Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, September 04, 1872, Image 1

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Sarannah Abend Zeilung Prof. C. I. Banſemer. Redakteur. 2. Jahrgang. No. 20. Kette und Einſchlag. Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollenn o in Mancheſter von JH Smith. (Fortſetzuna.) „Wiſſen Sie ſo ganz gewiß, daß Welby ſie ihm gab?“ : „Es kann ein geſetzlicher Beweis dafür geliefert werden. Das Etni, das die Ci garren enthielt, trägt den Namen ihres Verwandten, und ſehr achtbare Perſonen erbieten ſich zu dem eidlichen Zeugniß, daß ſie es hundertmal in ſeinen Händen geſehen haben.“ „Glaube wohl, Britiſcher,“ bemerkte der General höhniſch. „Nein, ſondern Landsleute von Ihnen welche die Wahrheit kennen und ſie furcht los ausſprechen. Sie ſind zwar ein gro— ßer Mann, General, und herrſchen mit unumſchränkterer Macht, als ein euro— päiſcher Souverän, indem Ihnen Gefäng niſſe, Soldaten und Richter zu Gebot ſte heu; aber es gibt einen Rebellen gegen Ihre Antorität, den Sie nicht erdrůcken können die öffentliche Mei— nung. Soll ich Ihnen rund herausſa— gen, was ſie flüſtert ?“ „Ich kehre mich an kein Geflüſter.“ „Sie wird bald genug ſchreien,“ ver ſetzte der Advokat bedeutſam. „Und was?“ „Daß Erneſt Welby bei der Miethe der Schlange ein Intereſſe hatte.“ „Kümmert mich wenig.“ „Und daß aus guten und gewichtigen Gründen ſein mächtiger Verwandter bei der Sache die Aungen zudrückte.“ „Das ſagt die öffentliche Meinung? Ich will ihr dafür thun“ „Wo die Motive, die Theilhaber an der Spekulation ſich von Hals zu ſchaffen, ſo augenfällig ſind, müſſen die ihren Tod be-~ gleitenden Umſtände Argwohn erregen, und der Verſuch, Bentley als Selbſtmör der zu behandeln, wird ihn nur beſtätigen. Alle Engländer in New-York ſind bereit, bei dem Lord Lyons in Waſhington einen Proteſt einznreichen.“ „Hören Sie, Britiſcher,“ ſagte der große Mann nach einer Pauje, „es iſt viel Sinn und ſehr viel Schlauheit in A was Sie ſagen; ich weiß dies zu ſchätzen. Da es nicht gegen die Intereſſen der Union geht, ſo will ich nachgeben.“ „Ich habe nicht weniger von Ihrer Ge— rechtigkeit erwartet,“ verſetzte der Advo kat. „Haben Sie? Wenn man nach Ihnen urtheilen, darf muß es an der liverpooler Börſe ſcharfe Patrone geben.“ „Ich gehoööre nicht zur Börſe.“ „Fabrikant vielleicht?“ „Nicht doch; ich bin Advokat.“ Der General pfiff leiſe vor ſich hin und betrachtete ſeinen Beſuch mit einem komi— ſchen Lächeln. „Hätt's merken können,“ rief er mit der Fauſt auf den Tiſch ſchla gend. „Nur ein Advofat vermochte mich ſo herumzukrießen Wundervolle Pro— feſſion! Glorreiche Profeſſion! Befähigt den Mann zu Allem.“ „Alerdings für manches Große.“ „Wann reiſen Sie ab?“ fragte der Amerikaner. „Nach Waſhington oder New-York? Will Ihnen Briefe mitge—~ ben an den Präſidenten.“ „Ich habe vorderhand nicht die Abſicht New-Orleans zu verlaſſen.“ O! „Ich muß die Intereſſen meiner ver—- ſtorbenen Klienten wahren. Bentley und Lin haben viel in der Schlange ſtecken.“ „Ein klarer Fall; keine Ausſicht,“ ſagte der General. „Das Kriegsrecht ſpricht gegen ſie.“ „Vielleicht.“ „Mein Ruf iſt dabei betheiligt.“ „Der Ruf eines großen Mannes ſollte nicht jo leicht auf s Spiel geſetzt werden.“ bemerkte Twiſſelton ironiſch. „Wenn er dabei verloren ginge oder doch ſo befleckt würde daß ſelbſt die beſten Freunde ſich zurückziehen müßten? Guten Morgen“ „Guten Morgen, Britiſcher.“ Erlauben Sie mir, Ihnen für die höfliche Aufnahme zu danken.“ „Nicht Urſach,“ brummte der General, von übelverhehlter Wuth ſchäumend. „Und für die Gerechtigkeit Ihrer Ent ſcheidung. Sobald Mr. Twiſſelton unter Verben gen das Zimmer verlaſſen, warf der Ee neral die Cigarre, die er geraucht hatte, zum Fenſter hinaus. „Welby war ein Dummkopf,“ murmelte er vor ſich hin, „und ich auch, daß ich mich mit ihm ein ließ. Gefällt mir nicht, dieſer Britiſcher teufelmßig kalt ſinnt auf Unheil. Seis drum!“ fügte er bei. „Bin ich nicht Gonverneur bon New-Orleans? Un— heil! Jeruſalem und Schlangen!“ j Einundſiebenzigſtes Kapitel. Weder Mrs. Glyde noch Blanche dul dete, daß der Kapitän der Schlange mit ſeiner trefflichen Frau ſich wieder im Boarding— houſe einquartierte; beide mußten Mr. Auſtin's Wohnung beziehen. Blanche überhäufte ihre Beſchützerin mit Aufmerk ſamkeiten aller Art, ſo daß die anſpruchs· loſe Frau von einer Verlegenheit in die andere gerieth und ſich eigentlich unwohl fühlte, weil ſie nicht begriff, wie man einen Menſchen, der nur ſeine Pflicht er füllt hatte in ſolcher Weiſe loben und liebkoſen konnte. „Ich bitte, ſprechen Sie nicht mehr davon,“ ſagte ſie am zweiten oder dritten Tag nach ihrer Ankunft „Ich habe wahrhaftig jetzt oft genug gehört, wie übergut ich bin. Vergeſſen Sie es.“ „Vergeſſen das kann ich nie,“ ver— ſetzte die dankbare junge Frau. „Ja, viel leicht das Elend, deu Schrecken die Schande die ich durchgemacht, aber nie Ihre Theil nahme, Ihre Geiſtesgegenwart und Ihren Muth. O daß ich reich genug wäre, um Ihnen das verlorene Schiff wieder erſet— zen zu können.“ „Die Schlange iſt noch nicht verloren,“ bemerkte Mrs. Drake ruhig. „O wie freut mich dies,“ rief Blanche. „Erzählen Sie mir Alles. Nach den geſte rigen Aeußerungen des Kapitäns fürchte ich, es ſei an eine Wiedergewinnung des Schiffes nicht zu denken.“ „Die Männer ſind ſo ungeduldig,“ entgegnece die kleine Frau,„und nehmen ſich ſelten Zeit an einer Frage mehr als eine Seite zu unterſuchen.“ „Weiß der Kapitän von Ihren Hoff nungen?“ „Noch nicht meine Liebe; ſein Unge—- ſtüm könnte ſie vereiteln. Zur rechten Zeit wird Ihnen Alles klar werden.“ „Ich könnte keine Geheimniſſe vor mei— nem Gatten haben.“ Es handelt ſich nicht gerade um ein Geheimniß ſondern nur um eine kluge Zu rückhaltung. Kein Weib hat je ihrem Mann Alles geſagt, was ſie von ihm denkt.“ „O, doch, wenigſtens ich.“ „Ein Beweis meine Liebe, daß ſie mit Ihren Gedanken noch lange nicht am Ab ſchluß ſind. Auch den beſten Mann muß man es nicht fühlen laſſen, daß man ſeine kleinen Schwächen bemerkt.“ „Aber der meinige hat keine Schwä—- chen,“ ſagte Blanche „Dann müßte ich Sie bemitleiden meine Liebe.“ „Bemitleiden warum?“ „Ja, denn das unlenkbarſte Geſchoöͤp iſt ein Mann ohne Schwächen; ſie ſind die Anhaltspunkte des weiblichen Einfluſſes.“ Mrs. Glyde lächelte über das unſchul dig Stannen, das ihre Schwägerin bei dieſer ihr neuen Lehre an den Tag legte. „Ich bemerke an Beſſie's Geſicht, daß Sie mit mir ſcherzen,“ ſagte Blanche. „Ich bin freilich ein ſehr unerfahrenes Ge— ſchöpf.“ „Von Scherz iſt keine Rede,“ verſette Mrs. Drake, „denn dies kommt mich nicht oft an, am allerwenigſten aber, ſo lang mir dieſe Schlangengeſchichte auf dem Gewiſſen liegt. Indeß iſt das Schiff noch nicht verurtheilt.“ „Wird es aber bald ſein,“ ſagte der Ka-~ pitän, der beim Eintritt in das Zimmer ihre leßzten Worte gehoöͤrt hatte. „Die Landhaiſiſche haben es ſchon im Rachen. Daß ich auch ſo ein hölliſcher —“ „Ereifere Dich nicht,“ unterbrach ihn ſein kleines Weib. „Nachdem wir uns ſo lange abgeplagt haben.“ „Die Schuld liegt an mir, John.“ „Bei Leibe nicht Aennchen. Ich habe den Vorſchlag gemacht.“ „Und ich zugeſtimmt. Die Angelegen heit ſieht wohl ungünſtig aus; doch iſts am Ende nicht ſo ſchlimm, als Du Dir vorſtellſt. Das Zeugniß des Mr. Bent leyu „Der arme Bentley wird in dieſer Welt kein Zeugniß ablegen,“ bemerkte der Kapitän. Beſſie wurde ungemein bleich. „Er iſt todt, vergiftet durch den nämli— chen Stoff, der auch ſeinen Aſſocie Mr. Lin geliefert hatte. Er wurde ihm ſdurch den ſchändlichen Welby in einer Cigarre beigebracht. Anfangs wollte man die Sache als Selbſtmord behandeln und ihn wie einen Hund einſcharren; aber ein Ad-~ vokat, der in Bentley's Angelegenheiten hieher kam, trat dem General Butler tinn entgegen und focht es durch.“ „So iſt John Bentley todt?“ fragte Mrs. Glyde, ihre Hand auf den Arm des Epreer legend und ihm ernſt ins Ge— ſicht blickend. „Seit zwei Tagen.“ „Und vergiftet?“ Aan. „Möge Gott ihm vergeben, wie ich es thue!“ rief ſein Opfer, die Hände fal tend. „Sie haben ihn gekannt?“ fragte Mrs. Drake. „Nur allzu gut,“ antwortete Beſſie. „Er ſtellte ſich gegen meinen armen, blin— den Bruder als Freuud, betrog ihn richtete ihn zn Grund.“ Alſo ein ſehr ſchlimmer, ein undank— barer Menſch,“ ſagte die Kapitänsfrau. „Aber es iſt ganz recht, daß Sie um Ver— gebung für ihn bitten. Was für ein ſchwaches Ding iſt nicht ein Weiberherz,“ murmelte ſie vor ſich hin, als die Wittwe die ihre Aufregung nicht länger zu ver bergen vermochte, dana das Zimmer ver— ließ. Blanche ſchmiegte ſich an ihre Seite und ſah ihr fragend in's Geſicht. Ein neues Blatt in der Geſchichte des Lebens lag vor ihr aufgeſchlagen, und ſchon aus dem erſten Satß wußte ſie nichts zu ma— chen. „Was meinen Sie damit?“ flü— lſterte ſie. Savannah, Ga., den 4. September 1872. „Nichts meine Liebe nichts.“ „Mrs. Drake hatte recht; ein Weiber— herz iſt ein ſchwaches Ding und oft in ſei— ner Schwäche viel ſchöner, als in ſeiner Kraft. Die Männer ſollten dies beden— ken, ehe ſie es achtlos zerbrechen. Der alten Liebe mag eine neue folgen und die Erinnerung an die Vergangenheit trübe werden; doch verwiſcht;ſie ſich ſelten ganz, und ein Wort, ein Bliek iſt im Stand, ſie wieder ins Leben zu rufen. In der Ein— ſamkeit ihrer Kammer weihte Beſſie ihrem Verführer eine Thräne nicht dem wirk— lichen John Bentley, ſondern dem Ideal, das ihr jugendliches Herz erfüllt hatte. „Ich will ihr nachgehen,“ bemerkte ihre Schwägerin. „Bleiben Sie lieber wo ſie ſind,“ ver ſetzte die Kapitänsfrau. „Wird Sie mich nicht für lieblos hal~ ten? : „Nicht, wenn ihr Schmerz ein wahrer iſt. Man muß alte Wanden nicht ſondi ren, denn es regt nur auf, ohne zu nů— ßen. Was für ein Mann iſt dieſer Rechts— gelehrte?“ fügte ſie, um dem Geſpräch eine andere Wendung zu geben, gegen ihren Gatten bei. „Wie heißt er? „Mr. Twiſſelton. Er ſoll für einen Ad— vokaten ein ſehr wackerer Mann ſein.“ „Du mußt ihn zu mir oder mich zu ihm bringen, John.“ „Wenn Dn es wünſcheſt.“ „Natürlich wünſche ich es. Du weißt daß ich ſelten etwas verlange ohne einen Beweggrund.“ Am andern Morgen hielt die ſchlaue kleine Fran mit dem nicht minder ſchlanen Twiſſelton eine lange Konferenz, von wel— ſcher ihr Gatte ausgeſchloſſen blieb. Wenn ſman aus der Herzhichkeit, mit welcher ſie ſchieden, und aus den Billeten, die nach her gewechſelt wurden, einen Schluß zie— hen durfte, ſo beſtand zwiſchen ihnen das vollkommenſte Vertranen. Einigemal hätte der Kapitän wohl gerne gewußt, was ſie mit einander verhandelten; aber ſeine beſſere Hälfte ließ ihn alsbald abfah— ren. „Man muß nicht ſo neugierig, nicht ſo ungeſtüm ſein, John,“ ſagte ſie. „Du weißt, daß ich nur zu Deinem Beſten handle.“ ; Der Kapitän wußte dies und gab ſich zufrieden. Während die Verhandlungen zwiſchen Mrs. Drake und dem Advokaten ihren Fortgang nahmen, langte Mr. Auſtin mit Sam von New- York an. Es würde ſchwer ſein, die Wonne zu ſchildern, mit welcher Blanche einem erſchreckten Vögel chen gleich ſich wieder an die Bruſt ihres natürlichen Beſchützers ſchmiegte, während dieſer ſie mit ſeinen ſtarken Armen um— ſchlang und ihre Thränen wegküßte „Ich habe Dich wieder, mein höchſtes Erdengut!“ rief er. „Gott hat es gnädig ſmit uns gemacht.“ „Aber Du biſt ſo traurig verändert,“ entgegnete Blanche, ſein eingefallenes Ge— ſicht betrachtend. „Wie viel Schmerz und Elend habe ich über Dich gebracht!“ „Nie ein anderes Gefüůhl, als das der Freude, der Dankbarkeit und des Stau— nens über Deine beiſpielloſe Liebe zu einem rohen Burſchen, der ſolcher Voll. kommenheit gar nicht würdig iſt.“ Blanche legte die Hand auf ſeine Lip pen. „Du mußt nicht ſo reden. Du biſt mein Mann unad haſt kein Recht, mir zu ſchmeicheln, indem Du Dich ſelbſt her—- unterſetzeſt.“ Es war eine Stunde feierlichen Dankes für Alle. Als Beſſie und Mr. Auſtin ſich dem glücklichen Paar anſchloſſen, ver—- lieh der Letztere dieſem Gefühl Ausdruck in einem brünſtigen Gebet, in welchem er auch das Gericht berührte, das Erneſt Welby betroffen hatte. Wie Sam den Namen des Mannes hörte, der ſich einen ſo grauſamen Ein— griff in das Glück ſeines Lebens erlaubt, fuhr er aus ſeiner knieenden Stellung auf, ſeine Augen ſprühten Feuer, und ſeine männliche Geſtalt zitterte vot Zorn. „Er iſt todt,“ ſagte Blanche ihre Hand ruhig auf ſeinen Arm legend. Ihr Gatte wiederholte das Wort im Tone des Bedauerns. Er zweifelte faſt an der Gerechtigkeit der Vorſehung, daß ſie den unmännlichen Schurken anders als von ſeiner Hand hatte enden laſſen. „Du mußt ihm verzeihen. Ich bitte Dich darum.“ „Du, Blanche Du Bitteſt?“ 30 Ich habe von der vortrefflichen Frau, die mich in der Stunde der Gefahr ſteiute eine weiſe nnd nühzliche Lehre gelernt die große Lehre des Chriſten ene von der Vergebung.“ „So will auch ich's verſuchen, “ murmelte Sam. „Du kannſt Dir micht vorſtellen, wie das Herz dadurch erleichtert wird. Mit der Bitterkeit der Rachſucht weichen die ſchmerzlichen Erinnerungen, und wer er— littenes Unrecht verzeiht, fühlt ſich viel glücklicher, als der, welcher uns Unrecht gethan hat. Jede Tugend trägt in ſich ſelbſt ihren Lohn.“ Sam konnte nicht länger widerſtehen, ſondern gab dem Druck dieſer kleinen Hand nach, ſank wieder auf die Kniee nieder und ſprach im Geiſt Vergebung aus gegen ſeinen Feind. „Gott gebe, daß ich es ehrlich meine,“ fügte er bei ſei nen Ernſt damit bethätigend. Der würdige Paſtor lächelte beifallig ; ſeiner Nichte zu. Bei ſeinen Miſſionsar beiten, auf dem Pilgergang durch die Wild ·niß. hatte er mit den Verſuchungen der Leidenſchaften und mit der Empiindlich— ſtei ſeines Weſens gerungen, bis ſie über wunden und vergeſſen waren; gleichwohl »beſaß er nicht jene Kraft der Seele, welche ; erforderlich iſt, um das Fleiſch mit Füßen ſan treten. : q Zweiundſiebenzigſtes Kapitel. General Butler und ſeine Werkzeuge zweifelten keinen Augenblick an der Ver lurtheilung der Schlauge. Das Schiff war ; außerhalb ſeines Kurſes aufgegriffen wor— den, und das allgemein übliche Kriegsrecht ſprach ſo entſchieden für ſie, daß die pfiffi gen Yankees bereits in's Fäuſtchen lachten bei dem Gedanken, dem alten Lande die Laibe heimgeben zu können. Das plötzliche Wegſterben von Bentley und Lin hatte freilich, wie ſie zugeben mußten, lein verdächtiges Ausſehen; aber der muthmaßliche Moöͤrder Welby war ſchon eingegangen zur Rechenſchaft, und die Todten konnten nicht als Zeugen vorgela— den werden. Etwa eine Woche vor dem Beginn der Gerichtsberhandlung ſchrieb Mr. Twiſſel ſton an den Herrſcher von New Orleans und bat ihn um eine Andienz. Das lerſte Geſuch blieb unbeantwortet. In ſei nem zweiten Schreiben verlangte der Ad-~ vokat Gehor, mit der Bemerkung, daß er ſfůr den Fall einer Verweigerung eine Denkſchrift, welche der Ehre des Generals ſernſtlich zu nahe trete, den Botſchaftern Englands und Frankreichs in Waſhing ſton vorlegen müſſe. Butler wollte dieſes Papier anfangs geringſchaäͤtzig bei Seite werfen; man müſſe die Unverſchämtheit dieſes Advokaten ſirafen. „Abgewieſen,“ ſagte er zu ſeinem Adſutanten, der ihm zu gleich als Sekretͤr diente. „Schreiben Sie ihm dies.“ „Hoöoflich?“ fragte der Letztere. „Hum, es verſchlägt nichts, den Kerl höflich zu behandeln. Der Repräſentant der groͤßten Nation auf Gottes Erde kann's ſchon erſchwingen, ein Bischen j höflich zu ſein.“ „Er ſchreibt, als ob er Luſt habe, ſich unangenehm zu machen,“ ſagte der Offi hzier. „Meinetwegen; er kennt mich noch nicht- Bin der Meinung, ſechs Monate in einem von den Forts würden ihn ku—- ſriren. Doch ſo weit ſind wir noch nicht.“ j „Er iſt unverſchaͤmt geweſen,“ verſeßte der Adſutant, als er die wankelmüthige Sinnmung ſtines Vorgeſethzten bemerkte, „uud es ſollte mich nicht wundern, wenn ſich ſein Verhalten als verrätheriſch her aueſlellt! „Zu ſchlau für das.“ „Wär's nicht beſſer, Sie läſen das Schreiben noch einmal?“ Butler griſf den Wink auf (denn als dies war er gemeint trotz des geſchickt an—~ gebrachten Schleiers der Entruůſtung über Twiſſelton's Anmaßung) und nickte mit dem Kopf. „Was meint der Kerl damit wenn er von einer Denkſchrift ſpricht, die meiner Ehre zu nahe treten ſoll?“ „Kann mir's nicht vorſtellen.“ „Und er will ſie dem franzoſiſchen ſo— wohl, als dem engliſchen Botſchafter vor legen. Was hat Frankreich damit zu ſchaften? 1 „Ein Pfif, rechn ich.“ „Pfiff? den finde ich nicht heraus.“ ; „Vielleicht denkt er,“ verſette ſein Rath— geber, „Frankreich betrachte ſich als große Seemacht und ſei in ſeiner gereizten Stim— mung geneigt zu beißen. England iſt auch anfgebracht; aber der boshaften al— ten Schlange fehlt der Muth, ihre Zähne zu weiſen.“ Butler las den Brief zum dritten Mal. „Vielleicht iſt s doch beſſer ich laſſe den Kerl vor,“ ſagte er endlich mit einer Grimaſſe, welche verrieth, wie widerwärtig ihm dieſe Audienz war. Der Adjutant laͤchelte. „Namentlich da er zu meinem Fach gehoört“ fuhr der General ; fort. „Nichts geht über das Jlus, befäã— higt den Mann zu gar Allem. Auch ich habe es ſtudirt, und Sie ſehen, was aus mir geworden iſt.“ „„Nicht Jedermann beſitzt ihre Talente,“ bemerkte der Offizier. „Sollt meinen nicht,“ entgegnete ſein Vorgeſetter huldvoll. „Gleichwohliſt das Jus eine ſchoͤne Erfindung weiß mir einer eine beſſere, ſo will ich mich als Ak— tionär dabei betheiligen. Schätz' wohl das thu' ich! Inter nos, es gehoͤrt ſich, daß man reeiprokal iſt, und deßhalb will ich meinetwegen den Menſchen vorlaſſen. Wäre dies nicht, ſo wollte ich ihm —“ Er ſchlug dabei ſo heftig mit der Fauſt auf den Tiſch, daß mehr als die Hälfte der Papiere auf den Boden hinunterflog. Die Audienz wurde auf d«n andern Tag anberaumt. Eine Stunde vorher ſteckte ſich Butler in ſeine volle Uniform und ertheilte Befehl, daß eine Sergeanten wache ſich im Vorzimmer aufſtelle und lein Wagen bereit gehalten werde, um einen Gefangenen nach den Forts zu fůh— ren. „Wenn der Britiſcher nicht ſchlan genug iſt, mir die Klauen zu beſchneiden,“ murmelte er vor ſich hin, „ſo ſoll er ſie wettermäßig zu ſpůren kriegen.“ (Fortſehung folgt.) Ein junger Muſiker. Erſtes Kapitel. Es war an einem ſchönen Morgen des ſMonats April im Jahre 1762, als zwei ſKinder das eine ein Mädchen von un— gefähr acht Jahren, das andere ein Knabe vielleicht zwei Jahre jünger, die Rebenhü— gel von Koſohez hinabſtiegen, an deren Fuße die prächtige Moldan dahinrauſcht. Statt mit der ſorgloſen Heiterkeit ihres Alters zu hüpfen und zu ſpringen, gingen die beiden Kinder mit gedankenvollen Blicken und zu Boden geſchlagenen Augen ſHand in Hand, den Ernſt des reifen Al ſters mit den Reizen und der lUnſchuld der Jugend verbindend. Ihr Anzug verrieth Armuth; die Farbe an des kleinen Kin— des Rock war abgeſchoſſen, die Kleider des Knaben waren abgeſchabt und an Elbo gen und Knieen haarlos; die Reinlichkeit jedoch, mit der das Haar gekäͤmmt war, das friſch gewaſchene Geſicht und die zar ten Hände ſchienen auf die Liebe und Sorgfalt einer Mutter zu deuten. Jedes von Beiden hielt in der Hand ein Stück Brod, das ſie bisweilen anſahen, ohne da— von zu eſſen. Sobald ſie den Fuß des Hügels erreichten und in den Schatten des Waldes zu treten im Begriff waren, brach der kleine Knabe das Schw gen. „Bemerkteſt Du, Schweſter,“ ſagte er, „wie Mama uns unſer Frühſtück dieſen Morgen gab und wie ſie ſeufzte, als ich ſagte: Nichts als Brod!“ —,Ja, und ſie weinte,“ ſagte das kleine Mädchen. „Ich ſah ihre Thränen und den Blick, welcher zu ſagen ſchien: Es iſt nichts im Hanſe, als Brod, und ihr müůßt zufrieden ſein aber warum weinſt Du, Wolfgang?“ fügte Friedrike hinzu, während ſie ſelbſt Thränen vergoß. „lch weine, weil Du weinſt,“ ſagte Wolfgang, „und auch, weil ich nur trockenes Brod zum Frühſtück habe!“ Armer Zunge!“ ſagte Frie derike, die Thränen ihres Bruders mit einem Kuſſe trocknend, „wenn Du nur nie einen ſchlimmern Kummer haſt. „Aber warum iſſeſt Ou Dein Brod nicht?“ „Ich bin nicht hungrig.“ Das kleine Mädchen zog ihren Bruder naäher an ſich, und das Haar auf ſeiner Stirn ſcheitelnd, ſagte ſie: „Ich wollte dir einen Kuß geben und Dir ſagen, wo— ran ich dieſen Morgen dachte, wenn ich nicht fürchtete, Du ſeieſt zu klein, um Dir ſchon von ſolchen Dingen zu ſprechen.“ „gZu klein und bin doch ſo groß wie Du!“ ſagte Wolfgang in dem Tone gemachten Mitleids. „Aber ich bin groößer als Du!“ ſagte das kleine Mädchen, „und älter, denn Du biſt am 27. Januar 1756 und ich am 30. Januar 1754 geboren, das macht zwei Jahre. Aber laß uns nicht ſtreiten, ſondern lieber daran denken, womit wir unſern Eltern helfen könnten.“ „Wovoun ſprichſt Du?“ ſagte der Knabe, „was können wir thun?“ —„Laß uns beten ; vielleicht ſchickt uns Gott einen guten Gedanken.“ Wolfgang kniete nie— der und faltete die Hͤände. „Schweſter.“ ſagte er dann, „ſollen wir nicht auch zu unſerem großen Schutzheiligen Sanet Nepomutk beten?“ „Ja wohl,“ meinte Friederike, „kann nichts ſchaden.“ Beide waren ſo ernſtlich im Beten begriffen, daß ſie einen Mann in vorgerücktem Alter und von edlem, vornehmen Aeußern, der in einiger Entfernnng ſtand, gar nicht be merkten. „Unſer Gebet iſt zu Ende, Bruder,“ ſagte das Mädchen. „Und erhört,“ ſagte Wolfgang, indem er auf ſtand. „Schon?“ rief ſeine Schweſter. „Ja, ich dachte an etwas, während Du beteteſt!“ antwortete Wolfgang. „Dann muß Dir's St. Nepomuk in's Ohr geflüſtert haben,“ verſetzte ſeine Schweſter. „lch weiß nicht, war es St. Nepomuk oder nicht; aber höre, was mir in den Kopf kam: Du weißt, ich habe etwas Talent im Clavierſpielen; und wenn nicht Mama geſagt hätte, wir ſollten nicht eitel ſein, wüůrde ich ſagen, ich componire nicht ſchlecht. Und Du, Frie derike, obgleich Du nicht ſo viel auf dem Inſtrumente vermagſt, als ich, ſpielſt auch nicht ſchlechi für Dein Alter.“ —,„Da biſt ein eingebildetes Kind!“ ſagte Friedrike. „Unterbrich mich nicht, liebe Frie derike, oder ich werde vergeſſen, woran ich dachte. Wir wollen an einem ſchönen Morgen fortwandern, und wandera und wandern, ſo viel wir koöͤnnen. So oft wir an ein Schloß kommen, Friederike, ſingſt Du, und Jemand kommt an das Thor; dann werden die Leute vom Schloſſe ſagen: O, die armen dinter und uns bitten, hereinzukommen nnd uns auszuruhen. Dann werde ich an's Piano lte —“ „lſt denn eins da?“ „Als ob in unſern Tagen nicht überall Piano's wären!“ antwortete der Knabe. „aber Du ärgerſt mich mit Deinen Unter brechungen. Ich ſagte, ich gehe zum Pi ano, ſeße mich auf einen Stuhl und ſpiele und ſpiele, und Alles wird entzückt ſein. Dann werden ſie mich umarmen und uns Süßigteiten und Spielzeng ge ben und Dir geben ſie Halsbänder und Putz; aber wir nehmen es nicht, und ich werde ſagen: Bezahlt uns, damit wir das Beld nehmen und Papa und Mama bringen!“ „Du kleiner Bube, wie ehr geizig Du ſchon biſt!“ rief Friederike und war? ſich ihrem Bruder um den Hals. „Aber das iſt nicht Alles,“ ſagte Wolf lgang. „laß mich zu Ende kommen. Der n wird von uns reden hören und nach I. Stern. Herausgeber. Lanfende Nummer 72. uns ſchicken. Ich werde einen prächtigen Rock tragen und Ou ein hübſches Kleid, und wir gehen zum Palaſt des Königs. Dort werden ſie uns in einen Saal voll von ſchöͤnen Damen und vornehmen Her— hren führen, die alle mit Gold und Broͤcat ſind. Das Piano hat einen Kaſten von reinem Gold mit ſilbernem Pedal, die Schlüſſel von feinen Perlen ſund überall Diamanten Dann werden ſwir ſpielen und der Hof wird entzückt ſein. Und ſie werden uns umgeben und uns ſchmeicheln, und der König wird mich 1 was ich wolle, und ich werde ant~ worten: Was Ihnen beliebt. Und „dann wird er mir ein Schloß geben und „hich werde Papa und Mama bei mir Ihaben“ Ein ſchallendes Gelächter unterbrach mitten in dieſer Erzählung den unerſchro— ccenen jungen Clavierſpieler. Er ſah erſt hleine Schweſter an und gewahrte dann den Fremden, der hinter einem Baume kein Wort von ihrem Geſpräch verloren. Da er ſah, daß er entdeckt war. trat er zu ſihnen und ſagte: „Fürchtet Euch nicht. meine Kinder, ich moöͤchte Ench nur glück lich machen. Ich bin von dem großen Heiligen St. Nepomut zu Euch geſandt.“ Vei dieſen Worten tauſchten Bruder ſund Schweſter einen Blick aus und rich ſteten ihre Angen wieder auf den vorgeb— ſlichen Boten des Heiligen. Dieſer Blick ſſchien ſie zu bernhigen; denn der kleine Knabe eilte auf ihn zu. erFriff ſeine Hand ſu rief mit reizender Einfalt: „Ah! um ſo beſſer; koͤnnen Sie meine Wünſche befriedigen?“ „Nein, mein Lieber, nicht ganz,“ antwortete der Fremde; dann ſetzte er ſich auf die knorrigen Wurzeln eines Stammes, ſtellte Wolfgang vor ſich hin, während die Schweſter, ſchůchterner er, etwas auf der Seite ſtehen blieb ſund ſagte: „Ich werde euch geben, was ſihr wünſcht, unter der Bedingung, daß ihr mir offen auf alle Fragen antwortet, die ich an euch zu richten im Begriffe bin; lich ſage euch im Voraus, wenn ihr nur Ie ine Lüge ſagt, ſo weiß ich es“ „Mein Herr, Sie müſſen wiſſen, daß ich ſnie in meinem Leben eine Lüge ſagte,“ verſehte Wolfgang etwas beleidigt. „Das wollen wir ſehen,“ ſagte der Fremde r heißt Dein Vater?“ „Leopold Mozart.“ „Was iſt er?“ „Kapell meiſter, er ſpielt die Violine und das Pi-~ am beſten aber die Violine “ „Lebt Deine Mutter noch?“ —, Ja, mein Herr.“ „Wie viel Kinder ſeit ihr? Da der Knabe ſtill ſchwieg, antwortete ſſeine Schweſter auf dieſe Frage: „Wir waren unſerer ſieben, aber nun ſind wir nur noch unſerer zwei, mein Bruder und ſich.“ „Und euer Vater iſt arm, mein liebes Kind?“ ſagte der Fremde zu dem kleinen Mädchen. —,„O ja, ſehr arm“ ueene ſie und zeigte ihm die Brod ſtücke, welche weder ſie, noch ihr Bruder berührt hatten, „das iſt all' das Brod, das im Hauſe war. Papa und Mama haben nichts für ſich behalten. So oft Mama nns unſer Frühſtück gibt u. ſagt: Geht und eßt draußen ans dem Felde, liebe Kinder! geſchieht es nur, damit wir nicht ſehen, daß ſie nichts für ſich hat.“ „Arme Kinder!“ ſagte der Fremde tief gerührt. „Wo wohnen enre Eltern?“ „Droben auf -dem Hügel, in dem kleinen Häuschen, deſſen Dach Ihr von hier ans ſeht,“ ſagte Wolfgang. „Gehoörte das Haus nicht Duſſak“ fragte der Fremde. „Einem Muſiker, wie unſer Vater, ja, mein Herr,“ ſagte das kleine Mädchen. „Arme Kinder,“ wiederholte der Fremde, eine Thräne trocknend, „ſagt mir, um was batet ihr, als ich euch beten ſah?“ Die beiden Kiuder erzählten es ihm aufrichtig. „Wenn, was Wolf— gang ſagt, wahr iſt, daß ihr beide ſo gut Piano ſpielen könnt, ſo iſt es ſehr wahr— ſcheinlich, daß ihr Geld erwerben könnt, und ich bin vielleicht im Stande, euch zu helfen.“ „Mein Bruder iſt ein ſo guter Muſiker,“ ſagte das Madchen, „daß er ſnicht nur Alles vom Blatt ſpielen kann, ſondern er componirt auch ganz hübſche kleine Stücke.“ „Wie alt iſt Dein Bru— der? „Sechs Jahre und ich bin acht“ Und dies Kind componirt ſchon? rief der Fremde. „Setzt Sie das in Er ſtaunen“ ſagte Wolfgang lachend. „Kommen Sie mit mir nach Hanſe und Sie ſollen ſehen. Der Fremde zog ſeine Uhr heraus, dachte einen eit nach und ſagte dann in halb ernſthaftem, halb ſcherzhaften Tone: „Meine lieben Kin der, der große Nepomuk, der verehrte Schutzheſlige Böhmens, befiehlt mir, euch zu ſagen, daß ihr zu enren Eltern nach Hauſe gehen und den ganzen Tag dort bleiben ſollt; vor Nacht werdet ihr Wich— tiges erfahren.“ Der Fremde wollte gehen, aber Wolfgang packte ihn am ar „Nur noch ein Wort, ehe Sie zu~ rückgehen. Ich möchte Sie fragen, ob der große Nepomuk meiner Mutter nicht ein Mittageſſen ſenden wolle? Er kann es, das weiß ich gewiß.“ —„Allerdings kann er es, und Deine Mutter ſoll es ha— ben,“ ſagte der Fremde. „Braucht ihr onſ noch etwas, ſag' es nur.“ „Nun denn, einen nenen Frack für Papa; er konnte ſeit einigen Tagen aus Mangel an einem ſolchen, ſeine Stunde nicht mehr grten „Und dann ?“ „Und dann ſein neues Kleid für Mama! es würde ihr lio gut ſtehen “ —. Iſt das Alles?“ (Fortſetzung auf der vierten Seite.)