Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, May 29, 1872, Image 1

Below is the OCR text representation for this newspapers page.

Savannah Abend Zeilung. Brof. C. I. BWanſemer. Redakteur. 2. Jahrgang. No. 6. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter von I.F. Smith. (Fortſetzuna.) „Leider iſt mein Vater nicht in London und hat auch weder ſchriftlich noch durch ſeine Bedienung Auskunft über ſeinen Aufenthalt zurückgelaſſen.“ „Wirklich?“ Der Advokat ſprach die— ſes Wort ſo ruhig, daß Niemand die Ueberraſchung, er bei dieſer Mit theilung fühlte, errathen haben würde. „Vielleicht kͤnnen Sie uns ſagen, wo er iſt,“ fügte Gilbert bei. „Im Augenblick nicht; aber ich werde wahrſcheinlich bald von ihm hören. Doch verſtändigen wir uns zuvörderſt Eines nach dem Andern.“ „Nach Ihrem Belieben.“ „Was wünſchen Sie von mir?“ „Daß Sie ſich nach der Wohnung mei nes verſtorbenen Verwandten begeben.“ „Gut „Und ſich überzeugen, ob das Papier oder die Vollmacht, wie ſies nennen, welche Mr. Aſhton in Beſitz ſetzt, wirklich gültig iſt.“ „Ich verſtehe.“ „Meine Einrede gilt nicht ſo faſt Mr. Aſhton, als meinem Bruder.“ Sehr natürlich,“ bemerkte Twiſſelton. „Brüder ſind bisweilen gar unbequeme Perſonen.“ „Der meinige iſt die Argliſt ſelber,“ fuhr Gilbert Bentley fort. „Sie können ſich nicht vorſtellen, wie er ſich einzuſchmeicheln wußte. Aber ich denke, Sie ſind der Mann für ihn.“ „Möglich“ „Ich bitte, neine Intereſſen thunlichſt in Acht zu nehmen.“ „Das heißt, ich ſoll für Sie handeln?“ ; Mr. Twiſſelton nahm ſeine Inſtruktio nen entgegen, dachte eine Weile, während welcher er ſeltſamer Weiſe mehrmals nach dem Zeitungsbericht über den Mordlgriff, über die Sache nach, kleidete ſich an und brach nach der City auf. : Fünfundfünfzigſtes Kapitel Mr. Twiſſelton war keine von den Perſonen, die mit geſchloſſenen Augen und Ohren durch die Welt gehen, ſondern beſaß in hohem Grade die Gabe der Beo— bachtung; auch wußte er das in ſolcher Weiſe geſamelte Material, wie unbedeu— tend und werthlos es auch für den Au genblich zu ſein ſchien, gleich Waffen in einer Rüſtkammer ſo geſchickt zu ordnen und zu klaſſifiziren, daß die Einzelnſtücke ſchnell für den Gebraunch parat waren. Wie die meiſten Angehörigen ſeines Be~ rufes hegte er nür eine geringe Meinung von ſeinen Nebennenſchen, ein Reſultat, über das man ſich nicht wundern darf, weun man bedenkt, welche tiefen Blicke in die Herzen ihm ſeine Praxis geſtattete. Wie viele Masken mußten in ſeinem Bu— rean fallen; Triebfedern und Leidenſchaf ten unterlagen in gleicher Weiſe ſeinem geiſtigen Zergliederungsmeſſer, das er mit der Ruhe eines Naturforſchers zu haudhaben wußte. Ob er ſolche Studien nicht eher aus Liebhaberei als um des Gewinns willen betrieb, war ein in ſeiner Bruſt verſchloſſenes Geheimniß; wir möch ten es aber faſt glauben, da ſich ſonſt der Eifer, mit welchem er ſie ſelbſt dann noch verfolgte, als ihm bei ſeinem errungenen Reichthum und ſeinen einfachen Bedürf niſſen ·weiterer Gelderwerb nicht mehr von Werth ſein konnte, kaum erklären läßt. Allerdings forderte er hohe Hono rare, aber er that dies uach den Regeln des Spiels. Seltſamer Weiſe war der Geiſt des ſchlauen Advokaten auf dem Weg nach der Ciy weit mehr mit den Einzelnzügen des Raubmords, aͤls en omenen ren Zweck ſeines Beſuchs beſchäftigt. Der trogiſche Vorfall nahm in dermaßen in Anſpruch, daß er nicht bemerkte, wie eine hübſche, wohlgekleidete Frauensperſon, augenſcheinlich in der Abſicht ihn anzure den, io ihm näherte. Er würde an ihr vorübergegangen ſein, wenn ſie nicht ihre Hand auf ſeinen Arm gelegt hätte. Er fuhr aus ſeinen Träumen auf und erkannte John Bentleys Haushälteriu, gewöhnlich nͤt die Maͤdamt genannt. „Bitte tanſendmal um Verzeihung,“ ſagte der Advokat. „Ich muß geträumt Aben. : „Auf der Straße?“ Man träumt bisweilen wachend,“ verſetzte der Rechtsgelehrte lächelnd. Wo iſt Mr. Bentley?“ fragte Ma— dame. Mr. Twiſſelton betrachtete die.Frage rin aufmerkſam; ſie hatte augenſcheinlich geweint, und ihr Geſicht war roth vor Aufregung. ; „Das weiß ich in der That nicht,“ ver— ſetteer „O; Sie wollen es nitr nicht ſagen.“ Sie irren. Ich habe ihn ſeit drei Ta gen nicht geſehen. Wahrſcheinlich iſt er in Geſchäften auswärts.“ „Za wohl in Geſchäften!“ unterbrach ihn Madame. ——— „Weßhalb ſonſt?“ Dies war eine ſo offene Ausholfrage, daß der Advokat un bſter anderen Umſtänden ſie kaum geſtellt haben würde; aber ein leidenſchaftliches Weib iſt ſelten auf der Hut. „Wegen einer abſcheulichen Intrigue,“ entgegnete das Frauenzimmer mit ſich ſteigernder Gereiztheit. „Aber ich will der Sache ſchon auf den Grund kommen.“ „„Eiferſucht,“ dachte Mr. Twiſſelton. 1 „Es iſt herzlos, grauſam, ſo das Haus ; zu vberlaſſſſen,“ fuhr die Sprecherin fort, ohne ein Wort der Erklaͤrung. AÄber das ſieht den Männern gleich.“ „Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken e ſdaß ich nur Mr. Bentleys Rechtsfreund, Inicht aber ſein Berather in Liebesangele genheiten bin, wenn ſichs anders um ſolche handelt.“ „Wenn wenn!“ wiederholte Ma— eſdame. „Hab' ich nicht ſelbſt ein Kleid für die Kreatur kaufen müſſen er ſagte es ſei für eine altliche Perſon und einen Shawl, gelb und grün? Dieſer Ge—- ſchmack!“ ,„Wahrſcheinlich ein Präſent für eine alte dienende Perſon,“ ſagte Mr. Twiſſel~ ton begütigend. „Mr. Bentley iſt nicht der Mann, der taltern Weibern Geſchenke macht,“ erwi— derte die Haushälterin trocken. „Aber ich bleibe nicht mehr bei einem Menſchen, der ſich in einer ſolchen Weiſe wegwirft. Mein eigener Ruf könnte darunter leiden. Glauben Sie nicht?“ „Ich verſtehe mich nicht auf ſolche Dinge,“ ſagte der Advokat, ſie mit einem halb komiſchen, halb ernſten Blick betrach~ ſtend; „aber möglich wäre es wohl.“ Ma— dame erröthete bis über die Schläfen. „Indeß wird die Welt nicht gar ſo ſtreng ſein,“ fuhr er fort. „Verlaſſen Sie ſich darauf, Ihr Zartgefühl hat ſich ohne Grund beunruhigt.“ „Meinen Sie wirklich?“ tJa. Mr. Bentley beſitzt zu viel Takt um Sie Geſchenke für eine Geliebte, wenn er eine ſolche hätte, einkaufen zu laſſen.“ „Wenn ich nur auch ſo denken könnte,“ murmelte die Hanshälterin. „Was war es deun für ein Kleid, das gekauft wurde?“ „„Ein ſchwarzſeidenes.“ „Ein wunderliches Präſent für ein j un— ges Frauenzimmer. Und der Shawl?“ „Gelb und grün,“ verſetzte Madame lhaſtig, „ein flitterhafter, gemeiner Fehzen, der nur für einen Dorfjahrmarkt paßt. Mr. Bentley ſchien beſonders erpicht auf dieſe Farben zu ſein.“ „Verlaſſen Sie ſich darauf, daß meine herſte Anſicht die richtige iſt. Ein Ge— ſchäft hat ihn fortgeführt kann mir's halbwegs denken.“ Mit dieſen Worten lüpfte der Advo— kat ſeinen Hut und ging ſeines Weges. ,„Ich will hoffen,“ ſprach er vor ſich hin, „daß mein Klient nicht zu viel von ſeinen Geheimniſſen dieſer Haushälterin anver— traut hat. Sie iſt eine von jenen leiden ſchaftlichen Naturen, die zu Allem fähig ſſind.“ Seit Michael Haman's gewaltſamen Tod war die alte Barbara eine wichtige ſPerſon geworden. Zeitungskorreſpon· denten, die frůher nie ihren Namen ge hoͤrt, fühlten ploötzlich ein unwiderſtehli. ches Verlangen, ihre Bekanntſchaft zu machen; gute Freunde und Gevattern ſerinnerten ſich, wie lange ſie ſchon die ·Dame nicht mehr beſucht hatten, und er—- ſchienen in dem Haus des Gemordeten, „ohne Zweifel angezogen von dem eigen— thümlichen Zauber, den das Geheimniß volle und Schreckliche ſtets auf gemeine Geiſter übt. Zwar hatte Mr. Aſhton der ·armen Barbara das ſtrengſte Schweigen eingeſchärft; aber für eine Perſon ihres Schlags war es eine harte Aufgabe, eine ſo ſchoöͤne Gelegenheit, ihrer Zunge den Lauf zu laſſen, nicht benützen zu ſollen, ;ſund wir wiſſen nicht, wie lange ihre Wi-~ derſtandskraft gegen eine ſolche Tantalus— qual nachgehalten haben würde, wenn ihr nicht die Schickſaalͤmächte zum Lohn fůr lihre Selbſtberläugnung ihre Schweſter, ldie Mutter eines jungen Mannes zuge-~ ·ſchickt hätten, bei dem von der wohlwol— ſtenden Tante ein Aushülfskapital von zweihundert Pfunden zu zehn Prozent an— ; gelegt worden war. „ Das Zuſammentreffen der beiden Weibs perſonen erleichterte vielleicht nach dem-~ ſelben Geſetz, nach welchem der Blitzablei ter die elektriſche Materie anzieht und Gewitter zerſtrenen hilft, die ůberladene Bruſt der geſchwätzigen Haushälterin. Ein mächtiger Wortſtrom in Fragen und Antworten, eine wahre Sündfluth von Vertrauen nahm faſt eine Stunde in An— ſpruch bis endlich in ſchwächeren und ſchwächeren Entladungen Erſchöpfung ein trat. „Mich nimmts gar nicht Wunder,“ ſagte der Recipient von ſo vielen ſchreckli ſchen und ſeltſamen Dingen, „daß Dein Herr .ein ſo unvorhergeſehenes Ende ·ſnahm nachdem er ſtets wie ein Geihale Geld zuſammengeſcharrt hatte. Laß Dir's leine Warnung ſein.“ „Ich habe kein Geld zuſammenzuſchar— ſren,“ verſetzte Barbara die ſolche Anſpie lungen namentlich von Verwandten ſehr r ſübel vermerkte. „Und wenn ich's auch hätte, ſo wäre ich nicht ſo cinfältig, es r »mir zu behalten “ ~ geer eine Als die Schweſter ſah, d~ Savannah, Ga., den 29. Mai 1872. falſche Saite angeſchlagen, wechſelte ſie geſchickt den Gegenſtand der Untethal tung, indem ſie fragte, ob der Mörder nicht ; ergriffen worden ſei. „Nein; und ich glan be auchznicht, daß ſman ihn kriegt, obſchon auf ſeine Habhaft „ſwerdung zweihundert Pfund geſetzt ſind.“ „Ach, wie gut würden mir die kommen. Wenn ich nur wüßte, wo er zufinden wäre. Hat nicht Mr. Haman ein Teſtament hin ; ſterlaſſen?“ fügte die Schweſter in ein „ſchmeichelndem Tone bei. „Er hätte doch für Dich ſorgen ſollen.“ „Will's meinen,“ verſetzte Barbara mit Nachdruck, „denn bin ich nicht die beſten Jahre meines Lebens die Sklavin ſeiner Launen und ſeinem Kind eine zweite LMutter geweſen? Aber freilich, Dienſt iſt heutzutage keine Erbſchaft, und wenn die liebe Miß Alice noch am Leben wäre ſo wüßte ich wohl, daß ich keine Noth mehr zu fürchten hätte.“ „Natürlich haſt Du eine Trauer ge— kriegt,“ bemerkte die Schweſter. „Zwei Kleider, eins von Bombaſſin ſund eins von Zitz,“ entgegnete Barbara „Krepp, anderthalb Ellen breit, wie eines von der Familie. Unglücklicherweiſe 9 ich mir kurz vorher ein ſchwarzes Seiden~ kleid und einen ſo ſchönen Shawl Sn leinen ächten Paisley.“ „Ei, laß doch ſehen.“ Der Hauptgenuß des Beſitzes ſchöner Dinge liegt im Zeigen. Wir müſſen dies wenigſtens aus der Bereitwilligkeit ſchließen, mit welcher auf dieſe Anfforde— rung eingegangen wnrde denn Barbara ſämmte nicht aus ihrer Kommode die bei den Packete hervorzuholen. „Was ſagſt Dn dazu?“ fragte ſie tri umphireud. „Schön. Von dem Seidenzeng muß die Elle wenigſtens drei Schillinge geko ſtet haben.“ „Mehr. Du weißt, daß ich gerne Al~ les proper habe. „Und der Shawl? Ach wie prächtig!“ rief die Schweſter, als Barbara im Vor— genuß der folgenden Bewunderung lang ſam ihre Herrlichkeit entfaltete. „Ein ſächter Paisley?“ „Aecht,“ verſetzte die Befragte in würde~ vollem Tone. In demſelben Augenblick erſchien Mr. Twiſſelton, von den beiden Weibern un— bemerkt, auf der Schwelle der offenen Thüre. Die Farben des Shawls zogen ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich. Er betrach— ihn einen Augenblick, und ein eigenthüm— liches Lächeln trat auf ſeine dünnen Lip pen. „Barbara, dieſen Shawl haſt Du nicht gekauft,“ ſagte die Schweſter. „Du biſt Deinem Geld nicht ſo feind. Geſtehe, Du haſt ihn zum Präſent erhalten.“ „Meinſt On, man mache ſolche Prä— ſente?“ „Ou kannſt's nicht leugnen.“ „Iſt Mr. Aſhton hier?“ fragte der Advokat in ſeinem gewöhnlichem geſchmei~ digen Tone, raſch in' s Zimmer hereintre tend. : Die Weiber ſtießen einen Schrei der Ueberraſchung aus, und Barbara packtel hurtig Seidenſtoff und Shawl zuſammen um Beides wieder in der Komntode zu verſchließen. „Nein,“ antwortete ſie, als Mr. Twiſ ſelton ſeine Frage wiederholte. „So will ich auf ihn warten,“ ſagte er und nahm ruhig einen Stuhl. „Ich habe ein Geſchäft mit ihm.“ „Geſchäft hin, Geſchäft her,“ entgegnete h die Haushälterin. „Sie können nichtſi hier bleiben. Es iſt mir ſtreng verboten, Beſuche einzulaſſen“ Mtr. Twiſſeltonk warf einen Blick auf ihre Gejellſchafterin L „Das iſt etwas ganz Anderes. Meinelt Schweſter.“ E „Ah, man ſieht's an der Aehnlichkeit, “L verſetzte der Eindringling. „Aber dasü Verbot bezieht ſich nicht auf mich.“ w „Auf Jedermann.“ ; „Ich bin Mr. Bentley's Sachwalter. ſi „Ich kuümmere mich keinen Strohhalmſ um ihn und ſcine geſchmiuktc Eado 1 „Sie ſprechen von dem Lientenant, aber ich meine ſeinen Vater, John Bent ley, der eine alte nund, wenn ich nicht irre, eine ſehr freigebige Bekanntſchaft! von Ihnen iſt. Er liebt es, Präſente zuſ machen.“ Bei dieſen Worten ging der Haushäl-· terin ein Stich durch's Herz, und ſiel wünſchte in ihrem Innern, Kleid und Shawl nie geſehen zu haben, obſchon ſiet nicht entfernt argwoͤhnte, daß der Geber bei dem Mord betheiligt ſein könnte, und! ſie ſich nur vorwerfen mußte, daß ſie inſ Abweſenheit ihres Herrn von Mr. Bent-·ſ ley einen Beſuch angenommen und dieſent verheimlicht hatte. ; ; „Wenn Sie durchaus bleiben woller ſagte ſie in milderem Tone, „ſo kany~ Sie nicht hindern, denn Mr. Aſhto«us— mir nicht zumuthen, daß ich Si~inmal werfen ſoll. Ich hätte ja ʒ die Kraft dazu.“ berchte der „Sehr richtig ber nicht daß wir zu Adbokat „Ich emmen Dies iſt cinem Verſiͤe d Haus und dies cſo Michac dorine halbgit ii/ : das Bett at dem Sar ſ(er deut; e al 2n 2 ſichtbar wt, zerhl das Gẽ in welchem der Nor· begangel~ wurde?“ li Kein,“ ſtotterte Barbara und ertld dann ihrer Schweſter die Bitte za, ſie nicht zu verlaſſen. t „Hatten Sie in jener Nacht Beſuch?“ „Mein Herr iſt nie ein Freund von Beſuchen geweſen.“ „Gut parirt,“ dachte Twiſſelton, der, ſnachdem er die Ueberzeugung gewonnen, Idaß der Shawl ein Geſchenk ſeines Ab— weſenden Klienten war, nicht weiter in ſie dringen wollte. Zur großen Erleichte— rung der Haushälterin traf bald nachher laa Aſhton ein. Der Advoeat über reichte ihm ſeine Karte und erklärte ihm den Zweck ſeines Beſuchs. Ste ſind alſo nicht von John Bentleh geſendet?“ fragte der würdige Fabrikant. „Nein, ſondern von ſeineni Sohn dem Lieutenant. Er kam dieſen Morgen in einem Zuſtand großer Aufregung zu mir und bat nich als ſeines Vaters Rechts— freund für ihn zu handeln. Ich konnte ihm dies nicht wohl abſchlagen.“ „Begreiſlich,“ verſetzte Mr. Aſhton, und überreichte dem Advokaten ſeine Voll— macht. Mr. Twiſſelton las ſie bedächtig ſund gab ſie dann mit einer Verbeugungl ertr „Sie werden das Dokument be· ſ friedigend ünden?“ „Vollkommen. Lieutenant Bentleyl! taun nichts machen, bis das Teſtament! publizirt iſt und auch dann nur, wenn er eine Berechtigung nachweist. Tau-! ſend Schade daß er ſo ſtarrköpfig und | leidenſchaftlich iſt.“ ; „Ganz mwie ſein Vater,“ bemerkte Mr. h Aſhton. Der Advofat ſchwieg. Es war fürh ihn Grundſatz ſich nie auf Bſprechungene h einzulaſſen die den Charakter irgend eines hi Klienten in nachtheiliger Weiſe be-/ rührten. „Haben Sie John Bentley in letzterſt Zeit geſehen?“ ß „Schon ſeit mehreren Tagen nicht. / Er iſt von London abweſend, dermuthlich wegen eined Geſchaäfts in Baumwolle, ſn Sie wiſſen, nelch ein feiner Spekulant er ; iſt.“ ; „Seit mehtreren Tagen, ſprach ſein Zu- « hörer gedankenvoll vor ſich hin. „Eine Woche vielleicht,“ ſagte Twiſſel- /( ton unbekümmut. g Als Barbara dies hörte, begann ſie zulf glauben, daß ſie ſich unnoͤthig abgeäng— ſigt habe. Die Anſpieluͤgß auf Mk. Bentley's Freigchigkeit hatte vielleicht kei— nen beſonderen Beweggrund, und die oſtchteit die ſwiſchen dem Advokaten und Mr. Aſhtoh herrſchte, beſtärkte ſie in dieſer Annahne (Forſetzung folgt.) e „Reine Erfahrmgen, auf dem Gebiete der freiwilligei Krankenpflege im diutſch-franzöſiſchtn Kriege 1870—71.“ (Qiefe und Tagebuchſlͤtter von Marie Simon. Leipzig, F. Alßrockhaus, 1872.) Frau Simoh iſt die deutſche Miß Lightingale. Am 3. Aug. 1870 derließ Frau Simon Dresden und begab ich, dem erſten ttappendelegirten des 112. (fönigl. ſächſ.) Armeecorps, dem als gin Opfer ſeiner Thäigkeit im vergangenen Frühjahr verſtorbenſn Johanniter Regie ringsrath von Göh zugetheilt, mit ſechs Abertinerinnen undſeinem zum Seeretaͤr fit den Delegirten bfſtimmten Btucliosus jris direet nach dhn Lricnecherrler: Ler wirkte ſie zunäͤhſt auf den B etzer mud Sedaner Schlahtfeldern, ſodann in Gateau Thierry undn Lagnh-· Thorignh. An 15. März 1871 erſt langte ſie wieder in Sachſen an. Ihre Thätigkeit auf dem Friegsſchauplatze ſelbſt unfaßt ſomit einen ritraum von mehr als ſieben Monaten. Auf denſelben erſtrecken ſich die Mitthei ungen des Buchs· Dee Kritik giebt den Briefen und Tagebuchblättern das ſchoöͤne ·ob, daß dieſe Leiſtungen von Niemand ibertroffen werden. Uni eine Vorſtellung h vm dem Inhalte des Werkes zu geben nählen wir die Schilderung ihres Beſuches / inder Feſtung Montmedy, und einenl Bicht über den Beſuch, den ihr Fürſthl ſlung der Fäindſelizkeilen abſtattete. Der Beſuch der Frau Simon Mont edy. „Am 30. Septunber früh führte mein Vorhaben in Begleitung der flegerin Marie Hecker ind des Herrn uͤrſten aus, der den Wnnſch, mich zu gleiten, ſo lebhaft ausſpnch, daß ich trotz einer Beſorgniß, ihm dah endlich nach— ab. Montmedy liegtta. 3 Stunden pn Douzy; das Bahngeeiſe war erhal—- n, ich fand nichts, was nich beſtimw nnte, mein Vorhaben außzuteben, urz hr der Feſtung ſahen wr reith, daß L Eiſenbahnbrucke geſntenat nere Be ͤbrroo niden ribaſn; aber nun ung aus h mehr zfüt; von der runu aus hatte man s kereita na m in uv vereits he~ n Aerkt und man würde auf s geſchoſſen ſhaben, wenn wir umgekehrt hiren Mit ſaufgezogener weißer Fahne uhren wir o~s zwanzig Schritt vor den eſten Poſten yid wurden nach kurzer Dͤatte in dieh ·*ſtung escortirt Da ich nichtſut zuFuße l ün ſo fuhren wir ſo weit, ah es in der iſtung möglich war zu fahren; dann ſti 1 en wir aus. ; 1: / Eine große Maſſe Menſchen, hiſt lauter d Zlouſenmäãnner, verſammelten ſich umſb ins; ſie glichen geradezu einer Raͤuber. g dande, wie man ſie in den Bergen Ita- ů iens denkt. Der Weg zum Comman- b anten war für mich zu ſteil Herr Kuͤr. d ſten war augenblicklich bereit, unſ~r Anlie-~ gen beim Commandanten vorzurringen und mir eine Unterredung mit ihn zu erbitten. Mit verbundenen Augen wiæde er durch Strolche mit aufgepflanzten Bayonnetten zu ihm geführt. Inzwiſchen warteten wir beim Wagen. Der Men ſchenandrang wurde immer größer und war keineswegs ermunternd für ns Ich hatte mir franzöſiſche Feſtungsbe—- ſatung ganz anders gedacht und ſtellte him Innern Vergleiche ͤn mit Königsgrätz und Joſephſtadt. Kaum finde ich Worte, meine Empfindungen während dieſer Si~ tuation zu ſchildern. Ich fühlte nur zu deutlich, daß ich eine Unbeſonnenheit be gangen hatte. Das Ganze, was ich vor meinen Augen ſah, khatte nichts Militä ſriſches, was mir eigentlich aus den beiden öſterreichiſchen Feſtungen vorgeſchwebt uad mir Muth gemacht hatte. Damit meine ich nicht etwa die Feſtungswerke, nein davon verſtehe ͤch nichts; ich meine vielmehr die Beſatzung ſelbſt. Ich hatte ſ es nicht für möglich gehalten, daß es in ! Frankreich ſo viel anders, ich kann faſt ! ſagen, daß es hier ſo erbärmlich wäre. Wir mußten eine Behandlung ertragen, ſdie uns von keiner europäiſchen Nation, ſwie tief ſie auch in ihrer Bildung ſtehen mag, widerfahren wäre. Ich hätte das noch begreiflich gefunden, wenn die Be— ſatzung aus lauter Freiſchärlern beſtanden hätte; ſo aber bemerkte ich Soldaten und Offiziere darunter, die urſprünglich der aetiven Armee angehörten und geſchehen ließen, was geſchah. Aus den Gefangenen— transporten hatte ich mir wohl ein Bild vom Heere gemacht, aber nicht ein ſo er— bärmliches. Wie lächerlich war es ſchon, daß man zweier Frauen wegen, die offen und frei unter tee eines jungen Mannes mit der weißen Fahne in die Fe ſtung fahren, dieſelbe alarmirt und ſie als Spione betrachtet! Unſern Kutſcher, ei nen ſächſiſchen Trainſoldaten vom 12. Feldlazareth, hätten Sie nur ſehen ſollen, liebe Marie, mit welcher Seelenruhe der auf dem Kutſchbock ſaß, in der einen Hand ein Stück Brod, in der andern ein Stück Wurſt, wie er Alles um ihn her ganz gleichgültig betrachtete, ab und zu ſeine Flaſche vorzieht und eins trinkt und ſich durch das Fluchen und Schimpfen „ſunb Toben der ihn drohend umgebenden ſMenge gerade ſo wenig aus der Faſſung eſbringen läßt, wie wenn ihn Jemand ſfragte: wie viel ihr es ſei. Nur dann eſund wann, wenn er nicht gerade mit Kauen oder Trinken beſchäftiget war, hoͤrte man ihn antworten: Nix compran. Den Pferden hatte er ihren Hafer in Ermange— ſlung einer Krippe auf unſere Parlamen tairflagge geſchůttet. Es war ein komi— ſches Bild, wenn auch nicht gerade ſehr ermuthigend für uns. Pflegerin Marie Hecker und ich waren ſo eingeengt, daß wir uns kaum rühren konnten. Auch meine Decorationen, worunter die große goldene Medaille von der Internaliona~ len Conferenz vom Jahre 1867, wo die ſelbe in Paris getagt, deren Inſchrift franzöſiſch iſt, ſchützten uns nicht vor der onen der Menſchen. Das lange Ausbleiben des Herrn Kür ſten machte mich beſorgt, der Comman dant ließ lange auf ſich warten, ich ſchickte noch einen Unteroffizier an ihn ab. Der Gedanke war mir ſchrecklich, daß unſere! Armeen mit ſolchen Elementen kämpfenſ! ſollten. Die Lage dieſer Feſtung iſt von“ I— der Natur ſehr begünſtigt; im Ganzen iſt ſie wohl unbedeutend, ſie ſperrt aber die Eiſenbahn und deshalb muͤſſen die Un— ſern ſie in Beſitz nehmen, wenn die Ar mee weiter vorgeht. Endlich kam der Commandant und begab ſich mit uns zum Unterhandeln in eine Art Wachtſtube. Er war nicht allein, ſondern ein Mann in Civil begleitete ihn, ein Mann, wie man ſich etiva Danton oder Robespiere und die andern Biedermänuer vorſtellt, die im vorigen Jahrhundert Frankreich einige Zeit lang unſicher machten. Ich blieb nicht lange im Unklaren, wer von mandant ſpielte diezweite Rolle, der Cibil gouverneur gab den Ton an und erklärte uns kurzweg als Spione, an denen er ein Exempel ſtatuiren werde, das ſeinesgleichen ſuchey ſollte. Das rothe Kreuz auf der weißen Binde, überhaupt alle Zeichen der l Internationalitãt, erklärte er als Schwin. del und verlangte Legitimationspapiere —u 1 franzöſiſchen Behoöͤrden und beſonders den franzöſiſchen Stempel fuür die Binde. Ich erwiderte ihm, daß ich in den Gegen— den, in denen ich bisher thätig geweſen, keine franzöſiſchen Behoörden zu Geſicht bekommen hätte. Endlich nach langem Hin· und Herdebattiren erklärte er, wir wei Frauen wären frei und koönnten die wieder verlaſſen; Herr Kürſten aber würde als Spion erſchoſſen wer den. Was ich bei dieſen Worten empfun— den, kann ich nicht ſchildern. Herr Kürſten war das einzige Kind ſeiner Aeltern, dieſe hatten erſt vor ein paar Jahren ihre achtzehnjährige Tochter verloren, die Mut— ter war kränklich und nur ſchwer hatten jie den dringenden Bitten ihres Sohnes, ſich der freiwilligen Krankenpflege auf dem Schlachtfelde zu widmen. nachgege— ben Ich weiß nicht, was ich nun alles geſagt, nur ſo viel iſt mir erinnerlich, daß ich dieſe Männer t von ihrer un bernünftigen, der Menſchheit Hohn ſpre·ſ henden That um ihrer ſelbſt willen abzu- / I. Stern, Herausgeber. Lanfende Nummer 58. —— —Ú ſehen; aber alles Bitten war vergebens. Wie bereute ich nun meine Nachgiebigkeit gegen Herrn Kürſten und daß ich ſeine ſargen den in die Feſtung angenommen hatte. Mein Bitten hatte nichts genůtzt; jetzt galt es, wo es nicht ſchlimmer werden errn den Männern beſtimmt entgegen zuoeten. Ich erklärte, die Feſtung nicht s verlaſſen, bis Derjenige, den ich ertraenevel mit Aufträgen an den Commmdanten abgeſchickt, mir zurůckge~ geben wůrde. Ich bekannte offen, darin eine große Thorbeit begangen zu haben, daß ich auf dee Ehrenhaſftigkeit der fran— zöſiſchen Nation vertraunt habe. Was mein Bitten nicht vermocht, daß gelang meinem beſtimmon und rückſichtsloſen Auftreten; es wurde der Befehl gegeben, Herrn Kürſten ſofort za holen, er ſei frei. Ich zitterte vor Furcht, daß es zu ſpaͤt ſei; ich weiß, daß ich noch u dem Militär— commandanten ſagte: es ſcͤ ein Glüůck für ſihn und ſeine Landsleute, daß er noch ſder Vernunft Raum gegeben hobe; er ſolle bedenken, daß man, wenn wir hier zu—~ růckgehalten worden oder uns irgend ein Leid geſchehen wäre, in Deutſchland, wo ~ man 300,000 Franzoſen als Kriegsgefan— ſgene habe, ſchreckliche Abrechnung halten ſtkönne. Endlich wurde Herr Kürſten ge bracht. Sein Benehmen, als ihm die ~Binde abgenommen wurde, war helden— ſmüthig und verrieth keine Spur der über ſſtandenen Angſt; er beſchäftigte ſich mit dem Kutſcher und half ihm den Wagen umlenken und ließ ſich dabei, ſo ſchwierig hes auch bei der dichten Menſchenmenge war, und ſo leicht auch dadurch neue Con— fliet veranlaßt werden konnten, doch nicht ſim Mindeſten beirren. Die Menge war ſim höchſten Grade aufgeregt, daß ihr nun der Aet der Rache verloren gehen ſollte. Unſern Kutſcher hätten ſie, da er ja ſeine Soldatenuniform trug, gern als Trophäe ſnund um ihre Rache zu kühlen, zurückbe— halten; daß es nicht geſchehen, iſt ſein ei genes Verdienſt, das hat er ſeinem impo— nirenten Phlegma zu verdanken. Der Pflegerin Hecker muß ich vom Herzen dan ken für ihr ruhiges taktvolles Verhalten während dieſer Situation; ſie war mir eine große Stütze. Wie wohl war mir, als wir alle vier wieder zuſammen auf dem Wagen ſaßen und das Raubneſt im Rücken hatten! Wir kamen ſpät am Abend nach Donuzh zurück, wo man um uns in großer Sorge geweſen war. Die Bewohner des der Feſtung zunächſt lie genden Dorfes konnten ſich nicht genug wundern, daß wir wohlbehalten wieder aus Montmedy herausgelaſſen worden waren; aber gewarnt hatte uns keiner von ihnen, obgleich ſie wußten welcher Unfng von Montmedy aus getrieben wurde.“ . Nah am Schluſſe ihres großartigen jemeinnützigen Wirkens wurde der Ver—- temen noch die Auszeichnung eines Be ſuches des Reichskanzlers, Fürſten Bis marck, welcher am 6. März, nach Deutſch~ land heimkehrend, ihre damalige Sta tion Lagnh paſſirte, und daſelbſt über nachtete. Frau Simon richtete dem gro— ßen Staatsmanne das Nachtmahl zu. Ihre Beſchreibung, wie ſie das m bi iſt draſtiſch genug. „Fragen Sie mich nicht, liebe Marie, aus welcher Damaſt Fabrit ich das Tiſchzeug bezogen, ob Meſſer, Gabeln und Löffel von Silber waren, wie vielerlei verſchiedene Gläſer auf dem Tiſche ſtanden, und wie wir es angefangen, um das Geſchirr zu wechſeln. Trotzdem ſah die Tafel, als ſie fertig war, ſo reſpectabel aus, daß ich ſchon mit mehr Vertrauen dem Abend entgegenſah, zumal man mir geſagt, der Reichskanzler ſei kein Gourmand und könne ich ihm ohne Be denken eine Hausmannskoſt vorſetzen, auch tränke er gern ein Glas Bier. Dies konn ten wir uns verſchaffen und Champagner hatten unſere Herren aus Epernayh geholt, Controleur R. war ſelbſt hingefaͤhren; man war nur beſorgt, daß er nicht zur rechten Zeit wieder da ſei. Eine groͤße Calamität war die Bedienung bei Tiſche; ſ lanne Raran ngn MWitlohoen bier war. atten wir daͤzu immer deſſen Diener. Heute ließ ich mir aus Aunet einen ſäch ſiſchen Soldaten, Namens Poͤtig, bom 104. Regiment, holen, von dem ich wußte, daß er Diener geweſen, und nahm noch einen andern dazn von Regiment 100 Namens Wunderwald, der ſchon ſeit Douzy bei mir in Dienſten ſteht. Sie nahmen s /ſich gerade nicht empfehlenswerth auͤs in lihren abgeſchabten Uniformen, aber man ſah darüber hinweg. : ; „Gegen 7 Uhr kam Graf Bismarck in tThorignh an. Der Etappencommandant und mehrere Herren empfingen ihn an ſeiner Wohnung. Obgleich wir gerade ſan dieſem Abeud viele Kranke zu berſor gen hatten, waren wir doch mit dem Eſſen ſin Ordnung und Alles war zum Auftra gen bereit. Halb s Uhr erſchienen ſämmt— a bei mir. Ich mußte natürlich die Wirthin machen, war aber gar nicht mit mir ſelbſt zufrieden: meine Toilette war in einem Zuſtande, der zum Em pfange ſo hoher Gaäͤſte kaum berechtigte. Es war ein Glüůck daß es Abend war. Mein Unbehagen dauerte nicht lange, Graf Bismarck behandelte mich mit ſo wohlwollender Nachſicht und erleichterte mir meine Aufgabe ſo, daß ich alle Befan— genheit abſchůttelte. Als man ſich zu Tiſch geſetzt hatte, ůberſah ich noch einmal meine ; (Fortſetzung auf der vierten Seite)