Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, June 05, 1872, Image 1

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Sarannah Abend Zeilung. Prof. C. I. Banſemer, Redakteur. 2. Jahrgang. No. 7. Kette und Einſchlag. Cine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter von : I.F.Smith. (Fortſepung.) Die beiden Gentlemen begaben ſich mit einander nach dem Mordſchauplatz, unterſuchten das Schloß des Schranks und trennten ſich ea augenſcheinlich in beſtem Einvernehmen. Als Mr. Twiſ ſelton zu Haus anlangte, ordnete er im Geiſt die gewonnenen Eindrücke, die für ihn eine erſchreckende Geſtalt anzunehmen begannen. Er murmelte mehrmal vor ſich hin: „Unmöglich! Er kann kein ſol cher Thor geweſen ſein!“ Hätte er die Welt weniger gekanntſo würde er, Schurke“ geſagt haben; ſo aber hegte er, wie be— merkt, nur eine geringe Meinung von ſeinen Mitmenſchen, und es fiel ihm ſchwerer, an eine Unklugheit als an ein Verbrechen zu glauben. ; Michael Haman's Leichenbegängniß wurde in aller Stille vollzogen. Nur drei Perſonen folgten dem Todten zu Grabe, Gilbert, Friedrich und Mr. Aſhton. Man gehorchte ſeiner leßten Weiſung und ſetzte ihn neben ſeiner Tochter Alice bei. Wer den kleinen Zug mit anſah, dachte wohl ſchwerlich, welchen Reichthum der ſo einfach Beerdigte zurückließ. „Ich hoffe, daß mich Niemand von meinen Freunden erkannt hat,“ ſagte der Lieutenant, nachdem die Drei wieder in London angelangt waren, „denn ich würde unter meinen Kameraden zum ſtändigen Spott. Dieſes Leichenbegängniß wie das eines Bettlers! Ein zweiſpaänniger Lei— chenwagen, eine einzige Trauerkutſche, keine Stummien, keine Federn, keine Leichen tuchträger! Wäre die Sache mir über— laſſen worden, ſo hätte ſie ganz anders ausfallen ſollen.“ „Es war ſo der Wille des Verſtorbenen verfette der Fabrikant. „Und ſo wie es iſt, bleibt nut deſto mehr ſeinen Erben.“ „Wohl wahr; aber die Erſparniß kann nicht in Betracht kommen, wenn man be— denkt, wie reich der Onkel war.“ „Sehr reich Lieutenant Bentley.“ „Kennen Sie den Betrag der Hinter— laſſenſchaft ?“ fragte Gilbert. Rein.“ „Und das Teſtament?“ „Ein Commis der Bank iſt geſtern Abend damit von Mancheſter eingetrof fen.“ „Wer ſind die Vollſtrecker?“ „Ihr Bruder und ich.“ Dieſe Mittheilung zügelte einigermaßen die Hoffnungsfülle des jungen Gardiſten, obſchon ihn die Erinnerung an die Erklaͤ— rung ſeines Onkels, daß er ſeinen beiden Neffen Gerechtigkeit habe widerfah— ren laſſen, wieder ermuthigte. „Im ſchlimmſten Fall,“ dachte er, „hat er Fried rich die Hälfte ſeines Vermögens vermacht.“ Aber in ſeiner Selbſtſucht mißgönnte er ihm auch dies und hoffte auf Alles. Wat er nicht der älteſte Bruder der Gen— tleman der Familie, der den Namen ſei nes Großvaters trug? Stand ihm un— ter ſolchen Umſtänden nicht das Recht zu das Ganze zu erben? „Wir werden den Inhalt des Teſtaments bald erfahren,“ ſagteerlaut. „Die Zeit der Publikation iſt gekommen. Wo ſoll es eröffnet werden?“ „In Moreley's Hotel,“ verſetzte Fried— rich „Und warum nicht in des Onkels Woh nung?“ „Glaubſt Du, ich hätte der Mutter. die ohnehin ſo leidend iſt, zumuthen mögen, wieder hieher zu kommen?“ „Aber was hat die Mutter damit zu ſchaffen?“ entgegnete Gilbert unruhig. „Sie iſt doch nicht —“ Sie vergeſſen,“ unterbrach ihn Mr. Aſhton unwillig, „daß jeder Anſpruch, den Sie an Vidacl Haman machen kön— nen, durch Mrs. Bentley vermittelt wird. Zügeln Sie Ihre Ungeduld und tragen Sie die Mastke der Heuchelei noch ein we~ nig länger. Es iſt nicht gut, wenn Sie ſich der Welt zu früh in Ihren wahren Farben zeigen.“ „Mein Herr!“ „Pah, junger Mann, ich bin weder durch ſtolze Blicke, noch durch hohe Worte einzuſchüchtern, denn ich weiß genau, was ſie werth ſind. Sie halten ſich ohne Zweifel ſeit dem Verluſt von Ihres Groß—- vaters Teſtament für geſichert; aber Sie könnten ſich täuſchen. Her muß es mir wieder, und wenn es mich mein halbes Vermögen koſtete.“ „Mein lieber Mr. Aſhton,“ unterbrach ihn Friedrich, „um der Tochter ihres al— ten Freundes willen zügeln Sie ſich; den— ken Sie an meine arme Mutter und ihre gebrochene Geſundheit. Laſſen Sie ſie nichts merken von dem Zwiespalt, der un-~ ter ench herrſcht.“ „Gott tröſte die arme gren! rief der Fabrikant. „Es laſtet ſchon genug auf ihrer Seele.“ Sechsundfünfzigſtes Kapitel In dem Hotel wurden die Zurückkeh renden nicht nur von Mrs. Bentley, ſon— dern auch von Miß Weſtbury und Ellen erwartet. welche Friedrich unmittelbar nach Michael Haman's Tod hatte kommen laſſen, damit ſeine Mutter in ihrem ſchwe— ſren Leid nicht ſo allein ſei. Mit dem ſcharfenßlick der Liebe hatte er erkannt, daß die arme Frau von der nämlichen ſchreck lichen Sorge bedrängt wurde wie er ſelbſt oſgen ſie ihr eben ſo wenig Ausdruck zu leihen wagte. „Iſt der Commis mit dem Teſtament noch nicht da?“ fragte Gilbert haſtig, nachdem er die Damen mit kalter Förm— lichkeit begrüßt hatte. „Ich glaube, er iſt ſchon im Haus,“ verſetzte g Bentley mit einem Seufßzer denn der Ton und die Worte, die ſie ganz an ſeinen Vater erinnerten, empoͤrten ſie. „So ſoll er ſich beeilen,“ ſagte der Lieu tenant ungeduldig. „Herein!“ rief er auf ein Pochen an der Thüre, nicht zweifelnd, daß es von dem Ueberbringer des koſtba ren Dokumentes herrühre. Ein Kellner trat mit einer leibhaftigen Leichenbittermiene ein und überreichte Mrs. Bentley eine Karte. „O freilich, Lady Auguſta ſoll nur ein treten,“ ſagte die Dame. „Wie, Ihre Fran ?“ rief Mr. Aſhton im Tone der lUeberraſchung, denn nach ihrem Benehmen in dem Sterbehaus er— wartete er ſie nicht mehr zu ſehen. „Friedrichs Frau iſt hier, warum nicht auch die meinige?“ verſetzte der Lieute— tenant trotzig. „Friede!“ unterbrach ihn ſeine Mutter mit Würde. „Sie iſt ebenſogut ein Mit glied der Familie.“ Lady Auguſta erſchien in ſehr faſhionab— ler Trauer. Seit der Szene in Mark— Lane hatte ſie ſich gefaßt und war zu dem Schluß gekommen, daß es zweckmäßig ſein dürfte, vorderhand wenigſtens ſich gut;zu ihrer Schwiegermutter zu ſtellen. Die Unſicherheit ihres Leibgedings beun— ruhigte ſie. Man beſchickte den Ueberbringer des Teſtaments. Der ältere Bruder wollte in ſeiner Ungeduld es ihm abnehmen und die Siegel erbrechen; der Bankbuchhalter aber, ein geſetzter ältlicher Mann, der an ein ſo ungeſchäͤftsmäßiges Verfahren nicht gewöhnt war, entgegnete: „Sie ſind nicht Mr. Friedrich Bentley?“ „Nein, aber Lieutenant Bentley, der älteſte Neffe. Geben Sie her.“ „Sie haben vorderhand nichts damit zu ſchaffen, junger Mann,“ enegegnete der Buchhalter. Junger Mann! Nie zuver war ſeine Würde in ſolcher Weiſe verletzt wor~ den. IJunger Mann! Sprachlos vor Staunen ſank Gilbert in ſeinen Stuhl zu rück. „Die Erxukutoren werden dieſen Em— pfangsſchein unterzeichnen,“ fuhr der Sprecher fort, indem er aus ſeinem Ta— ſchenbuch ein Papier herausnahm. „Es muß Alles in gehöriger Form geſchehen.“ Nachdem Friedrich und Mr. Aſhton unterzeichnet hatten, händigte der Buch— halter das Teſtament aus, machte gegen alle Anweſenden ſeine Verbeugung und entfernte ſich. „Endlich!“ dachte Lady Auguſta im Einklang mit ihrem Gatten. Jedes Wort des Inſtruments war in der ſteifen, aufrechten, aber deutlichen Handſchrift des Teſtators niedergeſchrieben. Mr. Aſhton verlas den Inhalt langſam und laut. Wäre es ausdrücklich Michael Haman's Abſicht geweſen, ſeine Verwandten dadurch zu quälen, daß er ſie in Spannung erhielt, ſo hätte er ſeinen 3weck nicht beſſer errei— chen können. Das Teſtament begann mit einer umſtändlichen Aufzählung ſei— nes Eigenthums. Mehrere hunderttau— ſend Pfunde in engliſchen und indiſchen Staatspapieren, eine größere Summe in Eiſeubahn- und andern Aktien, Hypothe— kenſcheine, ſeine Fabrik in. Mancheſter, ſein Haus in Mark Lane, bis auf das, was er noch in der Bank liegen hatte nichts war vergeſſen. „Enorm !“ rief der Vorleſer, indem er inne hielt, um Athem zu ſchöpfen. Mrs. Bentley uud Friedrich dachten mehr an die Mittel, durch die ein ſolches Vermögen zuſammengebracht worden war, als an den Betrag— „lch bitte, leſen Sie weiter,“ ſagte Gilbert in zitteriger Aufregung. „Alles dies,“ fuhr Mr. Aſhton ſehr langſam fort, „vermache ich meinen Groß neffen Friedrich Bentley von Mancheſter in der Ueberzeugung, daß er von meinem Vermögen einen beſſeren Gebrauch machen wird als ich. Dem Vermächtniß füge ich nur die einzige Bedingung bei, daß er den Namen Haman annehme, nicht um meinetwillen, oder aus lächerlichem Fa— milienſtolz, ſondern zur Erinnerung an ſeinen Großvater von der Mutterſeite.“ „Iſt dies Alles?“ fragte Gilbert mit erſtickter Stimme „Alles!“ entgegnete der Fabrikant mit Nachdruck. „Dann iſt der alte Schurke mit einer Lůge auf den Lippen in die Ewigkeit ge gangen,“ rief der Lieutenant wüthend. „Er ſagte, er habe uns beiden Gerechtig keit widerfayren laſſen.“ „Meiner Anſicht nach that er dies,“ er— widerte Mr. Aſhton feierlich. Lady Auguſta brach in einen leidenſchaft lichen Thränenſtrom aus. Während der Reichthum des Verſtorbenen aufgezählt wurde, hatten ihrer Einbildungskraft Ge— ſichte von einer prächtigen Stadtwohnung von Equipagen, Diamanten nnd Feten Savannah, Ga., den 5. Juni 1872. vorgeſchwebt, und aus einem ſolchen Feentraum erwachen zu müſſen! Grau ſam! „Ich erkenne das Teſtament nicht an“ fuhr der Lientenant vor Wuth ſchäumend fort. Es iſt wie das meines Großvaters eine ſchaäͤndliche Fälſchung. Alles hat ſich verſchworen, mich zu berauben, und meine unnatüͤrliche Mutter iſt die Triebfe— der davon.“ „Gilbert!“ ſagte Mrs. Bentley. „Still, Marie,“ unterbrach ſie ihre Tante. „Du mußt Dich nicht herablaſ— ſen, auf eine ſalche Beſchuldigung zu ant— worten, die durch Dein ganzes Leben wi derlegt wird.“ „Bruder,“ ſagte Friedrich, auf ihn zu— tretend, „ich kann den getänſchten Hoff— nungen viel zu gut halten, und es ſoll Dir kein Unrecht geſchehen. Aber wenn noch ein Funke natürlichen Gefühls in Dir iſt, ſo läſtere nicht unſere liebe viel geprüfte Mutter. Den Reichthum, der mir ſo unerwartet zufiel, will ich —“ Doch der leidenſchaftliche Mann ließ ihn nicht zu Ende kommen, ſondern erhob die Hand, um nach ihm zu ſchlagen. Ellen, die dies bemerkte, warf ſich dazwi— ſchen, und der Streich traf ihre Schläfe. „Ungeheuer!“ rief Friedrich, ſeine halb— ohnmächtige Frau mit den Armen auf— fangend, „Du haſt jedes Band zwiſchen uns zerriſſen.“ „Friedrich, mein Sohn, mein Sohn!“ rief Mrs. Bentley, indem ſie verſuchte, ihm ſeine faſt beſinnungsloſe Laſt abzu— nehmen, „laß mich nicht den Tag bereuen an dem ich Mutter wurde. O, dieſe Szene iſt mein Tod!“ „Er that es nicht mit Abſicht,“ ſchluchzte Ellen mit tonloſer Stimme. „Ich habe keinen Schaden genommen.“ Mr. Aſhton riß ungeſtüm an der Klin— gel. Einige Kellner ſtürzten herein. „Schicken Sie nach der Polizei,“ ſagte er. „Polizei?“ „Sogleich, daß ſie uns dieſen Kerl vom Hals ſchaffe Wir müſſen Gilbert die Gerechtigkeit widerfahren laſſen, daß er ſich des Schlags gegen eine Dame ſchämte. Er kämpfte ſeineLeidenſchaft gewaltſam nieder, wandte ſich an Lady Auguſta und bat ſie, mit ihm das Haus zu verlaſſen. Wir haben hier nichts mehr zu thun,“ ſagte er. „Die Gerichte müſſen fortan entſcheiden zwi— ſchen mir und dieſem Schleicher. Solchen Praktiken bin ich nicht gewachſen.“ Eine Stunde ſpäter lief ein Brief an Mrs. Friedrich Bentley ein, in welcher ſich der Lientenant wegen des unangeneh— men Zufalls, wie er ſich auszudrücken be-~ liebte, entſchuldigte; aber teine Silbe we— der in Betreff ſeines Bruders, noch ſeiner Mutter. „Ich wußte es ja, daß es nicht mit Ab ſicht geſchah ſagte Ellen bittend. „Ihr werdet wieder gut mit einander werden.“ „Nie,“ entgegnete Friedrich, den die Kränkung ſeiner Frau viel tiefer ſchmerzte als die eigene. „Von Stund an ſind wir geſchieden.“ „Und zwar mit Recht,“ bemerkte Mr. Aſhton. „Dieſes gemeine, unmännliche Betragen —“ „Sein Bruder, Mr. Aſhton, ſein Bru— der,“ unterbrach ihn Mrs. Bentley fle hend. „Das hätte er bedenken ſollen,“ ſagte der Fabrikant ernſt. „Das Teſtament Ihres Vaters eine Fälſchung nun, wir wollen ſehen, wie weit er damit kommt.“ Es entſchwanden mehrere Tage, ehe die peinliche Szene in Vergeſſenheit kam. Man ſprach nicht mehr davon, um Mrs. Bentley zu ſchonen, die ſich mehr und mehr mit dem ſtetigen Vorwurf ihres Lebens abquälte; denn ſo oft ſie auch ihr Inneres fragte, mußte ſie ſtets ſich geſte hen, daß ſie ihren Erſtgebornen nie ſo ge liebt hatte wie ſeinen Bruder. „In dem Teſtament Ihres Onkels hat mir die Bedingung der Namensverände— rung am beſten gefallen,“ ſagte ·-Mr. Aſh— ton, als er etwa acht Tage nach der Beer— digung mit ſeinem jungen Freund beim Früůhſtück ſaß. Ich kann mich an den Gedanken uicht gewöhnen, daß die berühmten Namen der alten Firmen der Baumwollenlords, wie uns die Londoner neidiſch nennen aus Man—- cheſter verſchwinden ſollen. Es gibt eben ſo gut eine Handelsariſtokratie, als einen Geburtsadel, und die Erſtere iſt meiner Ueberzeugung nach häufig die achtbarere.“ „Ich habe nicht im Sinn, das Geſchäft fortzuführen,“ verſetzte Friedrich gedanken— voll. „Das Geſchäft nicht fortzuführen?“ wiederholte der Fabrikant erſtaunt. „Was wollen Sie mit Ihrer Zeit, mit Ihrem Geld anfangen? Mit einem Ka— pital, wie das Ihrige, beherrſcht man den Baumwollenmarkt, und Sie können zum Rothſchild des Nordens werden.“ „Ich beſitze bereits mehr, als ich weis lich verwenden kann, und habe an dem Geld als ſolchem nie eine Freude gehabt.“ „Aber haben Sie nicht mit dem Erbe ſauch Pflichten übernommen?“ „Das iſt der einzige Punkt, der mir Bedenken macht. Sie wiſſen, wie mein Ontkel ſein Vermogen erwarb.“ „Leider durch die beſten Mittel.“ „Und er wünſcht, daß ich einen beſſeren Gebrauch davon mache als er. Ich ſoll Gutes damit thun meinen Nebenmen- ſchen aufhelfen nicht durch Almoſen die den Unabhängigkeitsſinn des Arbeiters ertödten und ſeine Thatkraft erſticken. Sie haben Recht,“ fügte Friedrich nach einer Panſe bei, „wenn Sie von einer Ariſtokratie des Handels ſprechen. Der Kapitaliſt hebt duürch produktive Arbeit das Volk. Ich füůhle dieſe Wahrheit.“ „Und wollen danach handeln?“ entgeg~ nete ſein Zuhörer bedentungsvoll. „Vielleicht vielleicht“ Friedrich vertiefte ſich in Gedanken. Nicht der plötzliche Reichthum hatte ihm eine Ab— neigung gegen ein thätiges, nůtzliches Le-~ ben eingefloͤßt, ſondern eine Furcht, deren er ſich nicht zu entſchlagen vermochte. „An was denken Sie?“ fragte der Fa— brikant. „An meinen Vater, der nichts von ſich hören läßt.“ „Das iſt freilich ſonderbar.“ „Er muß von Michael Haman's ſchreck lren Ende in den Zeitungen geleſen ha— jen.“ „Allerdings, wenn er noch in England iit.“ Der junge Mann fuhr zuſammen bei dieſer Andeutung, die ſo ſehr mit ſeinen eigenen geheimen Gedanken harmonirte. „Sein Advokat meinte,“ fuhr der Fa— brikant zögernd fort, „eine Spekulation habe ihn außer Landes geführt. Twiſſel ton ſcheint ein ſehr ſchlauer Mann zu ſein, und mein Sachwalter ſagt mir, er ſei in ſeiner Art äußerſt achtbar und zuver läſſig. Vielleicht hat er inzwiſchen von ihm gehört. Soll ich zu ihm?“ „Ich würde es Ihnen Dank wiſſen.“ „Und wie wollen Sie's mit dem Haus in Mark Lane halten? Grindſtone bietet einen ſchoönen Preis dafür“ „Thun Sie, wie Ihnen gut dünkt; doch vergeſſen Sie die alte Haushälterin nicht, die im Teſtament unberückſichtigt blieb.“ „Ihr Onkel hat gleichwohl für ſie ge— ſorgt. Erinnern Sie ſich der Zehntauſend Pfunde, die er mich aus der Bank zu ziehen ermächtigte? Barbara verläßt morgen London.“ „Warum dies ?“ verſetzte Friedrich ſehr langſam. „Ich bringe ſie auf meiner Farm bei Chapel-· en ·le Frith unter. Michael Ha— man hat all' dies mir überlaſſen, vermuth— lich um Ihnen Mühe zu erſparen. Sie iſt beſſer auf dem Land. Ihr alter Herr kannte Barbara's Schwatzhaftigkeit und wollte nicht, daß ſein früheres Leben und der Tod ſeiner Tochter zum Tagesgeſpräch würde. Er hat an gar Alles gedacht.“ „O, dieſes fürchterliche Geheimniß!“ rief Friedrich, ſobald er allein war. „Es laſtet erſtickend auf mir. Was ſoll ich denken, was hoffen, was fürchten? Für den Augenblick ſcheint Alles klar zu ſein; kein Argwohn wird laut aber warum will es mir keine Ruhe laſſen? Zwiſchen Aſhton und mir iſt kein Wort gefallen und doch fühle ich, daß er mich verſteht. Wo—- her dies, wenn nicht derſelbe finſtere Ge danke uns Beide beunruhigte? lch will mir's aus dem Sinn ſchlagen,“ fügte er bei, „damit ich nicht den Verſtand ver— liere. Muth! Muth! Ich habe Pflich~ ten zu erfüllen und darf nicht der Sklave dieſer ſchrecklichen Vorſtellungen werden.“ Mr.. Aſhton zögerte, ſich nach Twiſſel ton's Bureau fahren zu laſſen. Wie er ausſtieg, begegnete er Gilbert, der eben aus dem Haus kam, und mit einem trohtzi-~ gen Blick an ihm vorüberging. „Zum Glücek kann er nicbt beißen,“ murmelte der Fabrikant vor ſich hin. Der Advokat empfing den Beſuch in ſeiner gewöhnlichen höflichen Weiſe. Er war nicht im mindeſten überraſcht, ſondern hatte im Gegentheil Mr. Aſhton erwartet. „Ich möchte nicht ſtören,“ ſagte der Fa brikant. „Mein Beſuch iſt kaum ein Ge ſchäftsbeſuch. Ich komme bloß zu Ihnen um mich zu erkundigen, ob Sie nichts von Mr. Bentley gehört haben.“ „Nicht das Mindeſte.“ Mr. Aſhton's Miene drückte die ge— täuſchte Erwartung aus. „Aber ſein Sohn, der Lieutenant, iſt eben bei mir geweſen.“ „Ich bin ihm unter dem Hauſe begegnet.“ „Er iſt ein Menſch, der keine vernünf tige Belehrung annimmt,“ bemerkte Mr. Twiſſelton. „Will mich durchaus über reden, daß Michael Haman's Teſtament eine Fälſchung ſei, und verlangt, daß ich es angreife. Naturlich erklärte ich ihm, daß ich nichts mit dieſem Geſchäft zu thun haben wolle.“ „Mag er den Verſuch machen!“ ſagte der Exekutor. „Er ſcheint von einer wahren Manie für's Teſtamentumſtoßen beſeſſen zu ſein,“ fuhr der Advokat fort. „Auch ſein Groß—- vater, ſagte er, ſei ohne letzwillige Verfü gung geſtorben. Ich ſoll ihm ein juriſti ſches Gutachten darüben beſorgen.“ „Sie wiſſen, das Teſtament war in dem Paket, mit welchem der Mörder ſich flüchtig gemacht hat.“ „Das Original?“ 33a.“ „Aber es liegt, wie ich höre, eine be glaubigte Abſchrift in Mancheſter. Der junge Her, der ſich mir zum Klienten auf— drängen will, ſagte mir ſo, als er von mir verlangte, ich ſolle für ihn handeln und ge~ gen die Approbation Widerſpruch erhe ben.“ (Fortſetzung folgt.) Im ſchwarzen Tande. (Aus dem „Ungariſchen Lloyd.“) l„Das ſchwarze Land“ das iſt die Graf— ſchaft Staffordſhire! Schwarz iſt das Land, ſchwarz iſt Stock nnd Stein, ſchwarz iſt der Himmel, ſchwarz der Fluß! Ruß und Rauch und Qualm wird unabläſſig aus tauſend und aber tauſend hohen Schornſteinen emporgeſchleudert, und ſenkt ſich als ſchwarzer Staubregen über das Land oder vergiftet als Spülwaſſer die Fluffe. Schwarze Aſche weht von den Baumblättern und lagert auf der Blume, die ſich aus dem Boden im Frühling in das Daſein wagt. Hier iſt die Nacht hel—- ler als der Tag, denn dunkel iſt der Tag, aber bei Nacht zucken jähe rothe Flammen aus den Fabrik Schornſteinen, die wie ſtarre Rieſenfinger nach der Stelle weiſen, wo blauer Himmel ſein ſollte, und nur dann iſt die Landſchaft hell. Schwarz ſind auch die Bewohner die Eiſen· Ar beiter und die Kohlen Arbeiter. Der deutſche Dichter Novalis hat das ſchwarze Land nimmer geſehen, ſonſt hätte er nicht in ſeinem Bergmanns-Liede geſungen: „Der iſt der Herr der Erde, Der ihre Tiefen mißt Und jeglicher Beſchwerde Des Lebens leicht vergißt.“ Wer den Gegenſatz von Beſchwerde nie kennen gelernt, hat eben nichts zu vergeſ— ſen, denn Sorge bleibt bei ihm genau un— veränderlich bis ans Ende, wo er Sonu verän wird, da unten zwiſchen 8 Brettern. So „mißt“ man als Herr die „Tiefen der Erde“ im ſchwarzen Lande. Aber nicht in die Fabriken will ich Sie führen, auch nicht in die Bergwerke, ſon-~ dern unter die „unabhängigen“ Arbeiter. Sklaven der Noth ſind ſie alle, aber die „Unabhängigen“ ſind am ſchlechteſten da~ ran. Da kommt ihrer ein langer Zug die Landſtraße herauf, über ſchwelligen Boden, bald auftauchend, bald verſchwin dend. Geſtalten klein und groß, alt und jung, die Einen laufend, die andern müh— ſam am Stabe ſchleichend eine wirre unregelmäßige Proceſſion von Männern, Weibern und Kindern, der Mehrzahl nach nüchtern, aber in erheblicher Minderzahl halb betrunken, denn es iſt Samſtagabend. Alle aber ſind mit ſo dürftiger Knappheit belleibet, daß man auf den erſten Blick in ihnen blutarme Leute erkennt. Jede Per— ſon trägt ein größeres oder kleineres Bün— del voů eiſernen Rundſtäben; auch die Kinder tragen ſolche eiſerne Bouquets und ſeben überhaupt nicht aus, als hätten ſie mit anderen Bouquets je Bekantſchaft gemacht. Was ſie tragen, iſt ihr Eigen— thum; auch der kleine ſiebenjährige Bube, der mit wunden Füßeu, halb ſchleicht, halb hinkt, hat für ſeinen Eiſenſchatz be— zahlt. Die Geſichter Aller drücken „Re— chenkunſt“ aus, Arithmetik mit Hinder— niſſen, wobei ſo und ſo viele Eiſenſtäbe, die geweſen, und ſo und ſo viele Eiſenſtäbe die noch vorhanden, die einzigen Rech— nungs-Faktoren ausmachen. Kleine ge— krümmte Männchen und Weibchen ſind in dem Haufen, Erwachſenen gleichend, die wieder zu Kindern herab zu wachſen ſcheinen, auch graubärtige alte Handwer ker-Geſtalten neben Kindern, die an Fener und Schmiede-Oefen gewöhnt ſind, be— wieſen durch verſengtes Haupthaar, ver—- ſengte Brauen und Wimpern und mit qualmgeſchwärzten Grübchen, die wie Al. tersfurchen ſich ausnehmen. Da trippeln kleine Perſönchen, deren Stiefel am Ober— leder Brandlöcher aufweiſen, die von nie— derfallenden Stücken glühheißen Schmiede— Eiſens herrühren, und ſie zeigen Händ— chen, die ihrer Natur nach wahrlich nicht hier und da der Finger zu wenig ha— ben und nicht über die ihrem Alter zukom mende Größe ausgearbeitet ſein ſollten. Sie ſind mit Feuernarben und Warzen bedeckt und haben geſchwollene Knöcheln und heruntergefeilte Nägel. So ſehen die Hände bitterlicher Armuth aus! Der Wanderer möchte, wie leicht be— greiflich, ſich die Frage vorlegen, von iwelchen Müttern ſolche Kinder geboren ſein köͤnnten. Da ſind auch die Muütter! Frauen, am rechten Arm ein Eiſenruthen- Vndel, im linken den Säugling, der ſich an einer roth·ſchwarz ausſehenden Bruſt nährt, ſo daß man vermeinen müßte, auch die Muttermilch ſei mit Eiſenfeil Spänen verſetzt. Dennoch Frauen, die beide La ſten mit Leichtigkeit tragen. Der Um— fang ihrer Arme, die ſie bis zur Achſel nackt wie männliche Arbeiter tragen, iſt ſtaunenerregend. Ihre Muskulatur ſcheint ſtark genug um es mit einem Boxer von Profeſſion nicht ohne Siegeshoffnung aufnehmen zu können. Eine war darun ter, ebenfalls mit Eiſen und Säugling belaſtet, glatt wie eine Planke und ebenſo ſymmeiriſch; ein braunes Wolfsgeſicht, braune Fäuſte mit breiten Daumen, Ar— men, deren Sehnen und Muskeln wie le— derne Kabel emporſchwollen und Cen— tnergewichte auf ſich tanzen laſſen konnten. Die Leute wohnen in einem großen Arbeiterdorfe, „Lye Waſte“ genannt, was ſo viel, wie,„Wüſtenland“ bedentet, ein Name, der nicht richtiger gewählt werden koöͤnnte. Lye Waſte muß man am Werk— tage, in der Abenddämmerung eines Montags zum Beiſpiel, beſuchen. Lye Waſte liegt abſeits von der Landſtraße, wie bei Seite geſtopft, um nicht das Auge zu beleidigen. Che man es erreicht, er ſcheint es Einem, als klinge und klirre die I. Stern, Herausgeber. Laufende Nummer 59. Luft mit Millionen metallener Stjmm chen. Das Geräuſch gleicht nicht dem wuchtigen Dröoöhnen luſtiger, ausgewach ſener Maſir Häͤmmer auf ehrlichem, ſoli~ dem Amboß, ſonderu wie das klingende Klopfen von keſſelſchmiedenen kleinen Wich telmännchen. Ting! Ting! Ting! Tanu— ſend Hämmer, tanſend Amboſſe! Lauter und lauter, je näher man kommt, und bald blicken tanſend rothe Schmiede- Feuer durch die Daäͤmmerung. Das iſt Lye Waſte, „die Colonie der weiblichen Schmiede“, wie der Ort genannt wird; in der That wäre der Anblick, der ſich dort bietet, geeignet den Enthuſiaſten für „Frauen Rechte“ zu entzüchten. Je nachdem! Zarte Seelen, welche ſich ſchon darüber entrüſten, wenn eine Frau als Sehtzer thätig iſt, oder die Räder eines Uhrwerkes zuſammenſtellt, und ſich vor Grauen geſchüttelt haben, wenn ſie in Frankreich und „anderen barbariſchen Ländern“ Frauen als Straßenkehrer, Mauerſteinträger und Kalkführer beſchäf tigt ſahen, würden hier zur Bildſäule verſteinern. Hier ſchent ſich kein Mitglied des „ſchönen Geſchlechtes“, und Delieateſſe iſt nirgends vorhanden. Das iſt Alles fortgehäͤm— mert und ſogar von weiblicher Plauder ſucht iſt nichts zu ſpüren. Der Müßig— gänger, der hier„Cour ſchneiden“ wollte, erhielt nichts anderes, als maseuline Grobheit zu hören, von Lippen, die ſeit den Säuglingsjahren nicht mehr roth und blühend geweſen. Zeit iſt ein zu koſtbarer Artikel fuͤr dieſe Weiblichkeit, die mit hoch~ aufgekrämten Hemdärmeln, den Arm wie Vulkan entblößt trägt und täglich 14 Stunden lang den Hammer ſchwingt und in die ſengende Gluth des Schmiedeofens zu blicken hat, um damit einen Schil— ling zu verdienen. Au der Seite jedes Wohnhäuschens iſt eine Schmiede mit zwei bis fünf Abthei~ lungen oder Separat-Herden, und das Feuer dieſer Herde illuminirk den Ort ſo hell, wie ebenſo viele Gasflammen thun könnten. Man könnte eine Steckna del bei Mitternacht auf der Gaſſe aufle ſen. Mehrere Familien arbeiten auch gruppenweiſe zuſammen oder eine Mutter mit drei oder vier Töchtern thun es, denn die Männer arbeiten in den naheliegen— den Fabriten zumeiſt. Mutter und Toch ter ſchwingen die Hämmer, regieren die Blaſebälge, drehen die Zangen, und gegen die fliegenden Funken ſchützt oft im hejßen Sommer nur ein zerriſſener Shawl den nahezu nackten Oberkörper. Sie ſingen auch wohl dazu, freilich nicht ſo melodiſch wie Lerchen, nicht ſo jubilirend, wie Kin— der, die hier mit kleineren Hämmern an Doodez-Amboſſen die Arbeit des Nagel~ ſchmiedens vollziehen, im Schweiße ihres hochrothen rußigen Geſichtchens, und aus tiefernſten Augen herausblicken. In dem grellen Feuerlichte —in Lye Waſte gibt's keine Nacht, denn ehe die lichten Feuer erlöſchen, beginnt ſchon der Morgen zu grauen tritt mit peinlicher Schärfe das frühe Alter der kleinen ſcharfſinnigen Geſichter hervor, die nur einen Ansdruck tragen: „Wir haben keine Zeit!“ Raſt los! Raſtlos! Das Brod des Tages muß erſt in der Nacht zuvor verdient werden mit den kleinen halbverbundenen und von Zeit zu Zeit in einem Waſſerbecken abge— kühlten Händen. Die „Schmiede Herde“ ſind nicht das Eigenthum der Nagelſchmiedinnen; ſie müͤſſen für jeden 4 Penee für die Woche zahlen, die von einem Unternehmen in wöchentlichen Umgange eincaſſirt werden. Demjenigen, der nicht zahlen kann, wird der Blaſebalg ſofort weggenommen und hat rine hungrige Woche vor ſich. Die älteſten Leute, welche zu ſchwach zur Arbeit geworden ſiten an den Wänden und zählen die fertigen Nägel, wobei ſie mit den alten Köpfen mechaniſch Takt nicken zum Feuerſchlag der Schmiede. Harte, undankbare Arbeit im ſchwarzen Lande! Dieſe weiblichen Schmiede müůſ ſen das Eiſen vom Nagelmeiſter kaufen, der ihnen Arbeit zuweiſt, aber keine Ver— biudlichkeit übernimmt, dieſelbe ihnen ab— zunehmen, ſondern nur zu einem Geſchäfte „bereit“ iſt, d. h. ihnen das fertige Fabri kat zum Marktpreiſe zu vergüten. Sollte er wenig Abſatz haben, ſo ſtellt er der Ar— beiterin die Wahl, entweder die Arbeit wieder mit nach Hauſe zu nehmen, oder ſie ihm „mit Schaden“ zu überlaſſen. Im Durchſchnitt verdient die „Hand“ bei der Anfertigung von zwölfhundert Nägeln die Summe von 12, ſage zwölf Penee, vorausgeſetzt, das jene 12,00 Nägel ge~ nau eine gewiſſe Zahl von Pfunden wie— gen; wo nicht, wird ein Pennyh abgezogen. Und dies paſſirt einmal bei drei Liefer ungen“, ſagt man mir. „Das iſt Nag lergeſetz!“ fuhr die Sprecherin fort, und ſtrich mit der flachen Hand über das Ge— ſicht „Und es iſt ein pfiffiges Geſetz, denn wir müſſen auf die Feder genau das falſche Gewicht errathen. Spitz· bůberei iſt's in Wirklichkeit, aber wir nen~ nen's Nagler-·Geſeh.“ Die Sprecherin glättete ſich den Backen bart denn ſie hatte in Wirklichkeit einen ſolchen und erwiderte auf die Frage, ob die Leute in Lye Waſte mit ihrer Lage zufrieden wären? „Mann koönnte leben, wenn der Fogger nicht wäãre.“ Der Fog~ ger, wie ich erfuhr, zählt zu den in allen Ländern vorfindlichen Wucherern, die der (Fortſetzung auſ der vierten Seite)