Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, September 18, 1872, Image 1

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Sarannah Abhend Zeiſng. Brof. C. I. Banſemer, Redakteur. 222 2. Jahrgang. No. 22. Kette und Einſthlag. Aine Erzͤhlung aus der Zeit der Baumwollennoth An Mancheſter ; von 43 Smilh. (Fortſetzuna.) ; Dreiundſiebenzigſtes Kapitel. ~ Kapitän Drake war ſo glücklich, eine Ladung nach Havre zu erhalten, und wollte dann von dort aus nach London ſegeln. Mr. Twiſſelton, den der Gene— ral ſtreng beobachten ließ, ſah der Befrach tung der Schlange mit großem Intereſſe zu. Den Tag vor der Abfahrt fand noch eine Zwieſpache zwiſchen ihm und Mrs. Drake Statt. „Sie haben mich natürlich nicht vergeſ ſen?“ ſagte er. : „O nein“ „In fünf Tagen alſo?“ „Wird mein Verſprechen erfüllt ſein.“ Obſchon er ein Advokat war, ſtellte er doch keine weitere Frage, denn die Kapi— tänsfran hatte ſein volles Vertrauen ge— wonnen. „Ihr Vertrauen freut mich faſt noch mehr, als die Güte, die Sie mir erwieſen haben,“ fuhr Mrs. Drake fort. „Dafür möchte ich ihnen nun auch einen Rath er— theilen.“ „Ich will hören“ „Aber Sie dürſen mir ihn nicht übel nehmen.“ „Gewiß nicht.“ Verlaſſen Sie New- Orleans, ſobald Sie wiſſen, daß die Briefe in Butler's Händen ſind.“ „Um dieſes zu wiſſen, müßte ich mit ihm ſprechen.“ „Nicht nöthig. Die mit der Ueberlie ferung betrante Perſon wird Sie davon in Kenntniß ſetßzen. Verlieren Sie dann keinen Augenblick; Sie werden Alles zu Ihrer Flucht vorbereitet ſinden.“ „Flucht?“ wiederholte Mr. Twiſſelton. „Oder Abreiſe, wenn Sie lieber wol~ en.“ Der Advokat begann ſich etwas unbe— haglich zu fühlen. „Sind Sie von einer Tücke unterrichtet, auf die er gegen mich ſinnt?“ „Nein; aber ich habe einen Argwohn gegen den Menſchen. Es liegt mehr von dem Tiger, als von dem Bären in ſeiner Organiſation, und wenn ich nicht die le— berzeugung in mir trüge, daß für Ihre Sicherheit geſorgt iſt, ſo würde ich mich nicht für berechtigt halten, ohne Sie aus· zufahren. Doch die Maßregeln, die ich getroffen, können nicht fehlen.“ „Darf ich fragen, welcher Art dieſelben ſind?“ „Hieranf kann ich nicht antworten. Verlaſſen Sie ſich auf den Freund, der zu ihnen kommen wird, und folgen Sie ohne Bedenken ſeinen Weiſungen.“ „Ich habe ihr vertraut,“ murmelte er als er nach ſeinem Hotel zurůcktehtte,„und will es ferner thun, obſchon man mich wahrſcheinlich in Weſtminſter Hall aus lachen wird, daß ich mich durch die Ver ſprechungen eines Weibes blindlings lei— ten ließ. Freilich iſt Mrs. Drake kein ge~ wöhnliches Weib, und für ihre Ehrlichkeit ſtehe ich gern mit dem Leben ein.“ Blanche bedurfte all' des Troſtes, all' der warmen Theilnahme, welche ihr der Gatte und die Schwägerin bieten konnten, um bei der Trennung von ihrem Onkel, welchen Sie in dieſer Welt nicht mehr zu ſehen hoffen durfte, dem Schmerz nicht zu erliegen. „Tröſte Dich, mein Kind,“ ſagte er. „Wenn ich auch mit Dir nach Eng— land zöge, ſo wäre damit nur ein kleiner Aufſchub des Abſchieds gewonnen, da uns der Tod doch bald ttennen würde. An Deinem Lebenspfad blühen noch die Blumen des Lenzes, während auf dem meinigen bereits der Schnee des Winters liegt. Und zudem gilt es ja nur eine kleine Spanne Zeit bete, daß wir uns wieder ſehen mögen. Bete für mich.“ „Ich für Sie beten, dem ſein Platz im Himmel bereits bezeichnet iſt durch eine ſtrahlende Krone, den Lohn der Tugend und Demuth? Beten Sie lieber für mich Onkel, daß ich aufrecht bleibe unter den Verſuchungen der Welt und eines Tages an Ihrer Seite ſtehe.“ „Ich will es, ich will es,“ murmelte der Pfarrer, ſie liebevol! küſſend. Und nun lebewohl, Blanche. Es wäre un~ klug, dieſe peinliche Szene zu verlängern. Nimm Sie mit Dir, fuͤgte er bei, ſie in die . Arme ihres Gatten legend. Ich er· theile keinen Rath und verlange kein Ver ſprechen, denn ich kenne den Mann, dem ich die Waiſe meines Bruders vertraut habe.“ Sam verſuchte zu antworten, aber ein Schluchzen erſtickte ſeine Stimme; er konnte nur ſchweigend dem Geiſtlichen die Hand drücken. Dann lüůpfte er ſeine Frau in das Boot, in welchem Beſſie be reits mit den Kindern ſaß und gab das Zeichen zum Abſtoßen. Während dieſ Matroſen von hinnen ruderten, ſpielte der Wind mit den weißen Locken des Geiſt lichen, der mit dem entblößten Haupt und gefaltetèn Häuden ſeinen Lieben nach ſchaute, bis er ſah, daß ſie ſich an Berd der Schlange befanden. Dann wandte er ſich der Stadt zu, um in ſeiner dorti gen verlaſſenen Wohnung Vorbereitungen zur Rückkehr in die Wildniß zu treffen. „Fünf Tage!“ murmelte er vor ſich in „Für den Harrenden eine lange Zeit; aber ich werde nicht müßig ſein.“ Nie war Mr. Twiſſelton die Zeit traä ger entſchwunden, als nach der Abfahrt ſder Schlange. In der einen Stunde ſbereute er ſeine Unklugheit, Butler ſein En gegeben zu haben, in der nächſten verwarf er dieſen Gedanken wieder als ſeine Ungerechtigkeit gegen die kleine Frau, deren Klugheit und Takt einen ſo merk. würdigen Zauber ans ſein Urtheil geůbt hatte. Als jedoch der fünfte Tag ent ſchwand, ohne daß ihm eine Kunde über die Briefe zuging, erſchien ihm ſeine Lage, doch in einem entſchieden kritiſchen Lichte. Am Ftühmorgen des ſechsten führte ſchwarze Kellner den Pfarrer Auſtin bei ſihm ein. „Sie erwarten ohne Zweifel meinen ſagte der Geiſtliche „Auf Er· ſuchen der Mrs. Drake, deren Güte gegen meine Nichte ihr Anſpruch auf imeine Dienſte verlieh, habe ich zwei Aufträge ſübernommen erſtlich ein Packet Briefe ſan General Butler zu ůbergeben, und zweitens für ihre Sicherheit Sorge ſtragen.“ „Für meine Sicherheit?“ verſetßte Mr Twiſſelton im Tone der Ucberraſchung „Sie kann ſchwerlich gefährdet ſein, wenn ſdie Briefe richtig beſorgt werden“ Sie kennen den General?“ „Ich bin zweimal bei ihm geweſen.“ „Und darf ich fragen, welchen Eindruck ſer auf Sie gemacht hat?“ „Ich hatte kaum Zeit, meine Gefühle zu zergliedern,“ verſetzte der Advokat aus weichend. „Soll ich es für Sie thun?“ fragte ſein Beſuch. „Sie fanden ihn roh von Geiſt und Sitte, unwiſſend, falſch, rach· ſſüchtig und grauſam.“ „VBot! Es könnte uns Jemand hören. Sie haben zweimal ſeine Pläne durch kreuzt,“ fuhr der Geiſtliche fort, ohne ans die Warnung zn achten. „Glauben Sie daß er Ihnen dies vergeſſen oder vergeben ſwird?“ „Schwerlich.“ „So werden Sie wohl auch kein Be denken tragen, ſich meiner Leitung anzu vertrauen?“ „Ihr Name und Stand ſind mir eine hinreichende Bürgſchaft; aber ich habe dieſem Menſchen mein Wort als En der gegeben, New Orleans nicht zu ver· laſſen, bis ihm ſeine Briefe an Welby zu· rückgegeben ſind. Vielleicht habe ich da— : unklug gehandelt; aber was auch e ſraus folgen mag, ich werde meine Zuſage nicht brechen.“ „Das ſollen Sie auch nicht,“ verſetzte Mr. Anſtin. „In weniger als Stunde ſind ihm die Briefe übergeben.“ „Von wem?“ „Von mir. Und ſobald dies geſchehen iſt, můſſen Sie die Stadt verlaſſen“ „Aber wie erfahre ich —“ „Laſſen Sie mich ausreden. Mein Plan iſt gnt vorbereitet. Sie begleiten mich und bleiben ans dem freien Plat vor dem Gonvernementgebäude. Sobald Sie mich mit einem wejßen Taſchentuch in der Hand auf dem Balkon bemerken, ſo iſt die Bedingung Ihres Worts erfüllt und Sie können ſich der Führung der Perſon überlaſſen, welche Sie anreden wird.“ „Tanſend Dank für Ihre Güte, mein thenrer Herr. Aber ſetzen Sie ſich nicht ſelbſt dadurch in Gefahr?“ „Ich denke nicht,“ entgegnete Mr. Auſtin. „Den Nordiſchen iſt daran gele— gen, ſich die gute Meinung der Partie zu erhulten, zu der ich gehöre. Wir haben ſowohl im Senat als im Repreſentanten— haus Freunde, die nicht ſchweigen würden, wenn mir etwas zu Leide geſchehen ſollte. Sie koönnen reiten, hoffe ich?“ „Es iſt eine von meinen Schwächen, E für einen ſehr guten Reiter zu hal. ten.“ „Einige Stunden werden Sie aus dem Bereich der Gefahr bringen. Man ver— folgt Sie vielleicht, aber meine Pläne ſind zu gut angelegt, als daß der Feind Sie einholen ſollte Wenn Sie Papiere von Werth beſiten, ſo nehmen Sie dieſelben gleich jetzt mit. Sie dürfen« nicht mehr in's Hotel zurückkommen.“ Mr. Twiſſelton beachtete dieſen Wink und einige Minuten ſpäter verließen ſie mit einander das Hans. In New-Orleans war nur eine d derei Ungeduld die des Rechtsgelehrten überbot, nämlich der General Butler, der nach Tigerart ſeinen Sprung zu thun Luſt hatte, aber doch aus Furcht bor einer unbekannten Geſahr mit der verhängniß vollen Bewegung an ſich hielt. Die Aus. laſſungen der entrůſteten Preſſe des Nor ſdens gegen ſeine Raubgier und Grauſam— keit hatten ſeine Stellung erſchüttert, und ſſie konnte unhaltbar werden, wenn der Geſandte Englands mit einer neuen Bloß— ſtellung hervortrat. Es war daher kein Wunder, wenn er mit ſo heißer Begier der Zurückgabe der kompromittirenden Briefe entgegenſah; befand er ſich einmal im 0 der Beweiſe, ſo brauchte er ſich um kein Geſchrei mehr zu kümmern, und konnte mit dem naſeweiſen Engländer, der ihm zweimal in den Weg getreten, r Belieben verfahren. ; „Schätz, ich bin konſiderabel froh, Sie zu jehen, Mr. Auſtin,“ ſagte der General als der Adjutant den Pfarrer bei ihm Savannah, Ga., den 18. September 1872. rttete: „will ein Nigger ſein, wenn's nicht wahr iſt. Schreckliche Arbeit, das Predigen bei ſolchem Wetter. Gehts mit den Ebenezern vorwärts?“ Der Beſuch ſah ihn überraſcht an. „Mit den Salems, den Zions?“ fügte der Sprecher bei. „Wenn Sie die Kirche meinen —“ „Rechne, das thuich.“ „So zeigt ſie ſich nie in groöͤßerer Herr— lichkeit, als wenn ſie niedergetreten und unterdrückt wird.“ „Wie unſere glorreiche Inion, kalkulir' ſich bemerkte der große Mann. „Was ſiſt Ihre Liebhaberei Julep oder Cobbler ?“ „Ich bin nicht gekommen, um mich an Butlers Gaſtfreundſchaft zu ver-·! ſſündigen,“ entgegnete Mr. Auſtin, der ſdieſe gemeine Vertraulichkeit erwiderte. „Pah, ungenirt, Können's ein ander mal heimgeben.“ „Sondern um ihm ſeine Korreſpondenz mit Welby zu überbringen.“ Der Generai riß ihm haſtig das Packet lans der Hand; ſein ganzes Geſicht ſtrahlte von wilder Freude. „Schätze, bei dem Britiſher iſt jett der Stiel umgedreht.“ murmelte er halblaut vor ſich hin. Er ollte ſeinen Adjutanten rufen, um ihm ſeinen Befehl zu ertheilen; der Geiſtliche ſaber erdieth dieß und beugte geſchickt durch die Frage vor, ob er ſich nicht vorher ůber-· zeugen wolle, daß in dem Packet die ganze Korreſpondenz enthalten ſei Während Butler das Siegel erbrach und die Briefe durchlas, trat Auſtin auf den Balkon hinans, der die ganze Länge ſdes Zimmers einnahm. Der Tag war ſſehr heiß, nnd es ſiel daher nicht auf, daß er ſein Taſchentuch in der Hand trug. „Donuer und Schlangen!“ rief endlich ſder General, „wie mich dieſer Welby da~ ſran gekriegt hat! Geriebener Kerl; Schade ſdaß er ſo bald hat abfahren müſſen. Großer Verluſt für die Union.“ „Ein noch größerer fuür ihn ſelbſt. Er ſſtarb dahin in ſeinen Sünden und mit ſeinem Verbrechen auf der Seele —“ „Haben Sie dieſe Briefe geleſen?“ un· ſterbrach ihn ſein Zuhörer. Keine Shlbe.“ Seltſamerweiſe glaubte ihm der Ty ſrann. ; „Mit einem Verbrechen, wie nur je ſeines den Namen Menſch geſchaͤndet hat, fügte Mr. Auſtin bei „Ah, Sie meinen die gelbe Dirn?“ „Ich meine meine Nichte,“ verſetzte Blanche s Onkel. : „Gleichwohl gelbe Dirn hab' die ganze Geſchichte gehört. Welby war der Mann, einen Pinſel voll Theer aus einem ganzen Acker weißer Tünche herauszufin den. Nichts Arges das.“ „Mein. Verſprechen iſt erfüllt, General, und ich bitte, mich zu entlaſſen. Ich kann! ſnicht mit anhören, wenn Sie Grund· ſͤte vertheidigen, die ebenſo verleßzend für meinen Verſtand wie fuͤr meinen Be—- ruf ſind.“ „Ha, der Schäfer will mir predigen,“ entgegnete der Diktator mit finſterer Miene. Sie ſchüchtern mich nicht ein,“ fuhr der Pfarrer fort. „Die mit Glauben und Geduld bewaffnete Seele iſt gewaffnet ge— gen Alles. Meine Tage ſind in der Hand Gottes, ohne deſſen Zulaſſung Sie dieſel ben um keine Stunde verkürzjen koöͤnnen.“ „Wer will ſie verkürzen?“ „Wenn wir uns begegnen, ſo hoffe ich, Sie mit einem andern zu treſffen.“ Butler knirſchte, als der Geiſtliche das lummer verließ, mit den Zähnen, und ſeine Hand zuckte nach der Klingelſchnur; bei weiterer Erwägung aber hielt er an ſich. „Die dehhſde alte Klapper ſchlange,“ murmelte er; „aber ich rechne ſie wird zerklopft, wenn einmal die ah lreiche Union wieder hergeſtellt iſt. Gut, ſdaß ich noch den Britiſcher in meiner Ge— walt habe. Keine Freunde im Kongreß, rechn ich.“ Und er verließ das Zimmer um Befehl zur Verhaftung des Advokaten zu ertheilen. Nachdem das verabredete Signal gege—- ben war, ſah ſich Twiſſelton nach dem ſverſprochenen Führer um. Er brauchte nicht lange zu warten. Ein junger Mann, augenſcheinlich von gemiſchtem Blut, nä— herte ſich ihm und ſflüůſterte: „Kommen Sie mit mir.“ Sie hatten bald das Flußufer erreicht, wo ein mit Negern be— manntes Boot ihrer harrte. Sie ſiegen ſchweigend ein und ließen ſich überſeten. Am andern Ufer ſtanden Pferde bereit. j „Haben wir weit zu reilen?“ fragte der Advokat. „Ungefähr zwanzig Miles,“ antwortete der Führer. . „So müſſen ſie ſcharf ausholen, wenn ſie uns noch erwiſchen wollen.“ ẽ „Unſere Feinde ſind vor uns,“ entgeg nete der Jüngling, auf die eſen dräͤhte dentend, welche die VBerbindung mit den Vorpoſten der Nordarmee herſtell: 0 ten. Die Flüchtlinge hatten kaum zehn Miles zurüůckgelegt, als ſie eine Abtheilung leichter Dragoner ans ſie zukommen ſahen Der Führer bog raſch links um, bis er eine Anhoöhe erreicht hatte. Hier machte er Halt und ſchaute ruhig untn „Wir müſſen ſcharf reiten,“ ſagte er, da er einen zweiten Trupp auftauchen. ſah. „Sehen Sie dort jene Brücke?“ (Fortſetzung folgt.) 1 Berrathen. Dem Amerikaniſchen nacherzaͤhlt von Lina Freifrau von Berlepſch. ~ Zu nnangenehm iſt das Gefühl, wenn ſich uns zum erſten Male die Ueberzeugung anfdrängt, daß ſich im Leben eines Freun— des, ein Geheimniß, ein ſchlim mes Ge— heimniß birgt. Ich ſaß in der Oper und lauſchte den Melodien zu Verdi's „Maskenball“ ſo aufmerkſam, als es die zunehmende Ge— wißheit eines dunkeln Geheimniſſes im Leben der Bellmaines erlanbte. Sie waren ſeit drei Jahren vermählt. In ihren Maͤdchentagen hatte man Myrrha Daynbeſt, nnn Hugo Bellmaine s Gat tin, ob ihtrer kalten eiſigen Schönheit die „Marmorbraut“ genannt. lch kann nun nicht behaupten, daß mir derlei Na— turen onttnem ſeien, ſobald ich aber Miſtres Kellmaines Hand zum erſten Male berührte, hatte ich ſie lieb. Es war eine weicht, warme ſympathiſche Hand. Es machte mir auch Freunde, Myrrha nur anzuſehen. Man mochte wohl nur ſelten ſolch tadelloſe und doch nicht klaſſiſche Züge, ſolch klare kalte Augen, ſolch ſamm— tene Haut ſinden, die au den Duft einer ſeltenen Blume mahnte. Zudem nannte ſie mich ſofort Lina, und ich habe das gern. Sobald ich aber ihren Mann er blickte, dachte ich an einen Vampyr. Er hatte ein böͤſes Auge. Und doch war es nicht ſchlimm nach Form, Farbe oder Aunsdruck, ſondern bezüglich des Le— bens, von dem es Zeugniß gab. Ein Ange, das nicht frei dich anblicken konnte, das auswich und ſich ſenkte. Anuch die toͤdtliche Blässe des Antlitzes, die durch das ſchwarze Haar noch mehr hervorgeho ben wurde, dentete lebles. Ich war ſroh daß Hugo Bellmaine's ceremoniöſe Ver beugung mir die Nothwendigkeit, ihm die Hand zu reichen, erſparte, denn mir war's, als muͤßte ich deren Kälte durch die Hand— lſchuhe fühlen. Noch heute vermag ich ſnicht zu lächeln, wenn ich an ſenen Abend denke Und doch wußte ich damals noch nichts von der unſagbaren nnausgeſpro ſchenen Angſt und Qual, die, nachdm ſie des Vamphrs Weib geworden, das Antlitz der Marmorbraut gebleicht hatte. „Die Vampyre ſaugen das Herzblut“, werden dir die Lente in Braſillen ſagen. Ungläu— bige freilich behaupten, es gebe keine Vampyre. Der menſchlich e Vam pyr aber exiſtirt dennoch, er ſaugt das ſbeſte Blut. Hugo Bellmaine war ein ſolcher. —— Es war troſtlos, mit den jungen Gat ſten in der gleichen Loge zu ſitzen, zu ſehen, wie ſich ihre Blicke mieden, wie Myrrha lzuſammenfuhr, wenn Hugo's Hand ſie zufällig beruhrte, und der Mann, von dem nür der Tod ſie ſcheiden ſollte, dann erbleichte. 2 Die Unterhaltung beſchränkte ſich auf einzelne Worte, welche die junge Fran gelegentlich an mich richtete; einmal be— merkte Miſter Bellmaine, daß Verdi's Muſik ihm auf die Nerven gehe. Spä— ter entdeckte ich, daß ihm Alles auf die Nerven ging. Und nicht ohne Grund. Mit ſolcher Seele Muſik, dieſe Himmels— gabe, hören zu müſſen: wahrlich, ſchon hienieden beginnt die Qual der Hölle! „Was immer vorliegt, ſie iſt ſchuld— los “ ſagte ich mir ſtets wieder, wenn ich die äußere Erſcheinung der Gatten ver— glich. Myrrha ruhig und groß, mit klaren reinen Augen und ſicherer, wenn auch kalter gemeſſener Stimme. Hugo's Antlitz dagegen erinnerte an die Masken ſauf egyptiſchen Monumenten ſcharf ſm Uniriß, kalt wie die ſteinernen Augen der Iſis, geheimnißvoll im Ausdruck, erbarmungslos grauſam wie der Tod. Das Ehepaar hatte das Geſpenſt, das ſichtlich ihr Daſein umſchattete, in die togagleichen Falten geſellſchaftlicher Würde gehůllt. Der grinſende Todteukopf tr n eine Sammtmaske. O Myrrha, ſo ſchön, ſo ſchön, ſo gut, wie ungerecht hat dich die Welt Jahre und Jahre lang beurtheilt! Der „Maskenball“ war vorüber. Die jnnge Frau legte mir den Mantel um und bat mich, in thunlichſter Bälde mit ihr einige Arien der Oper zu ſingen. Eine Viertelſtunde ſpaͤter hielt Bell. maine's Equipage vor meiner Wohnung. dils der Wagen abfuhr, winkte mir Myrrha, traurig lächelnd, ihren Ab— ſchiedsgruß zu. Ihr Mann ſaß ihr ge genüber. Im fahlen Scheine der Gas~ lampen erſchien ſein Antlitz geſpenſtig und bleich, und die ſchwarzen lockigen Haare klebten gleich Blutegeln an den eingeſunkenen Schläfen. Hugo Bell maine zählte kaum 35Jahre, ſeine Schläfen aber waren eingeſunken. Ich danke Gott, nicht dieſes Mannes Weib zu ſein. Hugo Bellmaine war nicht immer ſo reich geweſen, als zu der Zeit da ich ihn und ſeine Frau kennen lernte. Kennen lernte, habe ich e Nein, Niemand hat je Hugo Bellmaine gekannt. Er hatte den Kampf mit dem Leben als jun—- ger Advokat aufgenommen und zehn Jahre ſich gemüht und gerungen, gleich all Jenen, die ſich am Gerichtshofe von New York nicht irgendwie anszeichnen und die öffentliche Aufmerkſamkeit auf ſich lenken. Bellmaine hatte wenig Be kannte und keine Freunde; er war nicht ſympathiſch. Im Samen der Sympa— M ——— ſthie aber keimt die Blume des Ruhmes. Um all das Unheil erfolgloſen Strebens ſzu krönen, liebte Hugo, ſo kalt, düſter und ſabſtoßend er auch erſcheinen mochte, mit ſaller Gluth des Herzens ein reizendes Weſen, das, unerreichbar wie ein Stern, ſüber ihm ſtand in jener Sphäre der Rei chen und Glücklichen. Es war Myrrha Daynbeſt. Er hatte ſich geſchworen, ſie zum Weibe zu nehmen, und was er ſchwor, war, wie die Orientalen ſagen, geſchrieben. Auch Myrrha's Herz neigte ſich · dem ernſten ſdüſtern Mann zu, aber das K in der Zeit, wo die Wolle, die nun ſein Leben umnachtete, ihn noch nicht umfangen hatte. Der Schatten war über Huͤgo gekommen zwiſchen den Tagen, da Myrr has Liebe erblühte, und ihrer Vermäh— lung. Der einzige Client, von dem der junge Advokat dauernde Einnahme hoffen konnte, war ein ehemaliger Kanfmann, ſein Portugieſe, Pedro Escobar. Er war ein häßlicher Greis. Das Haupt wackelte beſtändig, und ebenſo unfreiwillig mur melte er fortwährend vor ſich hin in einer Weiſe, die ihm ſelbſt eben ſo unangenehm, ſals dem Zuhörer unerträglich ſein mochte. Nach allgemeinem Urtheil der Bewohner ſjener engen Straße, in welche er ſich, zu— folge ſeiner exeentriſchen Gewohnheiten, zurückgezogen hatte, war Pedro Escobar ſſehr reich. Aber ſelbſt das kleine feſte Haus, das er bewohnte, konnte von Rän ſbern des alten Mannẽs Schreckbild, ſüberfallen werden, und er beſchloß, all ſſeine Schätze der Sorgfalt ſeines Rechts ſanwaltes Hugo Bellmaine, deſſen ernſtes ſolides Weſen ſeine Achtung gewonnen haͤtte, zu vertrauen. Nach und nach ſchleppte er Hab und Gut zu dem Advo· katen und wollte eines Abends den Reſt ſdes tragbaren Eigenthums in jenem von ſihm ſtets bewunderten eiſernen Sicher-· heitsſchrank, der ſich nur durch einen ge~ heimen Buchſtaben öffnete, unterbringen. An demſelben Abende, ſaß Hugo Bell maine in ſeiner Kanzlei und dachte an die Schätze, die ſich bereits im Eiſenſchranke befanden. Da war ein ſtählernes Käſt ſqen. das ungefaßte Diamanten enthielt ſund folglich mehr Werth hatte, als der ſarme Rechtsgelehrte je ſein eigen nennen mochte. da waren Papiere, die den Schlüſſel boten zu einer braſilianiſchen Goldmine, und eine Perlenſchnur von ſolch ſeltener Schönheit, daß der alte Es cobar ſit Frankreichs Kaiſerin verkaufen wollte. „Und heute bringt er noch mehr,“ dachte Hugo. Er war auſffallend hübſch, als er an dem Abende im Lichte der einzigen Gas— flamme am Schreibtiſch jaß, auffallend hübſch, trotz des egyptiſchen Geſichtoſchnit~ tes und der gefährlichen Augen, in welchen ein Strahl des Verhängniſſes zu leuchten ſchien. Noch war deren Ausdruck en traurig und düſter. Um 9 Uhr erſchien das Dienſtmädchen, das ſeine zimmer in Ordnung hielt. „Wenn ſich der Herr eine Woche ohne mich behelfen könnte,“ begann Nany ſchüchtern, „möchte ich gern einmal nach Hauſe. Meiner Tante zweiten Mannes Vetter iſt von einem Gerüſt geſtürzt und geſtorben, ich ginge gern zur Leiche.“ „Ganz gut, Nany,“ entgegnete Bell maine, „ich verreiſe auf vierzehn Tage und brauche Dich nicht. Das trifft sich ja ganz hübſch.“ „Und wäre der Herr ſo gut,“ ſprach ſie zögernd. Der junge Advokat berichtigte die kleine Summe, welche das rothbackige Mädchen zu fordern hatte, und behielt, wie er ſich mit bitterem Lächeln ſagte, noch zwei Dollars im Vermögen. Er hatte weder einen Vater, der ihn ermuthigte, noch eine Mutter, die ihn liebte, noch einen Freund, der ihm half. Sein einziger Client war der alte Esecobar. Der Rechtsanwalt ſaß am Tiſche und ſann. Um 10 Uhr verließ er das Haus und trank, was er ſonſt nie zu thun vflegte, ein großes Glas Branntwein. Ein Viertel nach 10 Uhr erſchien der Portugieſe mit zwei Säcken Goldmünzen. Hugo verſenkte ſich in die myſtiſchen Tiefen des Eiſenſchrankes. Escobar aber verlangte, deſſen inneren Wände zu unter— ſuchen, um ſich von der völligen Sicherheit ſzu überzengen. Der Schrank war ſo groß, daß der alte Mann darin aufrecht ſtehen konnte. Er taſtete herum und murmelte nach Her zensluſt. Hugo ſaß mit dem Rücken gegen Esco— bar und ſchrieb. Sein Antlitz war lei— chenblaß, er fror trotz des Branntweins, den er eben genoſſen. Von ſeiner Stirne perlten eiſige Schweißtropfen auf die Quittung, durch welche er den Empfang der Schätze beſcheinigte. Entzückt über die ſinnreichen Geheim niſſe des Schrankes, fing der alte Portu gieſe an leiſe zu pfeifen, während ſeine Finger die Fächer unterſuchten und über die Leiſten ghame Hugo ſchrieb fort. Drei Tage ſpãter brach ans geheimniß~ volle Weiſe Fener aus und verzehrte Hugo Bellmaine's Kanzlei und einen Theil des nebenan ſtehenden Gebäudes, bevor man dem verheerenden Element Einhalt gebieten konnte. Bellmaine legte beim Löſchen ſelbſt mit Hand an, er arbei tete gleich der Fenerwehr. Der Eiſen ſchrank ſank in den Keller und ſteckte dort I. Stern, Herausgeber. Lanfende Nummer 74. r v tief in Schlamm und Schutt. „Das mag einen hübſchen Dollar Geld koſten, wenn Sie ihn wieder heben laſſen wollen,“ ſprach ein Polizeibeamter zu dem jungen Advokaten Am folgenden Tage hieß es, Bellmaine habe den Platz gekauft, auf dem erſt ſeine Kanzlei geſtanden „Des armen Teufels Ausſichten müſ— ſſen ſich beſſern,“ ſagten die Lente. Der eiſerne Schrank blieb im Keller ſliegen, beinahe klaftertief in Schutt und Schlamm begraben Bald darauf begab ſich Hugo Bell maine nach Europa und weilte dort über ſein Jahr. Das Gerücht wollte wiſſen, daß er glücklich ſpeenlire, und ſein Ver möͤgen ſich raſch verdreifache. Er kehrte als reicher Mann zurück. Die „Marmorbraut“ vermählte ſich mit ihm. Es war eine Liebesheirath, des Herzens freie Wahl. So ſagte man. Und gewiß Alles ſchien dazu beizutra— gen, Huͤgo Bellmaine's Leben mit dem Oiadem des Glückes zu ſchmücken. Son— derbarer Weiſe aber, und nach ärztlicher Anſicht, in Folge vernachläſſigter Geſund— heit, konnte er uicht ſhlafen. (Schluß folgt.) Eine drollige Wiener Gerichtsſcene. In einer Dachbodenſtube wohnt der Flickſchneider Joſeph Meiſel mit ſeinem Weibe und drei Kindern, und das Kabi— ſnet hat er an drei Bettgeher vermiethet Die Bettgeher, insgeſammt Angehörige der Wenzelspartei, waren durchgehends muſikaliſch, beſonders der Taglöhner Wen zel Kriz hielt große Stücke auf die Zug~ trompete, die er, nach ſeiner Angabe, wie ſſonſt keiner zu blaſen verſteht. Zu wie derholten Malen hatte er ſich im Hanſe produzirt, doch der Hausinſpeetor hatte den ſtrikten Befehl erlaſſen: „Wenn der Wen zel Kriz noch einmal concerkirt, dann müſ ſen ſämmtliche Bettgeher ſammt ihrem Unterſtandgeber ausziehen.“ Sonntag ſden 30 Juli d. I. kehrle Wenzel ſpät Abends vom „Heurigen“ nach Hauſe und war mufſikaliſch geſtimmt. Alles im Hanſe war bereits im tiefſten Schlaſe. Wenzel Kriz entkleidete ſich, öſffnete das Fenſter der Bodenkammer, nahm die Zugtrompete und bließ ſich Heimaths— tlänge. In ſeiner Begeiſterung hatte er mit ſolcher Kraft geblaſen, daß das ganze Haus alarmirt war, der Unwille ſich in Kraftansdrücken kundgab, und man end— lich Gewalt anwenden mußte, um ihm das Inſtrument abzunehmen. Wenzel Kriz wurde ungehalten, und erging ſich in Schimpfworten, und als ihm der Haus— meiſter zurief: Wann's kan Ruh geb'n tret' i die Röhr'n (das Inſtrument) z'ſamm,“ ſprang Wenzel Kriz ans den Battmeitter los und berſetßzte ihm eine Ohrfeige, die dem ſonſt nnerſchrockenen Hausmeiſter, wie er ſich ausdrückte, d'Red verſchlagen“ hatte. Man trat allenthal— ben vermittelnd in den Weg, und der Hausmeiſter hoörte auf den Rath, ſich durch das Gericht Recht zu verſchaffen. Er ging und brachte am nächſten Tage ſeine Klage an. Richter: Was haben Sie ge— gen den Angeklagten vorzubringen? Hausmeiſter: Mein Lebtag noöt, und won ium no hundert Johr älter war, als ia ſo ſchon bin, hätt' ſi ka Menſch' traut, in dem Ton mit mir z diſchkriren. Richter: Was iſt das für ein Ton? Hausmeiſter: Mit der Hand in's Gſſicht, daß Am Hoͤren und Sehen vergeht. Meiner Seel und Gott! i hab nöt g wußt, bin i's oder bin i's nöt. Richter: Der Herr Kriz hat Ihnen eine Ohrfeige enrten Haus—- meiſter: Dö wor nöt geben, dö wor ſchön auffidruckt. Richter: Was war die Veranlaſſung ? Hausmeiſter: Was frogt a Böhm um die Veranlaſſung, er haut holt zu wie an Viech. Wan ſmi nöt abg'redt hätten, meiner Seel' und Gott, i hätt' den Böhm maſſakrirt, denn i verſteh im G ſicht kan G'ſpaß. Rich~ ter (zum Angeklagten) : Iſt das ſo rich tig? Wenzel Kriz: Da kann ſagen was will; mir ſans gutes Menſch, aber wann nimmt mich mein Inſtrument, iſt mein Feind; da muß nit leiden, Menſch iſt kane Viech! Richter: Der Hausmei ſter hat Ihnen die Trompete abgenommen damit Sie nicht blaſen. Wenzel Kriz: Warum kann meh nit blaſen, wann hab's glernt am zu Haus. Richter: Wußten Sie, daß Sie in der Nacht nicht blaſen ſollen? Wenzel Kriz: Ja, aber ich hab nicht im Stube blaſen, ich hab mir Fenſter aufg macht und hab ich am Gaſſen blaſen. Richter: Sehen Sie nicht ein, daß das ganz dasſelbe iſt, daß Sie auf dieſe Weiſe auch die Leute aus. dem Schlafe wecken? Wenzel Kriz: Da weiß ich nicht, wo Menſch blaſen ſoll, man kann nicht am Stuben blaſen, nicht im Wirthshaus und nicht am Gaſſen. Richter: Iſt es richtig, das Sie dem Hausmeiſter eine derbe Ohrfeige gegeben haben ? Wenzel Kriz: Da lugt e groß mächtig. Ich bin nich gſtanden am Fenſter Stamplaſch (Staffelege), er nimmt mich mein Blech · Blas · Inſtrument, reißt mich aus Hand. Ich will ihm zu rüůckreißen, er macht Bewegung und Hand kummt ihm in's Geſicht. Hausmelſter: Vonſ mit Deiner Bewegune not auf ſhörſt, lernſt mi kenna. Richter: Ich bitte zu ſprechen, wenn die Reihe an (Fortſetzung auf der vierten Seite.) 1