Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, July 03, 1872, Image 1

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Sarannah Abend Zeitung, Frof. C. I. BVanſemer, Redakteur. 2. Jahrgang. No. 11. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter von J.HF. Smith. (Fortſetuna.) Sam konnte leſen, ſchreiben und ein wenig rechnen, damit aber hatte ſeine ganze Schulbildung ein Ende, und er fühlte ſich oft genxs beſamt wegen ſeiner Unwiſſenheit. „Was müſſen die Au— ſtin's, was muß Blanche von Dir denken?“ ſagte er zu ſich ſelbſt; und es iſt erſtaun— lich wie oft er dieſe Frage an ſich richtete. Beſſie bemerkte dieſe Veränderung zu erſt und konnte lange die Urſache nicht errathen, bis ſie ihr endlich durch einen Zufall klar wurde. Sie fand eines Ta ee Sam neben der kleinen Nelly vor der Thüre ſizen. Letztere ſprach ihm von ihrer iarte aus der Geographie vor, und ihre Mutter hörte von weitem zu. „Iſts denn ſo gewiß, daß die Erde rund iſt wie eine Kugel?“ ſagte Sam zweifelhaft. „Ja,“ verſette ſeine Nichte. „Und ſie lauft um die Sonne.“ „Wie kann dies ſein? Wir ſehen ja alle Tage die Sonne um die Erde herum— laufen.“ Nelly ſah ihn verlegen an, da die Wi— derlegung dieſes Einwurfs ihren Horizont überſtieg. „Ich weiß es nicht,“ erwiderte ſie; „aber es muß ſo ſein, ſonſt würde Blanche es mir nicht geſagt haben.“ „Soll ich s Dir erklären?“ ergriff nun ſeine Schweſter das Wort. Sam ſprang von der Bank auf und er röthete vor ihr wie ein großer Schulknabe; aber von dieſem Tag an wurde Beſſie ſeine Lehrerin, und nachdem er weit ge~ nug vorangeſchritten war nahm ihn Wal ter Glyde in die Mache. Er erwies ſich jetzt als einen äußerſt gelehrigen Schüler und noch vor Ablauf eines Jahres fiel auch den Auſtin s die mächtige Verände— rung auf die mit ihrem ungebildeten Nach bar vorgegangen war. „Er ſpricht jetzt ganz anders,“ bemerkte Blanche. „Anfangs konnte ich ihn kaum verſtehen.“ „Auch iſt er nicht mehr ſo ſchen wie früher,“ ſagte Mr. Auſtin. „Er nimmt Theil an unſerer Unterhaltung.“ Der Umgang Beſſies mit den yaller gals (gelben Dirnen,) wie die benachbar— ten Farmer Mrs. Auſtin und ihre Toch ter nannten, erregte anfangs mächtiges Aergerniß, und einige von den erleuchtete— ten freigebornen Amerikanerinnen verſuch ten Mrs. Glyde über das Unpaſſende und unerhöorte einer ſolchen Neuerung zu belehren. Ihre Vorſtellungen hatten je doch keinen Erfolg; denn Beſſie meinte man wechsle Freundſchaften nicht wie einen Handſchih, und die Folge davon war, daß ſie fortan von den der Nachbarſchaft als eine Perſon von gemei— ner Sinnesart gemieden wurde. Sechzigſtes Kapitel. In einem Alter von ſiebenzehn Jahren war Blauche Auſtin ein Inbegriff liebens würdiger Weiblichkeit, reinen Herzens, reich an Geiſt, und eben ſo ſchön als an— muthig. Mancher junge Farmer ſeufzte wenn er ſie in der Kirche ahtri von der übrigen Gemeinde ſitzen ſah, und beklagte den Tropfen, den Infiniteſimaltropfen ſchwarzen Blutes, das in ihren azurnen Adern kreiste. Aber die Schranke war unüberſteiglich. Ein unſittliches Verhält niß würden Eltern und Schweſtern als natüůrlich und paſſend erfunden haben, aber eine ehrenhafte Werbung wäre zum ſchneidenden Schwert für die Bande des Blutes geworden. Die Würde der Kaſte iſt heiliger als das Sittengeſetßz. Selbſt arglos, ahnete das ſchöne und gückliche Mädchen nichts Schlimmes von Anderen. Sie wandelte zu allen Tagesſtunden zwiſchen den beiden Far— men hin und her und da die Waldſtrecke, durch welche ſie mußte und auf der ſie faßt jeden Baum kannte, nur eine Meile breit war, ſo ſtand kein Verirren zu beſor—- gen. Von anderen Gefahren wußte ſie nichts. Bei Gelegenheit eines ſolchen Abendgangs wurde ſie von einem wohl gekleideten Wicht, den ihre Schönheit an— gezogen, beſchimpft. Der Menſch war nicht aus der Gegend, in welcher er ſich nur als Gaſt aufhielt, und das erſchreckte Mädchen, das ſich vergeblich ſeinem Griff zu entwinden bemühte, ſchrie zeterlich um Hülse. Zum Glück befand ſich Be— ſchüther in der Nähe, und im Nu Hg der Unhold am Boden, niedergeſtaeckt von dem kräftigen Arm Sam's, der eben von ~der Arbeit zurůck kehrte. Die Gerettete fiel ihm, als wäre er ihr Vater, um den Hals und flůſterte: „O, nehmen Sie mich fort, bringen Sie mich zu Ihrer lieben Schweſter“ „Nicht, bis ich dieſen —“ „Heim! heim!“ wiederholte ſie halb ohnmächtig; denn ſie war längſt gewohnt beide Farmen als ihre Heimat zu betrach— ten. Beunruhigt von ihrem Zuſtand erhob Sam ſie auf ſeine Arme und trug ſie eilen den Laufes fort, bis er ſie der Obhut ſei ner Schweſter überantwortet hatte; dann kehrte et nach dem Schauplatz des Bu— benſtücks zurück, fand aber, daß der ſchnöde Angreifer, deſſen Geſicht er nicht geſehen, entwichen war. Blanche wagte ſich fortan nicht mehr allein durch den Wald, und wenn Auſtin ſie nicht begleiten konnte, ſo wartete ſie auf ihren Beſchützer Sam der ihr regel— mäßig Abends das Geleite nach Haus gab. Das dankbare Madchen fühlte ſich an ſeiner Seite, als ſtehe ſie unter dem Schirm einer Legion. Indeß waren dieſe Abendgänge doch nicht ohne Gefahr denn in das Herz des armen Burſchen ſchlichen ſich Regungen ein, die er nicht zu geſtehen wagte. Er ſah wohl ein, wie ab— geſchmackt ſie waren, und verwünſchte in der Einſamkeit hundertmal ſeine Thorheit denn wie mochte er, der geringe Menſch der ſchon in ſeinem achtunddreißigſten Jahre ſtand, dieſem herrlichen jungen We ſen gegenüber an Liebe denken? Beſſie bemerkte ſeinen Zuſtand und machte ihm Vorſtellungen. „Hilft nichts,“ verſetzte er. Laß mich fortträumen. Wenn ich erwache, iſt's mein Tod.“ Im nächſten Herbſt brach in der Gegend eines jener bögartigen Fieber aus, welche die Fortſchritte der Civiliſation hemmen, und ſich mit den Weißen um Sumpf und Prärie ſtreiten. Walter Glyde erlag zuerſt Ein paar Tage ſpä— ter wurden auch Mr. und Mrs Auſtin befallen, und noch vor Ablauf einer Woche war Blanche eine Waiſe. Nie zuvor hatte ſich Sam in einem ſo edeln Licht gezeigt, als bei dieſem doppel— ten Unglück, das alle in ihm ſchlummern den Kräfte wach rief. Nichts ſchien ihn zu ermüden. Er beſorgte beide Farmen und arbeitete, wie es nur ein Ae ling der germaniſchen Raſſe kann, wenn es ihm ernſt iſt. Die Ernten waren eingebracht, und der Schnee deckte bereits den Grund, als Blanuche's Onkel, ein Geiſtlicher, der am Miſſiſſippi ſeinen Miſſionspoſten hatte, von New-Orleans anlangte. Die arme Waiſe war nach dem ſchweren Schlag, der ſie getroffen, nach der Glydeſſchen Farm umgezogen, und man lud den ehr— würdigen Edward Aunſtin ein, gleichfalls hier ſeinen Wohuſit zu nehmen. Der verſtorbene Auſtin hatte ſein gan— zes Vermögen Blanche vermacht und un— ter die Pſlegſchaft ſeines Bruders geſtellt, ſeinem Teſtament aber die Bedingung beigefügt, daß ſeine Tochter enterbt ſein ſolle, wenn ſie einen Amerikaner heirathe. Sam pochte das Herz ungeſtüm, als er dieſe Klauſel vorleſen hörte, und er lobte im Stillen die kluge Vorſicht des Va— ters. „Gewinne ſie, wer will,“ murmelte er vor ſich hin; „ſie wird wenigſtens kei— nen ſolchen Demüthigungen ausgeſetzt ſein wie ihre Mutter.“ Die Farm wurde zum Verkauf ausge ſchrieben, und nach einiger Zeit ſtellte ſich ein Liebhaber ein, der nahezu den wah— ren Werth bot. Da er in Gold zu bezah— len verſprach, ſo ſchloß Edward Auſtin den Handell!ab. Der Käufer hatte jedoch ein Augenmerk auf die Zukunft und be— griff wohl, daß er, wenn er die beiden Farmen mit der dazwiſchenliegenden Maldſtrecke erwarb, nach Ablauf einiger Jahre eine der ſchoönſten Beſitzungen im Staat haben konnte; er machte daher auch der Wittwe ihr Anweſen feil. Mrs. Glyde bat ſich zwei Tage Bedenkzeit aus. “en meinte, ſie ſolle losſchlagen, und der Geiſtliche ſowohl als ſeine Nichte drang in ſie, daß ſie mit nach New-Or leans iele „Ich hätte nichts gegen dieſe Reiſe,“ ſagte Beſſie zu ihrem Bruder; „aber Du weißt, wie ſehr mir Dein Glück am Herzen liegt, und ich kann deßhalb nicht ja ſagen ehe es zwiſchen Dir und Blanche zu einer Erklärung gekommen iſt. Nimmt ſie Deine Bewerbung an und ich glanbe nicht, daß Du zu verzweifeln Urſache haſt wohl und gut; weist ſie Dich aber zu— rück, ſo iſt s beſſer, wenn ihr aus einander kommt.“ „Meinſt Du wirklich, ich könnte Hoff nung haben bei ihr, die ſo jung und lieb— lich iſt?“ ; „Wie, zum erſtenmal in Deinem Leben ein ſolches Haſenherz?“ „Ja wohl, wenn ich meinen Unwerth und den Unterſchied der Jahre bedenke.“ „Blanche iſt nicht wie andere Mädchen,“ bemerkte Beſſie. „Man hat ſie nicht für die Welt erzogen, und ſie bedarf zur Stütze eines ſtarken deren Nie hat ein Weſen ſeine eigenen Vorzüge zu wenig gekannt, wie dieſes Mädchen, das die Demuth ſelbſt iſt.“ „Ach ich wage es nicht.“ „Verſuch es. Kein Zuſtand iſt peinli cher als die Ungewißheit.“ Blaß und zitternd, wie ein Uebelthäter den man nach dem Richtplatz führt, ſtürzte der ſtarke Mann aus dem Zimmer, um ſich über ſein Schickſaal ins Klare zu ſetzen. Erſt nnch mehreren Stunden er mit Blanche am Arme wiedet zu-~ růck Mrs. Glyde erkannte ſchon“ an dem Ausdruck der Geſichter den Stand der Dinge und öffnete die Arme, um das Paar zu umfangen. Ich bringe Dir eine Schweſter,“ ſagte Sam, und ſein männliches Antlitz ſtrahlte vor Freude. Edward Auſtin hatte gegen dieſen Bund des Herzens nicht nur nichts zu erinneren, ſondern hielt es im Gegentheil Savannah, Ga., den 3. luli 1872. rſfür ein Glück, daß ſeine Nichte einen tMann gefunden hatte, der in ſo hohem Grade fähig war ſie zu beſchützen. Auch ·die Glyde ſche Farm wurde verkauft, und ihre ſämmtlichen bisherigen Bewohner zo-~ ~gen nach New-Orleans, wo drei Monate ſpäter die Hochzeit gefeiert wurde. Die große Handelsſtadt des Südens be—- fand ſich in den Händen der Unioniſten. General Butler herrſchte deſpotiſch wie ein morgenländiſcher Satrap. Unter ſei ·ner Tyrannei gab es weder Sicherheit der Perſon, noch des Eigenthums, weßhaſb iSam mit ſeiner jungen Frau von der Einladung des ehrwurdigen Geiſtlichen Gebrauch machte und nach deſſen Heim— thweſen am Miſſiſſippi zog. Auch Beſſie und ihre Kinder reisten mit. Der Tag ihrer Ankuft war eine wahre Fete. Die Angehörigen der farbigen Gemeinde ſtröm— ·ten herzu, um ihren geliebten Hirten mit Freuderufen und Blumenkränzen zu em— pfangen. »j „Sie müſſen hier ſehr glücklich ſein,“ ſagte Beſſie tief bewegt. „Wenn mich keine anderen Bande und Pſlichten riefen ſo wüede ich Stie bitten, bleiben und ihre Arbeit theilen zu dürfen.“ i„Wie willkommen wäre mir Ihre UVn— ; terlttnng “ verſetzte der würdige Mann. ·„Ach, das Herz iſt ein ſchwaches Ding „und will ſich ſeinem göttlichen Meiſter nicht ganz hingeben. Ich kann Ihnen ·nicht ſagen, wie ſchwer mir der Gedanke an den Abſchied von Blanche, ihrem Mann und Ihnen wird. Nun, Gott wird mir Kraft verleihen, es zu tragen.“ Beſſie hatte, ehe, ſie ihre Farm verließ nach England geſchrieben, und dies nach iSam's Hochzeit wiederholt gethan, indem ſie zugleich für ihre Mutter uünd Willie ein Geldgeſchenk beilegte; aber Woche um Woche entſchwand, ohne daß eine Ant— wort einlief. Sie dachte freilich nicht, daß der Tyrann und Plünderer von New-Or— leans ihre Korreſpondenz unterſchlagen hatte. Man begreift indeß, daß es dem General nicht angenehm ſein konnte, wenn ſein ſchändliches Verbrechen gegen hülfloſe Weiber und Kinder weiter bekanntwurde. Erſt nach der Hochzeit legte Mr. Auſtin ſdem Gatten ſeiner Nichte Rechnung ab über · ihre Vermögensverhältniſſe, nach welchen der ehrliche Sam nie gefragt hatte. „Es war die Abſicht meines Bruders,“ ſſagte der Geiſtliche, „noch in guter Zeit ſſeine Farm zu verkaufen und mit Frau ſund Tochter nach England zu ziehen. ſObſchon ſein Stolz ihn abhielt, ſich zu be— klagen, ſchmerzte ihn doch die Ungerechtig— keit, welche die ihm theuren Weſen aus der Geſellſchaft verſtieß, tiefß; er kargte da— ſher ſelbſt an dem Nöthigen, um alljährlich ſeine Schoöne Summe nach London ſchicken zu können, die ſein Agent regelmäßig für ihn anlegte. Seine Erſparniſſe belaufen ſſich nahezu auf hunderttauſend Dollars.“ „So reich!“ ſagte Sam mit einem Seufzer, „und ich ſo arm ihrer ſo un—- ſwürdig!“ „Reicher, als ich bin,“ unterbrach ihn ſeine junge Frau, einen Blick des Stolzes ſauf ihn werfend. „Reich in Deinem mannhaften Weſen, in Deinem trenen, lehrlichen Herzen. Denke nicht mehr an den Vermögensunterſchied und verſprich mir daß ich nie wieder ein Wort davon zu hören kriegen ſoll.“ Obſchoͤn er ihr dieſes Verſprechen gab beſchloß er doch, jeden Schilling ihres Beibringens auf ſie überſchreiben zu laſ ſen, ſobald es in geſetzlicher Form geſche konnte.“ „Ich habe auch noch den Erlös aus der Farm in Händen,“ bemerkte der On kel. „Wenn ich noch hieruͤber Rechen ſchaft abgelegt habe, bin ich meiner bor-· mundſchaftlichen Pflichten ledig.“ Mrs. Glyde und ihre Schwägerin be gannen bald eine tiefe Theilnahme für die Arbeiten des wackeren Hirten zu hegen. Kein Tag verging, ohne daß ſie die Schu— len beſuchten, in welchen die farbigen Kin der im Katechismus und in den Elemen—- ten des Chriſtenthums, gegen das Verbot aber heimlich auch im Leſen und Schrei—- ben unterrichtet wurden, und wenn ſich Willie und Nellyh bravb hielten, ſo durften ſie als Belohnung die Mutter und die Tante begleiten. Es war ein ſchöner Anblick, dieſes rauhe Blockhaus mit ſeiner offenen Veranda, welche gegen die Ufer des Miſſiſſippi hin ging Die Kinder des Miſſionärs und die kleinen Schwarzen nahmen dieſelbe Bank ein während die kleinſten auf dem Boden umherkugelten. Beſſie ſaß mit bleichem, kummervollem Antlitß im Witt wengewand am Ende des Zimmers, wo ſie den Raum gut überſchauen konnte, und ließ ſich von den Schülern ihre Auf gaben vorſprechen; doch unterbrgch ſie zeitwillig dieſes Geſchaͤft, umüber die Vergangenheit nachzudenken oder ſich in Zukuünftsträumen zu ergehen. Wenn Blanche ſie ſo in Gedanken vertieft ſah, konnte ſie die Träumerin durch eine ſcher zende Bemerkung oder durch ein Liedchen ausihrem Brüten wecken; wo aber dies fehlſchlug, pflegte ſie den Arm um ihren Hals zu legen und ſie auf die Wange zu kůſſen. „Laß mich wieder ein Lächeln auf Dei— nem Geſicht ſehen, ; ſagte ſie bei einer ſol—- chen Gelegenheit, als Beſſie eben unge— wöhnlich gedrüůckt erſchien. „Du ſollteſt glücklich ſein, denn Du biſt ſo gut.“ Beſſie wiederholte das Wort „gut“ mit einem Seufzer. „Du biſt můd' und von der Hitze er ſchöpft,“ fuhr ihre Schwägerin fort. „Die Kinder haben ſich heute rechtbrav gehalten nicht war, Du auch?“ fügte ſie gegen den zunächſtſtehenden Wollenkopf bei. „Ja, ſehr brav,“ verſetzte der Knabe. „Sehre brav,“ ſprachen ihm alle die Negerkinder nach. „So gib ihnen jetzt Vakanz.“ Mrs. Glyde ſchüttelte den Kopf. „Dann weiß ich, was ich thne. Ich hole die alte Bene aus ihrer Hütte und ſage ihr, ſie ſolle ihren Korb mitbringen. Dies wird den Kleinen eben ſo viel Ver— gnügen machen.“ Bei dem Namen Bene erſcholl ein all gemeiner Jubel und der Ruf: „Dantke, danke, Miſſie gute Miſſie!“ Bene war nämlich eine achtbare alte Negerin, welche Kuchen und Obſt ver kaufte. Kein Wunder daß dieſer Vor ſchlag eine ſo günſtige Aufnahme fand. „Aber ihr müßt euch ſtill verhalten, bis ich wieder komme,“ fůgte Blanche bei. „Mrs Glyde iſt heute unwohl und kann keinen Lärm ertragen.“ „Sebre ſtill, Miſſie,“ riefen die Kinder. „Wie ſchwach bin ich, daß ich ſolchen Gedanken nachhänge,“ ſagte Beſſie zu ſich ſelbſt; „aber ſeit einigen Tagen quält mich eine finſtere Ahnung. V ſollte ich zu fürchten haben?“ Von Men— ſchen nichts,“ flůſterte die Stimme ihres Gewiſſens. „Es wäre eine Grauſam— keit, wenn ich ſie jetzt enttäuſchen wollte auch eine Grauſamkeit gegen ihn und habt ich überhaupt ein Recht dazu? Nein, niin,“ fügte ſie im Geiſte, „ſeine beiden Kinder ſollen das gleiche Schickſal haben.“ Ein Freundengeſchrei von Seiten der Infaßen des Blockhauſes ſchreckte ſie auf und wie ſie ſich umſah, erkannte ſie Blanche, welche eben mit Bene die Ve— randa betreten hatte. Aber dies waren nicht die einzigen Perſonen, die ihrem Blick begegneten. In größerer Entfer nung ſtand unter einem err ein Gen— tleman mit gekreuzten Armen und ſah in das Schulzimmer herein. Beſſie fuhr unter ſeinem Blick erſchrocken zuſammen zitterte heftig. Es war John Bent— ey. „Was fehlt Dir Beſſie, liebe Beſſie?“ rief Blanche erſchreckt: von der Todten bläſſe auf dem Antlitz ihrer Schwägerin. „Klopf Dir auf die Hand, klopf Dir auf die Rück, wer da anrũůhr unerlaubt,“ ſagte die Negerin, ihren Korb auf den Boden ſtellend. „Nein, Bene,“ riefen die Kinder. „So ſchau' doch auf. Was iſt vorge—~ fallen? Du zitterſt.“ Mrs. Glyde blickte auf. John Bent— ley war verſchwünden. „Es iſt vorbei,“ flüſterte ſie mit tonlo— ſer Stimme. „Ohne Zweifel die Hitze.“ „Du mußt mich nicht nach die Urſache fragen,“ ſagte ihre Schwägerin. Ich darf Dir nicht mittheilen, was die Aufre. gung veranlaßte, und möchte Dir doch keine Unwahrheit ſagen.“ Blanche, der dieſer Mangel an Vertrauen weh that, ſah ſie ernſt an. „Küſſe mich, mein Kind und verzeih mir,“ fügte die Wittwe bei. „Möge den Herz nie ſo ſchwach und be— kümmert ſein wie das meinige.“ (Fortſetzung folgt.) Das Sterben der kleinen Kinder in den Sommermonaten. In den Monaten Juni bis September hält der Tod ſeine reichſte Crnte in der Kinderwelt. Gewöhnlich ſind es die Kin— der vom erſten bis zwanzigſten Monat die in dieſer Jahreszeit am haäͤufigſten dem Tod zur Beute fallen. In den größern Städten ſteigt die Zahl der Opfer bis ins enorme. Bei Kinderleichen hört man dann wohl die üblichen Redensarten: „Es hat dem Herrn über Leben und Tod wohlgefallen, dieſes Kind hinwegzurufen“ ze. oder: „Gott hat dieſes Kind zu ſich genommen“ ~. Das klingt alles ſehr fromm und es ſoll ein Troſt ſein und iſt es auch in manchen Fällen. Aber ſehr oft wird damit dem lieben Gott die Schuld des Todes aufgebürdet, die eigent lich auf das Gewiſſen einer leichtſinnigen Mutter oder Wärterin fällt. Die meiſten der Kinder dieſes Alters ſterben in dieſen Monaten an den ſogenannten Sommer— durchfällen (Zummer complaitns), Brech durchfallen (Oholera infantum), die oft durch Witterungswechſel, am meiſten aber durch Leichtſinn, Unachtſamkeit und Nach läſſigkeit der Mütter und Wärterinnen herbeigeführt werden. Es iſt in dieſer Hinſicht von Aerzten und auf andere Weiſe ſchon oft gemahnt und gewarnt, aber leider Gottes tauben Ohren e digt worden. Das Gewiſſen vieler Men ſchen ſcheint heutigen Tages nicht beſon ders empfindſam zu ſein. Zwar beweinen oft ſelbſt leichtſinnige Mütter ihre Kinder, wenn ſie dieſelben in den Sarg betten müſſen, aber ſie machen bei jedem neuen Kinde die alten ere wieder und ſo ver lieren ſelbſt ihre Thränen viel von ihrem Werth und ihrer Weihe. Es giebt viele Muütter, die ein Dntzend Kinder zur Welt geboren haben und doch noch nichts von geſunder, vernünftiger Wartung und Pflege wiſſen, oder zäͤh an alten Vorur— theilen feſthalten, die dem Tode förmlich in den Rachen arbeiten. Wir wollen hier nicht von den vielen Krankheiten reden, denen die Kinder unterworfen ſind und davon ſie oft. ſterben, ſondern nur von denen, die im Sommer ſo häufig eintreten, und die oft durch Mütter her~ beigeführt werden. Es giebt Mütter die ihre Kinder ſtillen, die ſich um ihrer Säuglinge willen auch nicht die mindeſte Mäßignng und Enthalt ſamkeit auferlegen wollen. Ihr Ausſpruch iſt: „Das Kind ſoll ſich an alles gewöhnen“ Sie gewöhnen fort bis das Kind im Grabe liegt. Da iſt z. B. eine Mutter, wie es in größeren Städten häunfig der Fall iſt, ſie geht mit ihrem Manne in einenßiergarten oder ſonſtige Geſellſchaft, das Kind wird einige Stunden einer „vertrauten Perſon“ überlaſſen, und hat ſich durch Schreien entſetzlich „echauffirt“, die Mutter kehrt heim, angefüllt mit ſchwerem Bier oder anderen erhitzenden Getränken, oder durch Eis, Eisrahm, Limonade, Kuchen ~e., iſt ſie mit einer vollſtändigen Diarrhöe be— glückt. Jetzt bekommt das Kind ſogleich die Bruſt es muß ja beruhigt werden! Wenige Stunden darauf liegt das Kind in Krämpfen oder hat einen lebent tir lichen Durchfall. Was bei der Mutter als eine kleine Uebelkeit vorůbergeht, führt bei dem ſchwacheun Geſchöpf zum Tode. Wie manche Mutter hat durch ihr Eſſen und Trinken in dieſer Jahreszeit zu Hauſe oder in Geſellſchaft, da ſie ihre Gelüſte nach dieſem oder jenem, das ihr dargebo— ten wurde, nicht bezähmen konnte, eine unheilbare Brechruhr ihrem Kinde beige bracht. Auch machen oft Mütter den großen Fehler, daß ſie ihre Säuglinge von dieſem und jenem, das ſie genießen, nippen und genießen laſſen. Da wird das Bier oder Weinglas ~e. vorgehalten, Kuchen und allerlei Dinge dargereicht, „man muß ja dem ſüßen Engel zu Willen ſein!“ Das Kind wird dann wieder ge— ſtillt und und nach wenigen Tagen folgt man ihm zum Grabe. Ein anderes Kind wird durch die Säug—~ flaſche, durch Kuhmilch genährt; es iſt ſchönes warmes Wetter (denn wir ſchrei ben blos für die Sommermonate), ein Gewitter oder ſonſt ſchwüle Luft hat die Milch (die oft ſchon, in größeren Städten durch den Milchmann verfälſcht worden iſt, in Gährung gebracht; ſie iſt aber noch nicht ſauer genug, daß es die unachtſame Mutter bemerkt, oder daß dieſe glaubt, es ſei gefährlich. Das Kind genießt die Milch und der Brechdurchfall iſt fertig. Sehr häufig vertrauen Mütter ihre Säuglinge oder Kinderſogenannten „Kindsmägden“ an. Man lieſt häufig in Zeitungen: „Ein halberwachſenes Mäd chen wird als Kindsmagd ~e. geſucht. Nun dieſe halberwachſenen Mädchen, die faſt ſelbſt noch Kinder ſind, ſollen die Wärter innen und Pflegerinnen der theuerſten Kleinodien ſein! Iſt dieſes denn nicht geradezu närriſch! Gehört denn nicht zur hl und Abwartung eines ſolchen arten Geſchöpfes eine gefaßte und ver— tn Perſon? Wie oft geſchieht es, daß dieſe junge Mädchen, in ihrem ge— fährlichſten Alter, die anvertrauten Kin— der vernaͤchläſſigen, ſie gehen aus mit ihnen, ſie ſetzen ſie auf den kühlen Boden, um mit jungen Leuten zu plaudern, ſie kennen die Bedürfniſſe der anvertrauten Kleinen nicht, wenn ſie ſchreien giebt es Püffe, und das Kind kommt mit einer Erkältung nach Hauſe, Hitze, Fieber und oft Durchfall ſind die Folgen. Es kommt die Zeit des Obſtes. Manche Mütter können ſich nicht enthalten ein reichliches Maaß davon zu genießen. Wir wollen nicht reden von den unreifen Beeren, der St. Johannes und anderen Tranben, der Stachelbeeren, Rhubarb- Pflanzen, die durch Zucker verſüͤßt, einen ſchädlichen Einfluß ans das zn ſtillende Kind haben müſſen. Zur Zeit der Obſt— reife, der Kirſchen, Aprikoſen, Pflaumen und Birnen herrſchte ein wahrer Wahſinn unter den Müttern, ſelbſt unter ſolchen, die auf Bildung Anſpruch machen, ihren kleinen Kindern, namentlich denen, die mit der Flaſche genährt werden und ſchon etwas Feſtes zu eſſen bekommen, Obſt reichen. r iſt es nur eine Kirſche, nur eine Aprikoſe, eine Birne, höchſtens zwei und ſie ſind ja ſchön und reif und manche Aerzte erlauben ſie, aber die Folge davon iſt ein unbeſieglicher Durch fall, ein ſchmerzlicher Tod. Es iſt hier nicht die Rede von eun Fällen, ſondern von Hunderten. ohin man blicken mag in den Monaten Juni, Juli, Auguſt ünd September, überall ſieht man kleine Kinder mit Obſt in den Händchen, oft mit halbreifem Obſt; eis biel ob reif oder unreif, alles Obſt iſt tödtliches Gift für dieſelben vor dem zweiten Jahre, und von zwanzig Todes. fällen in den genannten Monaten kommen gewiß mindeſtens fünfzehn auf den Obſt genuß. Iſt das nicht der veritable Mord? Wir laſſen hier noch einige Regeln über die Behandlung und Pflege kleiner Kin— der folgen, die wir den Schriften der ausgezeichnetſten Aerzte in dieſem Fache entnehmen. Eine Mutter welche ihr Kind ſelbſt ſtillt, hat ſich vor Erkältungen und Diarrhöen zu hüten, ſie darf dem Säugling mit der Muttermilch nicht die I. Stern, Herausgeber. Laufende Nummer 63. nachtheiligen Folgen von heftigen Anfre— gungen, Leidenſchaften, Sorge, Aerger, Schrecken, Furcht ~e. einflöſen. Jähzor nige Frauen, ſagt Dr. Klenke, die keine ſittliche Kraft der Mäßigung haben, ſoll ten gar nicht ſtillen. Saäuglinge bekom—- men oft durch ſie gefährlicheConvnlſionen und den Keim des Todes. Eine ſtillende Mutter ſoll weder erhitzende Gewürze, wie Pfeffer, Senf, Kümmel, Zimmet, Muskatnuß, Saffran, Nelken, noch un— durchſchlagene Hülſenrüchte, Knoblauch, Zwiebeln, Kohl, Sauerkraut, rohe Aepfel, Aprikoſen, Birnen, Pflaumen, Gurken, Melonen, ſauereingemachteFrůchte, rohen Eſſig, Meerettig, Rettig, noch Kuchen und Paſteten (pies), ſehr fette Fleiſchſveiſen, Aal noch Häringe, Pöckelfleiſch, geräu— cherte Wurſt, Eis, ſtarken Käs, noch ſchwere bittere Biere, Weißbier, Cham— pagnier, Liqueur, Limonade, Punſch und andere Spirituoſen genießen. Aber was ſollen denn die armen Frauen eſſen und trinken in dieſer ver pönten Jahreszeit? Dafür ſtehen frei: gut ausgebackenes Brod, leichte Mehl ſpeiſen, Gries, Reis, Sago, Kartoffeln, leichtes Bier, Eier, Blumenkohl, Möhren, Spinat, Paſtinaken, Nudeln, grüne Boh— nen, Zuckererbſen, Leene. Hül ſenfrüchte, gekochtes Obſt, Erdbeeren, Kalb Rind-, Hammel, iter Taubenfleiſch! mageres Schweinefleiſch, friſche Wurſt, Forellen, Weißſiſch, Schellfiſch, Hecht, ſſde Butter, Zuckerwaſſer, Warmbier, Thee, Kafee (ohne Cichorie) mit viel Milch, Buttermilch, Cacao, Chocolade ohne Gewürz, Bouillon, leichter Wein mit Waſſer. Vor allem wird von den tüchtigſten Aerzten Milch und Milchſpei—- ſen als vortheilhaft empfohlen. Kinder welche mit der Säugflaſche auf gezogen werden müſſen, dürfen nie ſau ernde Milch erhalten. Es muß daranf geſehen werden, daß die Milch unver—- fälſcht und nnabgeſchöpft iſt. Um ſie im Sommer beſſer vor dem Sauerwerden zu bewahren und für den zarten Magen des Kindes augenehmer zu machen, em pfiehlt Dr. Dörger die Beimiſchung von gereinigtem kohlenſauren Natron, und zwar kann dies Mittel gleich für 8 —l4 Tage vorbreitet werden, indem man Loth oder 5 Gramm gereinigtes kohlenſaures Natron in 20 Loth oder 200 Gramm Waſſer auflößt, in ein reines Glas füllt und wohl verſchloſſen hält. Zu jeder Flaſche Milch, welche das Kind bekommt, wird ein Theelöffel voll dieſer Flüſſigkeit zugefügt. Wird ein Kind vielleicht während der heißen Jahreszeit entwöhnt, ſo muß eine Mutter oder Wärterin beſonders ſorgfäl— tig in der Ausſicht der Nahrung für das Kind ſein, und ſich hüten, demſelben ſolche Speiſen zu reichen, die nur für Erwach— ſene beſtimmt ſind. Die heiße Jahreszeit, in welcher in die— ſem Lande ſo viele Kinder hingerafft wer—- den, iſt wieder da; möchten Mütter nicht durch Vernachläſſigung oder falſche Be— handlung ihrer lieben Säuglinge, ihre Herzen mit einer Schuld beladen, die auch nicht mehr durch die bitterſte Rene gutge mache werden kann, den der zarte Kin desmund kann nicht einmal beruhigend ſagen: „Ich verzeihe Dir!“ (Weltbote.) Ein König in den Feſſeln einer Aben-~ teuerin. Romantiſche Carriere einer Cincinnatierin in Europa. Eine ähnliche Aufregung, wie ſie zur Zeit der Liaiſon des alten Koͤnigs Ludwig mit der verführeriſchen Lola Montez die gute Stadt München ergriffen hatte, herrſcht gegenwärtig in dortigen Kreiſen uͤber ein Verhältniß des jungen Königs mit einer amerikaniſchen Abenteuerin, welche vermöge ihrer körperlichen Reize und diplomatiſchen Gewandtheit in Liebes— Intriguen auf dem beſten Wege war, eine zweite Auflage des famoſen Lola Montez Minneſpiels in Scene zu ſetzen. —Da die Hauptfigur dieſer Romanze in den Ver. Staaten, und zwar in unſerer Schweſter ſadi an den Ufern des Ohio das Licht der Welt erblickte, ſo dürfte es für unſere Leſer um ſo intereſſanter ſein, die Details dieſer pikanten Liebes Affaire zu erfahren. „Frau Fanny Jordan von Cineinnati, Ohio, U. S.“ So lautete die Adreſſe, welche in den letzten Tagen des Januar 1872 eine reichgetleidete Dame von ein—- nehmendem Aeußern und deſtinguirten Benehmen in das Fremdenbuch des Ober— elinner Hotels in München eintrug. Frau Jordan war von einer Kammerzofe, als Ehrendame, und einer Anzahl von Koffern, Schachteln ~e., wie ſie die ameri kaniſchen Damen auf ihren europäiſchen Rundteiſen mit ſich zu ſchleppen pflegen, begleitet. Ihr Auftreten ließ ſchließen, daß es mit ihrer Reiſe·Chattuille wohl be ſtellt ſei. Hierzu kamen noch Empfeh—- lungsbriefe an den Ver. Staaten Conſul, und ſomit ſtand dem Zutritt der ſchönen Amerikanerin welche, beiläufig bemerkt, 28 bis 30 Jahre alt ~ ſein ſchien, in die beſte MünchenerGeſellſchaft nichts im Weg. Ihr Wunſch, bei Hofe eingeführt zu werden, war kaum ausgeſprochen, als auch ſchon eine Einladung zu einer Soiree bei der Koönigin Mutter erfolgte. Hiermit hatte Frau Jordan die erſte Stufe ihrer (Fortſetung auſ der vierten Seite)