Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, May 15, 1872, Image 1

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Sarannah Abenl Zeilung. Prof. C. I. BVanſemer, Redakteur. 2. Jahrgang. No. 4. 4 Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der n lleaneld. in Mancheſter von : FK Smith. ; Fortſetzuna.) „Was die Klugheit zu ihun empſiehlt, iſt geſchehen “ verſetzte Mr. Aſhton eruſt Habeu ſie keine Vermuthung über die Perſon, welche dgd Verbrechen begangen hat?“ ſragte Mrs. Bentley, die es eine große Anſireugung koſtete, ihre Faſfung zu beiwahren. „Keine, “ antwortete der Fabrikant mit Nachdruck, denn er ahnte die Gedanken der armen Frau. „Ihr Onkel ſah das Ge— ſicht des Menſchen deutlich, erkannte es aber nicht, obſchon er meint, es früher ſchon irgendwo geſehen zu haben.“ Friedrich und ſeine Mutter wechſelten Blicke, welche bekundeten, wie ſehr ſie ſich durch dieſe Worte erleichtert fühlten. „Haben Sie nicht davon geſprochen, daß auch das Teſtament meines Großva— ters geſtohlen worden ſei?“ fragte Gil bert. „O, dies kommt ohne Zweifel wieder zrm Vorſchein,“ verſetzte Mr. Aſhton mit unbekümmerter Miene. „Es kann dem Mörder nichts nutzen, und wenn es anch verloren bleibt, ſo liegt nicht viel daran, da wir in Mancheſter eine beglaubigte Abſchrift zurückbehalten haben, die im Nothfall das Original erſetzen kann.“ Dieſes Geſpräch fand Statt, während die— bentley' ſche Familie mit dem Fabrikanten der City zufuhr, und wurde in ähnlichem Geiſte fortgeſetzt bis ſie den kleinen Hof in Mark Lane erreichten. „Welche ſchauerliche Höhle!“ flüſterte Lady Auguſta ihrem Gatten zu, als ſie die ſchmale, altmodiſche Treppe, die zu dem Gemach des ſterbenden Haman führte hinanſtiegen. „Iſt s möglich, daß hier menſchliche Weſen leben?“ Sie würde dieſe Frage nicht geſtellt haben, wenn ihr chriſtlicher Sinn ſie auch nur ein einziges Mal zum Beſuch der londoner Armenwoh— nungen veranlaßt hätte, welchen gegen— über die von Michael Haman ein Palaſt war. Ein unwillkürlicher Ausruf der Ueber— raſchnng entglitt Barbara's Lippen, als Mrs. Bentleh mit ihren Begleitern in die kleine Wohnſtube trat,in welcher ſich die Haushälterin mit den Wundärzten befand. Guter Gott, wie ähnlich!“ riefſie. „Kein Wunder, daß der Herr ſie zu ſehen ver langt.“ „Wie befindet ſich mein Ontel?“ fragte Mrs. Bentley. „Er ſchläft eben,“ antwortete einer der Aerzte. „Eſt iſt doch Hoffnung vorhanden, ihn zu retteu ?“ fuhr die Dame fort. Der Arzt erwiederte nichts. Die Ant— wort lag in ſeinen Schweigen. Der Herr hat mir aufgetragen, Sie ſo— bald Sie ankaͤmen, zu ihm zu führen, Madame,“ ſagte Barbara. „Er hat ſich ſehr nach Ihnen geſehnt.“ Mrs. Beutlley ging leiſe auf die Thre des Krankenzimmers zu und ihre beiden Söhne folgten ihr. „Sie nicht, wenn ich bitten darf!“ rief dio Haushälterin, ihre Hand auf Gilbert's Arm legend. Warum nicht?“. Er würde von ihrem Anblick den Tod haben.“ „Was Sie da wiſſen!“ Freilich weiß ich s. Sie ſehen Ihrem Vaͤter ſo ähnlich. Und außerdem ver— langt mein Herr, allein mit ſeiner Nichte zuſprechen. Fragen Sie die Doktor da, ob's nicht wahr iſt.“ Die Aerzte beſtätigten ihre Angabe. Die Ereigniſſe der letzten vierundzwan— zig Stunden hatten der alten Haushälte rin einen gewiſſen ſehr unangenehmen Argwohn gegen den großmüthigen Geber des ſchönen Kleides und des grün und gelben Shawls eingeflößt, obſchon, ſie ihre Vermuthungen klüglicher Weiſe für ſich behielt. „Wenn mein Bruder geht, ſo gehe ich auch,“ verſetzte Gilbert trotzig. Natürlich,“ pflichtete ſeine Lady bei— „Sie ſind der älteſte Neffe und důrfen nicht dulden, daß Sie um Ihr Geburtsrecht betrogen werden durch einen argliſtigen —“ Ach bitte, ſchweigen Sie, Lady Augn ſta,“ unterbrach ſie re Schwiegermutter. „Wir dürfen durch keinen Streit ůber welt— liche Intereſſen die lezten Augenblicke mei nes ſterbenden Onkels ſtören.“ „Jedermann iſt ſich ſelbſt der Nächſte,“ verſetzte die Gnädige mit Bitterkeit. „Ich weiß recht wohl, weſſen Intereſſe Sie zu vertreten wmſchen Mein Mann hat leider keinen Aitheil an der Liebe der Mutter“ „Sie thun mir Unrecht *—“ Liebe Mutter~ laſſen Sie ſich nicht zu einer Rechtfertiging nenw Fried— rich, „denn ihre ſchmuhige, gierige Natur iſt doch nicht im Stande, mich zu begreifen. Lady Anguſta,“ fügte er mit Würde bei Sie haben gehört, was dieſe Frauens perſon ſagte Mr. Haman wünſcht ſeine Nichte allein zu ſehen.“. Za ſo ſagte ich“ rief Barbara, „und ich iaſſe Niemand als Mrs. Bentley in's Zimmer, wenn mein Herr nichts Anderes befiehlt. Ich brauche keine Unverſchämt heiten von dieſer feinen Madam da, und ſwenn ſie zehnmal eine gnädige Madam iſt „Die Kreatur!“ murmelte Lady Augu— ſta entrüſtet. „Schätz wohl, wir ſind alle Kreaturen,“ bemerkte Barbara philoſophiſch; „nur ge hören die Einen Gott und die Andern der Welt an. Man verſtandigte ſich endlich zur gro· ſhen Eutriſtung der Gnädigen dahin, daß die Wünſche des Onklels beachtet werden ſollten, und die Nichte trat allein in das Gemach. „la, gehen Sie nur,“ ſagte die Lady, „und benutzen Sie Ihren Einfluß auß den ſchwachen alten Mann zum Beſten Ihres Lieblings. Wir dürfen von Ihnen nichts Anderes erwarten.“ Mrs. Bentley war zu aufgeregt, um etwas auf dieſe ungerechte Beſchuldigung zu erwidern, und trat ohne ihrer Schwie gertochter eine Antwort zu geben, in das Krantenzimmer. Michael Haman ſchlief. Sein Geſicht war leichenblaß und hatte viel von dem unruhigen, verſchmitzten Ausdruck verlo— ren, den es ſonſt ſtets zur Schau getragen. Die weltlichen Leidenſchaften wichen zu rück vor der Majeſtät des Todes, deſſen Schwingen ihn bereits überſchatteten. Mrs. Bentley kniete an ſeinem Bette nieder und ſandte ſtumm ein brünſtiges Gebet gen Himmel. Ein Zweifel, den ſie nicht einmal zu flüſtern wagte, erfüllte ihr Herz mit einem unſäglichen Weh und Bangen; aber ſie machte in ihrem Gebet fort und flehte im Geiſt den Allmächtigen an, die Seele des Sterbenden mit Reue zu erfüllen und die gefürchtete Schmach von ihr und ihren Kindern abzuwehren. Ein tiefer Senfzer kündigte das Erwa—- chen des Verwundeten aus ſeinem langen Schlummer an. Sein Blick blieb eine Weile ans der an ſeinem Vett knieenden Geſtalt haften. „Alice!“ murmelte er endlich. Ein halberſticktes Schluchzen war die einzige Antwort der unglücklichen Gattin und Mutter. „Ich bin nicht irre,“ fuhr er ſanft und langſam fort, „und weiß wohl, daß Du nicht mein heimge— gangener Engel biſt, aber laß mich im~ merhin Dich ſo nennen. Ich bin in mei nen Träumen bei ihr geweſen, und er—- kannte ſie trotz der Blüte der Geſundheit auf ihren Wangen und des ſonmgen Lä chelns, das ſie mir zeigte. Während ihres Lebens ſah ich ſie kaum je lächeln. „Richten Sie Ihre Gedanken auf Gott Onkel,“ ſagte Mrs. Bentley. „Selbſt die Beſten uünter uns ſind der Gnade be— dürftig, und auch der Schlimmſte braucht nicht zu verzweifeln, wenn er in demüthig reunigem Sinne darum fleht. Verſöhnen Sie ſich mit ihrem beleidigten Schöpfer, und Ihr Traum wird zur Wirklichteit werden, indem der Engel, den Sie hienie— den liebten, dort Ihnen den erſten lächeln den Gruß entgegen bringen wird.“ „Ich weiß das,“ verſetzte Michael Ha— man gedankenvoll. „Alice hat mir das Nämliche geſagt nicht in Worten zwar aber doch in einer Weiſe,„daß ich ſie wohl verſtand. Ich las es in Ihren Augen, die blan und ſchön waren wie die Deinigen, nur nichtlvon Thränen getrübt. Bete für mich bete, daß mein Weſen ſich ändere. Ich weiß, daß auch Alice im Himmel für mich betet.“ ; „Onkel!“ rief die unglüůckliche Frau, welche die ſie bedrängenden Gefühle des Schreckens nicht länger zu unterdrücken bermochte, „ſagen Sie mir Alles Alles. Ich bin ſtark und an Leiden gewöhnt; der Himmel verleiht mir Kraft zu tragen. Lieber das Schlimmſte, als die Qualen der Ungewißheit, der Zweifel, die mir das Herz zerreißen.“ „Zweifel?“ wiederholte Michäel „O, ich weiß, Sie verſtehen mich.“ „Armes Weib!“ murmelte der Ster bende. „Ich will Alles wiſſen,“ flüſterte ſeine Nichte mit krampfhafter Haſt, „das Ver— brechen der Diebſtahl der Mord; denn Mord iſt es in den Augen Gottes und der Menſchen:“ „Ich kann nur wenig Licht in dieſe Nacht werfen,“ verſetzte ihr Verwandter nach langem Beſinnen. „Ich traf ſpät ein und konnte nicht mehr auf die Bank, weßhalb ich ein Paket in den Eiſenſchrank meines Bureaus unten einſchloß. Das Paket enthielt Banknoten und Pfandſcheine von nicht ſehr großem Werth.“ „Und meines Vaters Teſtament?“ ent gegnete Mrs. Bentley, während eine Tod— tenbläſſe ihr Geſicht überzog. „Ja. Ich zog mich nach meinem Schlafzimmer zurůck, konnnte aber nicht ſchlafen, da mich eine bange Ahnung wach erhielt. Ich hätte mehr auf ſie achten ſol len; aber dergleichen Dinge ſind mir ſtets als die Ausgeburten eines kranken Gehirns vorgekommen. Ich höorte ein Geräuſch, ſtieg vorſichtig die Treppe hinab und ſah cinen Mann, der eben einen Strick, an welchem er herauf gekletttert, vom Fenſter ſims losmachte. Es kam zu einem Kampf und den Ausgang davon ſiehſt Du. Er deutete auf die Blutflecken an ſeiner Bruſt. „Hat der Elende während des Kampfes ; nicht geſprochen Ia „Und Sie ſahen ſein Geſicht?“ IDeuilich.“ Savannah, Ga., den 15. Maiſtß72. Mrs. Bentley ſank hald ohnmächtig zu~ růck und verſuchte in ihrem Schrecken zu ſprechen, konnte aber nur durch ihren Blick die Frage ausdrücken, die ihre Lip— pen hervorzubringen ſich weigerten.. „Es war nicht das einer Perſon, die ich kenne,“ fuhr Micharl haſtig fort obſchon es mir vorkommt, als müßte ich den Mörder ſchon irgendwo geſehen haben. Der Friedensrichter wird in einer Stunde hier ſein, um meine Angaben aufzuneh— men,“ fügte er bei. „Du haſt Alles ge hört, was ich vorbringen kann; drum faſſe Muth Marie. Seine Nichte brach in einen leidenſchaſt lichen Thräneuſtrom aus und ſchluchzte krampfhaft. „Gott ſegne Sie, Onkel,“ murmelte ſie,„um meines armen Sohnes willen.“ „Ach ja, Friedrich. Wo iſt er?“ „Meine beiden Söhne befinden ſich im nächſten Zimmer.“ „Ich will nur Friedrich ſehen,“ ſagte Michael Haman ſcharf, „den, der Dir gleicht und meinem verſtorbenen Kinde. Wenn Du klug biſt, ſo laß den Andern nicht in meine Nähe kommen. Er iſt ſeines Vaters Ebenbild, und ſein Anblick koöͤnnte ſchlimme Gefühle und Gedanken in mir wecken, die ich gerne der Vergeſſen— heit anheim geben möchte.“ „Ich habe keine Gewalt über Gilbert,“ verſetzte Mrs. Bentley ſtockend. „Er iſt eiferſüchtig auf ſeinen Bruder und beſteht darauf, Sie zu ſehen. Nur mit Mühe er— ziehlte ich, daß ich allein zu Ihnen herein durfte.“ „Ich begreife die Urſache dieſer plötzli chen Anhänglichkeit an den reichen Onkel und weiß ſie nach ihrem wahren Werth zu ſchäßen. Er beſteht darauf, mich zu ſehen? Gut; ſein Wunſch ſoll erfüllt wer den. Rufe beide herein und bleibe in meiner Nähe.“ Der alte eyniſche Aus druck unſpielte wieder Haman's Lippen, als er dieſe Weiſungen gab. Die beiden jungen Männer traten mit einander ein. Das Geſicht des älteren glühte vor Hoffnung, während in dem des jüngeren Schmerz und Theilnahme, Ge~ fühle, die Michael Haman wohl zu wür— digen wußte, ſich ausdrückten. „Mein lieber Onkel,“ rief Gilbert, „glauben Sie mir, daß Alles geſchehen ſoll, um den Raubmörder in die Hände der Gerechtigkeit zu liefern.“ Friedrich blieb ſtumm. Der Sterbende betrachtete die Beiden mehrere Minuten, ohne ein Wort zu ſprechen. Dann ſagte er in feſtem Tone: „Gilbert Bentley ich glaube wenig ſtens, Sie wurden nach meinem ſeligen Bruder Gilbert genannt.“ „Freilich ich war ſein älteſter Enkel und ſein Liebling.“ „Ich habe Angelegenheiten zu bereini igen Privatangelegenheiten, in denen weder Ihre Erfahrung, noch Ihr Rath mich etwas nützen kann. Sie ſtehen in keiner Beziehung zu der Verfügung über mein Eigenthum. Mein Teſtament iſt bereits gemacht, und wenn man mich nicht reizt, ſo werde ich nichts daran än dern. Laſſen Sie mich jetzt mit Fried— rich allein,.“ fügte er bei. „Ich habe euch Beiden Gerechtigkeit widerfahren laſ ſen.“ ; „Mein lieber, gůtiger —“ „Noch ein Wort,“ unterbrach ihn der ehemalige Geldmäkler, auf die Thüre deu tend, „und ich ſaget Ihnen etwas, was Sie nicht gerne hören werden. So lange Leben in mir iſt, verlange ich, daß man mir gehorche.“ Der Ton ſowohl als die Miene des Sterbenden hatten etwas ſo entſchieden Drohendes, daß Gilbert, wel cher die Worte nach ſeinen ſelbſtſüchtigen, Wünſchen dentete, ſich ohne Säumen ent~ ſernte, in s Geheim ſich Glück wünſchend daß er der älteſte Sohn und nach ſeinem Großbvater getauft war. Es ſind uns manche Beiſpiele bekannt, daß ein Vermö gen nicht einer Perſon, ſondern einem Namen vermacht wurde, ein ſchlagender Beleg für den Stolz, welcher der armen, ſchwachen Menſchennatur inne wohnt. „Iſt er fort?“ fragte der alte Mann, der ſeine Augen geſchloſſen hatte, um nicht länger ein Geſicht ſehen zu müſſen, das ſo ſchmerzliche Erinnerungen in ihm weckte. „Ja,“ antwortete Friedrich. „Freut mich; ſein Anblick hat mich ſehr aufgeregt.“ „Ich fürchte, lieber Onkel, Sie beurthei len meinen armen Bruder zu hart. Be— denken Sie doch, in welcher Schule er er zogen wurde, und daß er uns viele Jahre entfremdet blieb. Ich zweifle nicht, daß ſein Herz unverdorben iſt.“ „Was geſchehen, iſt geſchehen,“ ſagte Michael Haman. “ Ich will nichts mehr don ihm hoören“ Seine Kräfte waren augenſcheinlich in raſchem Schwinden begriſffen. Marie und ihr Sohn knieten betend neben ihm, bis der Friedensrichter eintraf, nach wel chem man geſchickt hatte, damit er die An gabe des Sterbenden aufnehme. Die An kunft des Letzteren ſchien die erlöſchende Flamme neu anzufachen. ; „Verlaß mich nicht,“ flüſterte er ſeiner Nichte zu. „Halte mich bei der Hand lund laß mich Dein Geſicht ſehen, damit ich nicht wieder zu ſchlimmen Gedanken verlockt werde.“ Mrs Bentley rückte ſchwei gend einen Stuhl an ſein Bett. (Fortſetzung folgt.) Aus dem Wient( Gerichtsſaale. Ans der Anklagebnk wegen des Ver— brechens des Menchlmordes befand ſich ſam 30. Aug. .v I.: khereſin Schweizer, 2 Jahre alt, Tochtt eines penſionirten Magiſtratsbeamten, hisher unbeſcholten. Die Angeklagte, kſim 20 Jahre alt, bon Natur mit allen weiſlichen Vorzügen ans ſgeſtattet, iſt gut gebͤu doch ſehr ſchtech ſerhalten Kummer /ud Sorge haben vor zeitig“ die Wangeil gebloicht die Stien gefurcht, dem Augehen Glanz genommen und ſelbſt den Koöwter jener ſicheren Hal tung biraubt, die buſt ein Vorzug der Jugend «ſt. Ein heines Baumwolltuch, welches ven Thränt benaßt iſt, hält die Angeklag krampfſaft in der Hand. ſie fährt ſich demit ingGeſicht, um die fort~ während hgabrolleiden Thränen zu trock— nen, ihre Shritte ſind unſicher und wan kend. Die Arme hermag nicht den Blick emporzurichttn, dai Auge haftet fortwäh~ rend am Bolen, uhd ſcheu wie ein gehetz~ tes Reh richkt ſig ſich empor, um, der Einladung dfs Präſidenten folgend, vor den Gerichtstſch zͤ treten. Der Präſident ermahnt die Angeklagte, ſich zu faſſen, ruhig der Verlanͤlung zu folgen und auf alle Fragen nk mit der Wahrheit zu antworten. Ditglngetlagte verneigt ſich und ſinkt auf diAuklagebank nieder. Die vom Staagsanwalte erhobene An— klage lautet: fhereſe Schweizer, Tochter des Magiſtratobeamien Thomas Schwei~ zer, wohnte mt ihrer von dem Gatten, reſp. Vater gtrennt lebenden Mutter Johanna Schheizer bei der Wäſcherin Anna Baumrußer. Am 22. Juni v. I. ſtattete Thereſe Schweizer der Franeiska Zwierzina, in Beſellſchaft ihres 11 Mo— nat alten außwehelichen Kindes Auguſte Schweizer, einn Beſuch ab. In einem unbewachten ene flößte Thereſe Schweizer ihren Töchterchen Auguſte eine Löſung von Cyinkali ein und es erfolgte ſofort der Tod les Kindes. Den im Fläſch chen zurückgelaſenen Reſt der Giftlöſung trank Thereſe Schweizer ſelbſt aus, ohne jedoch hierdurc nachtheilige Folgen für ihre Geſundhei/ erlitten zu haben. Franeistka Zvierzina erſtattete ſofort die Strafanzeige u es wurde Thereſe Schwei— zer in das Inquiſiten Spital gebracht, während die Leiche des durch Giſt getöd— teten Kindes cerichtsärztlich obdueirt und conſtatirt wuide, daß der Tod durch das demſelben betgebrachte Gift nothwendig erfolgen muße. Die gegen Thereſe Schweizer durchge~ führte Unterſichung hat ergeben, daß die~ ſelbe ſchon Mittwoch den 21. Juni, einen Tag vor Verübung der That, die Fran eiska Zwierziua beſucht hatte, ganz ver zweifelt daruͤher war, daß ſie von ihrer Quartiergebernin eines Diebſtahles von Bettfedern bqeſchuldigt werde, und drin gend um ein Darlehen von acht Gulden bat, damit ſt die von der Mutter verſet ten Polſter, welche Eigenthum der Frau Baumrucker waren, auslöſen könne und die Mutter / von einer ſtrafgerichtlichen Unterſuchung befreie. FraneiskaZwierzina erklärte ſich zn die~ ſem Darlehn bereit, nur wollte ſie ſich früher überzlugen, ob dieſe Angaben rich— tig ſind. Thereſe Schweizer entfernte ſich hierauf aus der Wohnung der Zwierzina lund ließ einen Zettel zurück, in welchem ſſie bekannt gab, daß ſie nicht mehr leben ſwolle und daß ſie ſich daher ermorden müſſe. Die Zwierzina, geängſtigt durch dieſes Schreiben, eilte der Schweizer nach lund fand dieſelbe ohnmächtig auf der Gaſſe niedergeſunken. Sie ließ das Mäd— chen zu ſic in die Wohnung ſchaffen, und nachdem Thereſe Schweizer wieder zum Bewußtſein gelangt war und bernhigt ſchien, entleß ſie die Zwierzina, nicht ohne die Ermahnung, ſo gottloſe Gedanken aufzugeben. 4 Thereſe Schweizer hatte ſchon ſriher löfter von Cyankali geſprochen, und an dieſem Tage ganz unverhohlen den Wunſch, ſich zu tödten, ausgeſprochen; da ſich nun in der Wohnung der Zwierzina eine der Amalie Marek gehörige Quandität Cyan— ſkali befaud, das nicht beſonders verwahrt war, ſo hielt es die Zwierzina für ange~ zeigt, dieſes Chankali in die unterſte Lade des Schubladekaſtens zu verſperren. Während dies geſchah, lag Thereſe Schwei~ zer auf dem Sopha, ſcheinbar in Ohn—~ macht, doch ſie bemerkte, wohin das Cyan kali gebracht worden, nahm von demſelben heimlich ein Stück und berbarg dieſes in ihrem Strumpfe. Am nächſten Tage, den 22. Juni, kam ſie abermals verzagt ſin die Wohnung der Zwierzina. Ihre Mutter brachte ihr das Kind Auguſte nach und entfernte ſich hierauf wieder. Kurz nachher erſchien die Baumrucker mit einem Polizeiamtsdiener in der Woh— ſnung der Zwierzina, zeigte mehrere von ihr ausgelöſte, von der Schweizer wider rechtlich verſetzte Gegenſtände, welche ſie zur Polizei bringen müſſe, und verließ die en mit der Bemerkung, die Thereſe ſoll nicht mitgehen, ſonſt behalte man ſie gleich oben. Nachdem ſich die Baum rutker entfernt hatte und auch die Zwier hzina in den anſtoßenden Laden gegangen war, ſchrieb Thereſe Schweizer mit Blei ſtift auf ein Stück Papier: „Ich will eine ſchöne Leiche, das Kind bei mir, mein Be wußtſein iſt rein; der Fluch folgt der Baumrucker. Einen Gruß an Franz.“ Sodann ging ſie in die Küche und löſteſ das Cyancali in einem Glaſe Waſſer auf. Konſtantin Zwierzina und ſein Spielka merad, zwei in der Wohnung anweſendeſ Knaben, ahnten das entſetzliche Vorhaben der Schweizer und ſchrieen laut aunf Dieſe beruhigte die Kinder, indem ſie ihnen ſagte, ſie werde die Rückkunſt der Zwier zina, welche zur Polizel gegangen war, ! rbwarten und früher nichts thnn. Inl nem unbewachten Aungenblicke ſetzte ſie jodoch dein Kinde Anguſte das Glas anl den Mund und Koößte demſelben ſo das Gift ein. Die Knaben wollten ihr nun das Glas entreißen, doch ſic hielt es feſt und ſetzte daſſelbe, nachdem das Kind vergiftet war, ſelbſt an den Mund. Die Knaben hingen an ihrem Arm und ver— hinderten ſie an dem Trinken. Mittler·f weile traf Frau Zwierzina ein nnd holte die Polizei. Das Kind, welches zuvor geſund war, ſchrie nach dem Einflößen des Cyankali auf, begann ſchwer zu athmen und verſchied binnen kurzer Zeit. Thereſe Schweizer, welche vollkommen geſtändig iſt, gab an, daß ſie in den letzten Tagen vor dieſer That von ſo vielen Schickſalsſtürmen heimgeſucht wurde, daß ſie das Leben nicht mehr ertragen konnte, und weil ſie ihr Kind nicht berwaiſt zu— růcklaſſen wollte, habe ſie den Entſchluß! gefaßt, zuerſt das Kind, dann ſich ſelbſt zuſ tödten. Thereſe Schweizer erſcheint ſohin auf Grund ihres eigenen Geſtändniſſes im Einklange mit den gepflogenen Erhe bungen des Verbrechens des Meuchelmor— des beſchuldigt, und es wixd gegen ſie in dieſem Sinne die Anklagẽ erhoben. Die Angeklagte mußte, um in der Schluß— verhandlung halbwegs anſtändig zu er— ſcheinen, ein ſchwarzes Orleanskleid zu leihen nehmen, wofur ihre arme Mutter zwei Gulden per Tag Leihgeld zugeſagt hatte. Wohl ſelten hat eine Angeklagte dem Gerichtshofe, dem Auditorium, ja ſelbſt dem öffentlichen Ankläger ſo viel Theil— nahme einzuflößen vermocht, wie heute Thereſe Schweizer Offen und ehrlich ſchüttete ſie ihr Herz aus; ungeſchminkte, Schrecken erregente Wirklichkeit war es, was ſie enthüllte. Sie beſtrebte ſich nicht, beſſer zu ſcheinen, ſie heuchelte nicht, ſie ſpielte nicht, wie dies häufig an dieſem Orte zu geſchehen pflegt, Comödie, und obwohl die Irrenärzte berufen waren, über ihren Geſundheitszuſtand ein Urtheil abzugeben, gab ſich Thereſe Schrtt arzu anders, als ſie wirklich iſt. Wir laſfen das Verhöor hier ausfůhrlich folgen: Präſ. Leben Ihre Eltern noch? Angekl. Ja, mein Vater iſt im Con ſeriptionsamte beim Magiſtrate und lebt ſeit neun Jahren getrennt von der Mutter. Präſ. Hat der Vater die Mutter öfter unterſtützt? Angekl. Nein, mir hat er öfter etwas gegeben, aber dann nicht mehr. Präſ. Wann nicht mehr ? Augelkl. (weinend): Wie ich mich ſo weit vergeſſen hatte. Präſ. Ihre Eltern hatten mehrere Kinder? Angekl. Ja, dreizehn, davon ſind nur drei am Leben. Präſ. Der Arzt hatte Ihrer Mutter den Rath ertheilt, Sie, da ſie ſehr kränk— lich waren, nicht mehr in die Schule ge~ hen zu laſſen. Waren Sie von Ihren Eltern gut gehalten? Angekl. (weinend) Ja, ich habe das Häusliche beſorgt. Präſ. Mit vierzehn Jahren waren Sie bereits vollkommen entwickelt. Angekl. Ja; aber ich habe erſt nach einigen Mo— naten dießekanntſchaft desGuſtav gemacht. Präſ. Wer iſt dieſerGuſtav? Angekl. Der Ingenieur · Aſſiſtent Guſtav Hofbauer, der bei der Tramway angeſtellt war. Präſ. Wurde das Verhältniß intim? Angekl. Ja, er kam zu uns ins Haus, ich kam zu ſeinen Eltern ins Haus und der Guſtav hatte mir das Heirathen ver ſprochen. Präſ. Wurde das Verhältniß von den Eltern gebilligt? Angekl. VBon den meinigen ja, aber von Guſtav's El— tern, wie mir ſchien nicht. ; Präſ. Hat der Hofbauer nichts für Sie gethan? Angekl. Gar nichts. Präſ. Haben Sie ihn nicht angeſpro— chen, er ſoll etwas thun? Angekl. Nein, ich habe mich genirt, einen ſolchen Schritt zu thun. Er hat einmal geſagt, er wird der Mutter Alles erſetzen. Präſ. Befanden ſie ſich öfter in Noth? Angekl. (weinend) O ja. Präſ. Wie viel hat ſich Ihre Mutter täglich verdient? Angekl. Beiläufig Ifl. täglich; davon haben wir Beide und lauch das Kind gelebt. Präſ. Es liegen hier zärtliche Briefe von Hofbauer; ſind dieſe an Sie gerichtet? Angekl. (in Thränen auſgeloͤſt): Ja. Praäͤſ. Wie kam es, daß nach ſo zärt— lichen Ergüſſen das Verhältniß wieder gelöſt wurde? Angekl. Nachdem er mir ſo zärtlich geſchrieben hatte, erhielt ich auch auf einmal einen Brief, in welchem her mir anzeigte, daß er eine andere Be— kanntſchaft habe und mich aufgeben müſſe. Präſ. Welchen Eindruck hatte dieſe Mittheilung auf Sie gemacht? Angekl. Ich war troſtlos. Präſ. Haben Sie ihm keine Vorwürfe gemacht? Angekl. Nein, ich ertrug ·mein Schickſal mit Ergebung. „ Präſ. Wie kamen Sie dann wieder ·mit dem Hofbauer zuſammen? —Augekl. Ich war eines Tages, das war ein Jahr I. Stern. Herausgeber. Laufende Nummer 56. ſpätex, bei meiner Freundin, der Trafikan-~ tin Caroline Fehr; der Guſtab kam zu-~ fallig in die Trafik und erklärte mir, daß er mich geprüft und nunmehr die lleber zengung gewonnen habe, daß er keine beſ ſere Frau ſinden kann. (Lautes Schluch zen folgte dieſen Worten.) Präſ. Hat er Ihnen bei dieſer Gele genheit das Heirathen verſprochen? An— gekl. (ſchluchzend): Ja. Präſ. In welcher Weiſe wurde das Verhältniß gelöſt, was gab dazu den aͤußeren Anlaß? Augekl. Der Guſtav hatte mir Aufangs März v. I. geſagt, er habe die Bekanntſchaft eines andern, wohlhabenden Mädchens gemacht, welches Loniſe Wagner heiße. Ich war vernichtet, habe jedoch noch gezweifelt. Nachdem ich jedoch die Wagner beſucht und ſie gewarnt hatte, erfuhr ich aus ihrem Benehmen, daß ſie mit Hofbaner ſich eingelaſſen hatte und alle meine Hoffnungen waren ver nichtet. (Die Angeklagte iſt gäͤnzlich er ſchüttert). Präſ. Es ſoll auch zu einer Scene ge~ kommen ſein? Angekl. Meine Mut. ter iſt hinůber in die Leopoldſtadt zu den Eltern der Loniſe Wagner gegangen, um ſie vor Hofbauer zu warnen. Auf das ſind die Eltern der Waguner und auch der Guſtay mit ſeinen Eltern zu nns gekom— men: ich mußte dem Guſtav in's Geſicht wiederholen, was er mir ſelbſt geſagt hatte er gerieth darüber in Wuth und ſpuckte mir ins Geſicht. (Die Angeklagte iſt lo erregt, daß ſie der Präſident beſänftigen und ermahnen muß, ſich zu erholen und ruhig zu bleiben.) Praͤſ. Sie erhielten auch noch einen anderen Beſuch. Angekl. Es kam Georg Hofbauer, Bruder des Guſtav, ſtieß mich auf die Bruſt, ſpuckte mir ins Geſicht und nannte mich eine . ... Präſ. Ich conſtatire, daß aus dieſem Anlaße beim Bezirksgerichte Joſephſtadt eine Verhandlung ſtattfand, in welcher Georg Hofbauer zu zwei Tagen Arreſt verurtheilt wurde. Wie war damals Ihr Hausweſen beſtellt, hatten Sie die genü genden Nahrungsmittel ? Angekl O nein; ich hatte manchmal tagelang nichts zu eſſen, weil die Mutter nicht immer llfl., manchmal nur 40 oder 50 kr. verdient hatte u. wir davon Alles beſtreiten mußten. Präſ. Sie haben im Inli geboren, waren drei Monate krank und mußten ſich einer Operation an der Bruſt unter werfen; iſt das richtig ? Angekl. Ja. Präſ. Hat ſich der Hofbauer da Ihrer angenommen ? Angekl. Nein, er hat ſich weder um mich (weinend), noch um das arme Kind gekümmert. Präſ. Beſitzt der Hofbauer Vermögen ? Angekl. Er hat mir geſagt, daß er 2000 fl. Gehalt bezieht. Präſ. Wiſſen Sie ſeinen Aufenthalt? Angekl. Ich hörte, daß er bei einer Bahn angeſtellt iſt, weiß aber nicht, wo. Präſ. Sie haben auch viel geleſen; iſt das richtig? Angekl. Ja, das war meine einzige Zerſtreuung. Präſ. Befanden Sie ſich denn in einer Lage, wo man ſo dringend Zerſtrenung bedarf? Angekl. Ich war krank, die Mütter mußte Alles, was wir hatten, verſetzen und verkaufen, um nur das Le— ben friſten zu können; ſogar die Kinds wäſche, zu der mir großherzig Frau Patera 50 fl. geliehen hatte, mußten wir verkan fen, und dennoch konnten wir nicht ein mal den Dr. Stenzl und auch nicht die Hebamme bezahlen. Die Baumrucker der wir auch ſchuldig waren, drohte mit der Polizei und mit Anzeigen, und ſo war mir das Leſen der einzige Troſt. Präſ. Was haben Sie für Bücher geleſen? Angekl. Allrlei, beſonders die „Fünfkreuzer-Bibliothek“. Prͤſ. Was ſind das für Romane? Angekl. Zuletzt habe ich geleſen: „Die Geheimniſſe von Neu·Wien.“ Präſ. (das Heft vorhaltend): Ich bin im Beſitze des letzten Heftes, welches die Angeklagte vor Verůbung der That gele ſen hatte. Es iſt hier eine Illuſtralion, darſtellend eine Mutter, die, von ihrem Geliebten verlaſſen, im Begriffe ſteht, ſich das Leben zu nehmen. (Zur Angeklagten gewendet)h: Haben Sie das geleſen? Angekl. Ja. Präſ. Und was dachten Sie ſich dabei? Angekl. Es iſt das Beſte, was ein treulos verlaſſenes Mädchen thun kann. Präſ. Kam Ihnen damals gleich der Gedanke, Ihr Kind zu tödten? Angekl Nein, daran habe ich überhaupt nicht ge dacht; ich wollte nur mich ſelbſt tödten, weil ich das Leben, entehrt und verlaſſen nicht ertragen konnte. Präſ. Was gab Ihnen den erſten Anlaß zu dem Selbſtmordgedanken? Angekl. Der Gedanke kam mir zuerſt, als mir der Guſtab ſagte, er ſei nicht der Vater des Kindes. Prãt Hatte er Veranlaſſung, einen ſolchen Verdacht gegen Sie auszuſprechen? Angekl. (vernichtet): Gewiß, ich kann es mit reinen Gewiſſen betheuern, niemals kam mir auch nur der Gedanke, ihm un— treu zu werden. Präſ. Sit haben den Gedanken ſchon viel früher gehabt, wurden aber wieder ruhiger. Was war die erte äußere Ver anlaſſung, die Sie zur Ausführung des Entſchluſſes drängte ? Angekl. Wir waren der Baumrucker ſchuldig und konn (Fortſetzung auſ der vierten Seite)