Newspaper Page Text
Darannah Ahend Zeitung.
Brof. C. I. Banſemer. Redakteur.
2. Jahrgang. No. 23.
Kette und Einſchlag.
Eine Erzahlung aus der Zert der Baumwollennotb
in Mancheſter
von
~ 2
I.gF. Smith.
(Fortſetzuna.)
Haben wir ſie im Rücken, ſo ſind wir
ſicher. Sparen Sie weder Peitſche noch
Sporn. Unſere Verfolger gehoören zu
Butler's eigenem Regiment, und ſind beſ
ſer beritten als ich dachte.“
Das Wettrennen wurde nun aufre—
gend. Die Kavallerie machte von ihren
Schußwaffen keinen Gebrauch, da ſie
nicht zweifelte, die Flüchtlinge einzuholen.
Etwa fünfhundett Schritte von der
Brücke machte der Führer wieder Halt
um ſeinen Begleiter vorauszulaſſen.
„Halten Sie ans das Dickicht ab,“ ſagte
er; dann ſteigen Sie vom Pferd und le
gen ſich auf dem Boden. Ihr Leben
hängt davon ab.“ Als Twiſſelton über
die Brücke ſprengte, glaubte er unter dem
Hufſchlag ein Schwanken zu ſpüren.
IDas Dickicht!“ rief ihm die folgende
Halbzucht nach. Kaum waren ſie ans
dem anderen Ufer angelant, als die Brücke
mit lautem Krachen in den Abgrund nie—
derſtürzte, während zugleich eine Anzahl
Neger, welche augenſcheinlich dieſes Werk
der Zerſtörung vollbracht hatten, ſchlan—
genſchnell in dem hohen Gras dahin kro
chen. Twiſſelton und ſein Begleiter- wa—
ren abgeſtiegen. —,„Warum nicht weiter
reiten?“ fragte der Advokat.
Eine Kugelſalve, die ůüber den ans der
Erde Liegenden hinſauste, war die Ant
wort auf dieſe Frage.
„Sie müſſen, um hieher zu kommen,
einen Imweg von wenigſtens dreißig
Miles machen“ bemerkte der Führer,
„und wit haben nur noch zehn bis zu den
Vorpoſten der Südländer. Sind wir
auf ihrem Terrain, ſo können Sie unge
ſtört dem nächſten Hafen znreiſen, uud
ſich nach England einſchiffen.
„Wenn man mich nicht als Gefangenen
behält,“ ſagte Twiſſelton.
Iſt nicht zu fürchten. Der General der
Südlichen hat Mr. Auſtin verſprochen,
Sie zu beſchützen.“
„Er ſcheint für einen Geiſtlichen einen
merkwürdigen Einfluß zu beſitzen.“
„Die Frucht ſeines tugendhaften Le—
bens. Doch das Schießen hat aufgehört.
Wir können unſere Reiſe fortſetzen.“
Der Engländer wollte unter die freundli
chen Neger Geld austheilen, aber ſie
nahmen nichts an.
„Nein, Maſſa, nein; ſehre gute Maſſa,
aber Gott uns bezahl.“
Der Führer begleitete den Flüchtling,
bis er ihn wohlbehalten innerhalb der
ſüdländiſchen Linien ſah; dann übergab
er dem Offizier eines Vorpoſtens ein Pa
ket und zog ſich wieder zurüek Auch er
lehnte es ab, eine Belohnung anzuneh
men.
Da für Mr. Tlwiſſelton jetzt alle Ge.
fahr vorüber iſt, ſo können wir ihn nach
Gemächlichkeit ſeine Heimfahrt vollenden
laſſen, um einen Augenblick in Havre an
zuſprechen, wo die Schlange ihre Paſſa—
giere an's Land geſetzt hat —in guter
Zeit für Blanche, welche drei Tage nach
der Ankunft einen Sohn gebar Als die
junge Mutter den Neugebornen zum er—
ſten Mal an die Bruſt drückte, vergaß ſie
die Sorge, welche ſie bisher gequält, daß
der neue Weltbürger nicht in England
das erſte Licht erblicken möchte, und Sam
war, wie man ſich denken kann, über—
glücklich bei dem Anblick des kleinen We—
ſens, welches nach dem Uebereinkommen
beider Eltern zwei thenren Verwandten
zu Ehren iu der Taufe den Namen Ed—
ward und William erhalten ſollte.
Vierundſiebenzigſtes Kapitel.
Mrs. Bentley nahm die Nachricht von
dem Tode ihres Gatten mit der ruhigen
Ergebung auf, welche nur die Religion
verleiht. Sie trauerte um ihn, aber nicht
mit der Liebe ihrer Jugend; denn wo
die Achtung dahin iſt, hat es auch mit der
Liebe ein Ende. Die Umſtände, die ſein
Sterben begleiteten, wurden ihr nie be—
kannt. Lientenant Bentley hatte kaum
die Tranerpoſt vernommen, als er ſich be—
eilte, das noch in letzter Zeit von ſeinem
Vater erworbene Gut an ſich zu nehmen.
Als älteſter Sohn war er in Ermange—-
lung eines Teſtamentes unzweifelhaft be—
rechtigt. Der jüngere Bruder dagegen
blieb bei ſeiner Multer, um ſie zu tröſten
und zu beſchützen. Das Erbe war ihm
gleichgültig, und wenn der gekräunkte Mr.
Aſhton nicht den Entſchiedenſten Wider—
ſpruch erhoben hätte, ſo würde er ſogar
die bei Gilbert s Verheirathung verwillig
ten Ehepakten anerkannt haben. ;
Am Abend des Tages, an welchem die
Kunde eingelaufen war, ſaß Willie mit
dem blinden John vor der Thüre ſeines
Häuschens, wahrend ſeine Frau ſich in
der Wohnung ihrer Tochter befand.
„Glaubt ihr an Vorbedeutungen, Zohn?“
fragte er gedankenvoll.
ee t in einigen Dingen,“ verſetzte
John. „Wenn mir eine Gaigenſaite
ſpringt, ſo andert ſich das Wetter, ebenſo
wenn mich die Hühneraugen brennen
Auf die Uebernalůrlichen halte ich nicht
viel, obſchon man Manches für überna—
rlich halt was doch in uns liegt. Wenn
ein Sinn verloren geht, ſo entwickelt ſich
ein anderer in unbegreiflicher Weiſe. Ich
wette, Du hörſt zweimal ſo gut als frü—
her.
„Das iſt richtig.“
„Aber doch lange nicht ſo gut wie ich,“
fuhr John kichernd fort: „Das macht,
Du biſt nicht ſo lange blind geweſen
ſonſt hätteſt Du ſchon den Tritt Deiner
Frau auf dem Kiesweg hören müſſen.“
„Ich höre ihn,“
„Aber ich zuerſt. Wie kommt's —er
tönt nicht ſo leicht wie ſonſt; ſcheint in
Gedanken. Na, vielleicht iſts bloß eine
Einbildung; im Alter iſt man mehr da—
mit behaftet, denn ich bilde mir bisweilen
ein, daß ich ſo gut ſehe wie nur je“
„Sehen im Schlaf vielleicht.“
„Nein, ſelbſt bei hellem Wachen. Ich
ſehe das Dorf, wo ich geboren bin, und
den Kirchhof, auf dem ich mit anderen
Jungen ſpielte. Sogar die Grabſteine
kann ich leſen.“
„Wache Träume, John.“
„Träume ſind kurioſe Dinge,“ bemerkte
der Geiger „Du biſt buchgelehrt.
Kannſt Du mir ſagen, mit was für An—
gen wir ſehen,, wenn wir ſchlafen?“
„Dieſe Frage hat ſchon ältere und wei—
ſere Köpfe als der meinige iſt, in Verle
genheit geſetzt, John,“
Mrs. Hannan war inzwiſchen zur
Stelle gekommen. Mit frauenhafter
Zärtlichkeit legte ſie den Arm um den
Hals ihres Mannes und küßte ihn.
3ſt im Haus Alles wohl?“ fragte
Willie, und fügte auf die Bejahung bei:
„Ihr ſeht, John, daß Ihr Euch diesmal
geirrt habt. Denke nur, meine Liebe, er
meinte Dein Tritt ſei nicht ſo leicht wie
e Du mütßeſt etwas auf dem Herzen
haben.“
„Wie ſeltſam,“ flůſterte Mrs Hannan.
„Was iſt ſeltſam?“
„Die Feinheit ſeiner Auffaſſung. Ich
machte mir im Herweg Gedanken, wie ich
Dich am beſten ůber einen Todesfall, den
ODn zu beklagen wenig Urſache haſt un—
terrichten ſoll.“
„John Bentley?“ rief ihr Mann.
„Er iſt in einem fremdem Lande plötz
lich zur Rechenſchaft abberufen worden.
„Vergebe ihm Gott, wie ich ihm ver
vergebe,“ ſagte Willie nach einer Panuſe.
„Auch den Zigeuner Lin hat mit ihm
das gleiche Schickſal ereilt,“ fügte Mrs.
Hannan bei.
Man kann nicht erwarten, daß Willie
ee Tod ſeiner beiden Feinde beklagte
das wäre der menſchlichen Natur zu viel
zugemuthet geweſen; dafür that er etwas
Beſſeres er verzieh ihnen.,John'
ſagte er, als der alte Mann ſich zum Auf
bruch nach ſeiner Hütte anſchickte, „Ihr
habt ja meine Modelle zu der Krempel
maſchine aufbewahrt.“
„Ja wohl, in der Hutſchachtel.“
„Bringt ſie morgen mit.“
„Soll geſchehen Junge.“
„Ach, ſchlag Dir doch dieſe Dinge aus
dem Sinn, die Dich nur an eine traurige
Vergangenheit erinnern,“ bemerkte Mrs.
Hannan.
„Ich habe ihn darum gebeten, damit
ſie mich ·in Zukunft nicht mehr daran
erinnern können,“ verſetzte ihr Gatte.
Am andern Tag kam John mit ſeiner
Schachtel. Martin wollte ſie ihm abneh—
men. „Nein, nein, Junge; Niemand
darf ſie anrühren, als Dein Vater,“
wehrte der Geiger, und fuhr gegen Willie
fort, der ihm entgegentrat; „Hier iſt Al
les bei einander. Kein Stüůckchen davon
verloren gegangen.“
„Marün,“ ſagte der blinde Vater,
„leere die Schachtel auf den Boden aus
und mache aus dem Inhalt ein Häufchen,
aber ſo, daß es dem Maulbeerbaum und
den Blumen nicht zu nahe kommt,“
Der Sohn gehorchte ſchweigend dieſer
Weiſung.
„Jetzi hol mir ein Licht.“
„Was führſt Du im Schild, Junge?“
fragte John.
Ich will mit dieſen Pappendeckeln die
Erinnerung an vergangene Hoffnungen
und erlittenes Unrecht vernichten. Meine
Kinder ſollen ſie nach meinem Tod nicht
mehr zu ſehen kriegen, damit ſie nicht
glauben, ihr Vater habe ein unverſoöͤhnli·
ches Herz beſeſſen.“
Dem Muſikanten wollte das Verbrennen
der Beweisſtücke von ſeines Freundes
ehrenvollen Anſprüchen um ſo weniger
gefallen, da er ſelbſt ſie mit ſo viel Sorg~
falt zuſammengeleſen; aber ſeine Ein—
ſprache war vergeblich. Martin kam,
von ſeiner Mutter begleitet, ans dem
Häuschen; Letztere hatte eine brennende
Kerze in der Hand und reichte ſie ihrem
Mann.
„Ich danke,“ flüſterte Willie. „Jetzt
führe mir die Hand.“
In wenigen Augenblicken waren die
Denktzeichen ſeiner frůheren Mühen, ſeiner
Ingendträume, die ihm Ruhm und
Vermögen vormalten, von der Flamme
verzehrt, welche als ein einfaches, inniges
Gebet um Vergebung für den falſchen
Freund und Verräther gen Himmel ſtieg.
„Wie glüůcklich wird Friedrich wird El
len ſich fühlen- wenn ſie dies hören,“
ſagte Martin. „Vater, dies iſt eine That,
Ihres Lebens würdig edel und hoch.
herzig,“
Du mußt mich nicht loben, mein Sohn“
unterbrach ihn der blinde Mann, „denn
Du weißt nichts von den Kämpfen, welche
Savannah, Ga., den 25. September 1872.
dem endlichen Sieg voran gingen. Die
Trübſal dient zu nunſerem Beſten
lehrt uns die ſchlimmen Leidenſchaften
überwinden. Wir dürfen nicht ſtolz da-· ſ
rauf ſein.“
Im Laufe des Tages ſprach Friedrich
mit Ellen in dem Häuschen ein.
Der alte John erzählte ihnen, was er
mit angeſehen hatte.
„Daran erkenne ich meinen Vater,“ be—
merkte Ellen mit thränenfenchtem Auge.
„Sie haben recht, Miß (John nannte
ſie immer Miß). Im Anfang hat mir's
zwar nicht gefallen wollen, aber jetzt bin
ich ganz damit einverſtanden.“
„Es iſt ein Brief füͤt Sit da, Vater“
ſagte Friedrich, in das Zimmer tretend,
ſin welchem Willie mit ſeiner Frau ſaß.
„Aus Frankreich.“
„Aus Frankreich? Ich kenne dort
Niemand.“
„O ja, Papa,“ rief ſeine Tochter.
„Ich wollte, er waäͤre von Amerika,“
ſſeufzte die Großmutter. „Ich habe ſo
lange nichts mehr von Sam und Beſſie
ſgehůrt.“
„Lies mir ihn vor, Ellen,“ ſagte der
Vater.
„Er kommt von dem Onkel und der
Tante,“ rief die Tochter, nachdem ſie das
Siegel erbrochen.
„Von meinen Kindern?“
„Ja, Großmutter.“
„Gottbehüte,“ entgegnete die alte Frau.
„Jetzt ſind ſie gar noch weiter weg. Ich
ſwerde ſie in dieſem Leben nie wiederſe
khen“
„Warum? Es iſt ja nur einige Rei
ſeſtunden von England entlegen.“
„Was, nur einige Stunden?“ rief die
Alte zänkiſch.
„Frankreich, Großmutter.“
Was iſt's doch um die Büchergelehr
lſamfeit! Ich glaubte, es ſei weiter als
nach Amerika.“
„Ich auch,“ bemerkte John. „Und ſo
ſmuß es geweſen ſein in der Zeit des Bor
naparte. Heutzutage wird Alles anders.“
Die Zuhoͤrer konnten ein Lächeln üter die
Einfalt des Sprechers nicht unterdrücken.
Der Brief meldete die baldige Ankunft
ſder Reiſenden in England, berührte aber
ſdie Geburt von Sams Sohn mit keinem
ſWort. ;
„Wie ſie kommen?“
„Ja, Großmutter.“
„Der Herr ſei geprieſen! Ich darf
ſie noch einmal ſehen, ehe ich ſterbe. Und
auch Beſſie und ihr~ Kinder. Die armen
Dinger!“ murmelte die Alte. Dann ver
ſank ſie in ein tiefes Nachdenken, während—-
deſſen ihr Enkel auf alle ſeine Anreden
ihr nur die rächſelhaften Worte entlocken
konate: „Es muß heraus es muß her—
aus!“
Fortſetzung folgt.)
4
Die Hyänen der Commune,
oder:
Die Schrecensherrſchaft von Paris,
von
Adolphe Gallin.
1. Kapitel.
Einleitung.
Faſt ein halbes Jahrhundert lang hat
ten die Strahlen des Friedens über Deutſch—
lands Gaue ungetrůbt ihren goldenen ſe—
gensvollen Glanz ausgegoſſen und nur
wenige Wolken den politiſchen Horizont
ſtellenweiſe getrübt. Während bei den
Nachbarvölkern vielſach ein finſterer · Dä—
mon herumſchlich und theils verſteckt hin—
ter politiſche Intriguen ſein Weſen trieb,
theils mit offenem Viſir in die Schranken
der Weltgeſchte trat und Ereigniß auf
Ereigniß ſich wechſelnd überſtürzte, bot
das vor Kurzem noch vielköpfige deutſche
Land zwar kein Bild eines gänzlich unge—
trübten, in ſeinem inneren Kerne und ſei
ſuen Grundfeſten aber noch immer nicht
erſchütterten Bürgerglücks.
Seit auf den Schlachtfeldern von Leip~
fig deutſches Blut, vergoſſen für die Be—
lzreiung aus fremder Tyrannei, zum Him—
ſmel dampfte, ſeit jenen ewig denkwürdi—
ſgen Tagen, da die geſammte Nation nach
den Zeiten der Schmach und tiefſten Er
niedrigung wie ein Mann ſich erhob
und mit Blut und Eiſen die Feſſeln wie
derzer ſchlug, die unerhoörte eigne Schwäche,
machtloſe Zerriſſenheit und niedere Feig
heit, die Blut und Eiſen ihm geſchmiedet
hatten, ſeit jenem ewig glorreichen Tage
des 18. Oktober 1813 war die Macht derſ
welſchen Hydra wohl nicht völlig gebro· f
chen, aber doch ſo geſchwächt, daß ſie es
auf lange Zeit nicht wagen durfte, deml
ſiegreichen Gegner neuerdings die Zähneſ
zu zeigen.
Jenſeits des Rheins lag das länder
gierige, gefräßige, mit Blut und Thränenſ
großgeäugte Ungehener. Auf der Felſen
inſel St. Helena hatte es wohl ſeinen ſtär
keren Kopf verloren, aber die Krallen wa·f
ren noch geblieben.
Wuthſchnaubend ſchielte es herüber
nach dem Lande der Germanen und pflegte
ſſich mäſtend mit dem Schweiß und Blut
der eigenen Familie, ſeinen ſchuppigen
Körper zu neuem Kampfe.
Mit Wonne ſah es die Ereigniſſe des
für Deutſchland ſo průfungsſchweren Jah—
ſres 1866 ſici, vollziehen. Voll Vergnü
gen rollte es ſeinen gewaltigen Schweif luſt~
erfült um die ſchuppigen Glieder, mit
giftgeſchwollenem Kamm den Moment
erſpaͤhend, der ſich ihm für ſeine liſtigen
Plͤne günſtig erweijen mochte, um ſich
dann ans den einen oder anderen der
längſt verhaßten Gegner zu werfen und
ihn ſchonungslos zu zerfleiſchen.
Es kam anders. Seine Zeit war noch
nicht gekommen, die Vorſehung hatte ihm
iu dem Friedensſchluß von Nikolsburg
einen nenen Damm geſetzt und das gie
ſrige Ungethüm, ſchon zum verderblichen
Sprunge bereit, konnte angeſichts des
Ganzen der Ereigniſſe und gemäß der da—
naltgen politiſchen Weltlage nichts beſſe
res als ſich zähnefletſchend in ſeine
Höhle zurückziehen, auf die Lauer legen
und der Dinge warten, die da kommen
ſollten.
Die Dinge kamen überraſchend ſchnell.
Das ereignißvolle Jahr 1870 brach an
und Niemand, am wenigſten wohl das
durch ſeine Siege in andern Ländern,ſtolz
und übermüthig gewordene Frankreich
lahnete, daß ſich m Bälde ſein Geſchick er
ſfüllen und gerade dieſes ihm tief verhaßte,
ohnmächtige Deutſchland es ſein ſollte,
das es aus der mehr als ein halbes Jahr—
hundert lang feſt eingenommenen Poſition
ſeiner erſten militäriſchen Macht, eines er—
ſſten Staates der Welt, verdrängen wird.
Frankreichs ſtets trotziger Uebermuth
wc durch die diplomatiſchen und mili—
Erfolge in allen Weltgegenden
groß geſängt, der Mann wurde zum Rie—
ſen. Der welſche Adler ſah ſeine gefürch
teten Schwingen bereits ſo ſtark gewachſen
daß er in ſeiner maßloſen Verblendung
und dem ihm eigenen angeborenen Wahne
der Unfehlbarkeit glaubte, ſie müßten von
rn Meeresgeſtade bis zum anderen,
von der eignen Hemiſphäre zur anderen
ſreichen. Frankreich befand ſich vor dem
Aunsbruch des Krirges in einer unſeligen
Verblendung. Die Fingerzeige des Schick—
ſals in dem ewig ſchmachvollen merikani—
ſſchen Feldzug waren ſpurlos an ihm vor~
übergegangen, die Niederlage auf den
Cofeldern Rußlands, das heilige große
Gottesgericht auf den Ebenen vou Leipzig
war vergeſſen, umgeben von dem falſchen
Nimbus des kaiſerlichen allmäãchtigen
Glorienſcheins glaubte ſich der welſche Ko
loß unbezwingbar und hielt ſeine Tatze
für jeden, der nicht devoteſt die Hand
küßte, diezihn in's Geſicht ſchlug, 23
reit erhoben.
Ueber den Voölkern aber lag gewitter
ſchwere Nacht und unheimlich rollte er
Donner immer näher und näher dem
Rheine zu.
Ueber dem Thale von Longwood im
atlantiſchen Ocean, wie über den Zinnen
des Meerſchloſſes Miramore ſchweben die
Guiſter zweier Heroen, beide groß an
Scele, wenn auch ungleich groß in der Ge
ſchichte ihrer Thaten, beide nie ſich Feind
und dennoch beide unverſoöͤhnt, denn der
Oheim hatte die Adern des Neffen ver
giſtet und in ſein reizbares Gehirn den
eiwig marternden Gedanken übertragen,
ſich an der Menſchheit für ihn zu rächen.
Die Rache hat mit dem 2. Dezember 1851
begonnen. Ueber Bruderleichen war
am 2. Dezember 1852. das ſchwanke Fun
dament des Kaiſerthrones erſtanden, in
Bruderblut ward der Kaiſermantel ge
färbt und unter den ehernen Füßen des Des
poten verhauchte die Menſchlichkeit ihren
letzten Seufzer, begrub ein neues Danai—
dengeſchlecht die gemordete Freiheit. Das
Kaiſerreich iſt der Friede; ſprach der Im—
perator und das Kaiſerreich bedeutet Krieg
dachte die halbe Welt. So war es auch.
Der Friede und der Glanz des ñnenen
Kaiſerrreichs ſollte nicht zu lange währen.
An dem Tage der erzwungenen Gründung
desſelben klebte zu viel Blut ſchuldlos Ge
mordeter, hafteten zu viel Verwünſchun—
— und Thränen, als daß die Göttin der
Rache in ihrem Fluge durch die Welt an
ihm die volle Wucht ihrer Zuchtruthe nicht
hätte erproben ſollen. Und ſie hat die—
ſelbe erprobt. Die Zeit der Rache kam
heran. Kühn geworden durch das Ver—
tranen auf die eigene unbezwingbare
Stärke, großgewachſen in einer namenlo—
ſen, an's Unglaubliche grenzenden Anma—
ßung und Verblendung erhob das fremde
Ungeheurer trotzig und herausfordernd
ſein Haupt von neunem und ans giftge
tränfktem Rachen verrichtete die zweiſchnei
dige Zunge das traurige Geſchäft der
Verhöhnung.
Aber auch ſeine Zeit war gekommen.
Wohl war der Moment glücklich gewählt
und liſtig berechnet, aber die Berechnung
erwies ſich dennoch als gründlich falſch,
denn der hingeworfene Fehdehandſchuh
ward von einem deutſchen Fürſten im Na—
men von ganz Deutſchland aufgenommen,
der große Riß in den Völkerfrieden war ge~
macht, die Brandfackel des Krieges war
entzunden und ein Ausgleich auf dem
friedlichen Wege ſchon zur Unmöglichkeit
geworden
Nie hatte der einſtmalige Flüchtling
Badinguet von Hamm, der einer großen
Nation mit Gewalt aufgedrungene Aben—
teurer Louis Napoleon ſeine wahre Maske
n ihrer vollen Häßlichkeit gezeigt. Vor—
ſichtig von Natur, mißtrauiſch gegen alles
was ſich vor dem gemachten Glanz ſeiner
erſchlichenen Majeſtät nicht willenlos in
den Staub warf, ſchien es dem durch die
Bajonnette ſeiner Soldaten gehaltenen
Mann von Hamm nicht immer rathſam,
der Welt ſein rechtes Geſicht zu zeigen und
ſo gelang es ihm durch faſt neunzehn
Jahre nicht blos die Völker Europa's,
ſondern auch ſein eigenes zu täuſchen und
zu überliſten. Was er, jahrelang vorher
ſchon ausgedacht, in das letzte Stadium
der Entwicklung gebracht hatte, war ſein
Eroberungskrieg gegen Deutſchland.
Die ſogenannten „natürlichen“ Gren—-
zen Frankreichs erheiſchten zu den übrigen
frůher bereits von Frankreich geſtohle
nen oder an dasſelbe verrathenen ehemals
deutſchen Provinzen noch die Eroberung
des linken Rheinufers und um den gefahr~
drohenden geiſtigen politiſchen und ſoeia
len Gährungsprozeß in ſeinem eigenen
Hauſe zu hemmen oder mindeſtens doch in
kein weiteres Stadium zu führen, beſchloß
der Mann, der wenige Monate vor Aus—
bruch des Krieges noch der Welt die ſchein
bar beruhigenden Worte durch den Mund
eines ſeiner heuchleriſchen Höflinge verkün—
den ließ: „Der Friede iſt nie geſicherter
als jetzt“, den Kreuzzug gegen die
deutſche Nation.
Wie kläglich dieſer Kreuzzug für ihn
ſelbſt und ſein ganzes Volk geendet hat,
iſt dem verehrten Leſer zur Genüge
kannt. Die Geiſter von anno 1813 ſtan
den auf. es galt diesmal gründliche Ab—
rechnung zu halten.
Und um wie viel erhabener als je ſtehen
die Ereigniſſe der Jahre 1870 und 15871
vor uns.
Auf Rußland's Eis gebot dem Schlach
tengotte Napoleon I. die mächtige Natur;
dem Götzen ſeines Ehrgeizes opfernd,
mußte es der moderne Attila von damals
eine zweite Geiſel Gottes, das erſtemal er
fahren, daß es noch mächtigere gibt als
er. Die Flammenſänle von Moskan
leuchtete ihm bei ſeinem Rückzug hell ge—
nug, um ihn eines Beſſeren zu belehren.
Doch umſonſt. Der Ehrgeiz iſt ein uner—
ſättlicher Wurm. Dem Ehrgeiz fröhnend
ſah der Schlachtenkönig die blutigen Tage
von Leipzig granen. Die Sonne von
Anſterlitz aber ſchon verdunkelt durch
ſchwarfe Wolke von Waterloo, ging auf
Leipzig's Ebenen gänzlich für ihn unter.
Die Geſchicke der Menſchen erfüllen ſich,
auch ſein Geſchick hat ſich erfüllt.
Der Löwe war aaf den Tod verwundet
ſaber er war im Tode noch gefährlich.
Mit ſeiner Größe war es über, aber groß
im Untergang war er noch bewunderns—
werth. Er hatte ſich kuühn drei Nationen
ſgegenübergeſtellt und brachte jedem Zoll
eide den er verließ, ganze Hügel von
Menſchenopfern. Groß war der Satz der
Wette, er ſetzte alles daran, aber er verlor
ſie, ſein Stern war im Erbleichen, ſein
Loos war entſchieden. Gotte hatte ihn
gerichtet, ſeine Zeit brach an. Der On
kel ſtieg verlaſſen in das Grab, der Neffe
gefurchtet auf den Thron. Ein neues
Drama bereitete ſich vor, ein neues Kai—
ſerreich war entſtanden. Aber in Blut
und Thränen aufgetaucht, hatte es keinen
Halt, mit Sedan ging es auch in Blut
uünd Thränen unter. Das deutſche Schwert
ſchlug tiefe Wunden, Schlag um Schlag
erfolgte. Der deutſche Aar hielt einen
Siegesflug, desgleichen noch nie zuvor ein
ähnlicher ſtattgefunden, hatte. Ein neuer
Armin war dem deutſchen Volk erſtanden
unwiderſtehlich drang er vor und bahnte
ſich einen Weg bis in das Herz des Fein—
des. Eine glorreiche Epoche mehr war
in der Geſchichte der Völker zu verzeichnen
zum viertenmale in einem Jahrhundert
ſtanden die Deutſchen vor Paris. Wer
zählt die Blutstropfen nach, auf beiden
Seiten für das Vaterland vergoſſen, wer
zählt die Todesſenfzer von erbleichenden
Lippen gegen den Himmel geſtoßen, wer
die Todeswunden in den verzuckenden,
verſtümmelten Ebenbildern der Gottheit.
Nach vielen ſchrecklichen Kämpfen nach
großen, blutigen Schlachten war das hohe
Ziel endlich erreicht. Nun lagen ſie da
ans der von Roſſeshufen zerſtampften und
von Geſchützkugeln durchfurchten blutge—
důngten Wahlſtatt. Der Engel des To—
des hatte ihnen das Auge zugedrückt und
der Engel des Friedens tudrie ſie hinůber
in jenes unbekaunte Land der Vergeltung.
Aber ſie waren nicht umſonſt gefallen,
dieſe Edelſten unſerer Nation, ſie hatteu
nicht vergebens geblutet! Mit ihrem Blut
haben ſie uns das alke Vaterland gerettet
und ein neues dazu erkämpft.
Mit Sedan war der erſte Akt des blu—
tigen Drama's geſchloſſen, vor Paris be—-
gann der zweite. Hatte uns der erſte in
bielen fürchterlichen Bildern gezeigt, wie
die, Wehrkraft zweier großer Nationen
den techniſchen Theil der militäriſchen
Wiſſenſchaften zur möglichſten Verwerthn
ung brachte, wie die gewaltigen Heere ſich
mitſammen maßen und ans beiden Seiten
heroiſche Thaten an's Tageslicht enen
ſo zeigt uns der zweite Att dieſes erſchüt·
teruden Weltdrama's ein fanatiſirtes Volk
in ſeiner vollſten Zügelloſigkeit. Die
Bande des Blutes, der Freundſchaft, der
Ordnung und Menſchlihkeit ſind gelöst,
ſind gewaltſam zerriſſ-n. Alle Furien
Höolle ſcheinen entfeſſelt, die Leidenſchaften
ind freigegeben, die wilde Jagd iſt eröff
net. Der Menſch iſt hier nicht mehr
Menſch, er iſt zur Hyäne geworden, zum
vermeſſenen, blutduͤrſtigen Ungeheuer, das
in ſeinem Wahne und ſeiner Tobſucht
keine Schranke mehr kennt und achtet, vor
keinem Verbrechen zurückſchreckt und kei
nes fürchtet. Jeder edle Trieb, jede edlere
Regung des Gemüthes iſt gewaltſam u
terdrůckt, kein Geſetz iſt mehr im Stande
I. Stern, Herausgeber.
Laufende Nummer 75.
ein Halt zn gebieten, denn geſetßzlos in ſich
muß der letzte Funke einer beſſeren
Erkenntniß in der ſchmutzigen Cloake der
ſErkentn Gemeinheit erſticken. Was
unter anderen Verhältniſſen ſelbſt dem
Verworfenſten heilig war, iſt verachtet und
werthlos, nur die Befriedigung der nie—
drigſten Leidenſchaften iſt noch der ganze
Antagonismus der auf s Höchſte gereizten
in ſich ſelbſt zerfallnen und in dieſem Ver
falle erſt furchtbaren Menſchheit.
Mit dem Erſcheinen der deutſchen Heere
vor dem modernen Gomorrha fing der
Vulkan an, die erſten Erſchütterungen
fühlen zu laſſen. Der im Inneren ru
hende maſſenhaft angehäufte Zündſtoff
kam lavaartig in Fluß, aus dem weiten
Krater ſtieg höher und immer höher der
Qualm moraliſcher Verpeſtung und alles
lebte in der bangen Erwartung eines nahe
bevorſtehenden ſchrecklichen Ausbruchs.
Das gewaltige Ereigniß ſelbſt bereitete
ſich langſam aber ſicher vor.
Der eiſerne Gürtel, der ſich in undurch~
dringlicher Stärke um die Weltſtadt zog
war der ſichere Reif um das bereits gäh—
rende Faß. Immer mehr nund mehr
griff dieſe Gährung um ſich, und ehe
man ſich deſſen verſah, war das Faß ge—
borſten.
Die Brandfackel ging an ihr entſetzliches
Geſchäft, die rohte Fahne der Republik
wehte auf den Barrikaden, was nicht ſo
fort dem Götzen der eignen Ehrſucht
fröhnte, was nicht ein Opfer der entfeſſel
ten Leidenſchaften wurde und was der
Verrath nicht dem Würgengel des Todes
überliefert hatte, das fiel unter dem mo—
raliſchen Henkerbeil der mißbrauchten Ge—
walt. Frankreich ſchien momentan nur
ein geographiſcher Begriff ohne jede wei—
tere Bedeuntung. Was allein noch Be
deutung hatte und nicht blos das Inter
eſſe Deutſchlands ſondern jenes der gan—
zen civiliſirten Welt bis zur höchſten Span—
nung für ſich in Anſpruch nahm, war die
Frucht der gänzlichen ſtitlichen Entartung
und Verkommenheit der ſogenannten gro—
ßen Nation die Schreckensherrſchaft der
rothen Volksgewalt, die ekelhafte Poſt
beule an der ſtattlichen Gliederung Frank—
reichs die Pariſer Commune.
Mit Abſcheu wendet ſich der Blick von
den Gräuelthaten dieſes Regiments ab,
denn ſie ſind nicht mehr die Spiegelbilder
eines auch bei Ausſchreitungen noch ent
ſchuldbaren Patriotismus, ſie ſind nicht
der Ausfluß einer Denkungsart, die den
Geſammtbegriff ihrer Handltngen in dem
Brennpunkte einer Liebe zum Vaterland
eines entſchuldbaren tödtlichen Haſſes ge—
gen den es bedrängenden übermächtigen
Feind haben, nein, ſie ſind die ſchrecklichen
Zerrbilder eines bis in's Innerſte erregten
fanatiſirten Volkes, dem die Sache des
Vaterlandes nur den Vorwand füwv all
die Scheußlichkeiten bieten muß, mit denen
es die Blätter ſeiner Geſchichte beſchmuht
und verunglimpft.
Wo der Soldat mit ſeiner Waffe den
Feind ehrlich bekämpft, ruht die Verant—
wortung über das frevelhafte Spiel mit
Menſchenleben mehr auf dem provoziren
den Theil der Streitenden als auf einer
ganzen großen Maſſe; wo aber vom
ſchwachen Kinde bis zum gebrechlichen
Greis, alles ohne Ausnahme an dem
Verbrechen des Brudermordes in gleicher
Progreſſion theilnimmt, wo es ſo weit
geht, daß ſelbſt das Weib ſeine Weiblich
keit gänzlich verlengnet, zur gemeinen
Furie wird, wo auf dem Banner der all
gemeinen Erhebung keine andere Deviſe
ſichtbar iſt als die gewaltſame Löſung je
der geſetzlichen und menſchlichen Ordnung
wo der ſyſtematiſche Mord ſein blutiges
Geſchäft unter dem Jubelrufen einer gan~
zen Nation verrichtet und über dem Haupte
jedes Gutdenkenden das Ogmeterſumert
des Verrathes ſchwebt, wo ſelbſt der Altar
nicht mehr vor Entweihung geſichert iſt
und die Menſchheit ſelbſt ihr heiliges
Vorrecht einer hoͤheren Beſtimmung gänz
lich abſtreift, da iſt es kein Befremden
mehr, wenn ſich die Gottheit ſelbſt von
der Nation abwendet, die ſich ſtets růhmte
auf der Höhe ihrer Zeit zu ſtehen, in der
That aber bewies, daß ſie für die von ihr
ſtets vorgeſchützte göttliche Miſſion einer
Civiliſation der Welt ſelbſt nicht die ge—
ringſte Befähigung geſchweige denn eine
Berechtigung hatte.
(Fortſehung folgt.)
——
BVerrathen.
Dem Amerikaniſchen nacherzählt von
Lina Freifrau von Berlepſch.
~.
Ueber die Bellmaine's wurde viel ge~
ſprochen. Myrrha's eiſige Schoöͤnheit, ihr
kaltes Weſen, der Glanz ihrer Toilette,
Hugo's Bläſſe und Zurückhaltung, ſein
wunderbares Talent, wie mit Zauberkraft
peeuniären Erfolg zu erringen, das eigen
thümliche Benehmen der jungen Frau
ihm gegenüber und die faſt an Furcht
grenzende Demuth, mii der er dem ſchö—
nen Weibe nahte, erweckten das ſelten
ſchlummernde Ungehener Fama. Die
Faema, welche gleich einer giftigen
Schlange über ls verheerend gleitet,
die Lilien beſchmutzt und Gold befleckt,
den Schuft erhebt und den Ehrenmann
verläumdet, ſie hatte ſich an des Ehepaars
Ferſen gehängt, Vielleicht wäãren Andere
(Fortſetzung auf der vierten Seite.)