Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, March 27, 1872, Image 1

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Savannah Abend Zeitung. Prof. C. I. Banſemer, Redakteur. 1. Jahrgang. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der geit der Baumwollennoth in Mantcheſter von J. F. Smith. (Fortſehung.) „Wir hoffen ſo,“ entgegnete die Lady, nren ſie liebenswürdige Miene zu machen ſuchte. Mr: lleh warf einen Blick unwilli ger Verachtung auf ſeinen älteſten Sohn. Er hatte ihm nie eiu tiefes Gefühl zuge— traut, aber eine ſo offene Gemeinheit ůber raſchte ſogar ihn, der doch die menſchliche Natur nach einem ſehr niedrigen Maßſtab abſchäͤtzte. Als er, ohne ein Wort zu verliren, aus dem Zimmer ging, flüſterte Michael Haman ſeinem Mit · Curator kichernd zu: „Endlich iſt John Bentley ein Bettler. Ich hab' es ihm vor Jahren prophezeit.“ In demſelben Angenblick bekundete ein Geſchrei und Grunzen von Seiten der Arbeiter, welche die Leſtamento Exekuto— ren zur Beſi fun mirgebracht hatten daß deiſe in der Flür angelangt war. a „Friedrich te die Mutter in darſih nicht dul den, dad Vei Migln ichet Vater unter dem Dach, daͤd vyr ſein war beſchimpft wit „Gewiß nicht,“ verſetzte der junge Mann und verließ haſtig das zimmer. Er kam zu ſpät, um eine Wiederholung dieſer negativen Ovation zu hindern, und John Bentley war bereits nach der Straße hinaus enteilt. Als Friedrich wieder in das Beſuehzimmer zurůckkam, drückte ihm Michael Haman herzlich die Hand und ſah ihm lang angelegentlich in's Geſicht. „Sie haben alſo die Tochter des blin— den Willie geheirathet?“ ſagte er „3a. „Zreut mich;“ verſetzte Michael. „Gott ſei Dank, Sie haben keine Aehnlichteit mit en Vater.“ Friedrich glich ſeiner Mutter, folglich auch dem Kinde des Sprechers, der längſt heimgegangenen Alice. „Ihren Bruder werden ſeine Pudelhaare und ſeine blauen Augen zum reichen Mann machen,“ flůſterte Lady Auguſta ſarkaſtiſch ihrem Gatten zn. Sechsundvierzigſtes Kapitel. John Bentley's Laufbahn gibt uns ein Beiſpiel, wie tief der Menſch allmälig ſinken känn. Der Abſtand zwiſchen dem erſten Schritt und der verſchlingenden Kluft iſt viel kleiner, als man gewoöhnlich glaubt; denn ſchnell wird der Boden ſo ſchlůpfrig, daß es ſchwer hält umzukehren. Er hatte mit vermeintlich feſten Grund— ſätzen angefangen, mit dent Entſchluß, reich zu werden durch ehrliche Mittel, das heißt durch geſetzliche ehrliche Mittel; aber ebeu dieſer Zuſatz gereichte ihm zum Ver— derben. Nicht daß er ſich ſchon für rui— nirt gehalten hätte. Es ſtand ihm noch eine anſehnliche Geldſumme zur Verfügung, und er konnre damtt einen Prozeß anfan— gen. Das Teſtament ließ ſich anfechten und ſo ſich ein Vergleich erzielen. Hätte er übrigens den Haß in Rechnung ge— nonimen, mit dem der reiche Haman ihn ſo hartuäckig verfolgte, ſo würde er wohl die Hoffnungsloſigkeit dieſer beiden Aus— ſichten erkannt haben. Nachdem er ſein Haus verlaſſen, begab er ſich zunächſt nach der Bank, um die be— deutende Summe, welche er zum Behnf der Gutserwerbung und einer Spekula— tion auf dem Wollmarkt daſelbſt nieder— gelegt hatte, einzuziehen; aber Haman war ihm bereits zuvorgekommen, indem er die Auszahlung mit gerichtlichem Ar— reſt belegen ließ. Mit den Zähnen knir— ſchend, aber noch nicht entimnuthigt, kehrte John Bentley der Bank den Rücken. Er hatte noch zweitanſend Pfund in jeinem hane non n eine anſehnliche Summe bei einem Agenten in London, welchen er mit Answirkuͤng eines Regimentstauſches für Gilbert beauftragt, und das Patent für die Krempelmaſchine, das er zn Geld machen konnte; ; Nach kurzer Ueberlegung kam er zu dem Entſchluß, nach der Hauptſtadi zurückzu— tehren, wo ſeine Bewegungen am weuig~ ſten übetwacht werden konnten. Noch am nämlichen Natchmittag brachte er die ſen Plan zur Ausführung, und vor Ab— lauf einer Woche»hatte er azs den ihm zu—~ änglichen Quellen fünfzehntauſend Pngua zuſammengebrancht. „Ich bin noch nicht geſchlagen,“ murmelte er, als er ſeinen Schatz zählte. „Könnte ich nur einen kühnen - Helfer finden!“ Er brauchte nicht lange zu warten. Kaum hat ein böſer Gedanke Wurzel gefaßt, ſo wirft uns der Verſucher auch ein Werk zeug zur Ausführung in den Weg. dehren wir jetzt zu dem blinden John zurück. Eingedenk der Schildernng, die ihm Mrs. Haman von dem Herrn auf der Treppe gegeben, und der ſeltſamen Aufführung ſeines Hausgenoſſen, beſchloß er, der peheimniſpollen genoſen welche zwiſchen dieſen beiden Perſonen beſtand, auf den Gruünd zu kommen; doch mußte er dabei ſehr vorſichtig zu Werke gehen. Seine Kammer befand ſich unmittelbar über der Wohnſtube des Weißbarts. Wenn nun dieſer ausgegangen war, ſo lüpfte er eine Diele ſeines Fusbodens und bohrte neben dem mittleren Querbalken ein Loch in die Decke. Dies mußte nm ſeiner Blindheit willen mit beſonderer Vorſicht geſchehen, und er wünſchte daß ſein alter Freund Sam zur Stelle wäre, um ihm zu helfen. Obgleich Willie und ſeine Frau ſeiner Einladung ſo weit Folge leiſteten, daß ſie ihn nicht beſuchten, ſchickten ſie doch Mar tin täglich zu ihm, um nach ihm zu ſehen und ihm etwas zu bringen. Die Kunde daß Mr. Haman's Teſtament entdeckt ſei, erfůllte ihn mit unbegren, ter Freude. „So iſt wohl John Bentley wieder ein armer Mann,“ rief er. „Geſchieht ihm recht. Ich habe immer geſagt, er werde noch ſeinen Lohn finden. Ohne ihn wäre Dein Vater jett ein reicher Mann, Junge ſaber er traute ihm, obſchon ich ihn immer ſwarnte. Einfältig genug von ihm.“ „Ihr vergeßt,“ ſagte Martin, „daß da— mals Alles gut vom ihm ſprach. Und was brachte Cuch ans Euren Argwohn?“ „Seine Stimme, Martin. e Stin me,“ verſetzte der Spielmann. „Er ſeren uie in einem natůrlichen Ton wiel Du und ich. Trau' keinem Menſchen mit einer falſchen Stimme; er wird Dich ſich· erlich anführen.“ „Glaubt Ihr wohl, daß John Bentley auch bei dem Erblinden meines Vaters die Hand im Spiel hatte?“ fragte Mar tin. „Hum,“entgegnete der alte Mann nach ſeinigem Beſinnen, „ich glaube nicht, und Dein Vater glaubt's auch nicht. Ich kann den Menſchen nicht leiden, aber ver— leumden möcht ich ihn doch nicht.“ „Wer ſonſt koͤnnte einen Beweggrund zu dieſer granſamen Haudlung gehabt ben?“ „Das iſt ſchwer zu ſagen. Hat Willie nie mit Dir darůber geſprochen?“ ein „Er ſollt's am beſten wiſſen. Es ſteht n nicht zu, meine Gedanken kund zu thun, ſo lang er ſchweigt, aber ich weiß —“ n „Was wißt Ihr?“ fragte Martin ha— ſtig „Nichts, Junge. Achte nicht auf die Reden eines alten Mannes. Wie alt biſt Dnu?“ „Bald ſiebenzehn.“ „Und Du biſt wohl ein guter und ge— ſcheidter Burſche?“ „Es dürfte beſſer ſein,“ verſetzte Mar—- tiu beſcheiden. „Geht uns Allen ſo,“ bemerkte der Muſikant philoſophiſch. „Ich kenne nur einen Menſchen, der in dieſer Beziehung nichts zu wünſchen übrig läßt den ar— men Willie. Ja, Du darfſt wohl ſtolz ſein auf Deinen Vater;: Wenn er nicht von Natur ſo gut wie Geld wäre, ſo hätte ihm ſein Unglůck das Gemüth längſt ver bittern uiſſcni Der Sprecher ſchwieg einige Minuten, als gehe er mit ſich lt zuü Rath ob er Martin in ſein Vertrauen ziehen ſolle oder nicht. Er brauchte für ſeine Nach— forſchungen einen Beiſtand, trug aber Be denken, den jungen Menſchen, dem Willie nie etwas von ſeinem Argwohn vertraut hatte, in ſein Geheimniß einzuweilen. „Dun hiſt ſo ſtill wie ein Vogel in der Mauſer,“ ſagte er, plötzlich aus ſeinem Brüthen aufwachend „An was denkſt Du, Martin?“ „Darf ich es ſagen?“ „Nur heraus damit.“ „Ich hab' mich gewundert, warum ich bei Euch eine Diele im Kammerboden auf gehoben finde. Ihr werdet wohl kein Geld darunter verſtecken wollen?“ fügte Martin lachend bei. „Es iſt der Wille Gottes,“ murmelte John. „Er fängt ſelbſt davon an.“ „Ich verſtehe Euch nicht.“ „Riegle die Thüre zu.“ Martin gehorchte. „Und nun lüpfe das Brett ſorgfältig. Mach keinen Lärm. Du wirſt neben dem Hauptdeckbalken ein Loch finden. Leg' Dein Auge daran und ſag mir, was Du ſiehſt. Ich kann nur mein Ohr dazn brauchen.“ Martin folgte der Aufforderung, und John legte ſich geſtreckt auf den Kammer— boden nieder. „Ich ſehe —“ „Leiſe Junge nur ganz leiſe.“ „Einen alten Mann mit langem, wei— ßem Bart; aber der Ansdruck ſeines Ge— ſichtes gefallt mir nicht. Er hat ſo wilde Angen.“ „Ja, ja, ohne Zweifel wild genug,“ flů ſterte Idhn. „Iſt er allein?“ „Nein; ich ſehe noch ein altes Weib bei ihm. Seltſam. Sie hat den nämlichen wilden Blick.“ „Kannſt Du hören was ſie ſagen?“ Sie Sprechen von Uhr.“ urgnete Martin, das Ohr an das Bohrloch le— grnd. . ; „Gib wohl Acht, was ſie ſagen,“ flů~ ſterte der Spielmann in großer Aufre ſuns „Gott lob, ich wußte wohl, es werde endlich heranskommen. Um Alles verlier mir kein Wort. Du kannſt mir's dann erzählen, wenn ſie fort ſiud.“ Faſt eine halbe Stunde blieben die Beiden in der gleichen Lage. Endlich er hob ſich Martin leiſe und rückte die Diele wieder über die Oeffnung. ; „Nun, erzähle mir,“ begann der blinde Savannah, Ga., deù 27. März 1872. John haſtig. „Was haben ſie geſpro chen?“ „Von einem Verwandten, glaub ich, der heute Abend kommen wird, um eine Uhr zu kaufen.“ „Keinen Namen gehört?“ „Ich habe ihn nicht verſtanden. Dann ſprachen ſie von einer Nummer und da— von, daß der alte Mann von Mancheſter fort ſoll. Ich kann mir nicht denken, was dies mit der Uhr zu ſchaffen haben mag.“ Sein Zuhörer nickte wohlweiſe mit dem Kopf, um anzudenten, daß ihm die Sache ganz klar ſei. „Sie miſchten in ihr Geſpräch Worte t die ich nicht verſtand,“ fügte Martin ei. „Rumäniſch, Junge, rumäniſch. Hör jeßzt, was Du thun mußt.“ 3a?“ „Komm auf den Abend wieder her und paß auf.“ „Das Lauſchen gefällt mir nicht, und ich glanbe, auch mein Vater würde es nicht billigen. Seid nicht böſe, John, ich bin Euch zu Allem erbötig, nur zu kei~ nem ſolchen Dienſt.“ „Ganz wie die Andern,“ brummte der Geiger. „Willſt Dn auch klüger und beſſer ſein, als ältere Leute?“ „Ich komme eben nicht,“ antwortete Martin entſchloſſen. „So bleib weg und laß den Menſchen der Deinem armen Vater den Segen des Geſichts raubte, ungeſtraft entkommen; denn ich allein kann ihn nicht ausfindig machen.“ Martin begann am ganzen Leibe zu zittern; denn es war der ſchoöͤnſte Traum ſeines Lebens geweſen, den niederträchti- Feind ſeines Vaters in die Hände der Herechtigkeit zu liefern. „Verzeiht mir, Zohn,“ rief er, „und ſtraft es nicht ſo ſchwer, daß ich an Euch zweifelhaft wurde.“ „Vielleicht kann ich's auch ohne Dich durchführen.“ Martin erbat ſich s mit ſolcher Wärme, nicht als eine Gunſt, ſondern als ein Recht, gegenwärtig und an dem Werk der Vergeltung mitthätig ſein zu dürfen, daß der lnwille des alten Mannes ſich endlich legte. „Erinnerſt Du Dich, um welche Zeit der Menſch die Uhr holen will?“ „llm Zehn.“ „So ſei um neun Uhr hier und laß es uicht fehlen.“ “Hätte der Sprecher den Blick ſehen können, mit dem Martin dieſe Einſchär fung aufnahm, ſo würde er ſich in Betreff einer Verſäumniß vollkommen beruhigt gefühlt haben. Kaum war der alte Mann allein; als er ſeine Geige aufnahm, und in einem wunderlichen Gemiſch von Tönen der Ver wirrung ſeiner Gedanken Ausdruck zu ge— ben begann. Im Launf wurden die No— ten beſtimmter und klarer, gingen in eine ſanfte, klagende Melodie über, und ſchloſ ſen endlich mit einem triumphirenden Ca priceio. „Ich danke Dir,“ ſagte der Spielmann, mit der Hand liebkoſend über den Hals ſeines Inſtruments hinabfahrend. „Wußte wohl, daß Dun würdeſt. Biſt mir ja immer treulich beigeſtanden, altes Mädel.“ Nachdem er die Geige wieder in ihrem Futteral verſorgt hatte langte er nach ſti nem Hut, ſchloß ſeine Kammerthüre zu, und ſtieg ſo ſicheren Trittes, als ob er Augen hätte, die Treppe hinunter. Es war für ihn eine ungewoͤhnliche Ausgeh ſtunde. An der Hausthüre angelangt, unde er nicht ohne Abſicht Halt, um an n ſeiner Schuhe den Riemen feſter an zuziehen. „Guten Tag, John, guten Tag!“ ließ ſich eine Stimme aus dem Souterrain heraus vernehmen. „Danke Brigitt,“ verſetzte der alte Mann. „Harte Zeiten, John, harte Zeiten. Heute iſt Dienſtag.“ Dienſtag war der Wochentag, an wel chem die Sprecherin, die unter der Bedin gung, daß ſie die Hausmiethe einſammelte, ta Ouartier hatte, von den übrigen Hausbewohnern Zahlung erwartete. „Ihr ſeid ein zudringliches Weibsbild,“ bemerkte der Blinde ärgerlich. „Ihr habt ſonſt nie ſo lang warten laſ ſen,“ lautete die Erwiderung. „Schätz wohl, ich bin nicht der einzige Spätling.“ „Leider nein,“ verſette die Stimme aus dem Souterrain. „Dann braucht ihr nicht ſo in die Straße hinaus zu ſchreien,“ ſagte der Miethömann im Ton gekränkter Würde. „Ich will hinunter und in Gutem mit Euch über einkommen.“ Die Frauensperſon ſchien ſich bei die— ſem Erbieten zu beruhigen und ſtellte ihm, als er bei ihr eintrat, einen Sitz hin. „Wie geſagt, Brigitt,“ fuhr der Spiel mann fort, „es ſind harte Zeiten, nament lich für ſolche, die keine Arbeit haben oder nie nach Arbeit ausgehen.“ „Ah, ich merke, wen Ihr meint.“ Wen?“ „Den Weißbart.“ „Falſch gerathen,“ verſetzte der blinde Zohn „Um den zerbreche ich mir den Kopf nicht.“ „Hat auch nicht nöthig zu arbeiten “ ſagte die Frau. „Ein Glück für ihn.“ „Er hat gute Freunde.“ „Was Ihr ſagt!“ „Der reiche Norle iſt zweimal bei ihm geweſen.“ „Und wer iſt diejer Norle?“ „Der lude mit dem großen Laden in der Straße drunten. Er bringt ihm Geld, und wenn er's nicht ſelbſt thut, ſo ſchicki er ein Weibsbild damit. Sehr gut von ihm.“ „Sehr,“ wiederholte ihr Zuhoͤrer trok. ken. „Und wie ſieht dieſer Norle aus?“ Die Frau beſchrieb ihn, ſo gut ſie konnte. „Was ftag ich auch? Er geht mich nichts an.“ ſagte der Geiger „Aber jetzt muß ich fort und einen guten eect aufſuchen. Macht Euch keine Sorge we— gen der Hausmiethe; ich habe Euch im mer ehrlich bezahlt.“ „Das muß ich Euch nachſagen.“ „Ihr kriegt heute noch das Blech, wenn ich Glück habe,“ fügte der Spielmann bei, als er ſich herabſchiedete. Denſelben Abend hielt John eine lange Unterredung mit Willie, dem er unyerho len ſeinen Argwohn über Norle mittheilte. Unſere Leſer haben in Letzterem bereits den jüngſten der Gebrüder Lee erkannt. „Wenn ich auch recht habe,“ ſagte Willie, „ſo kann ich doch nichts beitragen zu Ueberführung der Perſon.“ „Vielleicht kann ich's.“ „Ihr?“ rief Willie. „Ja, wenn ich ihn ſprechen höre. Dieſe Lee's ſind ein ſchlimmes Pack, und es kann mit keinem ein gutes Ende nehmen. Ich will dem Burſchen ſcharf aufpaſſen. Hente Abend kommt er, um eine Uhr zu kaufen.“ Willie zitterte vor Aufregung. „Aber es werden zwei, vielleicht drei bei dem Handel ſein. Ueberlaß nur Alles der Vorſehung. Gott nimmt sich der Blinden an.“ Als John bald darauf ſich entfernte, verbat er ſich entſchieden alle Begleitung. Er wollte die übernommene Aufgabe in ſeiner Art vollbringen. Gleich dem Maulwurf zog er es vor, allein zu arbei ten. (Fortſetung folgt.) Der Roſenmontag in Köln. Um unſeren Leſern einmal eine Idee davon zu geben, mit welch' coloſſalem Aufwande und verſchwenderiſcher Pracht in Koöln, am Carnevals Montage, auch „Roſenmontag“ genannt, der jährliche große Maskenuümzug in Scene geſetzt wird, laſſen wir nachſtehende ansfůhrliche Be— ſchreibung folgen, welche wir der „Kölner Zeitung“ „vom 13. Febr. entnommen ha— ben. Das eben genannte Blatt ſchreibt: Vorgeſtern Abend erregte ein dunkel verhängtes Firmament in allen earneva liſtiſchen Gemüthern ſehr ernſte Beſorgniß. Kein Stern am Himmel leuchtete. Auch geſtern früh war der lettere noch trüb um— flort, doch ließ ſich noch das Beſte hoffen. Wir wurden nicht getäuſcht: es kam ein friſcher Morgen, und gegen Mittag ſchon blinzelte die goldlockige Sonne mit bezan· bernderFreundlichkeit zwiſchen den getheil ten Wolken hindurch. Sie ſchaute im hei— ligen Köln ein bunt bewegtes Leben: die Straßen gefüllt mit hin und her wogen— den Schauluſtigen und zwiſchen dieſen Masken in unendlicher Verſchiedenheit, burleske, grotesle und pittoreske. Wie vor zwei Jahren das Schlagwort: „No wat ſähſte doh derzo“ im Schwunge war, ſo hörte und las man geſtern die Exelamation: „Wat ſühſte ſchläch uhs!“ In Wirklichkeit ſah aber Niemand ſchlecht aus. Nur ver— gnügte, luſtige und ſtellenweiſe ausgelaſ— ſene Meuſchenkinder waren zu ſehen. Als der Mittag näher rüůckte, bewegte und ſchob ſich die Menge nach dem Neu— markte hin, wo ſich der große Maskenzng zu ordnen hatte. Der innere Raum füllte ſich nach und nach init maskirten und un— maskirten Zuſchauern, Muſikeorps, Wa— gen und Reitern, die beiden Funken-Re— gimenter rückten ein, Muſik und Geſang ertöͤnte. Der letztere wurde von einer Bande maskirter Knaben vielverſprechende „kölſche junge Hähre,“ ausge— führt, die, um einem tief empfundenen Bedürfniſſe abzuhelfen, am Roſenmon— tage einen neͤen Männergeſangverein geſtiftet hatten und zur allgemeinen Hei terkeit mit einem vortrefflich eingeübten muſikaliſchen Quodlibet debutirten. Zwi— ſchenzeitlich gewährten die allmählig an— kommenden Wagen noch Unterhaltung nach allen Seiten. Die üblichen fliegen~ den Blätter, welche jeder Wagen mit Be zug auf ſeine Bedeutung zum Beſten gab, wurden begierig eingehaſcht und geſam— melt. Außerhalb des geſchloſſenen Rau— mes harrte Kopf an Kopf die Menge. Bald nach zwei Uhr konnte ſich der Zug in Bewegung ſetzen. Er wurde eröffnet durch eine Gruppe Vorreiter. denen ein Muſikeorps zu Pferde-in der Maske, Pierrots folgte und ſich mit hellem Klange den Fernſteheuden ankündigte. Die mu— ſicirenden Pierrots bildeten die Capelle der in Blau und Weiß uniformirten Funken Artillerie, die, hoch zu Roß, mit beſpannten Geſchützen, die ſieggekrönte Germania in Koͤln einführten. Der von vier Pferden gezogene Wagen der Germa— nia gehörte zu den ſchönſten des Zuges. Er ruhte auf einem Felſen, aus welchem die bekannte Krupp'ſche Rieſenkanone her—~ vorragte. Ueber der die koölniſchen Farben tragenden Germania wölbte ſich blau und weiß ein Baldachin und über dieſem prangte in lauterem Golde eine koloſſale Kaiſerkrone. Dem höhren Frauenbilde folgte zunächſt eine berittene Ehrengarde ſin Blau, dann ein rieſiger Ofen, um an— zudeuten, daß der Zug geheizt war. Nach ren ſchätzbaren Möbel kamen die be ſkannten Plaeaten -Säulen, denen ebenbür— ſtig ſich ein Wagen der erſten rnen Köln's anſchloß: zwei mächtige, über ein ander ausgeſpannten Regenſchirme und oben darauf anſtatt des heiligen Petrus ein niedliches Hanswürſtchen mit du inmelschiullel Hinter dem Spring ſbrunnen tanzten die obligaten Heiligen mädchen und Knechte ihren Reigen. Es folgten die Vorläufer der kölner- Funten Infantrie in Roth und 4 Als nothwendiges Zubehör kam der Wa gen der Marketenderin, gezogen von einem ſruſſiſchen Dreigeſpann, beſtehend in dreil Eſeln, ſaämmtlich im Inlande geboren und geſtellt, wie behanptet wurde, vom Rhet niſch· Weſtfäliſchen Rennverein. Der nächſte Wagen brachte das große, mit 4 Pferden beſpannte ſcharlachrothe Funkenzelt, ein anderer das beſcheidene Arreſtlokal der Funken, die eine Arreti rung nach der andern vornahmen und runa nnc ihre Arreſtanten ſofort wieder lentſpringen ließen. Das dem Militär Arreſthanſe folgende Muſikeorps erſchien Coſtüm der Köche: bleudend weiße Mützen und Jacken und ans jeder Mütze leͤn Teller befeſtigt mit den ausgezeichnet hübſch nachgebildeten Erzengniſſen der sei nern Kochkunſt. Dem Dufte dieſer lek— keren Speiſen folgte eine Reitergruppe, dann ein vierſpänniger Wagen, das ober— halb Kölns entſtehende Bier-Aetienunter nehmen als hanswurſtliches Erportgeſchäft darſtellend. Im Anſchluß an dieſe ſpeeu— lirende Geſellſchaft kam der von vier Pfer den gezogene Wagen der ſtrikenden Waſchfrauen. Auf einem Felſen von lich tem Seifenſchaum ſtand die koloſſale Bütte und in derſelben genoſſen die ſtri kenden Damen ihr dolce far niente. Da ſie ſammt und ſonders feine Glace- Handſchuhe trugen, ſo werden die Herren Führer der Arbeiterbewegung ſich eines bedeutſamen ſozialen Fortſchritts zu er— frenen haben. Hinter dem Wagen ſchritt noch eine gute Anzahl von ſtrikendenFrauen zu Fuß einher. Ihr~ Motto lautete: Mer halde zoſfamme. Nach der ſtriken den Geſellſchaft nhien der von der Carnevals-Geſellſchafſt von Ehrenfeld geſtellte ſechsſpännige Wagen mit der allegoriſchen Figur der „Ehren—- feldia“ in blauſeidenem Mantel mit Gold— und Silberborden. Nach der hohen Frau präſentirte ſich ein Damen-Muſikeorps in ſroth und blan, es war die Capelle der mobil gemachten deutſchen Marine Sol— daten, die vollſtändig bewaffnet in langer Reihe einherſchritten. Ihnen ſolgte ein Wagen mit ſechs Pferden, überall mit Erſtaunen und lautem Beifall begrüßt. Es war die Amme der jungen, rheiniſch— weſtphäliſchen Bankea, ein weiblicher 10ß, woh! 30 Fuß hoch und in dem vor-~ trefflichſten Ebenmaß ausgeführt, einen Kinderwagen vor ſich herſchiebend, worin die jungen Banken ſich behäbig niederge— ien hatten. Von den Dimenſionen.·der Enakstochter taun man ſich eine Vorſtellung machen, wenn man hört, daß ihr Kopf gegen drei Centner ſchwer iſt und zu ihrem Kleide nicht wemger als 173 Ellen bunter Kat t vernäht worden ſind. Ein eorps in Zuaven-Uniform bahnte dann „unſerer Flora“ den Weg. Sie war dar— lgeſtellt auf einem vierſpaͤnnigen Wagen einen Blumenkorb von eoloſſalen Dimenſionen; zwiſchen Blumen und Laub ſwerk weilten vier wohlgenährte Herren in Damenkleidung. Nach der Flora folgte zunächſt die italieniſche Geſandtſchaft, dann lauf einem wvon vier Pferden gezogenen Wagen die ſtädtiſche Waſſerleitung, die in der Figur eines Sohnes von Nigritien gipfelte, zu deſſen Füßen geſchrieben ſtand: Der Mohr hat ſeine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen.“ Ein ſich anſchlie— hßendes Muſikcorps in ſpaniſcher Tracht feierte in ſeinen Klängen, wie es ſchien, die bevorſtehende Eröffnung unſerer Waſ ſerwerke, in Wirklichtkeit aber gehörte es zu der reich coſtümirten Ehrengarde derx altkölniſchen Bürgermeiſter Gryn und Hardenrath, die würdevoll in einem prachtvollen, mit Blumen geſchmückten Sechsſpänner ſaßen. Auf der vorderen Seite deſſelben war ein rieſiger mit Wein laub umfſlochtener Pokal. Zu den Füßen der Herrn lener Lotal lag der ſagen—- ·hafte, von Herrn Gryn getödtete Löwe. Darauf folgte der mit ſechs Pferden ʒbeſpannte „Müuhler·Wagen“, gekennzeich tnet durch eine vorn angebrachte Wind mühle, deren Flügel ſich wie im Sturme ; drehten. An jeder Ecke des Wagens ſaß, e als Wahrzeichen der Weisheit, eine groß— — mächtige Eule. In der Mitte deſſelben, e zwiſchen luſtigen Studioſen, ſtand eine ~gewaltige Bowle. Die Muſenſöhne tru t ſgen die Farben der Verbindung, welcher e boreinſt der Dichter des Liedes „Grad rſaus dem Wirthshaus komm hich heraus“ angehoört haben ſoll. e. Lied war in Noten geſetzt, am hin- I. Stern, Herausgeber. No. 49. ſtern Ende des Wagens vollſtändig mitge ſtheilt. Die Hauptzierde des Mühler— Wagens beſtand in einem verhüllten gro ſßen Wandgemälde, welches gleich dem i zu Sais wohl die Wißbegierde ei ſnes Jünglings hatte reizen koͤnnen, denn ſes war, wie wir hören, das reizende Bild der Göttin der Liebe, wie ſie eben aus dem Schaum des Meeres emporgeſtiegen. Welch glücklicher Gedanke, das Bild zu verhüllen, denn ſonſt hätte die, Teufelinne“ wohl gar irgend einem angehenden Taun häuſer gefährlich werden koöͤnnen. Der nächſte Wagen, ebenfalls ſechsſpän ſnig, brachte das Ulkmanns ·Conzert und lſeine Künſtlerſchaft, unter welcher wir Signoria Maria Monbelle merklich ver ändert fanden. Abermals kam ein ſechs ſſpänniger Wagen mit T. Lent's ſchwim— menden Cireus. Den oberen Theil deſ ſſelben bildete eine Drehſcheibe als Car rouſſel, auf welcher ein Elephant und an— dere Vierfüßler der heißen Zone paradir ten; ganz beſonders aber that dies das Urbild weiblicher Häßlichkeit, die berühmte Signora Paſtrana. Unterhalb des Car— hatten ſich die Kunſtreiter und ſßeiterinnen des Cireus gelagert. Hinter /dem Cirens· Wagen kam in reicher Tracht auf reich geſchirrtem Pferde der lölniſche Bannerträger, dann im Coſtüme mittel— alterlicher Wappenherolde, vortrefflich be ritten, ein Trompetereorps, welches ſeine Fanfaren weithin erklingen ließ. Es ritt dem Prachtwagen des kölniſchen Bauers ſund der koöniglichen Jungfrau voraus. Dieſer Wagen mit ſechs Pferden be— ſpannt, war in reicher Vergoldung in Ge ſtalt eines Schiſfes ausgeführt. Vorn ein Maſt mit einem Aſchenbrödel geziert und mit geblähtem Segel auf; letteres trug den bekannten köoölniſchen Bauernwahlſpruch: „Halt faß am Rich, do köͤlſchen Voor, et fall ifühß off ſoor!“ Die beiden Lang— ſitn des Wagens wurden von je einem geflügelten Löwen gebildet, Zwiſchen denſelben ſtanden, überaus prächtig in den kölniſchen Farben gekleidet, der Bauer und die Jungfrau, und hinter ihnen, an einem mit Blumen geſchmückten Maſte lehnend, die mächtige und ehrwürdige Geſtalt des Vaters Rhein in grünem Talar mit ſilber weißem Barte. Dieſem Prachtwagen folgte zunächſt die Ehrengarde der Vie— toria; dann erſchien die Siegesgttin ſelbſt in einem mit prächtigen Fahnen verzierten Wagen. Die Inſchriften deſ ſſelben deuteten auf den ſiegreich ausge— kämpften Krieg, die Wappen der erſten deutſchen Staaten Deutſchlands auf die Waffenbrüderſchaft der deuntſchen Heere. Zu Häupten der Vietoria ſchwebte der Lorbeerkranz. Der Vietoria ſchloß ſich die Ehrengarde des Kaiſers Barbaroſſa an; es waren Reiter in Schuppenpanzern mit antiken Helmen. In einem von ſechs Pferden gezogenen Wagen kam dann Friedrich der Rothbart, von dem es heißt: Er ruft: Sieht man noch weiden Die Wolken um des Berges Haupt? Steht noch vom Trotz des Heiden ; Die Burg dort ausgeraubt? ; Zieh'n noch die mächt'gen Raben Da oben aus und ein? Da ſeufzt er tief: wir haben ; Noch fern erlöſt zu ſein! Nun aber iſt Barbaroſſa aus dem Dun— kel des Kyffhäuſer erſtanden und freut ſich des Reiches. Eine impoſante Helden geſtalt erſchien zwiſchen Herkules und Mars in einem Stahlpanzer, über den ein langer Mantel herabwallte. Die De coration des Wagens beſtand in preußi ſchen Adlern, in der deutſchen Eiche, in deren Aeſten Helm, Schild, Harniſch, Speer und Schwert aufgehängt waren, lendlich in geketteten Drachen auf beiden Seiten und in zwei Inſchriften, Sedan“ und „Merxiko.“ Dem großen Hohenſtaufen folgte in beſcheidenem Wagen der Vorſtand der großen Carnevalsgeſellſchaft und hinter dieſem die Inſignien des Reiches der Naarheit: eine rieſige Narrenkappe nebſt Pritſche und Pokal. Dann aber kam die j Ehrengarde des Prinzen Carneval; Reiter lin prächtigen Coſtüme, die ſchönen Pferde mit golddurchwirkten Schabracken bedeckt hinter ihnen der Held des Tages, * rinz Carmeval, in ſeinem ſechs ſpännigen Prachtwagen. Zum Schmucke deſſelben dienten auf den vier Ecken ange-~ brachte preußiſche Adler, ſodann die alle goriſchen Figuren und Wappen von El ſaß und Lothringen und eine dem Wa— gen umgebende große Schaar von Engeln. Der Wagen gipfelte in einer mächtigen Kaiſerkrone, in deren Mitte Prinz Carne—- val mit zwei kleinen hanswürſtlichen Sprößlingen tronte, unauſhorlich reiche Gaben ſeiner Huld nach allen Seiten ſpendend. Dieſem reichen Wagen, der eben ſo wie jener des koͤlniſchen Bauers ſud der koölniſchen Jungfran von allen Seiten bewundert wurden, folgte der Schlußwagen: ein koloſſates Modell des hieſigen Depots, das ſich durch ſeine In ſchriften als Hotel zu billigen Preiſen mit reeler Bedienung zu erkennen gab und an pries und möglicher Weiſe das tragi-ko miſche Ende andentete, welſches die Fa gintrinit für einen oder den anderen ·Narren wohl nehmen koönnte. Es würde uns jetzt noch erübrigen, das in Sturm und Drang bewegte Leben des Volkes in den Straßen zu ſchildern: 1 (Fortſetung auf der vierten Seite.)