Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, April 10, 1872, Image 1

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—l— Sdarannah Ahentl LZeiluni E 6 10 20 E 2 E 4 d Prof. C. I. Banſemer, Redakteur. 1. Jahrgang. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter ; von I. H. Smith. (Fortſetßuna.) Der Mond trat jetzt aus einer Wolken gruppe hervor und begann ein gleichfoͤrmi— geres Licht über die Dächer auszugießen; der Schurke fühlte daher, daß er, wenn er entkommen wollte; ſich beeilen mußte. Jeder Augenblick konnte ſeinem Felnd Beiſtand bringen. Der Gedanke, daß er es nur mit einem Knaben zu thun hatte flößte ihm Muth ein. Kaßtzenartig ver ſtohlen weiter ſchleichend, erreichte er den Giebel, von dem aus er auf der andern Seite eine Helle durch ein Hochlichtfenſter blinken ſah. Er hielt darauf ab, fühlte aber, noch eh er das Fenſter erreichen konnte, bereits die Hand des Verfolgers an ſeiner Kehle. ~Jetzt kam es zu einem langen und wilden Kampf, in welchem je~ der ſich ſagen quite daß es auf Tod und Leben ging. imal gelang es Lin, ſei nen Feind bis an den Raͤnd der Brüſtung zu zerren, über die er denſelben hinunter— geſchleudert haben würde, wenn er ſich aus ſeinen Griffen hälte losmachen können. Martin war leichenblaß; doch blitzte un wandelbare Entſchloſſenheit aus ſeinen Augen. Der Zigenner konnte ihn nur dann.auf das Straßenpflaſter hinunter— ſtürzen, wenn er ſelbſt nachfolgte, und für dieſen Preis war dem Feigling die Rache zu theuer erkauft. Mit einem halb— erſtickten Schrei der Wuth und der Ver zweiflung zog er ſich von der Brüſtung zurüek, während der muthige Knabe mit der Hartnäckigkeit eines Bulldogs an ſei ner Kehle ſich angellammert hielt. In dem Kampf nerlor der Zigeuner die Ge genwart des Geiſtes und vergaß Hochlichtfenſter hinter ihm, an deſſen Rand ſein Fuß ſtrauchelte. Es folgte Krachen, ein Klirren von zerbrochenem Glas, und die beiden Geguner verſchwan den durch das zerſchmetterte Fenſter. Die Stube oder die Dachkammer, in welche ſie niederfielen, war von vier oder fünf beſchäftigungsloſen Fabrikarbeiterin nen bewohnt, die miteinander nur eine einzige, aus einer Strohſchütte beſtehende Liegerſtatt beſaßen. Letztere befand ſich unmittelbar unter dem Fenſter und dämpfte die Schwere des Falls. Die e men Weibsperſonen ſtießen bei dieſem un— erwarteten Einbruch Schreckensrufe aus und flüchteten ſich aus der Kammer, deren Thüre ſie oſfen ſtehen ließen. Obſchon Lin bei dem Sturz nach unten zu liegen gekommen war, erholte er ſich doch zuerſt wieder von der Erſchütterung. Durch! eine Gewaltauſtrengung gelaug es ihm ſich aus Martin's erſchlaffter Fauſt loszu machen; er verſegte dem Knaben noch einen machtigen Schlag ans die Bruſt und flüchtere ſich haſtig die Treppe hinun ter. Trotz der Betaͤbung ſprang auch Martin von enauf nnd verſuchte, dem Zigenner zu folgen; doch die Natur! erlag. Er erreichte nͤur die Thüre audl mußte hier keuchend ſtehen bleiben, un wieder zu Athem zu kommen. In dieſem gZuſtand wurde er von den zurückkehren den Arbeiterinnern betroffen, die im Hauſe! einige Männer zu Hülse anfgeboten hat—- ten. Der Leſer kaun ſich denken, mit welchem Geſchrei und mit wie vielen Fragen zumal das Männer· und Frauen volk auf den armen Martin einſtürmte „Woher kam er? Was hatte er auf dem Dach zu ſchaffen? Wer war er? Was wollte er?“ Einige meinten, man ſolle auf die Polizei ſchicken. „Er ſieht mir nicht wie ein Dieb aus?“ bemerkte das jüngſte von den Mädchen. „Was weißt On, wie Diebe ausſehen?“ fragte eine alte Fabriklerin ſibig. „Meinſt Du, der Burſche ſei ehrlich, weil er ein ſauberes Geſicht hat?“ Die Andern lachten, und das Mädchen das ſich erlaubt hatte, über die Ehrlichkeit des Eindringlings eine günſtige Anſicht zu äußern, zog ſich erroöthend zurück. „Wie, iſt dies nicht Will Hannans Sohn?“ rief ein ältlicher, achtbar ausſe hender Mann, der mit Martin's Vater in Mr. Haman's Fabrik gearbeitet hatte. „Der kann kein Dieb ſein.“ „Nein, nein,“ keuchte der Knabe, der allmälig wieder zu Athem kam. ; „Es ſind ihrer zwei geweſen,“ rief meh rere vou den Weibsperſonen. „Warum ſprichſt Du nicht, Junge?“ „Sogleich ſogleich.“ Das Erſcheinen des Polizeidieners, ſeine Gefangenen John Lee und Sall der Obhut von ein paar Kameraden überge ben hatte, half Martin aus ſeinen Nöthen. Einige Worte klärten den Stand der Dinge auf, und man entließ ihn nicht nur unnbeläſtigt, ſondern mit herzlichen Glückwünſchen, wobei es an Bewunde— rungskundgebungen über ſeinen Muth nicht fehlte. 1 Die Mittheilung von der Gefahr, in welcher Martin geſchwebt hatte, verſetzte Willie in große Aufregung. So ſchmerz lich ihm auch der Verluſt ſeines Geſichtes ſiel, erſchien ihm derſelbe dach als ein klei nes Unglück in Vergleichung mit dem ſeines Sohnes, den er, während er n mit krampfhafter Innigkeit an ſeine Bruſt ſdrückte, wegen ſeiner Unbeſonnenheit mit ſtief bewegten Herzen auszankte. Die Mutter und Ellen weinten, und konnten ſim Gefühle des Stolzes kein Ange von dem muthigen Jungen verwenden. „Es war eine heldenkühne That,“ be— merkte Friedrich Bentley, „und ich habe vor alle Andern Grund, ihm dafür dank bar zu ſein, da mein Vater dadurch eines häßlichen Argwohns enthoben wird.“ „Ich habe ihn nie beſchuldigt,“ verſetzte Willie. „Sie nicht, aber die Welt“ „Auch ich bin froh,“ ſagte die Wittwe Hannan. „Wenn ich ſchon darkiber ſchwieg, ſo habe ich ihn doch immer für ſden Urheber gehalten. Gott ſei Dank, daß ich im Irrthum war. John Bentley at Sünden genug ans ſich ohne die Blind heit meines Sohnes. „Bst, Ahne, bot!“ ſlüſterte Martin. „Schweig,entgeguete die Alte. „Ich weiß, was ich weiß; aber es wird Alles noch an den Tag kommen. Achtundplerzigſtes Kapitel. Am andern Morgen wurden John Lee und ſeine Schwägerin vor Gericht geſtellt. Seit Menſchengedenken hatte man nie die Halle ſo ůberfüllt geſehen. Die Zuhöoörer lanſchten athemlos auf die außerordentliche Geſchichte, welcher der aufgeregten Ein— bildungskraft ganz das Intereſſe eines Dramas bot, und die Sympathie, die für den armen Wille nie erloſchen war wurde nun auch auf ſeinen Sohn ausgedehnt. Was den blinden John betraf, ſo erſchien er als der eigentliche Held des Tages. „Wie lönnt Ihr beweiſen,“ fragte der vorſitzende Richter, „daß der Mann, der ſich über das Dach flüchtete, Mr. Norle n „Wie ſoll dies ein blinder Mann be— weiſen können?“ verſetzte der Geiger. „Aber Martin und der Polizeidiener kön nen's. Was mich betrifft, ſo bin ich nur in der Lage zu beſchwören, daß Norle, Lin oder wie der Halunke heißen mag, und der Menſch, welcher Will Hannan das Vitriol in's Geſicht ſpritzte, ein und dieſelbe Per ſon ſind.“ „Wie könnt Ihr dies beſchwören?“ fragte ein Gerichtsbeiſitzer „Aus der Stimme. Ich hatte in jener Nacht eine Balgerei mit ihm, und hörte ihn wie toll fluchen ukd ſchwören.“ „Die Stimme iſt ein unſicheres Kenn— zeichen,“ bemerkte der Gerichtsſchreiber. „Ei nein,“ verſetzte John. „Dazu nach,ſo vielen Jahren.“ „Das wiſſen Sie nicht recht, Mr. Buſh,“ ſagte der Blinde. „Es iſt ſchon fünfzehn oder mehr Jahre, ſeit ich Sie nicht mehr ſprechen hörte, und Sie ſehen, daß ich Sie ͤn gut an Ihrer Stimme kenne.“ Er hatte den Herrn richtig benannt, nud ein Germurmel der Bewnn derung lief durch den ganzen Saal. „Außerdem habe ich noch einen ſandern Beweis.“ VBei dieſer Berſicher er wurde die Aufmerkſamkeit allge mein. „Bei jener Rauferei verſetzte ich ſihm einen tiefen Biß in die Hand in die linke Hand,“ fügte er ſich beſinnend bei; „ja, es muß die linke geweſen ſein Euner Ehren braucht blos nach der Narbe zu ſehen“ „Unglücklicherweiſe haben wir ihn noch nicht,“ bemerkte der Schreiber. „Da ſeht ihr zu. Hätte ich mein Ge—- ſicht, ſo wollte ich ihn ſchon erwiſcht ha. ben.“ ~ Ein Mann trat vor und erklärte, be ſchwören zu können, daß Mr Norle wirk lich eine Narbe, wie ſie der Zeuge beſchrie— ben, an der Hand habe. „Erlogen!“ ſchrie Sall. „Wenn Lin mein Sohn, meine ich, eine Narbe hat, ſo tkommt dieß daher, daß er als Knabe von einem Weihen gebiſſen wurde, nicht oen lvon den Zähnen dieſes alten Schurken, ſder im Stand iſt, für einen Groſchen ein Menſchenleben wegzuſchwören.“ John's Charakter war in Mancheſter zu bekannt, als daß dieſer Ausfall irgend welchen Eindruck gemacht hätte. Er ſelbſt lachelte darũber— In dieſem Augenblick kam Mr. Luchs, ein aller Ränke voller Advocat, in den Saal geeilt und verlangte, daß ihm das Protokoll vorgeleſen werde; er ſei beauf· tragt, die Intereſſen ſeines verehrten Kli enten, des Mr. Norle, zu wahren, den ein wichtiges Geſchäft von Mancheſter abge— rufen habe. Bei dem Wort „wichtiges Shan erhob ſich ein allgemeines Ge—- kiche. Das Advokätlein warf einen zornigen Blick umher; da er jedoch auch in den Zügen des Gerichtperſonals ein Lächeln bemerkte, ſo hielt er es für klug, nicht darüber aufzubegehren. Wähtrend man ihm das Protokoll vorlas, zuckte er mehrmal mit gutgeſpielter Ungläubigkeit die Aſcheln. Obſchon es klar war, daß der heimgekehrte Deportirte nichts mit dem brutalen Att, der Willi Hannan des Geſichts beraubte, zu ſchaffen gehabt haben konnte, wußte! der Rechtsanwalt, der die Sache des Letz~ teren führte, doch dermaßen auf die Furcht des alten Zigeuners zu wirken, daß dieſer unverholen mit der Geſchichte der Uh. ſren herausrůckte, und für die Identitaäͤt lſeines Neffen mit dem wohlhabenden Norle Zeugniß ablegte. Ehe die Sache ſzur Entſcheidung kam, hielt Luchs a an das Gericht eine Anſprache, in welcher Savannah, Ga., den 10. April 1872. er auf den langen Zeitzwiſchenraum und auf den Mangel jeglichen Beweiſes ans merſam machte, daß ſein Klient zur Zeit des verübten Verbrechens die Uhr im Be— ſſitz gehabt habe; denn wenn ſie auch ein mal Eigenthum ſeines Vaters geweſen, ſo könne ſie nach deſſen Tod in dhene von Händen gekommen ſein. Vor allem ſaber machte er die Angabe des blinden 25 lcherlich. „Wie kann man nach zwanzig Jahren noch einen Menſchen Stimme erkennen,“ ſagte er, „diel man noch obendrein nur in einem Mo ment der Auſreguug gehört hat? Abge ſchmackt! Keine Ehre, kein Menſchenleben iſt mehr ſicher, wenn man ſolchen Zeng uiſſen Gewicht beilegt.“ Die Ausſagen des Polizeidieners und Martin's dagegen, welche das Geſpräch der Verwandten belanſcht hatten, ſtanden der Anklage in einem Maß beſtätigend zur Seite, daß das Gericht die Fortſetzung der Unterſuchung anordnete und die Ac reſtanten in s Gefängniß abzuführen be fahl. Als Sall hoöͤrte, daß ſie wieder einge ſperrt werden ſollte, gerieth ſie ganz außer ſich, und begann über Richter und Ju gen zu ſchimpfen. „Ihr könnt mich nicht in's Gefängniß ſchicken,“ ſchrie die Here. „Ich hab' ihm kein Vitriol in s Geſicht geſpritzt, und wenn ich's auch gethan hätte, ſo wäre dem Galgenſtrick der den Tod meines Mannes und meiner zwei Söhne veran— laßte, recht geſchehen.“ „Still, meine gute Frau!“ flüſterte ihr Mr. Luchs zu. „Ich will nicht ſtill ſein,“ fuhr en fort. „Ich bin nicht mehr die arme. Zi— geunerin, die man in den Stock legte oder mit dem Arbeitshaus bedrohte. Ich bin reich, reich, und habe Häuſer und Geld, mehr Geld, als die meiſten Hans wohner.“ „Sie ſchaden ſich ſelbſt durch ſolche un kluge Aeußerungen,“ bemerlte ihr Rechts freund. Sall wandte ſich jetzt wie ein gehehtes wildes Thier gegen den Sprecher. „Und Sie möchten mich ansziehen,“ ſagte ſie. „Ich kenne Sie wohl und habe Lin im mer geſagt, er ſolle Ihnen nicht trauen. Ich will nichts von Ihnen, und von mir kriegen Sie keinen Knopf für Ihre feinen Reden. Was ich habe, das hab ich; es iſt ehrlich mein Eigenthum, und ich laſſe es nicht, ſo lang noch ein Funken Leben in mir iſt. Und was den Willie Hannan betrifft,“ fügte ſie bei, „ſo kann man mit ihm die Sache gütlich abmachen. Es kommt mir auf ein paar Pfunde nicht an; aber die Advokaten kriegen von mir keinen Penny keinen Penny.“ Man mußte Gewalt brauchen, um ſie fortzubringen. Am andern Tag wurde große Belohnung für Beifahung des ent wichenen Norle ausgeboten. Obſchon Mrs. Bentley durch das Auf— fnven von ihres Vaters Teſtament zu einer ſehr reichen Frau geworden war, fühlte ſie ſich doch nicht glucklich. Unge— achtet ihres Bewußtſeins, recht gehandelt ſzu haben, drang ſich ihr doch ſtetig ein Selbſtvorwurf auf, denn ſie mußte ſich ſa gen, daß ſie ihren älteſten Sohn nie wie den Friedrich geliebt hatte, und ihr Ge wiſſen zieh ſie der Ungerechtigkeit. „We— it kann ich ſo handeln, als ob ich ihn liebte,“ dachte ſie, und dieſer Gedanke brachte ihr Troſt. Sie gab ſich Mühe, über die Aufmerkſamkeiten Gilbert's ſund ihrer Schwiegertochter, die ſich beſon ders unterwürfig benahm, zu freuen, und noch ehe eine Woche abgelaufen war, er— klärte ſie den Teſtamentsexekntoren, daß ſie ſunter Zuſtimmung ihres Sohnes Fried— ſrich die Abſicht habe, die Sewiligcugen zu beſtätigen, die ihr Mann bei der Ver— beſtann ihres Erſtgebornen gemacht habe. „Woher willſt Du die Mitttel dazu nehmen?“ frogte ſie Michael Haman. „Aus dem Vermögen meines Vaters,“ verſette Mrs. Bentley, höchlich erſtaunt üůber dieſe Frage. „Das geht nicht.“ „Warum nicht? Sollte es nicht zurei— ſchen?“ : „Das wohl; auber Du darfſt einen ſol ſchen Akt nicht ohne meine Zuſtimmung vollbringen, und dieſe wirſt Du nie erhal kten“ Er war im Recht. Die Bedingungen ſchrieben mit aller Beſtimmtheit vor, daß die Exekutoren die ganze Vermogensber waltung beſorgen und an die Tochter nur die Jutereſſen auszahlen ſollten; heirathe ůe und würden aus der Ehe Kinder erziehlt, ſo ſei an Letztere nach Mariens die Geſammtmaſſe gleich zu theilen, ſterbe ſie aber kinderlos, ſo gehe e Vermoögen an die Verwandten des Erblaſſers. Lady Auguſta brach in Thränen aus bei dieſer unerwarteten Vereitelung ihrer Hoffnungen, und da ſie den Aerger über ihre nutzloſe Herablaſſung nicht vergeben konnte. ſo verließ ſie haſtig das limmer Miß Weſtbury lächelte ihr ſpöttiſch nach. „Dein Vater hat weislich gehandelt, daß er Dich vor Dir ſelbſt bewahrte ſagte Michael Haman. „Aber Sie geben doch Ihre Zuſtim mung?“ drängte das unglückliche Weib. „Sie müſſen ſie geben!“ „Geht über meine Vollmacht.“ „O Jammer und Elend!“ ſeufzte ſeine Nichte. „Werde ich denn nie im Stande ſſein, meine Sünde gut zu machen?“ „Du brauchſt nichts gut zu machen,“ ſſagte ihre Tante, ſie bei der Hand neh— ſmend. „Ich weiß, was Dein Herz a glaube mir, Du biſt in einer krank haften Schwäche befangen. Wie kannſt Du auch nur einen Augenblick an die Liebe Gilberts und ſeines hochmüthigen Vabe~ glauben, die Dich Jahre lang mit ſſo empörender Gleichgültigkeit behandelt ſhaben? Ich halte die Strafe, die ſie triſft, für gerecht. Du kaunſt ihnen ja von Deinem Einkommen geben, was willſt. aber nur keie Vermögensüberwei ſſungen und Leibgedinge. Sobald ſie ſich ſunabhängig von Dir fühlen, wirſt Ou ſie ſſo kalt und herzlos finden als nur je.“ Auch Friedrich Bentley verſuchte ſeine Beredſamfeit, um Michael Haman für die Wünſche ſeine Mutter günſtig zu ſtimmen. Der bormalige Geldmäkler wußte zwar den Edelmuth des Bittſtellers zu würdi ſgen, erklärte ihm aber, daß ſein Mitkura ſtor vollkommen die Anſicht theile, man von dem YBuchſtaben der teſtamen— tariſchen Beſtimmungen nicht abgehen. „Aber nun ein Wort über ihre eigenen Angelegenheiten, ſunger Mann,“ fügte Mr. Haman bei, indem er gedankenvoll das Geſicht betrachtete, deſſen Umriſſe ihn ſſo ſehr an die Züge ſeiner heimgegangenen Tochter erinnerten. „Ueber meine?“ „Antworten Sie mir offen auf einel Frage, die ich an Sie ſtelle.“ „Wenn ich ſie überhaupt beantworten! ann ſo wird es gewiß der Wahrheit ge mäß geſchehen, “ verſette Friedrich. „Ich ſbin mir keiner falſchen Zunge oder eines trůgeriſchen Herzeus bewußt.“ FRalſt möchte ich Ihnen glauben, ob-~ ſchon Sie ſein Sohn ſind,“ murmelte der ſalte Mann. „Ich muß bitten, kein Wort gegen meinen Vater. Wenn er ſich Verirrungen zu Schulden kommen ließ, ſo ſteht es mir ſnicht zu über ihn zu richten.“ „Gut geſprochen, junger Mann; ich ſwill nichts mehr über ihn ſagen,“ verſetztel lſein Verwandter. „Sie haben alſo die Tochter des blinden Willie geheirathet?“ „Ich denke, dies iſt eine allgemein be~ kannte Sache.“ „Ja; aber Sie waren arm, als ſie did ſen Schritt thaten.“ „Welchen Unterſchied ſollte dieſer Um ſtaud begründen?“ ; „Vielleicht keinen großen, aber das Aunffinden von Ihres Großvaters Teſta ment macht Sie reich oder ſtellt Ihnen doch Reichthum in Ausſicht. Sie könn ten um die Hand des reichſten Mädchens ſen Mancheſter werben und, wie Ihr Bruder, nach einem Titel trachten. Iſt Sie nie eine Reue angekommen, daß Sie ein mitgiftloſes Mädchen geheirathet ha· ben?“ Reue?“ „Sie verſtehen doch Ihre Mutterſpra che?“ entgegnete der alte Mann ſcharf. „Entſchuldigen Sie meine Ueberraſch ung,“ verſetzte Friedrich. „Sie würden mcht ſo fragen, wenn Sie mit Ellen's Werth bekannt wären. Ihr tugendhafter Sinn und ihre Herzensreinheit überbieten noch ihre Schönheit. Sie iſt das Licht, ſdie Freude und der Segen meines Da-~! ſeins.“ ; „Ihr Vater aber arm und von niedri-· ger Herkunft.“ „Wenn ich bedenke wer ſeine Armuth verſchuldet hat, ſo ſteht mir kein Recht zu darüber zu erröthen. Es iſt meine Pflicht, dafür Suͤhne zu leiſten.“ „Ich fürchte, Sie ſind ein Träumer,“ bemerkte Michael lächelnd. „Gebe Gott, daß mich die Weisheit der Welt nie aus meinen glücklichen Träu err wecke,“ ſagte Friedrich, indem er ſich lerhob, um Abſchied zu nehmen. Der einſt ſo ſtarre, gierige Mammons—~ diener ſah dem ſich Entfernenden mit freundlichen Blicken an. „ECr gleicht ihr im Aeußern ſowohl, als in der Sinnesart,“ murmelte er vor ſich hin. „Kein Zug von ſſeinem Vater an ihm auch nicht von mir, Gott Lob, auch nicht von mir.“ (Fortſetzung folgt.) ; Eine Maſſen-Audienz; beim „Gefangenen im Batican.“ (OriginalCorreſpondenz der „Neuen Freien Preſſe.“) ; Rom, Ende Januar. Es war einer von jenen leuchtenden Feſttagen der Natur, wie nur der ſonnige, verwöhnte Süden ſie kennt. Die mächti gen Springbrunen auf dem ſäulenum— rahmten Petersplatze fielen geſchmolzenem Silber gleich aus der blauen Höhe ſtrah lend und blendend nieder, als wir um die ganze weite Kirche herum nach den in neren Höfen des Vaticans fuhren. Dort fan ſchon eine gehörige Anzahl Wagen, lungerten Männer und Frauen am Thore herum, das von einem Schweizer bewacht, zum Privat-Treppenhaus des Papſtes unmittelbar führt. Dieſe flach und ſacht anſteigenden Stufen erhalten gleich unten ſchon angenehm gedämpftes Licht durch zwei hohe gemalte Glasfenſter der Mün ſchener Schule. Die beiden Eckſteine ſtellen ẽ Peter und St. Paul dar. Die ün terſchrift bezeichnet ſie als Ehrengabe Mrtnini 11. von Baiern an Pius den Neunten im Jahre 1859. Tempora mu- ſtunturl Mit demerſtenSchritte in dieſe letzte Veſte des Geiſtes längſtvergangener Tage! ſwandelt man, gleich einem wach Träumen den, nicht mehr unter ſeinesgleichen; von mittelalterlichen Mauern umgeben, von deren Wänden die farbenreiche Kunſtblüů ſthe der goldeuen Zeit eines lulius des Zweiten, eines Leo des Zehnten entgegen~ lächelt, deren vertiefte Fenſterniſchen, mit den Wappen eines Alerander des Sechſten bezeichnet, das Herz vor Grauen erbeben machen, geſtalten ſelbſt die in Fleiſch und Blut ſich bewegenden Inſaſſen ſich zu mit telalterlichen Schemen. Als jolche halten re biederen Schweizer iu ihren ſchwarz ele geſtreiften Pluderhoſen, mit den wuch ſtigen Hellebarden bewaffnet, trene Wacht ſan jeder Thüt; als ſolche ſchreiten die päpſtlichen Kämmerer in der vornehmen ſyaniſchen Tracht dnrch die langen Gange lals ſolche huſchen die langen Talare der ſſchwarzen Väter der Geſellſchaft Jeſu vorbei, rauſchen die violetten und purpur-· ſnen Gewänder der Monſignori und Car ſdinäle. Von dieſem Geiſte greifbar um— weht ſtanden wir im großen freskenbedeck· ſten Vorſaale des zweiten Stockwerkes, deſſen vier Ausgänge nach den vier Sei ſten zu Stiegenhaus und Audienzſaal ſonſt Saal der Conſiſtorial Sitzungen), zu den Privatgemächern des Papſtes und den Loggien des Rafael führen. Wir befanden uns in einem Gewimmel ſvon Frauen aller Stände, die an den Bänken gruppenweiſe umherſtanden, um den etikettenmäßigen ſchwarzen Sqleier ſſtatt anderer Kopfbedeckung ſich überzu ſwerfen. Lipreediener hielten ſich abſeits In einem fernen Winkel ſaß die dienſt— ſfreie Schweizergarde um ein Kohlenbecken ſſich erwärmend, die Hellebarden an die Wand gelehnt, und erinnerte an die Scene von des inſalliblen Petrus Berläugnung des Herrn vor dem erſten Hahnenſchrei, lals die Häſcher den Herrn ergriffen. In carmoiſinrothem Seidendamaſt glitten die Privatdiener des Papſtes lautlos, aber ſͤn vollen Bewußtſein ihrer Würde ab und zu. Nobelgarden in Halbuniform und Kammerherren mit der goldenen ſKette über dem ſchwarzen Fracke ſtatt der ſouſtigen Halskrauſe von Brabanter Spi— ſtzeu und dem kurzen ſpaniſchen Mantel, wollten mit dieſer neuen Art von Neglige weuenmne die Trauer der Kirche un—- i darthun. Inzwiſchen ſteigerte ſich das Gewimmel zuſehends. Man erkannte von weitem die wenigen Fremden an der aufgeregten Haſt ihrer Bewegungen, an den andächtig gefalteten Händen, mit de— nen ſie ſich rathlos und erhitzt durch die Menge arbeiteten, wogegen die Einheimi· ſchen mit ſelbſtbewußter Ruhe den Mo— ment ihres Eintrittes abwarteten. Durch die offene Thüre ſah ich im Audienzſaale ſchon eine ſchwarze Maſſe Kopf an Kopf gedrückt ſtehen. Wie da hineinkommen ſund von dem Vorgange etwas ſehen? Zum Glücke fiel mir ein, daß wir ange— wieſen worden waren, nach dem dienſt thuenden Kammerherrn zu fragen, der, von unſerem Kommen benachrichtet, mit der echt nationalen Höflichkeit des ſtets verbindlichen Römers uns ſofort durch ſein zweites, kleineres Vorzimmer der päpſtlichen Gemächer zur Privatthür der Sala del consistoro geleitete, durch welche bald nach uns der Papſt auch eintreten kſollte. Wir befanden uns am oberſten Ende des hohen, langen Ranmes, dicht beim Throne und vor der letzten Fenſter niſche, deren rothſeidene Vorhänge das grelle Tageslicht angenehm dämpften, je doch das beſte Licht zum Beſchauen der Umgebung einließen. Das Geſumme ſund zeitweiſe Gebrauſe von über tanſend weiblichen Stimmen jeden Alters und je den Standes, von der Greiſin bis zum Kinde, von der Fürſtin bis zur „Fratſch lerin“ letztere Menſchenelaſſe aber über wiegend vertreten umfing uns ans be— täubende Weiſe. Dazu eine Atmoſphäre, ſin welcher man die Staub-Atome in dicken Schichten über den Köpfen tanzen ſah, während man an dem eigenthumli chen Gemiſch von durchdringenden Gerü— chen die Tibernähe der Pfarreien errieth, welche hier vereint waren. Denn heute ſtanden nicht weniger als fünf Kirchſpiele durch ihre weibliche Bevölkerung dertre ſten: San Carlo de Catenari, San Lo— renzo in Damaſo, Santa Catarina della Ruota und wie ſie alle heißen, an 1500 Perſonen. Geſtern waren andere dage weſen, morgen ſollten die nächſten folgen und ſo fort, bis alle 54 Pfarreien der Stadt Rom vor dem huldigungsbedürf tigen Pius dem Neunten defilirt haben würden. So verſchafft man dem Papſte täglich eine Zerſtreuung und bringt ange· nehme Abwechslung in ſeine freiwillig ab· geſchloſſene Lebensweiſe, deren günſtigen Erfolg ſein merkwürdig verjüngtes de ſehen zeigt. Sehr ~geſchickt iſt die Geiſt lichkeit im Anregen ſolch zeitweiſer Maſ ſen Demonſtrationen, darauf berechnet, dem Papſte die an das perſöͤnliche Erſchei~ nen des Heiligen Vaters in den Straßen Roms gewöhnte Bevölkerung nicht ent—- fremden, ſein Andenken bei ihr nicht ein— ſchlafen zu laſſen, ihr Mitleid, ihre R—h ſrung für den,Gefangenen im Vatican“ in ſteter Lebendigkeit zu erhalten, vor Al. em aber zn verhindern, daß das Volk ſich gutwillig mit dem neuen Gang der Dinge ~ Ordnung“ wäre zu viel geſagt befreunde. Daß das niedere Volk haupt· I. Stern. Herausgeber. RNo. 51. ſſächlich dazu herhalten muß, verſteht ſich ſvon ſelbſt. Iſt es doch in Folge der jahr hundertelangen Priſterherrſchaft zu un ſwiſſend geblieben, um ermeſſen zu können, ſwas dieſe ihm angethan hat. Es weiß ſnur, daß es jetzt unerſchwingliche Abgaben leiſten ſoll, von denen es unter der Regie ſrung des Papſtes keine Ahnung hatte. So füllte ſich denn der gewiß minde— ſſtens 36 Fuß breite und 1580 Fuß lange Raum immer mehr bis er zum Berſten voll ſchien. Von unten wogte es nach oben, daß der Thron ſelbſt in Gefahr ge ſrieth, eingenommen zu werden von den ſfaſt erſtickenden, nach vorwärts drängen— Menſchen. Der arme Kammerherr hatte ſchweren Stand, ſeinem Herrſcher dieſes letzte Fleckchen Boden frei zu halteu u Ruhe zu ſchaffen. Dazu mußte er ſdie fünf Pfarrer zu Hülse rufen, die denn auch ihre Gemeinden beſchwich— tigten. Jetzt ſchob man die zur Deputa tion der Pfarreien, der darin wohnenden höheren Claſſen und der Schulen auserle ſſenen Mädchen, Damen und Kinder var ſund ſtellte ſie, dem Throne gegenüber, in ſerſter Reihe gedrängt auf. indeß ein erhitz~ ſter alter Pfarrer noch geſchwind Geld in ſeinen dicken kleinen weißen VBeutel zwangte und knetete, den er dann nach vollbrachter Arbeit mit gelben und wei Ben Schnüren (den päpſtlichen Farben) mühſam zuzog und auf ſilbernem Teller einem winzigen, weiß beſchleierten Mäd— chen von hoͤchſtens fünf Jahren zu halten gab. Etwa 20 Minuten mochten ver— ſtrichen ſein, während deren ich nicht nur ſzu dieſen Beobachtungen, ſondern auch ſzur Beachtung des Frieſes volle Zeit ge habt hatte, der ringsum in der Höhe von päpſtlichen Wappen unterbrochene Klo—- ſteranſichten in ziemlich verblaßten Farben darſtellt Jetzt ward thätig gewinkt und Schweigen geboten. Durch die weit 0ß-~ fene Thuͤr ſahen wir den Papſt im Schar lachhut und Mantel aus ſeinen Gemä— chern treten und Beides im Vorſaale ab— legen. Nun ſchritt er im ſchneeweißen Pontifical Habit, unter Vortritt zweier Nobelgarden, mehrerer Kämmerer und Cardinäle, von ſeinem ſonſtigen Hofſtaate und zahlreichen Monſignori gefolgt, in den Saal und erſtieg rüſtig die Stufen des Thrones. Im Nu war der ganze große Raum ſchneeweiß von der uzaht Taſchentücher, die über den Köpfen ge— ſchwenkt wurden; das Geſchrei, Gejubel, mit Rufen von: „Evxyiva il papa re!“ untermiſcht, war ſo betäubend und toſend. daß es, einem Elementarereigniſſe gleich, unbezähmbar fortbrauſte, ſelbſt nachdem man der Menge wiederholt bedentet hatte, ſich zu mäßigen, ihr Mundwerk zu ſchlie ßen, denn die erſten Worte einer inzwi ſchen begonnenen Anrede waren in dieſem unbändigen Getobe verhallt. Da erhob ſich der Papſt energiſch, ſtreckte weit die Arme aus, als wolle er, gleich Chriſtus, die Wogen beſchwören; ihm folgten alle Cardinaͤle unnd Monſignori mit der glei: chen Armbewegung, und das, von den zürnenden Blicken und Geberden der Pfarrgeiſtlichen begleitet, half endlich, den Begeiſterungsſturm zu legen, ſo daß man verſtehen konnte, was eine ſchoöne, junge Erſcheinung mit feinem, energiſchen Antlitz aus einer offenen Rolle mit weit hin klingender Stimme vortrug. Es war ein von leidenſchaftlicher Ergebung an den Papſt, von den heftigſten Anklagen gegen ſeine italieniſchen Widerſacher über ſprudelnder Proteſt dagegen, daß man Pius den Neunten glauben machen wolle, ſein römiſches Volk ſei mit den politiſchen Veränderungen einverſtanden, ſei ſeinem Glauben und ſeinem Oberhaupte, dem infalliblen Papſte, dem Gefangenen des Vaticans, untren geworden. Das ſchöne Geſchöpf ſchrie zuweilen dieſe Anklage in ſeinem Zorne förmlich in die Welt hinaus, und ſo toll viele der er auch waren, ſo maßlos un— ſinnig das dem Papſte geſtreute Lob zeit weiſe auch klang, man fühlte ſich wider Willen hingeriſſen von der in Geſichts ausdruck und Stimme widerhallenden leidenſchaftlichen Ueberzengungstreue der Sprecherin. Ja, die links vom Throne poſtirte Nobelgarde wiſchte ſich vor Rüh— rung ſogar beſtändig mit der Hand die naſſen Angen aus. Dem Papſte aber gingen dieſe Reden ſo glatt hinab wie Ho— nigſeim. Auf ſeinem Thronſeſſel nieder— gelaſſen, die Rechte auf die Armlehne ge~ ſtützt, den Kopf etwas vorgeneigt, ſog er mit entzücktem Lächeln dieſe von ebenſo wahſinnigem Zorne als wahnſinniger Anbetung eingegebeuen Worte ein, konnte ſich von Zeit zu Zeit, wo Beides ſich be— ſonders ſteigerte, des lauten Beifalls ſogar nicht enthalten, mittelſt eingeworfenen Lobes wie: Brava! ma diee bene, ma dice benissimo! von vergnügt wohlwol. lenden Blicken des heiteren Antlitzes be— gleitet. Der Schluß der fenrigen An ſprache verſicherte dem Heiligen Vater, daß die Vorſehung nimmermehr das Wunder ſolcher Geſundheitsfälle bei ſo hohem Alter an ihm gewirkt haben würde, ohne die Abſicht, ihn noch die Niederlage ſeiner Feinde, den Triumph der glake erleben zu laſſen wozu er wiederum höchlich befriedigt nickte. Wie gönne ich dem alten Herrn dieſe Illuſion! Als hierauf zwei kleine Mädchen vor— traten, von denen die weiß verſchleierte l (Fortſetung auf der vierten Seite.)