Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, May 08, 1872, Image 1

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Sarannah Ahbend Zeilung. Brof. C. I. BWanſemer, Redakteur. 2. Jahrgang. No. 3. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zgeit der Baumwollennoth in Mancheſter 2 von JF Smith. (Fortſetung.) Zweiundfünfzigſtes Kapitel. Am anderen Morgen war es neun Uhr vorüber, nund Barbara hattte Alles zum Frühſtück ihres Herrn hergerichtet. Halb zehn. VBei wiederholtem Lauſchen an der Schlafzimmertnüre hörte ſie drin nen nichts ſich rühren. „Hat ihn das Eltrn zu müde gemacht, daß er ſo fortſchläft?“ dachte ſie und wünſchte ſich ſelbſt eine ähnliche ſchlafmachende Beſchäf tigung. Aber als es Zehn ſchlug, wurde ſie unruhig und wagte es endlich, an die Thüre zu klopfen. „Wie ſonderbar,“ murmelte ſie. „Er iſt noch nie ſo lang liegen geblieben.“ Im Verlauf der Zeit ſteigerte ſich ihre Unruhe zum Schrecken, der ſie bewog, bei Mr. Grindſtone's Portier ſich Raths zu erholen. „Wahrſcheinlich ein Schlagfluß,“ ſagte ihr Freund mit philoſopoiſcher Gleichguͤl tigkeit. „An Ihrer Stelle würde ich die Schlafzimmerthüre aufbrechen.“ „Das wage ich nicht.“ „Natürlich nicht ohne Zeugen,“ bemerkte der Rathgeber. „Ich will gehen und meinen Herrn darüber fragen; o hat im Augenblick nichts Beſonderes zu thun. Warten Sie hier.“ Nach einigen Minuten kehrte der Por— tier wieder zurück und brachte Mr. Grind— ſtone mit. Dieſer, ein wohlbeleibter, ge— ſchäftsmäßig ausſehender Mann, hatte ſich ſchon allerlei Gedanken über ſeinen wun— derlichen Nachbar gemacht, deſſen Geſchäfts lokale er gern erworben hätte, da die ſeini gen den Änforderungen ſeines ausgedehn— ten Kolonialwaarenhandels nicht mehr genügten. „Enuer Herr iſt alſo todt?“ ſagte er zu der Haushälterin. „Gott verhüůte dies!“ rief Barbara. „Natürlich; ja wir begreifen dies Forderung des Anſtands.. Eilt auf die Polizei,“ fügte er gegen den Portier bei, „und erſucht den Inſpektor, mit einigen von ſeinen Leuten herzukommen. „Sehr wohl, Herr.“ ; „Sie ſollen aber auch ein Brecheiſen mitbringen,“ fügte Mr. Grindſtone, dem Forteilenden nachrufen, bei. „In kurzer Zeit hatte ſich das · Zimmer mit Leuten gefüllt, welche mit alleiniger Ausnahme der Haushälterin die Sache ſo ruhig nahmen, als handle ſichs um das alltäglichſte Ereigniß. Der Inſpektor, ein erfahrener alter Be— amter, nahm zunächſt eine ſogfältige Un—- terſuchung des Thürſchloſſes vor, um ſich zu überzeugen, ob keine gewaltſamen Ver— ſuche daran gemacht worden ſeien. „Habt Ihr keinen Schlüſſel?“ fragte er die Haushälterin. „Nein; ich denke, er wird innen im Schloß ſtecken.“ „Richtig; ich bemerke es. Iſt kein an derer Schlüſſel vorhanden, der öffnet?“ „Meines Wiſſens nicht.“ „So müſſen wir die Thüre aufbrechen.“ Ein Polizeidiener legte das Brecheiſen an, hatte aber einige Minuten zu thun, bis die Thüre nicht am Schloß ſondern an den Angeklammern nachgab. Die Anwe— ſenden ſtrömten in das Schlafgemach. Das Bett war augenſcheinlich nicht be— nüůtzt worden; Rock und Hut lagen nach— läſſig darauf-hingeworfen, die Kerze hatte ſich in den Leuchter hinein verzehrt, und von dem Bewohner zeigte ſich keine Spur. „Sonderbar,“ ſagte der Inſpektor um— herſchauend. „Sehr,“ pflichtete Mr. Grindſtone bei. „Was kann aus ihm geworden ſein?“ dachte Barbara. „Wohin geht es da?“ ſragte einer der Polizedientr auf die Treppenthüre deu— end. „Zu den Geſchäftslokalen,“ antwortete die Haushälterin. „Hat Euer Herr ſie benützt?“ „Nur ſelten bloß in dem Fall, wenn er nach dem Bankſchluß eintraf; dann pflegte er ſein Geld und ſeine Papiere in dem großen eiſernen Schrank einzuſchlie— ßen“ „Und er iſt geſtern nach dem Bankſchluß angelangt?“ fragte der Inſpektor. Ich glaube ſo.“ ~ „Wir wollen hinunter gehen, Mr. Grinudſtone,“ ſagte der Beamte. „Wahr ſcheinlich löst ſich da drunten das Geheim niß.“ Einer um den Audern ſtieg jetzt die Treppe hinab, und der erſte Anblick, der ſich in dem Gemach darbot, war der leb— loſe Körper Michael Haman's, der bei dem Fenſter in einer Blutlache lag. „Mord!“ ſchrie Barbara, auf einen Stuhl niederſinkend. „Rühre mir Niemand den Körper an,“ rief der Inſpektor. „Ein Stich in die Bruſt und ein langer Schnitt durch die rechte Hand. Es muß ein ſchwerer Kampf ſtattgefunden haben. Habt Ihr in der Nacht kein Geräuſch gehört ?“ „Gott behüte, nein,“ verſetzte die Haus— hälterin. „Ich ſchlafe im obern a hinter der Küche; man hätte den ganzen Hof ausmordern können, ohne daß mir et was davon zu Ohren gekommen wäre.“ „Die Luft iſt ſehr dump hier,“ bemerkte Mr. Grindſtone. „Darf man die Fenſter öffnen?“ Der Zigeuner hatte nämlich bei ſeinem Entweichen ſorgfältig das Fenſter hinter ſich zugemacht. Da der Inſpektor hiegegen nichts einzu— wenden hatte, ſo beeilte man ſich, friſche Luft einzulaſſen. Unter ihrem Einfluß ächzte der hingeſtreckte Mann ; die Polizei war jedoch ſo ſehr von ſeinem Tode über zeugt, daß das Aechzen ſich wiederholen mußte, ehe man ans die Quelle deſſelben aufmerkſam wurde. „Er lebt!“ rief der. Inſpektor überraſcht. „Gott ſei Dank!“ murmelte Barbara. „Ich hätte keine Nacht mehr in dem Haus ſchlafen können, wenn mein armer Herr darin ermordert worden wäre.“ „Man hätte Euch ſchon für anderes Quartier geſorgt,“ bemerkte der Inſpektor trocken. : Die Polizeidiener hoben auf Befehl ihres Vorgeſetzten den noch athmenden Körper ſorgfältig auf und brachten ihn nach dem obern Gemach, wo ſie ihn auf das Bett legten. Aerztlicher Beiſtand war bald zur Stelle, und als endlich Mr. Aſhton, der mit dem Frühzug in London eingetroffen, im Hans anlangte, hatte ſich der Verwundete hinreichend erholt, um ihn zu erkennen. „Himmel!“ rief der Fabrikant tief er ſchüttert. „Wer kann dies gethan haben?“ „Ich will Ihnen dies bald ſagen,“ ver— ſetzte Michael Haman in ſchwachem Tone. „Suchen Sie unter dem Polſter meines Kiſſens.“ Mr. Aſhton that, wie ihm geheißen, und zog einen großen Schlüſſel hervor. „Seltſam!“ murmelte der Sterbende. „Sehr ſeltſam!“ „Was iſt ſeltſam?“ „Oeffnen Sie den eiſernen Schrank drunten. Barbara wird Sie hinführen. Das Teſtament muß dort ſeinu in einem Paket mit anderen Papieren.“ Nach einigen Minuten kam der Mitku rator wieder zurück. „Fort!“ ſagte er. „Fort! Der Schrank iſt leer.“ : „Ich dachte es wohl,“ verſetzte Michäel· „Fragen Sie mich jetzt noch, wer dies ge— than habe?“ Mr. Aſhton gab keine Antwort; er wagte es nicht, den Namen auszuſprechen der ihm auf der Zunge ſchwebte. „Sie ſagten etwas von anderen Papieren,“ be merkte er endlich. „Waren ſie von Werth?“ „Geld keuchte der alte Mann, „Geld, aber nicht viel und Pfandſcheine, die er nicht umſetßzen kann. Wahrſcheinlich wird er ſie bereits nernichtet haben.“ „Er?“ wiederholte der Fabrikant. Er? ; „Sie wiſſen, wen ich meine.“ „Ich wage es kaum, zu rathen.“ „John Bentley,“ rief der alte Mann mit plötzlicher tſrenguna. „der Verder~ ber meines Kindes, der Gatte meiner Nichte, der herzloſe, in dem vermeintlichen Erbe getäuſchte Intrigant.“ „Wollen Sie damit ſagen, daß Sie ihn erkannt haben?“ entgegnete Mr. Aſhton flůſternd. „Nein,“ verſetzte Michael nach einer Pauſe. „Ich will nicht mit einer Lůge auf meinen Lippen ſterbenn. So bitter ich ihn auch haſſe, ſoll doch auch meinem Feinde kein Unrecht geſchehen. Der Mann den ich in meinem Bureau traf, war mir fremd. Und doch,“ fügte er nach einigem Beſinnen bei, „muß ich ſein Geſicht ſchon geſehen haben.“ „Eine derartige Beſchuldigung darf nicht ſo leichthin gemacht werden,“ wbe— merkte Mr. Aſhton ernſt. „Denken Sie an das Elend Ihcer Nichte, an die Schande die auf ihre Kinder fallen würde.“ „Arme Marie!“ ſeufzte der alte Mann. Der Wundarzt legte ſich jetzt in's Mit tel und verbot ſeinem Patienten weiteres Reden. ~ „Ein paar Minuten, eine Stunde oder mehr oder weniger, was hat dies zu edeuten?“ erret Haman. „Ich weiß, daß ich an kein Auͤfkommen denken darf, und las mein Urtheil in Ihren Blicken, als Sie meine Wunde unterſuchten. Sie können mich nicht täuſchen.“ Der Arzt verſicherte ihn, daß dies nicht in ſeiner Mice liege. Der Patient ſchüt telte den Kopf. „Zum Beweis,“ fuhr der Doktor fort, „will ich Ihnen, obſchon wir Ihren —! nicht für ganz hoffnungs los halten, den Rath geben, die zeitlichen Verfügungen zu treffen, die Sie für nö thig halten mögen.“ Ich habe nichts zu verfũůgen,“ entgeg~ nete der alte Mann. „Er meint Ihr Teſtamint,“ flüůſterte Mr. Aſhton.. „Das liegt ſeit zwei Tagen bei meinem Bankier in Mancheſter,“ ſagte Haman. „Rufen Sie durch den Telegraphen Marie und ihren Sohn en Seleg hieher. Ich mochte ſie noch einmal ſehen, ehe ich ſterbe. Niemand ſonſt,“ fügte er bei. „Nicht Ihren älteſten Neffen?“ „Pah! Er iſt ſo herloe wie ſein Va ter, nur nicht jo klug. ie Schlange ohne den Stachel.“ Während Mr. Aſhton das L ſchrieb, fragte der Verwundete die Aerzte, wie lange ſie glaubten, daß er es noch treiben würde. Sie konnten das nicht ſagen. Savannah, Ga., den 8. Mai 1872. „Sie wollen es nicht ſagen,“ ver ſeßte der Sterbende in unzufriedenem Tone. „Gehört zum Handwerk, ſchätz ich obſchon ich den Nutzen dabon in meinem Fall nicht einſehe. Ich bin kein Kind und weiß wohl, daß eure Kunſt nicht im Stande iſt mir das Leben zu retten, deſſen Hin ſchwinden ich ſelbſt am beſten fühle. Aber ſuchen Sie es wo möglich nur noch einen oder zwei Tage zu friſten. Ich brauche noch Zeit zum Nachdenken.“ „Wir glauben nicht, daß vor achtund— yierzig Stunden ein entſchiedener Wechſel ſtattfinden wird,“ bemerkte der Hauptarzt. „Das reicht.“ Im Lauf des Tages wandelte den Pa tienten eine ſeltſame Grille an. Er ver langte nach dem Zimmer uud in das Bett Alice's gebracht zu werden. . „Barmherziger Himmel !“ rief Barbara „es hat ja in zwanzig Jahren Niemand darin geſchlafen.“ „Macht nichts.“ „Es muß feucht ſein.“ „Ich habe keine Zeit mehr, einen Schnupfen zu kriegen,“ bemerkte ihr Herr mit einem matten Lächeln. Die Haushälterin verließ das Zimmer um das Gemach ihrer verſtorbenen Ge— bieterin herzurichten. „Ich werde dort mit beſſeren Gedanken ſterben,“ antwortete Mr. Haman auf die Vorſtellungen Aſhton's und der Aerzte, die zuletzt ihre Zuſtimmung gaben, weil, wie ſie gegen den Fabrikanten flüſternd bemerkten, eine Stunde früher oder ſpäter in einem hoffnungoloſen Fall nicht in Be~ tracht komme, und der Widerſpruch viel leicht eben ſo gefährlich wirke, als wenn man den Patienten nach einem anderen Gemach bringe. Am nämlichen Tage ſollte das Haus in dem St. Anna ·Square und der Laden ſin Deansgate, Lin's Eigenthum, auf dem Weg öffentlichen Aufſtreichs verkauft wer den Das Auktionszimmer war von Kauſliebhabern und müßigem Volk über— füllt Auch Friedrich Bentley hatte ſich eingefunden, da die Umſtände, welche den Verkauf herbeigeführt, ſein lebhaftes In— tereſſe in Anſpruch nahmen. Mr. Luchs, der die „unvermeidliche Ab~ weſenheit ſeines Klienten“ trefflich auszu— nüten wußte, war voll Rührigkeit und guter Laune. Auch in ſeinem Aeußern hatte eine ſehr vortheilhafte Veränderung ſtattgefunden. Statt des alten roſtfarbi gen Fracks trug er einen ſchönen ſchwarzen Anzug, und über die ſchwarze Atlaßweſte hing eine ſchwere goldene Kette nieder. Wenn dem Advokätlein ein reiches Erbe zugefallen wäre, ſo hätte es nicht aufge—- räumter ſein können. Beim Beginn der Verſteigerung trat ein gutgekleideter Herr, den Niemand zu kennen ſchien, in's Zimmer. Die Ange bote auf das Haus in dem Square waren bereits auf fünfzehnhundert Pfunde geſtie gen, und hoben ſich noch immer zur gro ßen Freude des Mr. Luchs, bis endlich der Fremde den Auktionator fragte, in weſſen grentoe der Verkauf ſtattfinde. „Im Auftrag des Eigenthümers,“ lau tete die Antwort. „Wurde er von ihm ſelbſt ertheilt?“ „Nein, von ſeinem Agenten.“ „Darf ich von der Vollmacht Einſicht nehmen?“ fragte der Fremde. „Ich bin der vorletzte Bieter. Das Haus ſcheint hoch zu kommen, und e ich weiter gehe —“ „Sehr natürlich und ganz geſchäftsmä— ßig,“ ſagte Mr. Luchs die Urkunde aus ſeiner Taͤſche ziehend. „Hier iſt die Voll macht meines werthgeſchähten Klienten Mr. Norle, deſſen unvermeidliche Abwe ſenheit von Mancheſter Niemand mehr bedaudert als ich.“ Die Worte unver meidliche Abweſenheit“ erregten ein allge meines Gelächter unter dem Publikum. Luchs wurde ſehr roth im Geſicht und be— gann. aufgeregt mit ſeiner ſchönen Uhrkette zu ſpielen. „Es wird wohl nicht die erſte Advokatenvollmacht ſein die Ihnen zu Ge— ſicht kommt?“ fuhr er gegen den Frem— den fort, welcher das Dokument förmlich zu ſtudiren ſchien. „Nein, nicht gerade die erſte,“ verſetzte der Angeredete mit einem kalten Lächeln, indem er das Papier zuſammenlegte und ruhig in ſeine Taſche ſteckte. „Was ſoll dies heißen?“ rief der Advo kat. „Sie dürfen ſie nicht behalten, ſelbſt wenn das Haus Ihnen zugeſchlagen wird. Es iſt das Original, keine Abſchrift.“ „Das habe ich wohl geſehen.“ ; „So müſſen Sie mir das Dokument zurückgeben. Es iſt das Aktenſtück, kraft deſſen ich handle.“ „Und das durch die Urkunde, die ich hier vorweiſe, zurückgenommen wird,“ entnegnete der Fremde. Mr. Luchs erblaßte jetzt vor Schrecken wie er eben erſt vor Aerger roth geworden war. „Meine Herren, der Verkauf kann für den Augenblick nicht zu Ende gebracht werden,“ fuhr der Sprecher fort. „In Gemäßheit der Vollmacht, die ich von Mr. Norle habe, unterſage ich ihu. „Das laſſe ich nicht gelten,“ rief · Mr, Luchs, der ſich theiliveiſe wieder erholt hatte. „Sein Name iſt nicht Norle.“ „So lautet er unter der Vollmacht, kraft welcher Sie gehandelt haben,“ ent— gegnete Mr. Twiſſelton, den unſere Leſer ohne Zweifel bereits erkannt haben. „Das gehoͤrt nicht hieher. Er heißt Lin Lee, und ich kann dies beweiſen.“ „Zweifle nicht daran.“ „Er iſt ein Zigeuner,“ fügte Luchs bei. „Ich glaube, daß er dieſer Volksraſſe angehört,“ verſetzte ſein Kollege ruhig; „abtr mag er nun Norle oder Lee heißen, ſo lirgt heran nichts, ſofern meine Voll macht mit beiden dieſer Namen unterzeich net ſt. Ich warne alle Perſonen, welche Theile des in Frage ſtehenden Eigenthums angekauft haben, Zahlung in die Hände des bisherigen Agenten zu leiſten, der ſich wie iſh leider zur Schande unſeres gemein— ſchaftlichen Berufes geſtehen muß, in der unehrenhafteſten Weiſe benommen hat.“ „Ich fordere alle Anweſenden zu Zeu— gen auf,“ rief der geſchlagene Luchs. „Die Herren haben ſeine Worte gehört ſie begründtn ein Klagrecht.“ ; „Soll ich ſie wiederholen?“ „Wie beliebt. Ich werde zuverläſſig klagbar gegen Sie auftreten. Ihr Name mein Her? Vermuthlich haben Sie eine Karte bei ſich?“ ~ Der Aufgforderte reichte höflich dem Auktionator fine Karte hin. 2 „Wer iſt s! Lesen Sie!“ riefen ein Dutzend Stimmen. „Mr. Twiſſlton, Attorney.“ Als ſein Kollege dieſen gefürchteten Na-~ men hörte, hätte er ſich gern in aller Stille aus dem Staub gemacht; aber zum Un— glück für ihm befanden ſich unter den An— weſenden mehreie, die Stücke des dorle ſchen Eigenthums gekauft und an ihn be— reits Zahlung geltiſtet hatten. Dieſe t ten ihn nun und erklärten, daß ſie ihn nicht aus dem Auhze laſſen würden, bis ihnen ihr Geld zuriückerſtattet ſei. Andere die bloß Abſchlagsjahlungen gemacht, er—- wieſen ſich eben ſo ungeſtüm. „Das Geld iſt in der Bank, meine Herren,“ ſchrie Luchd; „es.iſt in der Bank!“ „Zum Glück beſindet ſich eine ſchöne Portion davon noch in meinen Händen,“ bemerkte der Auktioͤnator, ein ſehr achtba— rer Mann. Ein lautes Hurrah folgte dieſer Ankün digung. „Und ihr alle kennt mich hoffentlich hin reichend, fügte der Sprecher bei, „um zu wiſſen, daß es bei mir ſicher iſt. Es frägt ſich jett nur, ob die Käufe, die vor Wider rufung der an Mr. Luchs ausgeſtellten Vollmacht ſtattgefunden haben, geſetzliche Geltung haben oder nicht.“ „Sie ſind von mir insgeſammt geneh— migt, erklärte Mr. Twiſſelton, und machte ſich damit ungemein populär bei den Käu— fern, die ſofort den Mr. Luchs frei ließen. „Es iſt nutzlos, nach der Bank zu ge— hen,“ fuhr der Londoner fort, wͤhreud ſein niedergedonnerter Kollege beſchämt die Thüre ſuchte, „da ich das Geld mit Arreſt habe belegen laſſen. Ich bedaure daß ich. gegen einen Angehörigen meines Standes ſo hart verfahren mußte; aber die Intereſſen meines werthgeſchätzten Kli— enten, deſſen unvermeidliche Abweſenheit von Mancheſter Sie w&derholt bedauer ten —“ Ein brüllendes Gelächter erſtickte den Reſt ſeiner Worte, und Mr Luchs konnte inzwiſchen unbeläſtigt entweichen. John Bentleyh hatte recht, als er ſeinen Freund Twiſſelton einen geſcheidten Mann nannte. Er bewies bei dieſem Anlaß, daß er dieſes Prädikat in hohem Grad verdiente. ; ; Dreiundfünfzigſtes Kapitel Als Friedlich Bentley von der Szene in dem Auktionslokal nach Haus zurückkam, eilte ihm ſeine ängſtlich harrende Mutter mit Me. Aſhton's Telegramm entgegen. Es wurden alsbald Vorbereitungen ge— troffen, der Aufforderung zu entſprechen; aber wie vorſichtig auch Mr. Aſhton's Worte geſetzt waren, mußten ſie doch die Beſorguiß eines vorgefallenen Unglücks einflößen. Wie, wenn der alte Mann auf den Tod lag und noch ſeine letzten Berfü— gungen zu treffen beabſichtigte? Dieſer Gedanke war es, was dem noch immer in Mancheſter anweſenden Gilbert und ſeiner Gnädigen keine Ruhe ließ. Namentlich wollte es Lady Aunguſta durchaus nicht dulden, daß ihre theure Schwiegermutter ſich mit einem Hotel oder mit Mr. Ha-~ man's ärmlicher Citywohnung behelfe, während ihre Kinder ihr in London ein ſchönes Haus anbieten konnten. Das ehrenwerthe Paar ließ ſich natürlich nicht träumen, daß ſie in die Einladung nicht mit eingeſchloſſen ſeien, und beſtand da rauf die Reiſe mitzumachen. „Sie ſind ja der älteſte Neffe,“ flüſterte die Ladh ihrem Lieutenant zu, „und der alte Mann ſoll ungeheuer reich ſein.“ Die Reiſegeſellſchaft wurde auf dem londoner ehenu von Mr. Aſhton em pfangen. Friedrich und ſeine Mutter be trachteten ängſtlich das Geſicht des würdi— gen Fabrikanten als wollten ſie in dem Ausdruck deſſelben eine Heſtätigung oder Widerlegung ihrer geheimen Beſorgniſſe leſen. Re Aſhton theilte ihnen ſo ſcho nend als möglich den Sachvehalt mit und verweilte mehr bei dem fehlenden Geld und den Werthpapieren, als bei dem Verſchwinden des Teſtaments. „Iſt keine Belohnung für. die Entdeck— ung des Räubers des Meuchlers wollte ich ſagen rtaerent worden ?“ bemerkte Gilbert in ſeinem Verlangen, einen liebe vollen Eifer zur Schau zu ſtellen. (Fortſehung folgt.) Franz Grillparzer. (Nekrolog von G. Jaquet.) Schon zweimal war der 21. Januar der Todestag namhafter deutſcher Dichter: im Jahre 1815 des Mathias Chriſtian Claudius, des Dichters trefflicher Volks lieder, und 16 Jahre ſpäter des geiſt- und phantaſiereichen Achim v. Arnem, dem unſere belletriſtiſche Literatur ſo manche originelle und werthvolle Gabe verdankt. Im gegenwärtigen Jahre aber ſchied an abermals ein vaterländiſcher Dichter aus dem Leben, zwar kein Stern erſter Größe am deutſchen Dichterhimmel, aber immerhin einer der bedentenderen unter den Poeten zweiten Ranges: Franz Grill parzer, der älteſte und einer der verdiente rn unter den deutſchen Bühnendichtern der Gegenwart. ~ Franz Grillparzer wurde am 16. Januar 1790 zu Wien von mäßig wohlhabenden Eltern geboren, nach de ren Wunſch er ſich cameraliſtiſchen Stu— dien auf der Hochſchule ſeiner Vaterſtadt und nach deren Vollendung dem vater ländiſchen Staatsdienſte widmete. In dieſen trat er, ein mittlerer Zwanziger nachdem er zuvor, im Jahre 1813, eine kurze Zeit lang als Frewwilliger im vater ländiſchen Heere gedient, eine kriegeriſche Verwendung aber nicht gefunden hatte als „Concepts Praetikant“ (etwa ſo viel als in Preußen,Auseultator“) der,kai ſerlich koͤnigl. Hofkammer für die deutſchen Erblande“ zu Wien ; eine Stellung, welche ſeinen Wünſchen ſehr wenig entſprach, Neigung und Begabung ihn zur Dichtkunſt zogen. Früůh ſchon verſuchte er ſich in dieſer, doch blieben ein Paar von ihm in Wiener Zeitſchriften veröffentlichte, kleine lyriſche Gedichte, obwohl nicht ohne Werth ziemlich unbeachtet. Da erſchien Aus gangs 1816 ſeine Schickſals· Tragödie: „Die Ahnfran“, welche ein unſerer Ge neration ſchwer begreifliches Aufſehen machte und ſofort den Ruf ihres jugend— lichen Verfaſſers begründete. Es war damals eben die Periode der Schickſals— Tragödien, welche einige Jahre zuvor Zacharias Werner, dieſes Prototyp in— nerlicher und äußerer Zerrriſſenheit die großen griechiſchen Tragiker, jedoch ohne genügendes Verſtändniß, nachahmend mit ſeinem,„24. Februar“ eröffnet und Adolf Müller mit ſeiner Schuld“ und ſeinem „29. Februnar“ in die Mode ge— bracht hatte. Alle Welt ſchwärmte da—- mals für dieſe Gattung des Romantiſchen, ſumal in dem damals vom Myſticeismus durchdrungenen Süddentſchland; ſo war es denn natürlich, daß Grillparzer's „Ahnfrau“ mit ihrer geſpenſtiſchen Ein— wirkung auf Perſonen und Begebenheiten ſofort zahlreiche Verehrer fand. Im Gan— zen und Großen eine Verirrung, welche durch die durchgehende Anwendung der ſpaniſchen (Calderon'ſchen) Trochäen noch geſteigert wird, reißt dieſes Stück doch unwillkůhrlich durch ſeine weiche und me— lodiöſe lyriſche Sprache, wie durch das Erſchütternde, ja Grauen· und Entſetzens volle einzelner Situationen, den Leſer wie den Zuſchauer hin. So iſt es denn kein Wunder, daß es innerhalb dreißig Jahren nicht weniger als ſechs Auflagen erlebte r es ihm noch heut nicht an Verehrern fehlt. ; Glücklicherweiſe ließ Grillparzer durch den maßloſen Beifall, welcher ſeiner,Ahn—- frau“ bei ihrem Erſcheinen zu Theil wurde, ſich nicht verblenden, ſich ſelbſt für den vollendeten Dichter zu halten, zu welchem übereifrige Gönner jenes Stückes ihn ſtempeln wollten, ſondern arbeitete mit Eifer und Verſtändniß an ſeiner poetiſchen Weiterbildnng. In der That erhob er denn auch ſich in ſeiner zweiten Schickſals— Tragoöͤdie„Sappho“ welche 1819 er ſchien, die Liebe und das Ende der gleich— namigen großen griechiſchen Dichterin feiert und alsbald in verſchiedẽne fremde Sprachen überſetzt wurde zu einer durchaus edlen, wahrhaft künſtleriſchen Geſtaltung dieſes Süjets; zumal in der „Melitta“. Nur gelang es ihm nicht (und konnte auch fuͤglich nicht gelingen) den Widerſpruch der lyriſch-romantiſchen Behandlung mit dem antiquen Stoff zu beſeitigen. Obgleich äſthetiſch höher ſte hend, als die,Ahnfrau“, iſt ſeine„Sappho nie populär geworden, wie jenes auf den Theatern Deutſch-Oeſterreichs, Bayherns und Schwedens noch heut zur Auffüh— rung gelangende und nicht ungern geſe hene Stück. Den gleichen Fehler des Widerſpruchs zwiſchen Stoff und Form theilt die (1822 erſchienene) Trilogie, Das goldene Bließ“. Auch ſie will das klaſſiſche Alterthum ro— mantiſiren und an dieſem vergeblichen Bemühen krankt ſichtlich das ganze, groß— artig angelegte dramatiſche Gedicht. Von den drei ae deman deſſelben (~Der Gaſtfreund“, „Die Argonauten“ und „Medea“) iſt die dritte die gelungendſte, effectreichſte; gleichwohl vermochte auch ſie nur durch das meiſterhafte Spiel der großen Sophie Schröder in der Titelrolle ſich einige Zeit auf der Büůhne zu erhalten. Dem Geſchmacke wie dem Bſcdalten des großen Publikums liegt ſie zu fern. Größeren Erfolg, wie mit den beiden letztgenannten, ihren Stoff dem grauen Alterthum entlehnenden, Stücken hatte Grillparzer mit ſeinem 1825 erſcheinenden hiſtoriſchen Trauerſpiel: „König Ottokar's I. Stern, Herausgeber. Laufende Nummer 55. Glück und Ende“. Erſt nach manchen ängſtlichen Bedenken der Theater-Cenſur in Wien auf die Bühne gelangt glori— ficirt es doch gewiſſermaßen den ritterlichen Gegner des Begründers der Habsburg— 'ſchen Hausmacht, und thut ſomit dem, dieſen bis dahin umweht habenden, Nim— bus in Etwas Eintrag erfreute ſich ſo~ fort eines großen Erfolges, und hat ſich längere Zeit auf den Bühnen Süddeutſch lands erhalten; weniger gefiel es im deut— ſchen Norden. Im Uebrigen iſt es eine eigenthümlich tüchtige, in mancher Hinſicht vielleicht die beſte Schöpfung Grillparzers. Wenn nun auch einige ſpätere Stücke des Dichters ſo z. B. das Trauerſpiel: „Ein treuer Diener ſeines Herrn“ (1830) das Schauſpiel „Meluſina“ und das ſo— genannte Luſtſpiel: „Wehe dem, der lügt“ welches für eine Komödie zu wenig. luſtig iſt, und noch ein Paar andere keinen Fortſchritt zeigen, ſo doeumentiren ſie doch auch nicht gerade einen Rückſchritt der Grillparzer ſchen Muſe. Reich an eigen—- thümlicher Schönheit und durch un gemeine Zartheit bei größter Einfachheit in Anlage und Ansführung ſich auszeich nend, iſt die vom Jahre 1840 dadirende Tragödie: „Des Meeres und der Liebe Wellen“, in welcher die bekannte Sage von Hero und Leander, den treuen Lie benden, ſchön und ſinnig behandelt iſt Nur macht bei? ſeiner großen Einfachheit das Stück auf dem Theater keinen Effeet und hat ſich daher auch nur einiger weni— ger Aufführungen erfrent. Dagegen fand auf den Bühnen des Dichters hochpoe tiſches Drama (oder, wenn man will, dramatiſirtes Märchen),„Der Traum ein Leben“ ſehr vielen Beifall, obwohl auch ihm, wie faſt allen dramatiſchen Schöp— fungen des Dichters, ein Ueberwiegen des weichen lyriſchen über das eigentlich dramatiſche Element zum Vorwurf ge macht werden muß und auch mehrſeitig gemacht worden iſt. Nach dieſem letzt genannten Stücke, d. h. nach 1841, hat Grillparzer kein wei teres Bühnenſtück mehr veröffentlicht, ohne jedoch darum der dramatiſchen Dich— tung ganz entſagt zu haben. Vielmehr ſchuf er neben ein Paar dramatiſchen Kleinigkeiten noch die Trauerſpiele „Han— nibal“ und „Rudolf I 1.“, von denen das Erſtere ſich mit den Thaten und dem Aus— gange jenes großen Karthagers, das An— dere mit dem Schickſale des hochbegabten, ſaber ſchwachen und unglücklichen (von 11576 bis 1612 regierenden) deutſchen Kaiſers beſchäftigt. Einzelne von ihm aus dem „Hannibal“ mitgetheilte Proben zei— gen, daß der Dichter den großen Stoff in würdiger Weiſe zu bearbeiten verſtanden hat. Dagegen veröffentlichte Grillparzer lin den letzten vierziger und erſten fünfziger Jahren mehrere ſechöne lyriſche Gedichte ſin denen zugleich ein, freilich durch per ſſönliche und Zeitverhältniſſe gedämpfter, edler Liberalismus ſich ausſpricht. Soviel über die poetiſchen Schöpfungen Grillparzer's. Sie weiſen ihm einen ehren vollen Platz unter den neueren deutſchen Dramendichtern an. Wohl iſt er in jüng— ſſter Zeit mehrfach an Effeeten und Kraft—- mitteln überboten und durch Andere in den Hindergrund gedrängt, an eigentlich poetiſchen Schönheiten aber von ihnen nicht üůbertroffen worden. Wären ſeine Stücke mehr bühnengerecht, ſo würden ſie bei ihrer ſchönen Sprache in allen, dem ſßeichthum der Handlung in mehreren derſelben, ſicher zu den am häufigſten ge— gebenen gehören; ſo aber ſind ſie, bis ans lein paar, faſt unaufgeführt geblieben. Was das äußere Leben Grillparzers anbelangt, ſo verfloß dieſes in ruhiger Eintoönigkeit In Wien geboren und durch und durch Wiener, hat er auch ſein gan— zes Leben daſelbſt zugebracht;. abgeſehen von ein paar kleinen Ausflůgen in angren zende Kronländer und zwei größeren Rei ſſen, von denen die eine ihn durch die Lom bardei und über Rom nach Neapel, die landere ihn über Trieſt nach der Urheimath lalles Schönen, nach Hellas, führte, ihm aber durch die mit ihr zuſammenfallende griechiſche Revolution vom September 1843 ſehr verkümmert wurde. In ſeiner amtlichen Stellung rückte Grillparzer, da es ihm wohl eben ſo ſehr an Eifer für ; ſeinen Amtsberuf, als an hochſtehenden Gönnern fehlte, nur langſam vorwärts. Ausgangs 1832 wurde er nach Zurückle gung von ein paar Zwiſchenſtufen, Archiv- Direktor bei der Hofkammer, welche Stel lung ihm neben einem auskömmlichen Gehalte auch Muſe gewährte, geſchichtli chen Studien und ſeinen dichteriſchen Ein— gebungen mehr noch als bisher obliegen zn können. Anfangs der fünfziger Jahre nahm Grillparzer ſeine Entlaſſung aus dem Staatsdienſte. Kaiſer Franz Joſeph deſſen Gunſt er ſich 1849 durch einen ſchwungvollen Hymnus auf Radehki, dem Sieger über Karl Albert und die Lom barden, erworben hatte mit den Worten beginnend: In Deinem Lager iſt Oeſterreich, 1 Wir Andern ſind nur Trümmer!“ verlieh ihm bei dieſer Gelegenheit, neben der geſetzlichen Amtspenſion, noch aus ſeiner Privatchatoulle ein Jahrgehalt von 500 Gulden, welches er ſpäter auf 750 und vor ein paar Jahren auf 1000 Gulden (666 Thaler) erhöhte. So verlebte denn, von Krankheit nur wenig, von Nahrungs- J Fortſetzung auf der letzten Seite.)