Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, August 14, 1872, Image 1

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Savannah Abend Zeilung. Frof. C. I. Banſemer, Redakteur. 2. Jahrgang. No. 17. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth in Mancheſter von J. HF. Smith. (Fortſetuna.) „Kerl?“ fuhr der Sprecher fort. „Mein Sie zu ſprech mit eine Bedient? Sie mir nicht anführ, und ich recht wohl merk, wenn Sie mein zu ſein allein, wie Sie probir vor Spiegel, zu ſeh' aus wie Maſſa Welby. Aber e all nichts. Kerl ſchan hinein, Kerl ſchan heraus ſein ihrer zwei.“ Der Kellner machte dabei den Zigeuner i ſeitten mimiictn Studien vor dem Spiegel ſo poſirlich nach, daß ſich dieſer noch mehr gedehmüthigt fühlte. „Aber ich ganz vergeß,“ fügte der Neger bei, „da ſein Gentleman in das Kaffezim mer, der wüůnſch zu ſeh Sie.“ „Mich? Sein Name?“ ; „Kann nicht ſagen Nam, hier iſt ſein Kart.“ „Der ſchwarze Gentleman kann, ſcheints nicht leſen,“ bemerkte Lin höniſch. „Schwarze Gentleman nicht neugierig,“ verſehte der Kellner ausweichend. „Er ſich nnr kümmer um eigene Sach.“ „Mr. Twiſſelton?“ rief der Zigeuner höchlich erſtaunt. „Führ ihn ſogleich zu mir und da, Pompey, Mungo, oder wie Dein hölliſcher Name lauten mag“ „Sein Name ſein Memnon, Sirre,“ unterbrach ihn der Kellner in komiſcher Würde. ; ; „Gut, Memnon, da iſt ein Dollar für Dich, um Dich zu ermuthigen, in Zukunft etwas reſpektvoller zu ſein. Verſtanden?“ „Sehre wohl. Weun weiß Gentleman ſich benehm wie Gentleman, ſo ſchwarz Gentleman es erwider,“ verſette der Ne ger, die Münze einſteckend. „Bring auch Champagner in Eis“ „Sogleich, Sirre.“ „Mein lieber Mr. Twiſſelton,“ xief Lin, ans ſeiner ſtudirten Haltung aussah reud, ſobald er des Rechtsgelehrten an ſichtig wurde, „das iſt iu der That ein unerivartetes Vergnügen. Wer Henkers hätte auch gedacht, daͤß ich Sierin New Orleans wieder ſehen würde! Schade, daß Bentley ſchon wieder auf dem Wege nach Liverpool iſt; gemeinſchaftliche Spe enlation kann nicht unthätig ſein. Was bringen Sie von Mancheſter! Na důrlich dem Luchs, dieſem Spitzbuben, das Handwerk gelegt? Und wie ſteht's mit dem Blech? Doch Sie nehmen nicht Platz, und ich ermüde Sie mit meinen Fragen.“ Der Advokat lächelte über das Ge— meng von gemeiner Familiarität und affektirtem gentlemaniſchen Weſen. Wäte er mit Ernſt Welby bekannt geweſen, ſo würde er wohl gewußt haben, welches Original der gigeuner kopirte. „Ich bedauere Bentlehs Abweſenheit, da mein Geſchaͤft eigentlich ihu angeht.“ „Und wie ſteht's mit meinen Angele genheiten?“ ; „Ihre Häuſer und Magazine in Man cheſter ſind verkauft; den Erlös habe ich nach Abzug der Kommiſſionsgebüh: und der Koſten in Wechſeln auf London ange— legt. Ich bin vorbereitet, die Rechnung mit Ihnen abzuſchließen.“ Lin's Angen funkelten vor Begier; er war viel beſſer aus der Klemme heraus gekommen, als er erwartet hatte, denn ivie die meiſten Spithbuben glaubte er nicht, daß es ehrliche Leute gebe. Die Rechnungen wurden durchgegangen und gegen Empfangsbeſcheinigung die Wechſel n leliee „Das war trockene Arbeit,“ bemerkte der Zigeuner. „Was ſagen Sie zu die— ſem hennet e Kapitaler Stoff. Nur ein Fehler nicht ſtark genug.“ Er klingelte und herrſchte den eintretenden Memnoͤn in der Welbymanier zu: „Ci garren!“ „Nicht für mich,“ bemerkte der Advo— kat. „Das amerikaniſche Kraut iſt mir zu ſtark“ „Zu ſtark, weil ſie nicht daran gewöhnt ſind,“ verſetzte ſein Klient. „Doch halt ich habe etwas, das Ihnen zuſagen wird, mild wie Milch, und duftig wie wie“ „Bemühen Sie ſich nicht mit der Ver gleichung.“ „Ja, ja; es iſt unter Freunden nicht nöthig, und wir verſtehen üns gleichwohl. Bentley gab mir, eh er ausfuhr, ſein Etui wahre Edelſteine; er hat ſie von einem Freund von uns, einem Pflanzer am Fluß droben. Die meinigen waren verbraucht, und ſo beſtand er daranf, daß ich die ſeinigen annehme.“ „Ich verſtehe. Ein Abſchiedsgeſchenk.“ „Ganz richtig. Memnon, das Etui iſt in meinem Zimmer, vielleicht in mei— nem Staatsfrack.“ „Staatsfrack? Das der, den Maſſa Lin machen ließ, zu ſpeis darin bei Ge neral Butler?“ verſetzte der Neger mit einem komiſchen Augenrollen. „Ich glaube ſo,“ entgegnete der Gentle man etwas verwirrt. „Wenn nicht da,! ſo ſuche in meinem Schlafrock dem ſeidenen.“ „Ja, Maſſa Lin“ „Und bring es her.“ „Den Schlafrock?“ „Dummtopf! Nein das Cigarrenetui.“ Memnon war im Begriff, etwas zu er~ widern, aber ein geſchickt zugeſteckter zwei ſter Dollar diente als Balſam für die ſeiner Würde geſchlagene Wunde, und er verließ ſchweigend das Zimmer. „Ich muß Ihnen in der That Glück wünſchen zu Ihrer vortheilhaften Verän derung in Rede und Benehmen,“ ſagte der Advokat, den das affektirte Weſen ſei nes Klienten höchlich beluſtigte. „Hm, das Reiſen bildet, beſonders wenn man Blut in ſich hat.“ „Haben ſie auf ſich geſagt?“ „In ſich“ wiederholte der Zigenner hoch erröthend. „Sie würden Aufſehen machen in Mancheſter. Ihre alten Freunde würden Sie kaum mehr erkennen.“ „Ich koöͤnnte es jetzt dem Beſten gleich· thun,“ verſetzte der Strolch mit der Ro eitler Selbſtzufriedeuheit. „Schade, das Sie nicht zurückkehren können.“ Der Ausdruck der Selbſtgefälligkeit verſchwand, und Lin brummte vor ſich hin: „Verlangt mich auch nicht darnach. Ein Weltmann iſt überall zu Hanuſe.“ Und ler leerte, um ſeinen Aerger zu verbergen, leinen Kelch Champagner mit einem Zug. „Sie haben's hier allerdings beſſer als im Zuchthaus,“ ſagte Twiſſelton, mit ei nem ruhigen Lächeln. „Zum Henker, können Sie einen nicht in Frieden laſſen?“ rief der Zigenner, mit Macht das leere Glas gegen die ſWand ſchlendernd. „Ich bin nicht der Einzige. der in's Unglück gerathen iſt. Bentley ſteckt ſo tief im Loch wie ich.“ ; Wegen der Vitriolgeſchichte?“ „Nein, wegen“ Wegen?“ „An Ihnen iſt ein Yankee verloren; Mr. Twiſſelton. Kein Menſch beſitzt ein ſolches Geſchick, einen armen Tenfel aus zuholen.“ Armer Tenſfel was, der elegante Mr Lin?“ „Da haben wirs. Ich bin fertig und muß weichen geben. Es hilft nichts, ge gen ſeinen Advokaten Komödie ſpielen zu wollen“ „Ein ſehr verſtändiger Schluß,“ be— merkte Twiſſelton mit einem Lächeln. „Sie gefallen mir beſſer in Ihrer natür— lichen Rolle, als in der angenommenen, obſchon die letztere unterhaltend genug iſt.“ Es hatte in der Abſicht des Sprechers ge~ legen, ſeinen Klienten begreiflich zu ma chen, wie vollſtändig er ihn in ſeiner Ge walt hatte, und ſeiner Angſt eine richtige Auskunft über den Aufenthalt Bentle'ys abzudrängen, deſſen Reiſe nach England ihm ſehr apokryphiſch varkam. Memnon kehrte mit der Cigarrendoſe zurück. „Verſuchen Sie eine von dieſen,“ ſagte der Zigeunner. „Regelmäßig feine.“ Twiſſelton wählte eine aus und legte ſie neben ſich hin. „Und noch mehr Wein.“ „Sogleich, Maſſa Lin “ „Mein lieber Freund, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet,“ ſagte der Advokat. „Welche Frage ?“ „Wo iſt Mr. Bentley ?“ „Wie ich Ihnen ſagte, auf dem geraden Weg nach Liverpool; Sie können ſich ſelbſt überzeugen.“ Lin langte aus ſeinem Taſchenbuch die Inſtruktionen herans, die ihm ſein Aſſoeie zurückgelaſſen hatte Tioiſſelton nahm ſorgfaͤltig Einſicht davon. „Beilänfig, wie ging es zu, daß Sie mich hier auffanden? Mein letter Brief an Sie war von New York aus dadirt.“ Der Advocat antwortete, daß er ihn fzuerſt dort geſucht habe. „Aber ein Stern lerſter Größe,“ fügte er bei, „konnte nicht : vom faſhionablen Horizont verſchwinden, ohne“ „Laſſen Sie mich in Ruh, mit dieſem Unſinn, unterbrach in Lin und ſtürzte abermals einen Kelch hinunter. Wie wir ſchon bemerkten, war der Advokat nicht blos ein Mann von Grund— ſſa en, ſondern auch von wohlwollenden Er hatte während ſeines Be— ſſuches in Mancheſter Vieles über die Laufbahn des Zigeuners und ſeiner alten Mutter erfahren, welche ihrem Sohn bei ſeinen Handelsſpeeulationen ſo geſchickte Beihilfe geleiſtet. Da die reſpektable alte Dame nicht mehr arbeitsfähig war, ſo ſtellte Twiſſelton dem Zigenner das An—- ſinnen, fůr ſie zu ſorgen. „Sie können Sie nicht verhungern laſ ſſen,“ fůgte er bei. ttuſte er vet widerholte Lin la chend. „Sie kennen die Alte nicht; die bringt ſich überall durch. Außerdem iſt ſie Schuld daran, daß“ „Sie den armen Willie Hannan vitri ſolten?“ „Ich kann darauf weder ja noch nein ſagen,“ lautete die kluge Antwort. „Wenigſtens müſſen Sie zugeben, daß ſie Anſprůche an Sie hat. Von Liebe will ich nicht reden, denn über ſolche Rückſichten ſetzt ſich der Weltmann weg. Das Geſchäft wurde mit gemeinſchaftli chem Kapital begonnen“ „Woher wiſſen Sie dies?“ „Die Summe, die Doktor Bellow für die Körper Ihrer zwei vortrefflichen Ver— wandten bezahlte, gehörte wohl eben ſo gut ihrer Mutter wie ihrem Bruder.“ Lin erröthete tief. Es war dieß vielleicht die einzige Handlung ſeines Lebens, die Savannah, Ga., den 14. Auguſt 1872. er herzlich bereute, allerdings nicht in Folge einer edleren Regung, ſondern aus emere „Wahrſcheinlich iſt Ihnen auch bekannt, daß ich ſie wieder zurück. kanfte.“ „Gereicht ihrem Herzen ſehr zur Ehre.“ „Und ſie begrub.“ „Wo?“ „Wo ſie geboren oder vielmehr gewor· fen wurden wie die Jungen des wilden Fuchſes; denn die Hausbewohner hätten ihnen die Ruhe auf dem Kirchhof, wo wir miteinander zu ſpielen pflegten, nicht ge gönnt. Zum Henker, warum erinnern Sie mich an dieſe Dinge, habe ich nicht ohnehin genug zu denken?“ Zum erſten Male waͤhrend ihrer Unter— redung begaun Twiſſelton den Sprecher als ein der Menſchheit verwandtes Weſen zu betrachten. „Sie war ihre Mutter ſo gut wie die Ihrige.“ „Ja,“ verſetzte Lin nachdenkend, „und an ihr liegt die Schuld nicht, wenn wir Diebe und Schelme wurden; die Welt ließ uns keine andere Wahl. Sie ſoll meinetwegen vierzig Pfund jährlich ha— ben das iſt ein ſchöͤnes Geld; aber kei nen Penny für den alten Spitzbuben, und wenn er verhungerte. Bei —“ „Sie brauchen nicht zu ſchwören. Die Intereſſen Ihres Onkels gehen mich nichts an.“ „Verkauft der Schurke ſein eigen Fleiſch und Blut!“ „Und noch obendrein lebendig, be— merkte der Advokat lächelnd. Das iſt ein Unterſchied.“ „Machen Sie fünfzig Pfund. Sie kann nicht mehr lange leben.“ Nach einigen Zögern willigte der zärt liche Sohn ein. Der lettere Grund blieh wahrſcheinlich bei der Entſcheidung nicht ohne Einfluß. Mr. Twiſſelton begab ſich nun auf ſein Zimmer, um nach Verfeh· lung ſeines Reiſezwecks über die weiteren Schritte nachzudenken Zuerſt beſchloß er an Mr. Aſhton zu ſchreiben und ihn von dem voransſichtli chen baldigen Eintreffen John Bentley's zu Liverpool in Kenntniß zu ſezen. „Es gibt ein Schickſal in ſolchen Dingen,“ murmelte er vor ſich hin. „Wär hatte Bentley die Dummheit zugetraut, zurückzu— kehren das Land der Sicherheit zu ver laſſen und das der Gefahr wieder aufzn— ſuchen?“ Er wollte eben ſeinen Brief ſiegeln, als Memuon mit noch zwei an— deren ſchwarzen Kellnern in's Zimmer ſtůrzte. „Maſſa Lin! Maſſa Lin!“ keuchte der Neger mit wildrollenden Augen.„Erſterb,, Der Advokat ſprang wie elektriſirt von ſeinem Sitz auf. „Sterben?“ „Er ganz roth im Geſicht wie Trut— hahn. Trink zu viel Champagner. Zwei Flaſchen, ſeit Sie fort ſein.“ Der Rechtsgelehrte eilte nach Lin's Zim mer und fand die Mittheilung des Kell— ners nur zu wahr; ſein Klient lag be—~ wußtlos auf den Boden, die Augen weit loffen, daß Geſicht purpurroth und gednn— ſen, die Hände ſo krampfhaft geballt, daß die Nägel in die Haut eindrangen. „Sogleich einen Arzt herbei!“ rief er. Einer der Kellner verſchwand. „Und ein Federmeſſer halt, das habe ich ſelbſt.“ Ru größter Ruhe und Geiſtesgegenwart fühlte er nach der Schläfenader ſeines Klienten und öffnete ſie geſchiekt mit der ſcharfen Spitze. Nur einige Tropfen ſchwarzes Blut floſſen noch. „Gebt mir hurtig ein Glas nicht dieſes, ein klei— neres.“ Memnon brachte einen Cham— pagnerkelch. „Jetzt zündet ein Stück Pa pier an und haltet das Glas darüber.“ Der Weiſung wurde Folge geleiſtet, und ſobald die nre die Luft verdünnt hatte, ſetzte Twiſſelton den Kelch als Schröpfkopf auf die Aderöffnung. Nach einigen Minnuten floß das Blut reichlicher. Dieſes Verfahren wurde bis zur Ankunft des Arztes mehrmals wiederholt. Der Doktor war höchlich erſtaunt über dieſe beſonnene Prozedur eines Laien, die er nur loben konnte. Er fühlte den Puls des noch immer beſinnungsloſen Mannes und unterſuchte ſodann ſjeine Augen. „Hm, ich verſtehe dies nicht ganz,“ ſagte er. „Was hat er genoſſen?“ „Minzjulep und Wein,“ antwortete der Neger. „Er trinkt den ganzen Tag.“ „Ah, miteinander gezecht?“ ſagte der! Arzt. „Nur mäßig, verſetzte Twiſſelton. „Um ſo beſſer für Sie,“ lautete die Erwiderung. Der Doktor hatte augen ſcheinlich einen Gedanken aufgegriffen, über den er ſich nicht ganz ſicher fühlte, oder den er nicht klarer ausdrücken wollte. Die Füße des Patienten wurden mit Ka taplasmen belegt und die Schröpfköpfe ſo lange erneuert, bis der Arzt,es füt an der Zeit hielt, die Blutung zu unterbre~ chen. „Was menſchliche Kunſt für ihn thun kann, iſt geſchehen,“ ſagteer. „Das Uebrige muß ich dem Zufall überlaſſen.“ Als man Lin zu Bett brachte kam er ein wenig zur Beſinnung; er erkannte ſeinen Advokaten und ſtreckte die Hand nach ihm aus. „Sie müſſen nicht zu ſprechen verſuchen,“ ſagte der Gentleman, ſie ergreifend. Die Mrdero blieb un beachtet. Der Zegeuner murmelte den Namen Bentley und etwas von Cigarren doſe; daun verlor er wieder das Bewußt ſein. Eh' Twiſſelton das Zimmer verließ, ing er auf den Tiſch zu und ſteckte das us in ſeine Taſche. (Fortſetung foltg.) Aerztliche Erinnerungen aus dem deutſch - franzöfiſchen Kriege. Von Dr. Th. Nieſenſtahl ! In eiligen Märſchen nahten wir der Grenze, der unaufhaltſam die gewaltigen Kolonnen zuſtroömten ; doch ſelbſt die groͤß ten Tagemärſche genügten kaum den ſo uatürlichen Wünſchen, nicht fehlen zu dür fen auch mit unſerem Helfen am Tage des erſten gewaltigen Ringens, der nach allem nicht mehr fern ſein konnte. So langten wir ngch einem ſtarken Ritte am Spaͤtmittage des 6. Augnſt in Übach, einem etwa 3 Meilen von Saarbrücken entfernten Städtchen, an. Weit war be— reits der Abend vorgerückt, doch noch im mer ließ unſere freudig erregte Stimmung uns nicht an Ruhe denken; über den Taß von Weißenburg hatten wir bereits ge— nauere Nachrichten, aber auch ſchon von Wörth war heute eiu allerdings noch dunk. les Gerücht zu uns gelangt. Und ſo mußten denn die nächſten Tage auch uns den gewaltigen Kriegsſchauplat entrollen, waren wir doch bereits bis auf einen klei nen Tagemarſch dem Feinde nahe. Da plötzlich wurde unter dem Fenſter des Gaſthauſes ein Pferd aus ſcharfer Gangart parirt, und gleich darauf trat eine Ordonnanz in das Zimmer, mit der Frage vortretend, ob nicht vielleicht Feid lazarethe in der Stadt lägen. Nachdem ich ihm die Auskunft ertheilt, daß ich ſelbſt Stabsarzt eines ſolchen ſei, uůber reichte mir derſelbe einen Zettel mit dem Befehle des Korpsgeneralarztes, die zwei zunächſt aufzufindenden Feldlazarethe hät ten ſich ſofort im Eilmarſch nach Saar— brücken zn begeben. Ein heftiges Gefecht habe ſich dort bei ſeinem Fortreiten ent wickelt. Im Nu waren unſere Abtheilungen alarmirt, und, da die Fortbewegung unſe— -8 ſchwer beladenen Maden in dem gebir— gigen Terrain nicht ohne Zeitverluſt vor ſich ging, eilte ich mit einem gutberittenen Aſſiſtenzarzte, ſo ſchnell uns unſere indes bereits ſehr ermüdeten Pferde tragen woll. ten, voraus, um wenigſtens die ärztliche Kraft ſo ſchnell wie möglich auf die Stätte des Kampfes zu bringen. Leider erreichte uns unterwegs eine weitere Ordre vom Trainkommandeunr, wir hatten nämlich unſere Befehle von zwei Seiten zu em— pfangen, welche uns nach Burbach di— rigirte, und langten wir dort, einem etwa eine kleine halbe Stunde ſeitlich von St. Johann, der Vorſtadt Saarbrückeus, ge~ legenen Orte im erſten Morgengrauen an. Nachdem wir die daſelbſt nur ſpärlich vor~ haudenen Verletzungen verbunden, be— ſchloſſen wir, weil weder weitere Vewun— dete, noch auch die Wagen unſeres el~ zarethes eintrafen, dem erſten Befehle ge mäß, uns nach Saarbrücken zu Fuß auf den Weg zu begeben, da unſere Pferde nicht mehr der kleinſten Leiſtung fähig waren. Nun aber mehrten ſich mit jedem Schritte die Zeichen des Kampfes in ſchreckenerre— ender Weiſe, bis dieſelben in St. Johann hender einen nicht geahnten Höhepunkt erreichten. Jetzt ſchallten uns, die das rothe Kreuz kennzeichnete, Hilfernfe von Haus zu Haus entgegen. Zwar rief die Pflicht uns unerbittlich vorwärts, denn möͤglichſt ſchnell mußten wir unſere verlo— rene Abtheilung zu erreichen ſuchen, zu— mal wie erſt im Beſitze all der Hilfsmittel welche unſere Wagen führten, wirklich nachhaltiges zu leiſten im Stande waren; doch war es ganz unmöoͤglich, überall ohne Zögern vorüberzugehen. lndes ein Wort des Rathes, ein Handgriff, der eine beſſere Lagerung erzielte, war alles, was wir bringen konnten und durften. Vor nehmlich waren es die Schmerzensſcenen, welche unſere Füße bannten, wenn einer von den Tapferen, dem die Kugel das ge—~ troffene Glied zerbrochen, vom Wagen, Karren oder auch nur einer Leiter, kurz was gerade zur Hand geweſen, als man ihn von der Wahlſtätte aufgeleſen, geho— ben wurde, um in ein Haus getragen zu werden, während die wohlwollenden aber ſo ungeſchickten Hände durch arge Ver ſchiebung der gebrochenen Knochen dem armen Verwundeten unſaͤglichen Schmerz bereiteten. Freilich da war es unmoͤglich vorüberzueilen; ſchnell griffen wir zu und das zerſchoſſene Glied in den darin geb ten Händen ſicher haltend, leiteten wir die Ueberſiedelung. Dann das Gegenlegen eines Kiſſens, die Anorduung kalter ſchläge, noch ein Händedrück, und weiter rief es uns zu neuen Scenen des Jam—- mers. * Endlich der morgen begann bereits vorzuſchreiten, trafen wir auf die Wagen nnſeres Lazarethes, welches gerade begon~ nen hatte, ſich in der ſogenaunten,„Neuen Schule von Saarbrücken zu etabliren. Schnell waren die eilig mit Stroh gefüll- Matratzen in den Sälen, deren die Anſtalt 12 zählte, in langen Reihen gela— gert, mitt einem Betttuche überzogen und eine wollene Decke daneben gelegt, alles dieſes führten unſere Wagen mit ſich; dann begannen wir, die Tragbahren, welche ſchaarenweife herannahten, ihres traurigen Inhaltes zu entleeren. Doch bald nur viel zu bald waren unſere Säle überfüllt, und weiter mußten wir die armen Hilfeſuchenden ſenden, deren Träger unſere Fahne noch immer in neuen Schaaren en Unſer eigentliches Schaffen aber nahm jetzt ſeinen Anfang. Eiligſt waren einem jeden von uns zwei Sale zugetheilt, und wir begannen, je von einem Oberlazareth— gehilfen, verſchiedenen Heildienern und einigen freiwilligen Krankenpflegern aus Saarbrüůcken begleitet, die traurige Mu ſterung. Ich trat zum erſten Krankenlager. Der Verwundete lag mit ruhiger, faſt heiterer Miene da, nur den rechten Arm, um den ein Tuch geſchlungen war, ſichtlich mit großer Vorſicht ſtůtzend. „Nun mein Freund, Schuß durch den Arm?“ „Za wohl. Herr Doktor, einen durch den Arm und einen durch das Bein.“ „Bitte ziehen Sie einmal die Knie an.“ Das ging vortrefflich und ſichtlich auch faſt ohne Schmerz, alſo war dieſer Schuß jedeufalls nur eine Fleiſchwunde. Wäh rend ich einen Lazarethgehilfen anwies, die Beinkleider zu trennen, begann ich den verletzten Arm zu unterſuchen. Doch ſchon, wie meine Hand ſich demſelben nä— lherte, verhieß ſeine äußerſt ängſtlich wer dende Miene nichts Gutes. Das Tuch wurde abgenommen und nun mit dem ·Vorderarme, den die Kugel durchbohrt hatte, eine leichte Bewegung ausgeführt. tHeftig verzog ſich das una des armen ·Burſchen; noch eine kleine Bewegung, ſleider beide Knochen waren durchſchoſ ſen. » „Beſorgen Sie ſchnell,“ wandte ich mich an einen der Heildiener, „die Füllung leines kleinen Strohkiſſens u. zweier Sand— ſäcke,“ (kleine wurſtfoöͤrmige Beutel, die wir in großer Menge bei uns führten,) während ich einem zeiten Wärter den Auf— tſtrag gab, eine Eisblaſe zu füllen. Der zweite Schuß war durch die rechte Wade gegangen, ohne die Knochen zu be— nhrühren, mithin allem Vermuthen nach leine leicht verlaufende Verletzung. „Schreiben Sie,“ wandte ich mich an den protokollirenden Gehilfen: „Schuß— lfraktur beider Knochen des rechten Vorder-~ armes und Fleiſchſchuß durch die rechte Wade“ e Eilig legte ich während des auf jede vorher ſorglich gereinigte Schußöffnung einen Charpiebauſch und befeſtigte dieſel ben mit einer leicht angefeuchteten Binde. Dann wurde der zerbrochene Vorderarm auf das bereits herbeigeſchaffte Strohkiſſen gelagert und durch die ſeitlich gegengeleg— ten Sandſacke befeſtigt, während der Pro— tokollführer noch den Namen, den Ge— burtsort, das Regiment ~e. des Verwun· deten vermerkte, fuͤr die Liſte, die nun ja bereits mit ſo bangen in der Heimat er wartet wurde; ein eigenthümlich bedrük kendes Gefühl, noch ganz allein die Kennt niß von all dem Unglůt zu tragen, wel ſches bald ſo viele heiße Thränen den jetzt f wohl noch froh, wenn auch ängſtlich Hof fenden in der Heimat erpreſſen ſollte! „Nur guten Muthes, mein alter Freund wird ſich wieder machen mit Euch,“ da »mit wandte ich mich zu dem Folgenden, deſſen Blicke mir bereits mit großer Angſt hentgegenſchauten. „Wo ſind Sie verlett tmein Braver?“ „Durch die Bruſt,“ war die müh— ſame Antwort, aus der leider ſchon mit ·Sicherheit die VBerletzung der Lunge zu befůrchten ſtand. ; : ͤrren Sie gehuſtet?“ Jawohl und zwar viel Blut,“ Lquälte er noch angeſtrengter hervor. : „Jetzt nicht mehr reden, bitte; wir wer— ;den ſchon ſehen.“ DOie Kugel war vorn faſt in die Mitte der Bruſt eingedrungen; hinten unter »dem Schulterblatte zeigte ſich die größere Ausgangsöffnung. Hier war zunächſt ein gangron genauer Verſchluß, um jeden Luftdurchtritt abzuſchneiden, die Haupt ſache. „Reichen Sie mir Charpie, Heftpflaſter lund Collodium,“ wandte ich mich zurück. ; Nachdem ich alsdann zunächſt Charpie auf die gereinigte vordere Wunde gelegt, befeſtigte ich dieſelbe hier mit großer Vor— hſicht durch zahlreiche ene aufgelegte Heftpflaſterſtreifen und überzog ſchließlich das Ganze mit einer dichten Schicht Col lodium. Ebenſo wurde mit der hinteren Wunde verfghren, und dann eine große Tisblaſe auf die Bruſt gelegt. Schließ lich ließ ich dem Kranken noch mehrere Kopfkiſſen unterſchieben, um eine möglichſt hohe Lage des Oberkörpers zu erzielen. „Ruhe mein Freund, iſt für Sie jetzt die Hauptſach~, at bitte, kein Wort ſpre-~ chen! Trinken Sie Selterswaſſer mit war— mer Milch, nur nichts Heißes!“ Noch ein Muth zuſprechender Gruß für den ſchwer, obgleich nicht hoffnungs— los Verletzten, der ſich ſichtlich etwas er leichtert fuͤhlte, und, mich unwendend, ſtand ich vor einem fröhlich lächelnden Geſichte, welches mir, die Cigarre im Munde, vom nächſten Lager entgegenſah. „Bitte,“ redete ich ſchnel! ihn an, laßt Eurem Nachbar zu Liebe das Rauchen! Ihr kommt ja ohnehin ;bald von hier fort, “ denn wohl ſah man es dem fröhli chen Burſchen an, daß für ihn nicht lange ſeines Bleibens bei uns war. „Wo habt ihr Enren Schuß?“ „Durch beide Arme und Beine.“ „Oho, und ſo fidel? Bewegen Sie doch einmal!“ „Das geht alles ganz vortrefflich!“ und ſogleich focht der kleine Kerl gar ko— miſch mit Armen und Beinen in der Luft I. Stern. Herausgeber. Lanfende Nummer 69. ſumher. Richtig, zwei Kugeln hatten ſich die Weichtheile der Arme, und eine, von der Seite durchfahrend, die Muskeln bei ſder Oberſchenkel mit ſolcher Genauigkeit ausgeſucht, daß weder Knochen, noch auch Adern oder Nerven irgend erheblicher Art verletzt waren. Auch dhier wurde indes genau berbunden. „Na, Ench werden zwar Eure Schüſſe nicht viel zu ſchaffen machen tragdem aber Ruhe und kalte Umſchläge! Mau darf ſmit dem Feuer nicht ſpielen es ſind im— merhin der Oeſffnungen acht!“ Wech trauriger Kontraſt! Auf dem Nebenlager ruhte eine voͤllig unbewegliche Geſtalt in Officieruniform ſmi jenem bleichen, ſo eigenthümlich er griffenen Geſichtsausdrucke, wie er ſehr ſſchwer Verwundeten eigen, ſelbſt wenn we der Schmerz noch große Beängſtigung die ganze Gefahr ahnen laſſen. „Wo haben Sie ihre Kugel, Herr Lieu— tenant?“ und wohl mochte ein unwillkür lich mitleidiger Ton meine Befürchtung verrathen haben, denn: „Iſt nicht ſo ſchlimm, Herr Doktor, im Rücken,“ war die ſchnelle Antwort. Vorſichtig ließ ich den Verwundeten ein weniges auf die Seite wenden.— Unter dem linken Schulterblatte war die Kugel eingedrungen. Ich umfühle den Körper, eine zweite Oeffnung fand ich nicht. „Iſt die Kugel wieder heraus?“ „Ich glanbe nicht.“ Schon aber war es mir aufgefallen, daß die Beine von den Wärtern ſich gar unbehilflich hatten wenden laſſen. „Bitte, wollen Sie nicht einmal die Füße bewegen.“ Der geſammte Unterkörper blteb ſtill und ſtarr. „Wollen Sie nicht einmal verſuchen? „Ich bin ja am vollen Bewegen,“ war die ganz ätrgerliche Antwort, während Beine und Füße wie abgeſtorben ruhen blieben. Ich ſtrich über den Fuß mit dem Fin— ger. „Fühlen Sie das?“ „Ich fühle nichts!“ Ich ſtach mit einer Nadel tief in die Haut. „Haben Sie jetzt etwas gefühlt ?“ „Nein, gar nichts.“ Der Aermſte! Unzweifelhaft war die Kugel mit dem Rückenmark in Berührung gekoͤmmen und hatte die Leitung zwiſchen Nerven und Gehirn zerſtört ein rettungs los Verlorener. Ich führte die Sonde in den Schußka— nal, derſelbe erſtreckte ſich zur Wirbelſänle auf die Kugel ſelbſt kam ich nicht. So— gleich indes verzichtete ich auf jedes wei— tere Suchen, das dem Hoffnungsloſen nur nutzloſe Qualen bereiten mußte. Nachdem ich eine Eisblaſe gegen die ge— troffenene Seite gelegt hatte, nahm ich den Protokollführer die Liſte ab, um nicht beim Diktiren möglicherweiſe von dem Verwundeten verſtänden zu werden, und und ſchrieb ſelbſt: „Leutenant St., Regiment Nr..... Schuß in den Rüůcken, Wirbelſäule verleßt Kugel zurück, tödtliche Verletzung.“ „Der Kranke erhält was verlangt,“ ordnete ich alsdann an; in der Regel lei der ein Wort von boͤſer Vorbedeutung im Munde des Arztes; „ſobald Zeit dazu vorhanden, ſoll Champagner beſorgt und ſtark geeiſt gereicht werden; eine außeror dentliche Erquickung für den in ſolchen Fällen gemeiniglich in kurzem ſich ein— ded Durſt, welcher Vuuſch denn auch ſehr bald durch die und mit großer Enertit gemeinſchaftlich zu Hülse kommen den Johanniter- und Malteſerritter erfůllt wurde. Der Anblick des folgenden Kranken war ein außerordentlich betrübender, ja ſchauerlicher; er bot vielleicht das trau— rigſte Bild, welches die mörderiſche Kugel erzeugt, einen Schuß durch den Unterleib. Freilit eine Verletzung, die gemeiniglich jöchſtens Tage zu ihrem faſt regelmäßig tödtlichen Berlaufe bedarf. „Wo haben Sie Ihren Schuß ?“ fragte ich, von innigſtem Mitleiden ergriffen, den ſchmerzverzogenen Mann deſn Lei~ den noch durch ein fortwähreudes Würgen zum Unerträglichen geſteigert wurden. „Durch den Unterleib,“ hauchte der ſelbe. „Haben Sie viel Schmerzen, mein Freund ?“ fragte ich weiter, waährend ich den Leib unterſuchte, durch den die Kugel faſt mitten hindurchgegangen war. „Ach ſehr, ſehr viel, “ wimmerte der arme Krauke. „Ein Glas geeiſtes Waſſer!“ Schnell et ich dann zwei Morphi— umpulver aus meiner Verbandiaſae ſchüůttete dieſelben in einen Theelöffel, gab ſie dem Kranken ans die Zunge und reichte ihm das geeiſte Waſſer: „Bitte trinken Sie!“ Einige Momente des Würgens noch, aber die Pulver waren geichiut und konnten nun ihre ſichere Wirkung nicht verfehlen. „Haben Sie irgend Wünſche, mein Braver?“ wandte ich mich noch einmal an den ſo ſchwer Gẽtroffenen. „Iſt Gefahr vorhanden ?“ fragte der ſelbe zurück. „Die Wunde iſt nicht ungefährlich.“ „Meine arme Mutter“ ;