Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, May 22, 1872, Image 1

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Sarannah Abend Zei Abend Zeilung. DBrof. C. I. Banſemer. Redakteur. 2. Jahrgang. No. 5. Kette und Einſchlag. Eine Erzͤhlung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter von j I. F. Smith. (Fortſetuna.) ~ Der Sterbende ſchilderte nun in 2 lichſt kurzen Worten die Ereigniſſe jener Nacht. Haben Sie das Geſicht des Morders geſehen?“ fragte der Friedensrichter. „Ja, ganz deutlich.“ „Und es erkannt?“ „Es iſt mir, als ſei ich ihm ſchon begeg net; doch weiß ich nicht wann oder wo „Es waren alſo nicht die Züge eines Bekannten, eines Verwandten oder Freun— des? „Nein, der Mann war mir fremd.“ Dieſe Verſicherung geſchah in vollkommen gutem Glauben, ſofern die rlltemmen dung und die Entfernung des Backenbarts aus Lin einen ganz anderen Mann ge— macht hatten. „Koönnen Sie mir den Inhalt des Paketes namhaft machen?“ fragte der Richter, nachdem er die Antworten des Sterbeuden aufgezeichnet hatte~ Mrs Bentley zitterte heftig; grer Michael Haman berithigte ſie durch einen Händedruck. „Mein Freund Aſhton hat die Liſte,“ ſagte er. „Es beſtand Geld und Werthpapieren.“ „War nicht auch ein Teſtament da— bei?“ „Ja das Teſtament meines verſtorbenen Bruders Gilbert Haman.“ „Glauben Sie, daß dieſes Teſtament mit der Begehung des Verbrechens in Verbindung ſteht?“ Dieſer Frage folgte eine Todtenſtille. „Haben Sie mich nicht verſtanden?“ „Wohl; aber ich muß nachdenken, eh ich auntworten kann.“ Nach einer Panſe fuhr Haman fort: „Ich glaube, der ein— zige Zweck des Mörders war Gewinn. Das Teſtament konnte ihm von keinem Nutzen ſein.“ In Anbetracht des Haſſes, welchen der Sprechen gegen; John Bent ley hegte, und den zu befriedigen ſich hier eine ſo gute Gelegenheit darbot, lag in dieſer Antwort wirklich ein edler Zug. „Haben Sie keinen Argwohn?“ „Argwohn? Mehr als einen,“ ver— ſette Michael ſcharf, denn er begann des Verhors ſatt zu werden. „Aber was ſoll dies? Ein Verdacht iſt kein Beweis, und wenn er ſich nicht begründen läßt, ſo wird er zur Ungerechtigkeit. Ich will daher lieber ſchweigen.“ „Sie haben eine Dienerin?“ „Die Plage meines halben Lebens,“ brummte Haman ungeduldig. „Glauben Sie nicht, daß ſie mit dem Verbrechen in Berbindung ſtehen könnte?“ „Wer Barbara?“ „Wenn dies ihr Name iſt.“ Nein. Sie lügt zwar und maust gerne, aber Schlimmeres kann ich ihr nicht zutranen. Auch war die Thüre meines Schlafgemachs von innen ver— ſchloſſen und verriegelt.“ „Nur noch eine Frage, und ich will Sie nicht weiter behelligen. Sind zwei Schlüſſel zu dem eiſernen Schrank vor— handen?“ Mein „Der unter Ihrem Kiſſen gefundene iſt alſo der einzige?“ 3a Der Beamte war von dem Reſultat ſeines Verhörs wenig befr iedigt und arg— wohnte, daß manches zur Sache gehörige ungeſagt geblieben, hielt es aber nicht für räthlich, weiter in den Sterbenden zu driͤgen, ſondern verabſchiedete ſich nach— dem er ſeine Aufzeichnungen durch Mr. Haman hatte unterſchreiben laſſen. Sobald der Friedensrichter fort war, küßte Mrs Bentley wiederholt die Hand ih res Verwandten. Friedrich ließ kein Wort verlauten; es war ihm, als ſei keine Sprache auszudrücken im Stand, welcher ſchweren Laſt ſich ſeine Seele enthoben fühlte. „Warum ſo? Du haſt mir für nichts zu danken, Marie,“ ſagte ihr Onkel. „Sie haben uns vor Schande bewahrt,“ flüſterte die Nichte. Ich will nicht dergleichen thun, als mißverſtehe ich Dich, aber Du haſt un— recht. Der, dem Deine Gedanken zuge wendet ſind, iſt viel zu tlu und zu be— rechneud, um durch ein Verbrechen ſich der Ahntung des Geſetz es bloßzuſtellen. Ich glaube; wenn er zugegen geweſen waͤre wůrde er mich ſogar vertheidigt ha ben Schlag Dir dieſen Argwohn aus dem Sinn.“ Gott lohne Ihnen dieſe Worte!“ rief das unglückliche Weib. 1 „Häͤtte ich anders gedacht, ſo würde ich ganz anders gehandelt haben.“ Friedrich beharrte in ſeinem Schweigen. Er begriff die Großmuth des Sterbenden“ der dem Herzen ſeiner Mutter Erleichte— rung ſchaffen wollte, und dankte es ihm aus tiefſter Seele. Freilich hatte er keine Ahnung von der mächtigen Veränderung welche in dem Mammonsdiener durch die Hoffnung, ſein Kind in einer beſſeren Welt wiederzufinden, bewirkt worden war. Der Blick der Nichte ging vielleicht tiefer. „Schickt mir Aſhton her,“ ſagte Mi— ſchael in mattem Tone. „Er iſt ein Eh~· ſrenmann, dem ich trauen kann. Verlaßt mich eine Weile und kommnt dann wieder ur mich in meinem letzten Kampfe zu unterſtützen. Er iſt nicht mehr ferne.“ Seine Verwandten gehorchten, und Michael Haman blieb allein mit dem wackeren Fabrikanten, der ſich während der letzten Ereigniſſe ihm als treuer und ineigennůhiger Freund erwieſen hatte. Vierundfünfzigſtes Kapitel „Wie ſteht s?“ rief Lady Auguſta, als Mtrs. Bentley und Friedrich nach dem Wohnſtübchen zurückkehrten. „Iſt es Ihnen nicht gelungen, den alten Mann zu einer Aenderung ſeines Teſtaments zu en ſwegen?“ „Wir haben mit ihm gebetet,“ antwor tete Mrs. Bentley ernſt. Bei dem Worte „Teſtament“ ſpitzte Barbara die Ohren und bemerkte, wenn lihr Herr eins gemacht habe, ſo hoffe ſie auf Berückſichtigung ihrer langen und treuen Dienſte. „Gott allein weiß, was ich durchzumachen hatte.“ „Dienſte? Ja wohl da,“ veſetzte die Gnädige verächtlich, „Ich denke, Ihr ſeid für dieſelben bezahlt worden.“ „Und erwarten Sie nicht auch,“ ent gegnete die Haushälterin, „dafür bezahlt zu werden, daß ſie hieher gekommen ſind nnd ſich wunder wie leidtragend anſtellen während innerlich Ihr Herz jubelt bei dem Gedanken an die Theilung ſeines Geldes? Wenn er nur ſo gut wüßte wie ich, welchen Gebrauch Sie dabon machen werden, ſobald Sie's haben, er, der ſeiner Zeit tobte, wenn man nur einen Schilling unnothig ausgab.“ „Unverſchämtes Weibsbild!“ ſagte die hochgeborene Dame. „Ich bin wenigſtens keine bemalte Puppe wie gewiſſe Lente,“ verſetzte Bar bara mit herausfordernder Ruhe. „Ja, 2 : j machen Sie nur ſtolze Mienen und wilde Blicke; mich ſchüchtern Sie nicht ein da— mit. Wenn mein Herr ſein Teſtament gemacht hat, ſo ſind ſicherlich Sie nicht die Perſon, um deren willen er es ändern wird.“ „Still!“ unterbrach ſie Friedrich. „Lady Auguſta, eine ſolche Unterhaltung muß meiner Mutter ſehr iſchmerzlich wer-· den; ich bitte Sie daher, wenn auch nicht um ihrer, ſo doch um Ihrer eigenen Würde willen ein wenig Nachſicht zu üben.“ „Nachſicht!“ wiederholte ſeine Schwä gerin. „Ja, der Himmel weiß, ſie thut mir noth.“ Der Vorwurf verfehlte jedoch ſeine Wirkung nicht, denn die Gnädige bewahrte fortan ein ſinſteres Schweigen, bis ihr Mann mit einer prächtigen Obſt Corbeille zurückkehrte die er auf ihren Rath zu kau fen ausgegangen war. Barbara grinste und ſprach etwas von einer Wurſt, die man nach der Speckſeite wecfe, während ſie zugleich innerlich wünſchte, ihr Herr möchte den Preis wiſſen, der dafür be zahlt wurde, ein Beweis, daß ſie ſich wei beſſer auf die Würdigung von Charakte— ren verſtand als Diejenigen, welche ſich auf ihre Weltkenntniß etwas einbildeten. „Iſt nach Niemand geſchickt worden?“ flüſterte Gilbert. ; Die Lady ſchüttelte verneinend den Kopf, denn ſie wagte es noch nicht, zu ſore chen. Sie, die Tochter eines Grafen, eine von den Tonangeberinnen in der vorneh— men Welt, in Berührung mit ſo ſchreck lich gemeinen Perſonen! Dazu der friedigende Stand ihres Leibgedings! Wenn Lady Auguſta alles dies zuſam menfaßte, ſo mußte ſie ſich ſelbſt wohl in dem Lichte einer ſehr übel behandelten Perſon erſcheinen. Bringen Sie Mr. Haman dieſe Früchte nebſt meinem liebvollen Gruß,“ ſagte der Lieutenant. Barbara nahm die Corbeille und wollte der Aufforderung entſprechen, begegnete aber unter der Thüre Mr. Aſhton, der ſie abwehrte, und Mrs. Bentley mit ihrem Sohn Friedrich in das Krankenzimmer winkte. ; „Sie gehen nicht nach —?“ ſagte die Lady. „Es iſt mir ja verboten,“ entgegnete ihr Gatte. —7 „Abgeſchmackt! Wenn er ſo iſt, wie ſie ſagten, ſo befindet er ſich in einem ſtand, der ihm keine Aenderung. ſeines Teſtaments mehr möglich macht,“ be— merkte das herzloſe Weib. „Sie hätten ſehen ſollen, mit welchem Blick er ſeine Drohung bgleitetete.“ „Pah, Sie ſind eine Memme, Gilbert.“ „Meinetwegen,“ egtgegnete der Lieute nant, indem er ſich erhob, um ſeinem Bruder zu folgen. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ein Vermögen aufs Spiel zu ſetzen, ſo ſehe ich nicht ein, wa— rum ich ſorglicher ſein ſoll.“ Aber die Gnädige wollte doch nichts auf s Spiel ſetzen; ſie unterdrückte daher lihre ůble Laune und entſchied ſich .dafür, daß ihr Gatte bleiben ſollte. Ein Ausdruck von Freude blitzte über das Geſicht des Sterbenden, als er ſeine Nichte und ihren jüngſten Sohn er— tkannte. Er reichte Beiden die Hand hin. „Laßt mich ſprechen, ſo lange ich noch Kraft dazu habe,“ ſagte er. „Es halt lſchwer, die Bande der Welt abzuſtreifen; ſie haften der ſcheidenden Seele wie ein Ausſatz an. Friedrich, Sie werden bald Savannah, Ga., den 22. Mai 1872. ein reicher Mann ſein. Keinen Dank; il kaun ja doch nichts mitnehmen. Ma— chen Sie von meinem Geld einen heſſtten Gebrauch als ich, und wenn Sie im Lauf der Jahre mit Solchen zuſammentreffen, gegen die ich hart geweſen bin, ſo beneh men Sie ſich großmüthig gegen ſie.“ „Ihr Wunſch ſoll mir ein heiliges Ver· mächtniß ſein,“ entgegnete der Jůngling. „Dann möchte ich noch eine Munt leiſten. Ich habe meinen dcgoo vollſtrecker, Mr. Aſhton, ermächtigt aus der Bank zehnkauſend Pfund zurückzu ſziehen. Sie ſollen nie fragen, zu wel chen Zwecken er ſie verwendet.“ „Ich habe kein Recht dazu.“ Noch eine Bitte, und ich bin fertig. Laſen Sie mich neben meinem Kinde be— graben keinen eitlen Pomp, keinen Stein, um meine Ruheſtätte zu bezeichnen. Ich will in aller Stille und Einfachkeit zu Grab gebracht werden, wie es einem Sünder ziemnt. Marie, Deine Hand. Ich nenne Dich jetzt bei Deinem Namen denn ich werde bald die wahre Alice ſehen. Betet ihr Beide mit mir; laßt mich noch einmal die Stimme des Gebets hören. O, wie lange habe ich dies vernachläſſigt! Aber mein Inneres ſagt mir, es gibt Gnade für den Renigen, und wie Du ſagteſt, Marie, das Lächeln meines Kindes wird mich jenſeits des Grabes willkommea heißen. In dieſer Hoffnung habe ich gerungen mit meiner Rachſucht und den Sieg davon getragen. Möge der Himmel das Opfer, wie unvollkom— men es auch iſt, annehmen.“ So lange noch Leben vorhanden war, bewegten ſich die Lippen des Sterbenden im Gebet, und er verſchied mit dem Na— men ſeiner Tochter auf den Lippen. Friedrich erhob ſich von ſeinen Knieen, machte die Hand ſeiner Mutter los aus der des Todten und führte ſie aus dem Gemach. „Iſt Alles vorüber?“ fragte ſein Bru— der. 3n. Gilbert zog nun aus ſeiner Taſche eine Stange Siegellack und verlangte Licht. „Wozu?“ fragte Barbara. „Um Alles zu verſiegeln,“ lautete die ſdie Antwort. „Ich bin der älteſte Bru— der Entrüſtet über dieſe Herzloſigkeit wandte ſſich Mr. Aſhton ab. Zu jeder andern Zeit würde er bloß gelächelt haben. „Verſiegeln?“ wiederholte die Haushäl terin. „Mein Himmel, es gibt da nichts verſiegeln als Tiſche und Stühle. Der ganze Hausrath bringt keine Hundert Wund ein. Oder wollen ſie etwa auch mein Zimmer verſiegeln?“ „Das iſt ein ſehr ungewöhnliches Ver fahren, bemerkte der Fabrikunt. Ohne auf dieſen Verweis zu achten, machte der Lieutenant in ſeinen Operatio— nen fort, als ob er nichts gehört hätte. „Sehr unzart,“ fügte der Sprecher bei „und ich verbiete es —“ „Sie mein Herr und mit welchem Recht ?“ rief Lady Auguſta, die ſich des vermeintlichen Triumphes über ihre Schwiegermutter und ihren Schwager freute. „Einfach deßhalb, weil ich Teſtaments vollſtrecker bin,“ lautete die Antwort. „Haben Sie das Teſtament?“ fragte 6iln haſtig. „Es liegt in der Bank von Mancheſter.“ Ein geringſchätziges Lachen folgte dieſer Erklärung. „Es wird zur rechten Zeit vorgezeigt werden fuhr der Sprecher fort. „Inzwi— ſchen handle ich kraft einer von Ihrem Onkel eine Stunde vor ſeinem Tode un— terzeichneten Vollmacht, welche Ihren Bruder und mich in den Beſitz von Al. lem ſeht.“ „So ſpät muß er unfähig geweſen ſein eine ſolche Urkunde auszuſtellen,“ rief Gilbert, blaß vor Zorn und Aerger. „Icbh laſſe mir meine Rechte nicht verkümmern.“ „Ja,“ pflichtete Lady Auguſta bei, „ſchicken Sie nach Ihrem Advokaten, nach der Polizei, rach irgend Jemand, der dieſe unverſchämte Einmengung hindern kann. Holt den Inſpektor,“ fuhr ſie ge gen Barbara fort, „den Mann, der mit dem Friedensrichter hier war.“ „Thun Sie's ſelber,“ verſetzte die Haus. hälterin. „Soll ich gar zur Verſiegelung meiner Habſeligkeiten behülflich ſein!“ „Wären Sie mit mehr Ruhe ich bedaure, beifügen zu müſſen, mit mehr Anſtand verfahren, Herr Lieutenant,“ ſagte Mr Aſhton, „ſo hätte weder Ihr Bruder noch ich etwas dagegen gehabt, ihr Siegel neben den unſerigen anzulegen ſo aber erhebe ich entſchieden Einſprache.“ Mehr wie ein Tollhäusler als wie ein ſeiner Sinne mächtiger Menſch ſtürzte Gilbert, ſeine Frau als Wächterin zurück laſſend, aus dem Zimmer, und kehrte bald nachher mit einem Polizeiſergeanten zurück. Friedrich hatte inzwiſchen mit Mutter den Schauplatz des unwürdigen Streites verlaſſen. Der Sergeant, ein erfahrener Mann, erkannte ſchnell, auf welcher Seite das Recht war, und lehnte es trotz aller Droh ungen ab, ſich einzumengen. „Melden Sie mich immerhin,“ ſagte er 3ch habe nur meine Pſlicht gethan.“ „Pflicht?“ wiederholte Lady Auguſta. „Steht es in Ihrer Inſtruktion, zuzuſehen wie mein Mann beraubt wird?“ „Dieſer Herr ſieht nicht wie ein Dieb ans, “ bemerkte der Beantte lächelnd. „Aber ich ſage Ihnen, ich bin der äl tere/Bruder.“ /Was geht dies mich an?“ Und ohne Zweifel der Erbe des größ—- tentheils von ſeines Onkels Vermögen,“ fuge die Lady bei. Hei dieſer pomphaften Ankündigung ſzuqte der Sergeant nur die Achſeln ~ wollen Sie denn eigentlich von ſmif fragte er. S ſollen mich in den Stand ſetzen, das Eenthum hier mit Siegel zu bele— gen.“ „s iſt nichts da, was des Verſiegelns werth wäte,“ ſagte Barbara. „Ich bin nicht befugt, mich einzumen geu,“ erklͤrte der Beamte. Benehmen Sie ſich lieber mit einem Advokaten. Dieſer Hert hier,“ er deutete ans Aſhton „ſcheint mir die Perſon zu ſein, die zum Handeln berechtigt iſt. Er hat eine Voll macht —“ „Die ich beſtreite,“ unterbrach ihn Gil bert. „Als mein Onkel unterzeichnete, war er unfähig, eine Urkunde irgend wel cher Art auszuſtellen.“ Da alle dieſe Vorſtellungen nicht ver fingen, ſo ſah das ehrenwerthe Paar ſich genöthigt, vor dem wackern Fabrikanten das Feld zu räumen. Am folgenden Morgen ſuchte Gilbert den Rechtsfreund ſeines Vaters auf. Mr. Twiſſelton war eben von Manche ſter zurückgekommen. Obſchon noch ſehr ermüdet, ſchenkte er doch den Mittheilun— gen, welche ihm der Sohn ſeines alten Klienten zu machen hatte, aufmerkſames Gehör. „Ich habe in einer Bahnhofreſtauration den Artikel über den Mord geleſen,“ ſagte er. „Ich glaube, Mr. Haman war reich?“ „Ungeheuer. Und ich bin der älteſte Neffe.“ „Neffe, ſagten Sie?“ „Großneffe es kommt auf eines her—- aus; oder nicht?“ „Nicht immer,“ verſetzte Mr. Twiſſel ton lächelnd. „Iſt der Raub bedeuntend?“ „Das weiß ich nicht.“ „Banknoten Werthpapiere ohne Zwei fel. Sonſt nichts?“ „Ein Teſtament, glaube ich.“ „Das des Mr. Gilbert Haman?“ „Mein Vater wird Ihnen geſagt haben, lin welcher ſeltſamen Weiſe es zum Vor ſchein kam?“ „Sie können ſich denken, daß mein werthgeſchätzter Klient nur wenig Geheim niſſe vor mir hatte,“ entgegnete der ſchlaue Advokat. „Aber wie kommts daß er keine Schritte dagegen thut? Als der Gatte der Nichte des Verſtorbenen hat er unzweifelhaft das Recht dazu.“ (Fortſetzung folgt.) úbÿ A Sittenbilder aus Neu- und Alt-England. Die böſen Geiſter im Damenſalon. Wer in der engliſchen Zeitungowelt nur halbwegs bewandert iſt, der weiß, daß die „Saturday Review“ ein allgemein geach tetes, durch ſein Alter ſowohl als durch den ſtrengen Ernſt ſeiner Grundſätze zu einer ehewürdigen Autorität gewordenes Wo—- chenblatt iſt. Der Geſellſchaft gegenüber nimmt dieſes, am häußlichen Herde John Bull's ſeit ſo langer Zeit eingebürgerte Organ die Stellung ein, welche etwa eine impoſante Greiſin, eine Großmutter oder alte Tante in manchem Familienkreiſe be anſprucht, indem ſie ſtrenge Cenſur übt über das Thun und Laſſen aller Mitglie der des Hauſes und ihren rle Wahrſpruch fällt über die Frage, was da ſchicklich ſei und was nicht. Vielleicht haben viele Leſer noch jenen intereſſanten, in deutſche Blaͤtter übergegangenen Arti— kel im Gedächtniß, worin Tante „“atur day Review“ den „reſpeetablen“ britiſchen Matronen, jungen Frauen und zarten Miſſes gehörig den Text las, wegen der ungebührlich vielen,Tropfen u. Elixire“, vulgo „Schnäpschen“, welche dieſen ächten Töchter Alt·Englands den Tag hindurch über ihre mehr oder minder roſi gen Lippen gleiten laſſen. Der Sachver—- halt war unbeſtreitbar, und ſo konnte eine erfolgreiche Appellation gegen das Verdiet nicht aufgebracht werden, wodurch die geſtrenge Cenſorin den „Schnaps“ als durchaus unverträglich mit dem „Salon“ erklärte. · Eine Ausrede gab es nur, eine recht ſchlechte freilich, aber dafür auch ſehr häufig gebrauchte. Wie oft kommt es nicht vor, daß Jemand eingeſtehen muß, daß er Mängel habe, dann aber mit Ueberzeu— gung ſagt: „Bin ich denn allein ſo ſchlimm; haben Andere nicht dieſelben oder noch abſcheulichere Fehler ?“ So mögen auch die in ihrem Selbſtge fühl gekränkten Töchter Albion's gefragt haben und man muß ihnen die Gerechtig— keit widerfahren laſſen, daß ſie guten Grund hatten, die Frage zu ſtellen, denn die Antwort, welche aus Amerika, d. h., aus den Neuenglandſtaaten kam, ſtellte die Sachlage in ein anderes Licht, ſo zwar, daß der tlefſte Schatten der Alkohollieb haberei nicht auf die ſtolzen Britinnen, ſondern auf ihre transatlantiſchen Couſi nen fällt. Hoören wir nur einige Sätze aus einem wahrhaften „„Leid“ · Artikel des leitenden amerikaniſchen Blattes, der „New Yort Tribune“, welche die An· klage der Zabnerday Roview“ und den beſtätigenden Arkitel der mediziniſchen Zeitſchrift lhe Landet“ über die Gefähr-· lichkeit der Damenſchnähe beſpricht und dann fortfährt: „Wie ſteht aber die Sache bei uns (in Amerika)? Da derrſcht eine ſolche Ritterlichkeit gegenüber deit Damen, daß die Behauptung, es könne unter den Yankeeladies auch ſchoöͤne Trunkenboldinen geben, nur auf Entrüſtung und Wider ſpruch ſtoßen kann. Das hindert aber nicht, daß gewiße Thatſachen vorhanden ſind, welche der Preſſe und Kanzel Stoff genug zum Predigen liefernt. Man frage einen Arzt; er wird nur zu wohl wiſſen, auf was wir anſpielen. Er weiß, daß unſere Irrenhäuſer kanm mehr die weib lichen Patienten beherbergen können, welche dort Heilung für die entſetzliche Krankheit des Säuferwahnſinns ſuchen. Im Staate New York und in Pennſylva— nien hat man neuerdings Anſtalten dieſer Art errichten müſſen und ſie ſind ſchon bis unters Dach gefüllt mit Damen, welche theilweiſe den höchſten Kreiſen un ſerer Geſellſchaft angehötten. Die faſhio— nable Amerikanerin trinkt an ihrem ei— genen Tiſche oft Weine von ſolcher Stärke, daß ihre eunropäiſche Schweſter kaum wagen würde, daran zu nippen. Ferner verſteht ſie,„to mix her iquors“, ſie ůbt ihren feinen Kennergaumen an allerlei Champagnerſorten und braut ſich einen delikaten römiſchen Punſch; und das Alles hin ihren vier Wänden, ſie mit ihrer lym— phatiſchen Conſtitution, unter klimatiſchen Einflüſſen, welche Alkohol für den ſtärk— ſten Mann zu Gift machen können. Geht aber die Liebhabern des Verkehrs mit böſen Alkoholgeiſtern ans, ſo weiß ſie eine ſtille Damenkneipe (sit venia vorho) zu finden, wie es ja bekanntlich in den Küſtenſtädten deren viele giebt, unſchein bare Aſyle von ſo modeſtem Anſtrich, daß ein Herr ſich kaum verſucht fühlt, einzu ſtreten, und hier findet ſie Geſellſchaft von anderen reſpectablen Damen, welche zu ſammenkommen, um einige Tröpfchen Spirituoſen zu ſchlürfen, zu denen ſie da— heim wahrſcheinlich nicht gelangen können. Hier reift jene mania-a-potu ſtille heran, welche nachher in die oben erwähnten trau— rigen Anſtalten führt. Noch im letzten Winter kamen mehrere Todesfälle durch elirium dtremens vor, welche nicht etwa Weiber aus den niederſten Claſſen betra— fen, ſondern zum Theil junge, wohlbegabte und liebenswürdige Mädchen aus der Zahl unſerer wohlerzogenen, au feine Le— bensweiſe gewöhnten Damen. Es iſt das eine häßliche, kaum glaubliche und den— noch unbeſtreitbare Thatſache. Wäre es nicht von äußerſter Wichtigkeit, dieſe ſoeciale Wunde ins Auge zu faſſen, wir würden nicht den Schleier davon wegziehen.“ So lautet die Anklage des großen Yankeeblattes gegen die eigenen Lands— männinen, freilich weiß die Tribine auch mildernde Umſtände vorzubringen. Er— ſtens ſagt ſie, ſei es die Haſt und das wilde Wettringen des Erwerbs, welche das amerikaniſche Leben charakteriſiren, ſwas ſchädlich auf die Geſundheit der Frauen wirke, deren Nerven·Organiſa-~ ſtion ſie zum Gebrauch künſtlicher Stimu— ſlanzen treibe. Schon der Säugling werde ſmit Syruptränkchen eingelullt, das kränk— liche Schnlmädchen erhalte zur Stärkung ſſpät und früh,„Tropfen“, und für erwach— ſene Frauen würden von den „Elexier“ ſund „Tonie“ · Verkäufern allerlei Trink— waaren ausgeboten, welche angeblich keine Spur vou Aleoholbeimiſchung haben, in der That aber ſehr berauſchend zu wirken pflegen. Opium wird ebenfalls in unge—- ahntem Maßſtabe von Damen conſumirt. Eine Reaktion gegen dieſe heilloſe Neigung iſt allerdings bemerkbar; in vielen guten Häuſern von New York und Waſhington ſchränkt man den Genuß von Spirituoſeu aufs Aeußerſte ein. Dabei aber iſt die Zahl der champagnerkundigen Matronen doch eine betrübend große und gar manche reizende junge Mädchen ſcheinen zu glau—- ben, daß ſie das Herz eines Mannes nicht ſicherer erobern könnten, als wenn ſie Bachantinnen gleichen. Jedermann hegt insgeheim das Ideal eines Mädchen unter einer Mutter in ſeinem Innerſten; und ein weibliches Weib, ſtehe ſie am Waſch—- ſzuber, auf dem Maktplatz oder auf der Bühne kann ſeine Neigung zum „Ewig Weiblichen“ nicht zerſtören. Aber die junge Schöne im Ballſaal, welche halb~ hentblößt in wildem Tanze mit unnatür— lich geröthetem Antlitß umherwirbelt und ſaus ihrem Munde einen fuſelgeſchwän— gerten Athem aushaucht Puh! „Guter Apotheker, gib' dem unſeligen Juͤngling eine wohlſchmeckende Lattwerge, daß er ſeine verſalzene Einbildungskraft wieder verſüßen könne!“ Mit dieſem etwas ameri— kaniſch riechenden Witz ſchließt die Tri huns ihr Klagelied. Wie ſtehen nun Englands Frauen da? Können ſie aufathmen und die Moraliſten nach Amerika verweiſen? —lm erſten Augenblick des Erſtarrens über die Ent—- hüllungen von jenſeits des Meeres mag der Sittenrichter geneigt ſein, die geringere Sündhaftigkeit bei dem zarten Geſchlechte Albions zu finden; aber dieſe im Tadeln Arion t alte „Saturday Review“ bringt ſofort ein neues und ſehr heikles Thema der Anklage wider die engliſche „reſpektable Geſellſchaft“ aufs Tapet. Sie lthut es in einem Artikel, der in freier Be I. Stern, Herausgeber. Laufende Nummer 57. arbeitung als Nr. 2 hier folgen mag u. den das engl. Wochenblatt ſelbſt überſchreibt: Schöne Harpyen. Was unter einer Harpye (oder Harpyie) im Alterthum verſtanden wurde, weiß der geneigte Leſer aus der Schule oder aus dem Converſationslexikon. Man verſtand darunter „raubende Sturmgöttinen“ welche den verirrten Seefahrer in den atund des Meers, in den das Schat ſtenreich umfluthenden Oceanus zogen. Wer und was aber eine ſchöne Harpye im Sinne der „Zaturday Reviow“ iſt, möge das Blatt ſelbſt ſagen : Einfach eine junge „Matrone“, welche ihren Beruf verfehlt hat. Wäre ſie ledig geblieben, oder hätte ſie ſich unter einem glücklicheren Sterne verheirathet, der Inſtinkt des Bente— Aufſpürens würde in ihren Buſen nie ſo beunruhigende Dimenſionen angenommen haben. Im erſteren Falle wäre das Gift vielleicht in jenem kleinlichen Paraſiten thum erſtorben, welches man alten Jung— fern zu Gute halten muß; im andern Falle aber hätten wohl die edleren Triebe der Gatten- und Mutterliebe den böſen Keim unterdrückt; wie ſie nun aber in Wirklichkeit daſteht, erſcheint ſie als ein Weſen, bei welcher die Ehe den Aneig— nungstrieb nur noch krankhafter entwi— ckelt hat. Zu freien und ſich freien zu laſſen, iſt im neuen Teſtament als nichts unerlaubtes bezeichnet, ſomit findet ſie in dem ehelichen Verhältniß einen ganz an ſtändigen Deckmantel für Dinge, die nichts weniger als bibelgemäß ſind. Häuslich keit, trauliches Stillleben, daheim, ſind für ſie Märchen. Ihr Mann iſt ein Geck, ein Mr. Dummy, ihre Kinder ſind unſicht bar. Für's Leben an einen Mann gebun— den, der die Geſchmacksbildung eines Da menſchneiders mit der proſaiſchen Seele eines Cith-Aldermans vereinigt, muß ſie ſich auswärts erluſtigen oder vor,„onnni“ ſterben. Allmälig aber iſt die Koketterie bei ihr aus einer Zerſtreuung ein Geſchäft geworden. Es gab eine Zeit, da noch ein Schatten von Zartgefühl in ihren Lie beleien (llirtations) war; aber dann folgte eine Periode, in welcher ſie ſich von den jungen Fähnrichen irgend eines Regiments vergöttern ließ und jener kleinen Schwäche für „buntes Tuch“ freien Lauf ließ, von welcher die Großherzogin von Geroldſtein ſo offenherzige Bekenntniße ablegt. Schon in jener erſten Zeit ihres Ehelebens hatten die Zungen der Nachbarinnen Anlaß ge— nug, ihre häufigen Ausfahrten in Beglei tung militäriſcher Gentlemen gehörig zu verarbeiten; nachdem ſie aber an der ho—~ hen Schule Cupido's mit ſo vieler Aus— zeichnung ihre Grade erworben hatte, fand ſie ſich auch berufen, den Horizont ihrer Galanterien zu erweitern und mit der le— bensluſtigſten jungen Patrizierin in mun terem Treiben und rauſchendem Auftreten zu wetteifern. Die allzugeſunden Formen und Farben ihrer Schönheit, welche die jungen Fähnriche ſo unwiderſtehlich ge— funden hatten, mußten nun auf einen et was gemilderten und „intereſſanteren“ Ton herabgeſtimmt werden, „m das kri tiſche Auge blaſirter Beobachter und ſelbſt gefälliger Dandies zu befriedigen. Ein zarteres Colorit haben nun ihre Wangen, einen goldeneren Schimmer ihre Locken fülle aufzuweiſen. Mit dieſer eigenthüm— lichen Entwicklung ihrer Schönheit trifft aber auch eine Anſchwellung ihres Ausga— bebudgets zuſammen. Herr Dummy's Einkommen iſt jedoch beſchränkt, und wenn ſein ſtumpfes Gemüth irgend des Gefühls einer Abneigung fähig iſt, ſo iſt es die, ſeines Weibes Putzrechnungen zu bezahlen. In der Verlegenheit um die Mittel zur Befriediguug ihrer zügelloſen Sucht, zu genießen und Anſſehen zu ma— chen, iſt unſere Heldin zu dem Entſchluſſe gelangt, ſich in die Reihen der „Harpyen— Zunft“ aufnehmen zu laſſen. Abnehmer der Liebenswürdigkeiten einer „Harpye“ ſehen ſich auf einen Waarentarif angewieſen, welcher mit einem bedeutſamen Blicke ſchöner Augen beginnt und mit einer confidentiellen Entrevue endet. Gefühl, ſelbſt ſolches Gefühl, wie es einſt die ungeſchliefenen Edelſteine in Fähnrichsuniform einflößten, hat mit den Transaktionen Hapye längſt nichts mehr zu ſchaffen; es handelt ſich nur uni ein Marktgeſchäft wohlverſtanden um ein ſolches, das unter möglichſter Scho— nung der geſellſchaftlichen „Vorurtheile“ durchgeführt wird. Wie ein britiſcher Wähler in einem wegen Beſtechlichkeit berüchtigten Wahl-~ flecken bei dem Gedanken an die Befriedi gung ſeiner Wünſche ſtets auf den Wahl—- kandidaten rechnet, ſo zählt auch die ſchöne „Harphe“ immer auf ihren „Mann im Mond“ (ſo lautet der terminus toechni cus fůr den ſteuerpflichtigen Anbeter)wenn ihr ein Diamantenhalsband oder ſonſt ein verlockendes Kleinod in die Augen ſticht. Hat der „Mann im Mond“ nicht unbe ſchränkten Credit beim faſhionableſten Juwelier? Und wenn ſie ein Kleid nach der neueſten Mode bedarf, iſt er nicht im Stande, ſofort die Feenfinger der Königin aller Modegeſchäfts· Direktricen in Bewwe gung zu ſetzen, damit im Augenblick eine Robe vollendet ſei, die ihn nur eine Klei nigkeit, wie 50 Guineen, koſtet? Schön gekleidet, will man auch ſchön wohnen; nun hat die ſchöne „Harpye“ nebſt ihrem ſHrn. Dummhy eine recht faſhionable Villa linne, aber das Gerücht will wiſſen, daß (Kortſetzung auſ der vierten Seite)