchten und Sorgenvollen ſanfte Stun den des Ausruhens verheißend. An einer Stelle des Fußbodens läßt ſich der Teppich lo eine kleine Klappe öffnet ſich und der kleine Reiſe weinkeller mit verſchiedenen Eiuſätzen und Abtheilungen wird ſichtbar, worin auch Eis und Lebensmittel Platz ſinden können. Zu jeder Seite des Gemachs führen die Thuͤren in das Freie. Hiermit iſt die lohnende Beſchäftigung beendigt. Mag es Salonwagen geben, deren Ausſtaitung glänzender 2 prunkender ſiſt, eine zweckmäßigere Einrichtung dürfte nicht anzutreffen ſein. Und kaum findet ſich wohl in beſchränktemßaum eine gleiche Vereinigung des Behaglichen mit ſchön— ſinniger Anordnungen. (D.R.A)