Savannah Abend Zeitung. (Savannah [Ga.]) 1871-1887, September 25, 1872, Image 1

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Darannah Ahend Zeitung. Brof. C. I. Banſemer. Redakteur. 2. Jahrgang. No. 23. Kette und Einſchlag. Eine Erzahlung aus der Zert der Baumwollennotb in Mancheſter von ~ 2 I.gF. Smith. (Fortſetzuna.) Haben wir ſie im Rücken, ſo ſind wir ſicher. Sparen Sie weder Peitſche noch Sporn. Unſere Verfolger gehoören zu Butler's eigenem Regiment, und ſind beſ ſer beritten als ich dachte.“ Das Wettrennen wurde nun aufre— gend. Die Kavallerie machte von ihren Schußwaffen keinen Gebrauch, da ſie nicht zweifelte, die Flüchtlinge einzuholen. Etwa fünfhundett Schritte von der Brücke machte der Führer wieder Halt um ſeinen Begleiter vorauszulaſſen. „Halten Sie ans das Dickicht ab,“ ſagte er; dann ſteigen Sie vom Pferd und le gen ſich auf dem Boden. Ihr Leben hängt davon ab.“ Als Twiſſelton über die Brücke ſprengte, glaubte er unter dem Hufſchlag ein Schwanken zu ſpüren. IDas Dickicht!“ rief ihm die folgende Halbzucht nach. Kaum waren ſie ans dem anderen Ufer angelant, als die Brücke mit lautem Krachen in den Abgrund nie— derſtürzte, während zugleich eine Anzahl Neger, welche augenſcheinlich dieſes Werk der Zerſtörung vollbracht hatten, ſchlan— genſchnell in dem hohen Gras dahin kro chen. Twiſſelton und ſein Begleiter- wa— ren abgeſtiegen. —,„Warum nicht weiter reiten?“ fragte der Advokat. Eine Kugelſalve, die ůüber den ans der Erde Liegenden hinſauste, war die Ant wort auf dieſe Frage. „Sie müſſen, um hieher zu kommen, einen Imweg von wenigſtens dreißig Miles machen“ bemerkte der Führer, „und wit haben nur noch zehn bis zu den Vorpoſten der Südländer. Sind wir auf ihrem Terrain, ſo können Sie unge ſtört dem nächſten Hafen znreiſen, uud ſich nach England einſchiffen. „Wenn man mich nicht als Gefangenen behält,“ ſagte Twiſſelton. Iſt nicht zu fürchten. Der General der Südlichen hat Mr. Auſtin verſprochen, Sie zu beſchützen.“ „Er ſcheint für einen Geiſtlichen einen merkwürdigen Einfluß zu beſitzen.“ „Die Frucht ſeines tugendhaften Le— bens. Doch das Schießen hat aufgehört. Wir können unſere Reiſe fortſetzen.“ Der Engländer wollte unter die freundli chen Neger Geld austheilen, aber ſie nahmen nichts an. „Nein, Maſſa, nein; ſehre gute Maſſa, aber Gott uns bezahl.“ Der Führer begleitete den Flüchtling, bis er ihn wohlbehalten innerhalb der ſüdländiſchen Linien ſah; dann übergab er dem Offizier eines Vorpoſtens ein Pa ket und zog ſich wieder zurüek Auch er lehnte es ab, eine Belohnung anzuneh men. Da für Mr. Tlwiſſelton jetzt alle Ge. fahr vorüber iſt, ſo können wir ihn nach Gemächlichkeit ſeine Heimfahrt vollenden laſſen, um einen Augenblick in Havre an zuſprechen, wo die Schlange ihre Paſſa— giere an's Land geſetzt hat —in guter Zeit für Blanche, welche drei Tage nach der Ankunft einen Sohn gebar Als die junge Mutter den Neugebornen zum er— ſten Mal an die Bruſt drückte, vergaß ſie die Sorge, welche ſie bisher gequält, daß der neue Weltbürger nicht in England das erſte Licht erblicken möchte, und Sam war, wie man ſich denken kann, über— glücklich bei dem Anblick des kleinen We— ſens, welches nach dem Uebereinkommen beider Eltern zwei thenren Verwandten zu Ehren iu der Taufe den Namen Ed— ward und William erhalten ſollte. Vierundſiebenzigſtes Kapitel. Mrs. Bentley nahm die Nachricht von dem Tode ihres Gatten mit der ruhigen Ergebung auf, welche nur die Religion verleiht. Sie trauerte um ihn, aber nicht mit der Liebe ihrer Jugend; denn wo die Achtung dahin iſt, hat es auch mit der Liebe ein Ende. Die Umſtände, die ſein Sterben begleiteten, wurden ihr nie be— kannt. Lientenant Bentley hatte kaum die Tranerpoſt vernommen, als er ſich be— eilte, das noch in letzter Zeit von ſeinem Vater erworbene Gut an ſich zu nehmen. Als älteſter Sohn war er in Ermange—- lung eines Teſtamentes unzweifelhaft be— rechtigt. Der jüngere Bruder dagegen blieb bei ſeiner Multer, um ſie zu tröſten und zu beſchützen. Das Erbe war ihm gleichgültig, und wenn der gekräunkte Mr. Aſhton nicht den Entſchiedenſten Wider— ſpruch erhoben hätte, ſo würde er ſogar die bei Gilbert s Verheirathung verwillig ten Ehepakten anerkannt haben. ; Am Abend des Tages, an welchem die Kunde eingelaufen war, ſaß Willie mit dem blinden John vor der Thüre ſeines Häuschens, wahrend ſeine Frau ſich in der Wohnung ihrer Tochter befand. „Glaubt ihr an Vorbedeutungen, Zohn?“ fragte er gedankenvoll. ee t in einigen Dingen,“ verſetzte John. „Wenn mir eine Gaigenſaite ſpringt, ſo andert ſich das Wetter, ebenſo wenn mich die Hühneraugen brennen Auf die Uebernalůrlichen halte ich nicht viel, obſchon man Manches für überna— rlich halt was doch in uns liegt. Wenn ein Sinn verloren geht, ſo entwickelt ſich ein anderer in unbegreiflicher Weiſe. Ich wette, Du hörſt zweimal ſo gut als frü— her. „Das iſt richtig.“ „Aber doch lange nicht ſo gut wie ich,“ fuhr John kichernd fort: „Das macht, Du biſt nicht ſo lange blind geweſen ſonſt hätteſt Du ſchon den Tritt Deiner Frau auf dem Kiesweg hören müſſen.“ „Ich höre ihn,“ „Aber ich zuerſt. Wie kommt's —er tönt nicht ſo leicht wie ſonſt; ſcheint in Gedanken. Na, vielleicht iſts bloß eine Einbildung; im Alter iſt man mehr da— mit behaftet, denn ich bilde mir bisweilen ein, daß ich ſo gut ſehe wie nur je“ „Sehen im Schlaf vielleicht.“ „Nein, ſelbſt bei hellem Wachen. Ich ſehe das Dorf, wo ich geboren bin, und den Kirchhof, auf dem ich mit anderen Jungen ſpielte. Sogar die Grabſteine kann ich leſen.“ „Wache Träume, John.“ „Träume ſind kurioſe Dinge,“ bemerkte der Geiger „Du biſt buchgelehrt. Kannſt Du mir ſagen, mit was für An— gen wir ſehen,, wenn wir ſchlafen?“ „Dieſe Frage hat ſchon ältere und wei— ſere Köpfe als der meinige iſt, in Verle genheit geſetzt, John,“ Mrs. Hannan war inzwiſchen zur Stelle gekommen. Mit frauenhafter Zärtlichkeit legte ſie den Arm um den Hals ihres Mannes und küßte ihn. 3ſt im Haus Alles wohl?“ fragte Willie, und fügte auf die Bejahung bei: „Ihr ſeht, John, daß Ihr Euch diesmal geirrt habt. Denke nur, meine Liebe, er meinte Dein Tritt ſei nicht ſo leicht wie e Du mütßeſt etwas auf dem Herzen haben.“ „Wie ſeltſam,“ flůſterte Mrs Hannan. „Was iſt ſeltſam?“ „Die Feinheit ſeiner Auffaſſung. Ich machte mir im Herweg Gedanken, wie ich Dich am beſten ůber einen Todesfall, den ODn zu beklagen wenig Urſache haſt un— terrichten ſoll.“ „John Bentley?“ rief ihr Mann. „Er iſt in einem fremdem Lande plötz lich zur Rechenſchaft abberufen worden. „Vergebe ihm Gott, wie ich ihm ver vergebe,“ ſagte Willie nach einer Panuſe. „Auch den Zigeuner Lin hat mit ihm das gleiche Schickſal ereilt,“ fügte Mrs. Hannan bei. Man kann nicht erwarten, daß Willie ee Tod ſeiner beiden Feinde beklagte das wäre der menſchlichen Natur zu viel zugemuthet geweſen; dafür that er etwas Beſſeres er verzieh ihnen.,John' ſagte er, als der alte Mann ſich zum Auf bruch nach ſeiner Hütte anſchickte, „Ihr habt ja meine Modelle zu der Krempel maſchine aufbewahrt.“ „Ja wohl, in der Hutſchachtel.“ „Bringt ſie morgen mit.“ „Soll geſchehen Junge.“ „Ach, ſchlag Dir doch dieſe Dinge aus dem Sinn, die Dich nur an eine traurige Vergangenheit erinnern,“ bemerkte Mrs. Hannan. „Ich habe ihn darum gebeten, damit ſie mich ·in Zukunft nicht mehr daran erinnern können,“ verſetzte ihr Gatte. Am andern Tag kam John mit ſeiner Schachtel. Martin wollte ſie ihm abneh— men. „Nein, nein, Junge; Niemand darf ſie anrühren, als Dein Vater,“ wehrte der Geiger, und fuhr gegen Willie fort, der ihm entgegentrat; „Hier iſt Al les bei einander. Kein Stüůckchen davon verloren gegangen.“ „Marün,“ ſagte der blinde Vater, „leere die Schachtel auf den Boden aus und mache aus dem Inhalt ein Häufchen, aber ſo, daß es dem Maulbeerbaum und den Blumen nicht zu nahe kommt,“ Der Sohn gehorchte ſchweigend dieſer Weiſung. „Jetzi hol mir ein Licht.“ „Was führſt Du im Schild, Junge?“ fragte John. Ich will mit dieſen Pappendeckeln die Erinnerung an vergangene Hoffnungen und erlittenes Unrecht vernichten. Meine Kinder ſollen ſie nach meinem Tod nicht mehr zu ſehen kriegen, damit ſie nicht glauben, ihr Vater habe ein unverſoöͤhnli· ches Herz beſeſſen.“ Dem Muſikanten wollte das Verbrennen der Beweisſtücke von ſeines Freundes ehrenvollen Anſprüchen um ſo weniger gefallen, da er ſelbſt ſie mit ſo viel Sorg~ falt zuſammengeleſen; aber ſeine Ein— ſprache war vergeblich. Martin kam, von ſeiner Mutter begleitet, ans dem Häuschen; Letztere hatte eine brennende Kerze in der Hand und reichte ſie ihrem Mann. „Ich danke,“ flüſterte Willie. „Jetzt führe mir die Hand.“ In wenigen Augenblicken waren die Denktzeichen ſeiner frůheren Mühen, ſeiner Ingendträume, die ihm Ruhm und Vermögen vormalten, von der Flamme verzehrt, welche als ein einfaches, inniges Gebet um Vergebung für den falſchen Freund und Verräther gen Himmel ſtieg. „Wie glüůcklich wird Friedrich wird El len ſich fühlen- wenn ſie dies hören,“ ſagte Martin. „Vater, dies iſt eine That, Ihres Lebens würdig edel und hoch. herzig,“ Du mußt mich nicht loben, mein Sohn“ unterbrach ihn der blinde Mann, „denn Du weißt nichts von den Kämpfen, welche Savannah, Ga., den 25. September 1872. dem endlichen Sieg voran gingen. Die Trübſal dient zu nunſerem Beſten lehrt uns die ſchlimmen Leidenſchaften überwinden. Wir dürfen nicht ſtolz da-· ſ rauf ſein.“ Im Laufe des Tages ſprach Friedrich mit Ellen in dem Häuschen ein. Der alte John erzählte ihnen, was er mit angeſehen hatte. „Daran erkenne ich meinen Vater,“ be— merkte Ellen mit thränenfenchtem Auge. „Sie haben recht, Miß (John nannte ſie immer Miß). Im Anfang hat mir's zwar nicht gefallen wollen, aber jetzt bin ich ganz damit einverſtanden.“ „Es iſt ein Brief füͤt Sit da, Vater“ ſagte Friedrich, in das Zimmer tretend, ſin welchem Willie mit ſeiner Frau ſaß. „Aus Frankreich.“ „Aus Frankreich? Ich kenne dort Niemand.“ „O ja, Papa,“ rief ſeine Tochter. „Ich wollte, er waäͤre von Amerika,“ ſſeufzte die Großmutter. „Ich habe ſo lange nichts mehr von Sam und Beſſie ſgehůrt.“ „Lies mir ihn vor, Ellen,“ ſagte der Vater. „Er kommt von dem Onkel und der Tante,“ rief die Tochter, nachdem ſie das Siegel erbrochen. „Von meinen Kindern?“ „Ja, Großmutter.“ „Gottbehüte,“ entgegnete die alte Frau. „Jetzt ſind ſie gar noch weiter weg. Ich ſwerde ſie in dieſem Leben nie wiederſe khen“ „Warum? Es iſt ja nur einige Rei ſeſtunden von England entlegen.“ „Was, nur einige Stunden?“ rief die Alte zänkiſch. „Frankreich, Großmutter.“ Was iſt's doch um die Büchergelehr lſamfeit! Ich glaubte, es ſei weiter als nach Amerika.“ „Ich auch,“ bemerkte John. „Und ſo ſmuß es geweſen ſein in der Zeit des Bor naparte. Heutzutage wird Alles anders.“ Die Zuhoͤrer konnten ein Lächeln üter die Einfalt des Sprechers nicht unterdrücken. Der Brief meldete die baldige Ankunft ſder Reiſenden in England, berührte aber ſdie Geburt von Sams Sohn mit keinem ſWort. ; „Wie ſie kommen?“ „Ja, Großmutter.“ „Der Herr ſei geprieſen! Ich darf ſie noch einmal ſehen, ehe ich ſterbe. Und auch Beſſie und ihr~ Kinder. Die armen Dinger!“ murmelte die Alte. Dann ver ſank ſie in ein tiefes Nachdenken, während—- deſſen ihr Enkel auf alle ſeine Anreden ihr nur die rächſelhaften Worte entlocken konate: „Es muß heraus es muß her— aus!“ Fortſetzung folgt.) 4 Die Hyänen der Commune, oder: Die Schrecensherrſchaft von Paris, von Adolphe Gallin. 1. Kapitel. Einleitung. Faſt ein halbes Jahrhundert lang hat ten die Strahlen des Friedens über Deutſch— lands Gaue ungetrůbt ihren goldenen ſe— gensvollen Glanz ausgegoſſen und nur wenige Wolken den politiſchen Horizont ſtellenweiſe getrübt. Während bei den Nachbarvölkern vielſach ein finſterer · Dä— mon herumſchlich und theils verſteckt hin— ter politiſche Intriguen ſein Weſen trieb, theils mit offenem Viſir in die Schranken der Weltgeſchte trat und Ereigniß auf Ereigniß ſich wechſelnd überſtürzte, bot das vor Kurzem noch vielköpfige deutſche Land zwar kein Bild eines gänzlich unge— trübten, in ſeinem inneren Kerne und ſei ſuen Grundfeſten aber noch immer nicht erſchütterten Bürgerglücks. Seit auf den Schlachtfeldern von Leip~ fig deutſches Blut, vergoſſen für die Be— lzreiung aus fremder Tyrannei, zum Him— ſmel dampfte, ſeit jenen ewig denkwürdi— ſgen Tagen, da die geſammte Nation nach den Zeiten der Schmach und tiefſten Er niedrigung wie ein Mann ſich erhob und mit Blut und Eiſen die Feſſeln wie derzer ſchlug, die unerhoörte eigne Schwäche, machtloſe Zerriſſenheit und niedere Feig heit, die Blut und Eiſen ihm geſchmiedet hatten, ſeit jenem ewig glorreichen Tage des 18. Oktober 1813 war die Macht derſ welſchen Hydra wohl nicht völlig gebro· f chen, aber doch ſo geſchwächt, daß ſie es auf lange Zeit nicht wagen durfte, deml ſiegreichen Gegner neuerdings die Zähneſ zu zeigen. Jenſeits des Rheins lag das länder gierige, gefräßige, mit Blut und Thränenſ großgeäugte Ungehener. Auf der Felſen inſel St. Helena hatte es wohl ſeinen ſtär keren Kopf verloren, aber die Krallen wa·f ren noch geblieben. Wuthſchnaubend ſchielte es herüber nach dem Lande der Germanen und pflegte ſſich mäſtend mit dem Schweiß und Blut der eigenen Familie, ſeinen ſchuppigen Körper zu neuem Kampfe. Mit Wonne ſah es die Ereigniſſe des für Deutſchland ſo průfungsſchweren Jah— ſres 1866 ſici, vollziehen. Voll Vergnü gen rollte es ſeinen gewaltigen Schweif luſt~ erfült um die ſchuppigen Glieder, mit giftgeſchwollenem Kamm den Moment erſpaͤhend, der ſich ihm für ſeine liſtigen Plͤne günſtig erweijen mochte, um ſich dann ans den einen oder anderen der längſt verhaßten Gegner zu werfen und ihn ſchonungslos zu zerfleiſchen. Es kam anders. Seine Zeit war noch nicht gekommen, die Vorſehung hatte ihm iu dem Friedensſchluß von Nikolsburg einen nenen Damm geſetzt und das gie ſrige Ungethüm, ſchon zum verderblichen Sprunge bereit, konnte angeſichts des Ganzen der Ereigniſſe und gemäß der da— naltgen politiſchen Weltlage nichts beſſe res als ſich zähnefletſchend in ſeine Höhle zurückziehen, auf die Lauer legen und der Dinge warten, die da kommen ſollten. Die Dinge kamen überraſchend ſchnell. Das ereignißvolle Jahr 1870 brach an und Niemand, am wenigſten wohl das durch ſeine Siege in andern Ländern,ſtolz und übermüthig gewordene Frankreich lahnete, daß ſich m Bälde ſein Geſchick er ſfüllen und gerade dieſes ihm tief verhaßte, ohnmächtige Deutſchland es ſein ſollte, das es aus der mehr als ein halbes Jahr— hundert lang feſt eingenommenen Poſition ſeiner erſten militäriſchen Macht, eines er— ſſten Staates der Welt, verdrängen wird. Frankreichs ſtets trotziger Uebermuth wc durch die diplomatiſchen und mili— Erfolge in allen Weltgegenden groß geſängt, der Mann wurde zum Rie— ſen. Der welſche Adler ſah ſeine gefürch teten Schwingen bereits ſo ſtark gewachſen daß er in ſeiner maßloſen Verblendung und dem ihm eigenen angeborenen Wahne der Unfehlbarkeit glaubte, ſie müßten von rn Meeresgeſtade bis zum anderen, von der eignen Hemiſphäre zur anderen ſreichen. Frankreich befand ſich vor dem Aunsbruch des Krirges in einer unſeligen Verblendung. Die Fingerzeige des Schick— ſals in dem ewig ſchmachvollen merikani— ſſchen Feldzug waren ſpurlos an ihm vor~ übergegangen, die Niederlage auf den Cofeldern Rußlands, das heilige große Gottesgericht auf den Ebenen vou Leipzig war vergeſſen, umgeben von dem falſchen Nimbus des kaiſerlichen allmäãchtigen Glorienſcheins glaubte ſich der welſche Ko loß unbezwingbar und hielt ſeine Tatze für jeden, der nicht devoteſt die Hand küßte, diezihn in's Geſicht ſchlug, 23 reit erhoben. Ueber den Voölkern aber lag gewitter ſchwere Nacht und unheimlich rollte er Donner immer näher und näher dem Rheine zu. Ueber dem Thale von Longwood im atlantiſchen Ocean, wie über den Zinnen des Meerſchloſſes Miramore ſchweben die Guiſter zweier Heroen, beide groß an Scele, wenn auch ungleich groß in der Ge ſchichte ihrer Thaten, beide nie ſich Feind und dennoch beide unverſoöͤhnt, denn der Oheim hatte die Adern des Neffen ver giſtet und in ſein reizbares Gehirn den eiwig marternden Gedanken übertragen, ſich an der Menſchheit für ihn zu rächen. Die Rache hat mit dem 2. Dezember 1851 begonnen. Ueber Bruderleichen war am 2. Dezember 1852. das ſchwanke Fun dament des Kaiſerthrones erſtanden, in Bruderblut ward der Kaiſermantel ge färbt und unter den ehernen Füßen des Des poten verhauchte die Menſchlichkeit ihren letzten Seufzer, begrub ein neues Danai— dengeſchlecht die gemordete Freiheit. Das Kaiſerreich iſt der Friede; ſprach der Im— perator und das Kaiſerreich bedeutet Krieg dachte die halbe Welt. So war es auch. Der Friede und der Glanz des ñnenen Kaiſerrreichs ſollte nicht zu lange währen. An dem Tage der erzwungenen Gründung desſelben klebte zu viel Blut ſchuldlos Ge mordeter, hafteten zu viel Verwünſchun— — und Thränen, als daß die Göttin der Rache in ihrem Fluge durch die Welt an ihm die volle Wucht ihrer Zuchtruthe nicht hätte erproben ſollen. Und ſie hat die— ſelbe erprobt. Die Zeit der Rache kam heran. Kühn geworden durch das Ver— tranen auf die eigene unbezwingbare Stärke, großgewachſen in einer namenlo— ſen, an's Unglaubliche grenzenden Anma— ßung und Verblendung erhob das fremde Ungeheurer trotzig und herausfordernd ſein Haupt von neunem und ans giftge tränfktem Rachen verrichtete die zweiſchnei dige Zunge das traurige Geſchäft der Verhöhnung. Aber auch ſeine Zeit war gekommen. Wohl war der Moment glücklich gewählt und liſtig berechnet, aber die Berechnung erwies ſich dennoch als gründlich falſch, denn der hingeworfene Fehdehandſchuh ward von einem deutſchen Fürſten im Na— men von ganz Deutſchland aufgenommen, der große Riß in den Völkerfrieden war ge~ macht, die Brandfackel des Krieges war entzunden und ein Ausgleich auf dem friedlichen Wege ſchon zur Unmöglichkeit geworden Nie hatte der einſtmalige Flüchtling Badinguet von Hamm, der einer großen Nation mit Gewalt aufgedrungene Aben— teurer Louis Napoleon ſeine wahre Maske n ihrer vollen Häßlichkeit gezeigt. Vor— ſichtig von Natur, mißtrauiſch gegen alles was ſich vor dem gemachten Glanz ſeiner erſchlichenen Majeſtät nicht willenlos in den Staub warf, ſchien es dem durch die Bajonnette ſeiner Soldaten gehaltenen Mann von Hamm nicht immer rathſam, der Welt ſein rechtes Geſicht zu zeigen und ſo gelang es ihm durch faſt neunzehn Jahre nicht blos die Völker Europa's, ſondern auch ſein eigenes zu täuſchen und zu überliſten. Was er, jahrelang vorher ſchon ausgedacht, in das letzte Stadium der Entwicklung gebracht hatte, war ſein Eroberungskrieg gegen Deutſchland. Die ſogenannten „natürlichen“ Gren—- zen Frankreichs erheiſchten zu den übrigen frůher bereits von Frankreich geſtohle nen oder an dasſelbe verrathenen ehemals deutſchen Provinzen noch die Eroberung des linken Rheinufers und um den gefahr~ drohenden geiſtigen politiſchen und ſoeia len Gährungsprozeß in ſeinem eigenen Hauſe zu hemmen oder mindeſtens doch in kein weiteres Stadium zu führen, beſchloß der Mann, der wenige Monate vor Aus— bruch des Krieges noch der Welt die ſchein bar beruhigenden Worte durch den Mund eines ſeiner heuchleriſchen Höflinge verkün— den ließ: „Der Friede iſt nie geſicherter als jetzt“, den Kreuzzug gegen die deutſche Nation. Wie kläglich dieſer Kreuzzug für ihn ſelbſt und ſein ganzes Volk geendet hat, iſt dem verehrten Leſer zur Genüge kannt. Die Geiſter von anno 1813 ſtan den auf. es galt diesmal gründliche Ab— rechnung zu halten. Und um wie viel erhabener als je ſtehen die Ereigniſſe der Jahre 1870 und 15871 vor uns. Auf Rußland's Eis gebot dem Schlach tengotte Napoleon I. die mächtige Natur; dem Götzen ſeines Ehrgeizes opfernd, mußte es der moderne Attila von damals eine zweite Geiſel Gottes, das erſtemal er fahren, daß es noch mächtigere gibt als er. Die Flammenſänle von Moskan leuchtete ihm bei ſeinem Rückzug hell ge— nug, um ihn eines Beſſeren zu belehren. Doch umſonſt. Der Ehrgeiz iſt ein uner— ſättlicher Wurm. Dem Ehrgeiz fröhnend ſah der Schlachtenkönig die blutigen Tage von Leipzig granen. Die Sonne von Anſterlitz aber ſchon verdunkelt durch ſchwarfe Wolke von Waterloo, ging auf Leipzig's Ebenen gänzlich für ihn unter. Die Geſchicke der Menſchen erfüllen ſich, auch ſein Geſchick hat ſich erfüllt. Der Löwe war aaf den Tod verwundet ſaber er war im Tode noch gefährlich. Mit ſeiner Größe war es über, aber groß im Untergang war er noch bewunderns— werth. Er hatte ſich kuühn drei Nationen ſgegenübergeſtellt und brachte jedem Zoll eide den er verließ, ganze Hügel von Menſchenopfern. Groß war der Satz der Wette, er ſetzte alles daran, aber er verlor ſie, ſein Stern war im Erbleichen, ſein Loos war entſchieden. Gotte hatte ihn gerichtet, ſeine Zeit brach an. Der On kel ſtieg verlaſſen in das Grab, der Neffe gefurchtet auf den Thron. Ein neues Drama bereitete ſich vor, ein neues Kai— ſerreich war entſtanden. Aber in Blut und Thränen aufgetaucht, hatte es keinen Halt, mit Sedan ging es auch in Blut uünd Thränen unter. Das deutſche Schwert ſchlug tiefe Wunden, Schlag um Schlag erfolgte. Der deutſche Aar hielt einen Siegesflug, desgleichen noch nie zuvor ein ähnlicher ſtattgefunden, hatte. Ein neuer Armin war dem deutſchen Volk erſtanden unwiderſtehlich drang er vor und bahnte ſich einen Weg bis in das Herz des Fein— des. Eine glorreiche Epoche mehr war in der Geſchichte der Völker zu verzeichnen zum viertenmale in einem Jahrhundert ſtanden die Deutſchen vor Paris. Wer zählt die Blutstropfen nach, auf beiden Seiten für das Vaterland vergoſſen, wer zählt die Todesſenfzer von erbleichenden Lippen gegen den Himmel geſtoßen, wer die Todeswunden in den verzuckenden, verſtümmelten Ebenbildern der Gottheit. Nach vielen ſchrecklichen Kämpfen nach großen, blutigen Schlachten war das hohe Ziel endlich erreicht. Nun lagen ſie da ans der von Roſſeshufen zerſtampften und von Geſchützkugeln durchfurchten blutge— důngten Wahlſtatt. Der Engel des To— des hatte ihnen das Auge zugedrückt und der Engel des Friedens tudrie ſie hinůber in jenes unbekaunte Land der Vergeltung. Aber ſie waren nicht umſonſt gefallen, dieſe Edelſten unſerer Nation, ſie hatteu nicht vergebens geblutet! Mit ihrem Blut haben ſie uns das alke Vaterland gerettet und ein neues dazu erkämpft. Mit Sedan war der erſte Akt des blu— tigen Drama's geſchloſſen, vor Paris be—- gann der zweite. Hatte uns der erſte in bielen fürchterlichen Bildern gezeigt, wie die, Wehrkraft zweier großer Nationen den techniſchen Theil der militäriſchen Wiſſenſchaften zur möglichſten Verwerthn ung brachte, wie die gewaltigen Heere ſich mitſammen maßen und ans beiden Seiten heroiſche Thaten an's Tageslicht enen ſo zeigt uns der zweite Att dieſes erſchüt· teruden Weltdrama's ein fanatiſirtes Volk in ſeiner vollſten Zügelloſigkeit. Die Bande des Blutes, der Freundſchaft, der Ordnung und Menſchlihkeit ſind gelöst, ſind gewaltſam zerriſſ-n. Alle Furien Höolle ſcheinen entfeſſelt, die Leidenſchaften ind freigegeben, die wilde Jagd iſt eröff net. Der Menſch iſt hier nicht mehr Menſch, er iſt zur Hyäne geworden, zum vermeſſenen, blutduͤrſtigen Ungeheuer, das in ſeinem Wahne und ſeiner Tobſucht keine Schranke mehr kennt und achtet, vor keinem Verbrechen zurückſchreckt und kei nes fürchtet. Jeder edle Trieb, jede edlere Regung des Gemüthes iſt gewaltſam u terdrůckt, kein Geſetz iſt mehr im Stande I. Stern, Herausgeber. Laufende Nummer 75. ein Halt zn gebieten, denn geſetßzlos in ſich muß der letzte Funke einer beſſeren Erkenntniß in der ſchmutzigen Cloake der ſErkentn Gemeinheit erſticken. Was unter anderen Verhältniſſen ſelbſt dem Verworfenſten heilig war, iſt verachtet und werthlos, nur die Befriedigung der nie— drigſten Leidenſchaften iſt noch der ganze Antagonismus der auf s Höchſte gereizten in ſich ſelbſt zerfallnen und in dieſem Ver falle erſt furchtbaren Menſchheit. Mit dem Erſcheinen der deutſchen Heere vor dem modernen Gomorrha fing der Vulkan an, die erſten Erſchütterungen fühlen zu laſſen. Der im Inneren ru hende maſſenhaft angehäufte Zündſtoff kam lavaartig in Fluß, aus dem weiten Krater ſtieg höher und immer höher der Qualm moraliſcher Verpeſtung und alles lebte in der bangen Erwartung eines nahe bevorſtehenden ſchrecklichen Ausbruchs. Das gewaltige Ereigniß ſelbſt bereitete ſich langſam aber ſicher vor. Der eiſerne Gürtel, der ſich in undurch~ dringlicher Stärke um die Weltſtadt zog war der ſichere Reif um das bereits gäh— rende Faß. Immer mehr nund mehr griff dieſe Gährung um ſich, und ehe man ſich deſſen verſah, war das Faß ge— borſten. Die Brandfackel ging an ihr entſetzliches Geſchäft, die rohte Fahne der Republik wehte auf den Barrikaden, was nicht ſo fort dem Götzen der eignen Ehrſucht fröhnte, was nicht ein Opfer der entfeſſel ten Leidenſchaften wurde und was der Verrath nicht dem Würgengel des Todes überliefert hatte, das fiel unter dem mo— raliſchen Henkerbeil der mißbrauchten Ge— walt. Frankreich ſchien momentan nur ein geographiſcher Begriff ohne jede wei— tere Bedeuntung. Was allein noch Be deutung hatte und nicht blos das Inter eſſe Deutſchlands ſondern jenes der gan— zen civiliſirten Welt bis zur höchſten Span— nung für ſich in Anſpruch nahm, war die Frucht der gänzlichen ſtitlichen Entartung und Verkommenheit der ſogenannten gro— ßen Nation die Schreckensherrſchaft der rothen Volksgewalt, die ekelhafte Poſt beule an der ſtattlichen Gliederung Frank— reichs die Pariſer Commune. Mit Abſcheu wendet ſich der Blick von den Gräuelthaten dieſes Regiments ab, denn ſie ſind nicht mehr die Spiegelbilder eines auch bei Ausſchreitungen noch ent ſchuldbaren Patriotismus, ſie ſind nicht der Ausfluß einer Denkungsart, die den Geſammtbegriff ihrer Handltngen in dem Brennpunkte einer Liebe zum Vaterland eines entſchuldbaren tödtlichen Haſſes ge— gen den es bedrängenden übermächtigen Feind haben, nein, ſie ſind die ſchrecklichen Zerrbilder eines bis in's Innerſte erregten fanatiſirten Volkes, dem die Sache des Vaterlandes nur den Vorwand füwv all die Scheußlichkeiten bieten muß, mit denen es die Blätter ſeiner Geſchichte beſchmuht und verunglimpft. Wo der Soldat mit ſeiner Waffe den Feind ehrlich bekämpft, ruht die Verant— wortung über das frevelhafte Spiel mit Menſchenleben mehr auf dem provoziren den Theil der Streitenden als auf einer ganzen großen Maſſe; wo aber vom ſchwachen Kinde bis zum gebrechlichen Greis, alles ohne Ausnahme an dem Verbrechen des Brudermordes in gleicher Progreſſion theilnimmt, wo es ſo weit geht, daß ſelbſt das Weib ſeine Weiblich keit gänzlich verlengnet, zur gemeinen Furie wird, wo auf dem Banner der all gemeinen Erhebung keine andere Deviſe ſichtbar iſt als die gewaltſame Löſung je der geſetzlichen und menſchlichen Ordnung wo der ſyſtematiſche Mord ſein blutiges Geſchäft unter dem Jubelrufen einer gan~ zen Nation verrichtet und über dem Haupte jedes Gutdenkenden das Ogmeterſumert des Verrathes ſchwebt, wo ſelbſt der Altar nicht mehr vor Entweihung geſichert iſt und die Menſchheit ſelbſt ihr heiliges Vorrecht einer hoͤheren Beſtimmung gänz lich abſtreift, da iſt es kein Befremden mehr, wenn ſich die Gottheit ſelbſt von der Nation abwendet, die ſich ſtets růhmte auf der Höhe ihrer Zeit zu ſtehen, in der That aber bewies, daß ſie für die von ihr ſtets vorgeſchützte göttliche Miſſion einer Civiliſation der Welt ſelbſt nicht die ge— ringſte Befähigung geſchweige denn eine Berechtigung hatte. (Fortſehung folgt.) —— BVerrathen. Dem Amerikaniſchen nacherzählt von Lina Freifrau von Berlepſch. ~. Ueber die Bellmaine's wurde viel ge~ ſprochen. Myrrha's eiſige Schoöͤnheit, ihr kaltes Weſen, der Glanz ihrer Toilette, Hugo's Bläſſe und Zurückhaltung, ſein wunderbares Talent, wie mit Zauberkraft peeuniären Erfolg zu erringen, das eigen thümliche Benehmen der jungen Frau ihm gegenüber und die faſt an Furcht grenzende Demuth, mii der er dem ſchö— nen Weibe nahte, erweckten das ſelten ſchlummernde Ungehener Fama. Die Faema, welche gleich einer giftigen Schlange über ls verheerend gleitet, die Lilien beſchmutzt und Gold befleckt, den Schuft erhebt und den Ehrenmann verläumdet, ſie hatte ſich an des Ehepaars Ferſen gehängt, Vielleicht wäãren Andere (Fortſetzung auf der vierten Seite.)