Newspaper Page Text
Savannah Abend Zeitung.
Prof. C. I. Banſemer, Redakteur.
2. Jahrgang. No. 13.
Kette und Einſchlag.
Eine Erzählung aus der Zeit der Baumwollennoth
in Mancheſter
von
I. HF.Smith.
(Fortſehuna.)
„Dann möchte ich nicht an der Mahl
zeit, die Ihnen Sambo darauf kocht, theil
nehmen ſagte der Pflanzer. „Sie kennen
den Süden nicht. Wet etwas auf ſeine
Verdannng hält, darf ſich nicht mit ſeinem
Koch verfeinden. Die Neger wiſſen ſo gut
mit Giften umzugehen als die Borgias.
Ueberhaupt moͤchte ich Ihnen, da ich in
ſolchen Dingen einige Erfahrnng beſitze,
den Rath ertheilen, vorderhand von jedem
Verſuch gegen das Mädchen abzuſtehen.“
Der da nahm dieſen Rath ſehr übel
auf und würde ihn wahrſcheinlich zurück—
rieten haben, wenn nicht in demſelben
Augenblick ein Schreiben eingelanfen,
wäre, welches ihn und ſeine beiden Ge—-
ſchäftstheilhaber unverweilt nach New·Or
leans berief. Bei der beabſichtigten Spe
kulation galt es ein feines Spiel; denn
Welby mußte den ſchlauen Engländer
von der Betheilignung ſeines Verwandten
an der Fetenenn überzengen, und
dies zugleich in einer Weiſe thun, daß der
General nicht dafür zur Verantwortung
gezogen werden konnte. Troh ſeiner In—
gend war er doch dieſer Anfgabe vollkom—
imen gewachſen.
Ungefähr eine Stunde vor der Abreiſe
traf John Bentley den alten Neger, wel
cher in der Veranda ſich der Strahlen der
untergehenden Sonne erfreute.
„Ihr habt uns hente mit köſtlichen
Enten anfgewartet, Sambo,“ ſagte er.
„Ja „Maſſa; ſie mach der ganze Weg
in Eis. Maſſa Raymond lieb ſehre gut
Eſſen.“
„Sonſt hätte er natürlich keinen ſo
trefflichen Koch.“
„Ha,“ rief der ſchwarze Schüler, von
Vatel ſchmunzend; „ſchätz wohl, er verſteh
ein und das ander!“
„Auch außer dem Kochen, Sambo?“
„Ja, nicht nur Kochen,“ verſetzte der
Neger, ſich würdevoll in die Bruſt wer—
fend.
„So ſagt Euer Herr.“
Der Sklave drehte den Kopf ein wenig
bei Seite und betrachtete den Sprecher
mit einem verſchmitzten, nengierigen Aus
druck, welcher an Raymond's Vergleich
ung mit der Elſter erinnerte. In ſeiner
weißen Weſte und Halsbinde hatte er eine
groteske Aehnlichkeit mit dieſem Vogel.
„Ihr ſcheint Ench anch auf Pflanzen zu
verſtehen?“
„Sambo kenn der Kohl, wenn er ihn
ſeh,“ verſetzte der Neger lachend.
„Ich habe gehört,“ fügte der Englän—
der, die Stimme faſt zu einem Flüůſtern er
mäßigend, bei, „daß in den Pflanzungen
des Südens Manche gut mit Giften um
zugehen wiſſen.“ :
„Das der Maſſa ſag?“ fragte der alte
Mann ſcharf.
„Ja.“ Die Antwort ſchien den Schwar—
zen in Staunen zu verſezen. „Ich bin
in ſolchen Dingen ſehr wißbegierig nnd
möchte wohl Enre Geſchicklichkeit auf die
Probe ſetzen.“
„Maſſa Raymond voll Poſſen und
Unſinn,“ ſagte Sambo. „Er mach nur
Spaß.“
„Nein er ſprach im Ernſt.“
Sambo nichts weiß von ſolche Ding.“
Bentley zog ſeine Börſe heraus, durch
deren Netzwerk eine Anzahl von Gold—
ſtůcken ſichtbar wurde.
„Das ein Neſt von ſehre ſchöne Vögel,
Saͤr,“ ſagte der Neger, einen ſehnſůch—
tigen Blick danach hinwerfend. „Die
nicht hecken bei uns. Seit der Krieg
nichts als Schein und Noten. Weiße
Gentleman komm und bleib bei Maſſa
Raymond; aber er gib nichts als ein
ſchmutzig Papier, mit fünf oder zehn Dol
lars gedruckt darauf. In New-Orleans
krieg nicht mehre dafür als drei.“
„Und das Gift, Sambo? Ihr verſteht
wohl, was ich meine.“
„Das Muno?“ flüſterte der Schwarze.
Obſchon der Engläͤnder dieſen Namen
nie gehoört hatte nickte er doch mit dem
Kopf.
„Es koſt ſehre theuer. Zehn Goldſtück
zum wenigſt.“
Der Verſucher zählte ſie ihm vor.
„Puh!“ ſagte der alte Mann tief auf~
athmend. ee will alſo wirklich?“
Ja.
„Und was damit thun?“
810ß ein Experiment machen. Wie
geſagt ich bin wißbegierig.“
„Aber doch nicht hier?“
Gewiß nicht. Ich kann ſelbſt noch
nicht ſagen, wo oder wann ich Gebrauch
davon machen werde.“
„Wenn Ihr es thun,“ ſagte der Neger
mit einem wilden Blick,„ſo mach Sambo
auch Periment. Ihr ſeh die Bäum dort
am End vom Garten?“
Ja.“
„Ihr dort warten auf mich, bis ich
komm.“
Sambo ging gemächlich nach der Hin—
terseite des Hauſes und Bentley in die
angedeutete Richtung. Er hatte dem Ne~
ger einigermaßen die Wahrheit geſagt,
denn er verband mit der Erwerbung des
Gifts keinen beſtimmten Entſchluß, ſon—
dern wünſchte einfach in den Beſitz einer
Waffe zu kommen, die ihm vielleicht eines
Tages nüůtzlich werden konnte. Nach
einer Viertelſtunde kam ihm der Neger
nach. Das ganze Geſicht des Sklaven er—
ſchien verändert zu ſein, denn ſtatt des ge~
wöhnlichen, unbeküͤmmerten, lachenden
Ausdrueks ſah man jetzt darin Furche an
Furche. :
„Ihr doch nicht treiben Spott mit
mir?“ ſagte er. :
„Im Gegentheil; es iſt mir vollkommen
Ernſt.“
Sambo übergab ihm ein Tütchen voll
feinen, orangefarbigen Pulvers, wie es
dem Engländer ſchien aus den Blumen—
kronen einer getrockneten Pflanze bereitet.
Die Züůge des Negers ſtrahlten als ihm
der bedungene Preis gereicht wurde.
„Wie wendet man es an?“ fragte der
Käufer.
Ihr das nicht wiß? Golly, wie dumm
doch weiße Mann. Ein klein Pris, halb
ſo groß wie Schnupf bak in ein Glas
Wein oder Taß Kasse, und das Blut lau
fen zu Hirn das ſein Plerxie.“
„Ich verſtehe Apoplerie,“ ſagle der
Engländer.
„Plexie Apumplexie, all ein Ding.
Wenn ſehre lieb Freind, und er rauch,
reib Cigarr, und Blut laufen ebenſo.“
„Der Zigeuner raucht ohne Unterlaß,“
dachte Bentley, als er dem Hanſe zuging.
Ein halbe Stunde ſpäter befanden ſich
die drei Aſſoſeie in der Banumwollenſpeku—
lation auf bdem Weg nach New Orleans.
Der zweite Angriff ans Blanche durch
dieſelbe Perſon beunruhigte Sam ernſtlich
uud er durchſtreifte Abend um Abend die
Wälder oder wanderte am Flußufer hin,
in der Hoffnung, dem Suchrken zu begeg
nen. Er war bei dieſen Ausflügen nicht
allein, ſondern wurde in der Regel von
mehreren jungen Farmern ans Mr.
Auſtin's Gemeinde begleitet, welche, ab—
geſehen von ihrer Zuneigung zu dem der
ben Engländer, die ihrem Geiſtlichen in
ſeiner Nichte zugefügte Beſchimpfung ſehr
empfindlich nahmen. Auch die treuen
Neger bildeten jeden Abend einen regel
mäßigen Schildwachenkordon um das
Pfarrhaus, ohne daß deſſen Inſaßen et
was davon wußten.
Der würdige Miſſionär zog die Gefahr
in ernſte Erwägung. Er kannte die wil
den Leidenſchaften des Südens zu gut,
als daß ſich ihm nicht bald die Ueberzen—
gung aufgedrungen hätte, es ſei am beſten
wenn ſeine Nichte ohne Säumen mit ihrem
Mann nach England aufbreche. Auch
Mrs. Glyde drang auf die Abreiſe; denn
ſeit ſie John Bentley in der Gegend geſehen
fürchtete ſie, er moöchte ihrem Bruder be—
gegnen, von deſſen gerechtem Zorn gegen
den Verräther an Willie um ſo mehr zu
beſorgen ſtand, als Sam nicht zweifelte,
daß ſein Bruder auch ſein Erblinden dem
falſchen Freunde zu danken habe.
Da von New Orleans alle Wochen ein
Dampfboot nach Havre abging, ſo lag der
Abreiſe kein Hinderniß im Weg; doch un
terließ bis auf die letzte Zeit Sam weder
ſeine Nachforſchungen, noch ſeine Wach—
ſamkeit. Den Tag vor dem beabſichtig—
ten Aufbruch ging ihm durch ein Neger,
welcher in dem Kahnführer einen Angehö—
rigen von Mr. Raymond's Haushalt er
kannt hatte, ein Wink zu, welcher iha be—
wog, der Nachbarpflanzung einen Beſuch
zu machen. Auf dem Weg dahin befragte
er einen jungen Farmer ůber den Charakter
des Pflanzers. „Er iſt ſo ſo,“ lautete die
Antwort; „ſchlimm und gut unter einan
der. Ein Mann in den Vierzigen, und
wie die meiſten Pflanzer ein großer Lieb.
haber von farbigem Frauenvolk, dabei
aber. ein Mann von Ehre, denn er hat
erſt im letzten Herbſt den Oberſt Sereecher
und vorher zwei andere im Duell erſchoſ—
ſen. Um ſein Eigenthum zuſſichern, leiſtete
er dem Norden den Eid; doch dies kann
ihm Niemand zum Vorwurf machen.“
Mr. Raymand empfing ſeinen Beſuch
mit der Leutſeligkeit des gebildeten Süd—
länders, die ſo ſehr gegen das lauernde,
abſtoßende Weſen des Yankee abſticht.
Da eben das Lunſch aufgetragen wurde,
ſo lud er Sam, ohne abzuwarten, was er
wollte, ein, daran theilzunehmen.
„Ich muß zuvor wiſſen, ob ich dieſes
Haus als renn oder als Feind verlaſſe.“
„Zum Teufel, verlaſſen Sie es, wie
Ihnen beliebt; das iſt gleichgültig,“ ent
gegnete der Pflanzer, ſich ſtolz aufrichtend.
„Sie wollen nicht? Gut, ſo muß ich Sie
für eine Minute um Geduld bitten. Er
ließ die aufgetragenen Schüſſeln mit der
Weiſung, ſie naͤch einer halben Stunde
n ſerviren, wieder fortbringen. „Jett
n ich Ihnen zu Dienſten.“
„Sie haben in letzter Zeit Gäſte bei
ſich gehabt?“
Fat findet mich ſelten frei davon.
Einer davon war ein Engländer, ein John
Bentley.“
„Welchen Namen haben Sie genannt?“
„Mr. John Bentley, ein Baumwollen
fabrikant, wohlbekannt auf der Börſe von
New-Orleans.“
„Dieſer Schurkẽ hier!“ rief Sam.
„Erlauben Sie mir, Sie daran zu erin
nern,“ bemerkte der Pflanzer im Tone
größter Höflichkeit, „daß Sie von dem
Herrn ſprechen, der kürzlich noch mein
war.“
„Wie anders ſoll ich einen Menſchen
Savannah, Ga., den 17. Juli 1872.
RR———
nennen, der ſich unter der Meske der
Freundſchaft in das Vertrauen eines arg
loſen Jünglings meines Bruders
einſchlich, ihm eine von ihm gemachte c
findung die Frucht vieljaährigen Nachdenk~
ens, ſtahl, durch ſeinen Ruin zu Vermö
gen kam, und zuletzt, als ſeine Handlungs~
weiſe in offener Gerichtshalle der allgemei·
nen Verachtung preisgegeben wurde, einen
andern Schurken beſtach, dem Opfer ſeines
Verraths das Augenlicht zu rauben?“
„Ich muß ſagen, - Mr. Mit wem
habe ich die Ehre zu ſprechen?“
„Ich heiße Hannan“
„Ich muß ſagen, Mr. Hannan, daß in
dieſem Fall das Wort ganz paſſend ge·
wählt war.“
„Doch von ihm wollte ich nicht ſprechen
ſondern von einem andern ihrer Gäſte,
einem ſchmächtigen, ſchwärzlichen jungen
Menſchen einem von jenen lockeren
Burſchen, denen es Vergnügen macht,
die Ehre Anderer zu kränken und dam
mer zu bringen über aufrichtige Herzen.“
„Sie meinen vermuthlich Erneſt
Welby?“
„Wenn dies der Name des Wichtes iſt,
den ich beſchrieben“.
„Die Beſchreibung der Perſon paßt
vollkommen. Im Uebrigen —“
„Wir wollen nuns nicht ans ſeinen
Werth oder Unwerth einlaſſen,“ unter
brach ihn der Engländer. „Würden Sie
wohl die Güte haben, mir ſeine Adreſſe
mitzutheilen?“
„Das kann ich nicht.“
Sein Gaſt faßte ihn ernſt in's Aune
„Ans das Wort eines Ehrenmannes?“
„Auf Ehre,“ verſicherte Mr. Raymond.
„Er Mr. Bentley und noch ein Gaſt, deſ~
ſen Namen ich vergeſſen habe, ſind vor
ein paar Tagen nach New Orleans abge—
gangen. Bei Welby kann ich wohl an
Seitenſprünge .glauben, denn er hatte
während ſeines Hierſeins ein Abentener.
Eine gelbe Dirne, welche ſeine —“
„Halt die Dame, von der Sie ſpre~
chen, iſt meine Fran.“
Der Pflanzer erhob ſich von ſeinem
Stiuhl und machte eine ſteife Verbengung.
Der Grdanke einer Ehe zwiſchen einem
Weißen und einer Perſon, die, wenn auch
noch ſo wenig, Negerblut in ihren Adern
hatte, empörte ſeine Gefühle ſo ſehr. daß
er ſeine Einladung zu berenen begann.
Sie wurde nicht wiederholt.
„Ich bin zu lang in Amerika geweſen,“
ſagte der Engländer mit ruhiger Würde
um Ihre oder meine Zeit mit dem eitlen
Verſuch zu vergenden, Ihnen ein Vorur—
theil auszureden. In nächſter Zeit reiſe
ich nach England ab.“
„Darau thun Sie ſehr wohl,“ verſetzte
der Pflanzer trocken.
„Wo die liebliche und begabte Fran,“
fuhr Blanche's Gatte ſtolz fort, „der in
Amerika eine ſo ungerechte Behandlung
widerſuhr, um ihrer Talente willen be—
wundert und wegen ihrer Tugenden ge
achtet werden wird.“
Zwti Tage ſpäter brachen die Gäſte des
Pfarrhauſes nach New-Orleans auf.
Dreiundſechzigſtes Kapitel.
Der ehrwürdige Eduard Auſtin fand
bei ſeiner Ankunft in der unter militäri
ſcher Willkürherrſchaft blutenden Königin
des Südens mit ſeinen Begleitern ein
Unterkommen in dem Haus eines befreun
deten Miſſionärs, wo ſich den Frauen
mehr Ruhe, Abgeſchiedenheit und Sicher
heit vor offener Gewalt bot, als in dem
bewegten Treiben eines Hotels. Die Rei
ſenden hatten indeß noch keine paar Stun
den in der Staat zugebracht, als
Sam ſchon auf den Weg machte, um John
Bentley und Erneſt Welby aufzuſuchen.
Dem Bruder und Gatten lag es ob, eine
doppelte Unbill zu rächen, und er kehrte
erſt ſpät nach einem langen erfolgloſen
Gang in ſein Quartier zurück. Er las
in dem ängſtlich forſchenden Blick ſeiner
Schweſter, daß ſie die Urſache ſeiner langen
Abweſenheit ahnete, und ſich einer Frage
nur aus Furcht für Blanche enthielt, de
ren Nerven noch immer in einem hohen
Grad angegriffen waren. „Sei vorſichtig
ſei klug,“ flüůſterte ſie ihm zu, als ſie
ihm gute Nacht wünſchte. „Bedenke, daß
eine Fran und eine Schweſter mit ihren
Kindern Deines Schutzes bedürfen.“
„Fürchte nichts.“ „lch fürchte für
Dich, Sam, in dieſem geſetzloſen Lande,
und für ein Weſen, das mir faſt eben ſo
theuer iſt wie Du. Eine plötzliche Er—
ſchütterung könnte ſie tödten.“ „Du
wirſt mich doch nicht überreden wollen,“
verſetzte Sam lachend, „daß Blanche das
gen brechen würde, wenn ihrem alten
Mann etwas zuſtieße?“ „Es würde
brechen, wenn ſie den Vater ihres unge—
borenen Kindes verlöre,“ entgegnete Beſ
ſie in demſelben halblauten Tone. „Was?“
rief Sam. „Kein Wort mehr darüber.
Es ſollte ein Geheimniß bleiben, bis wir
unter Segel gegangen wären; aber Du
haſt mich ſo geänſtigt, daß ich ſprechen
mußte.“ Außer un vor Freude um—
ſchlang der ehrliche Burſche die Sprecherin
mit den Armen, hob ſie vom Boden auf
und herzte und küßte ſie „Du mußt
mich nicht verrathen,“ fügte Mrs. Glyde
bei, ſobald ſie vor dem Ungeſtüm ihres
Bruders wieder zu Wort kommen konnte.
„Keine Sylbe kein Wink!“ Und zum
Beweis, wie ernſt es dem glücklichen Gat
ten mit dem Worthalten war, ſtürzte er
———
lauf das Sopha zu, auf welchem Blanche
ſaß fiel vor ihr ans die Kniee nieder und
begann ihre Hände mit Küſſen zu bedecken.
O, Beſſie! Beſſie!“ rief die junge Frau,
nund ein glůhendes Roth überflog ihr Ant
ſlit „hällſt Du ſo Dein Verſprechen?“
„Es war das einzige Mittel, ihn in den
Schranken der Klugheit zu erhalten,“ ver
ſſetzte ihre Schwägerin lächelnd. „Die
Männer ſind ſo ungeſtüm.“ —,„Wird
es wirtken?“ „Ja, und Tauſendmal ja,“
ſrief Sam, an der Seite ſeiner Gattin
Platz nehmend, „beſſer als eiſerne Ketten
ſund Riegel. Willie wird mir vergeben,“
fügte er im Geiſte bei.
Inzwiſchen waren Bentley und ſein
Geſchäftsfreund nicht müſſig geweſen.
Sie hatten im Hafen ein liverpooler Schiff,
die Schlange unter dem Kommando des
Kapitän Drake, aufgefunden Der derbe
Mnen war mehr als die Hälfte ſeines
Lebens im amerikaniſchen Handel beſchäf
tigt geweſen und ſehnte ſich nach einer
Fracht, über die er um ſo mehr ſelbſtſtän—
dig abſchließen konnte, da ihm ein Mit
eigenthumsrecht an das Schiff zuſtand.
Als Bentley, den er gut kannte, den erſten
Wintk über ſeinen Plan gegen ihn fallen
ließ, erklärte er ernſt, daß er ſich mit ſeiner
Frau darüůber berathen müſſe. „Und was
ſzum Henker hat Ihre Frau damit zu
ſchaffen?“ fragte Welby ungeduldig. „Al—
lles,“ verſetzte der wohlgezogene Ehemann.
„Ich thue nie etwas, ohne ihren Rath ein—
zuholen. Geſcheidte Frau ungemein
geſcheidt; wäre ohne ſie nie über den Mate
inauſͤelomnen “ „lſt die Dame in
New-Orleans. „Naturlich,“ antwortete
ſder Kapitän „Die Schlange ſticht nie ohne
ſie in See“ Er machte ſodann den Gen~
tleman den Vorſchlag, ihn nach dem nicht
ſſehr weitentlegenen Boardinghaus zu a2B
gleiten, in welchem Mrs. Drake Quar—
tier genommen. Dieſe war weit in der
Welt herumgekommen, und es gab in den
Staaten kaum einen Hafen, den ſie nicht
ſchon beſucht hätte; aber das Reiſenhatte
ihrem Geiſt keinen Aufſchwung verliehen,
der im Gegentheil noch eben ſo tief in Vorur—
theilen ſtak, als er ehrlich geblieben war.
Namentlich hegte ſie die größte Verach·
tung gegen alles Nichtengliſche und ver
nie mit den weiblichen Inſaßen der
Logirhäuſer, zu denen ſie zeitweilig ihre
Zuflucht nehmen mußte, wenn dieſe nicht
die Gattinnen engliſcher Kapitäne waren.
So kam es denn, daß man ſie den größten
Theil des Tages regungslos wie einen
eghptiſchen Götzen und ſtumm die Vor
gänge beobachtend im Beſuchzimmer ſitzen
ſehen konnte. Hiedurch machte ſie ſich at
lerdings bei den Damen nicht ſehr beliebt;
doch wagte es nicht leicht eine, mit ihr an
zubinden, da, Mrs. Drake neben ciuer
großen natürlichen Ruhe mit einer ſchar·
ſfen Zunge verſehen war und dieſelbe zu
ſgebrauchen wußte. Als der Kapitän mit
ſſeinen Begleitern eintrat, ſaß ſie eben in
der Nähe der Veranda, um vom Hafen
her die friſche Seeluft einzuathmen.
Außer ihr befauden ſich noch in dem ve
ſuchzimmer eine franzöſiſche Kreolin, Ma—
dame Eugenie, welche ſchon ſeit drei ſterb—
langen Stunden das Piano abquälte
die Hausbeſitzerin Mrs. Baze, ihre beiden
Töchter und eine weitere Dame, welche in
einem Albnm blätterte. Madame Eu—
genie fuhr halb theatraliſch zuſammen,
ſchante verwirrt umher und ſchloß theil
weiſe das Inſtrument, als erwarte ſie die
Bitte, daß ſie fortmachen ſolle; da jedoch
dies nicht geſchah, ſo ließ ſie den Deckel
laut zuſchlagen. ;
Mrs. Drake lachte ſarkaſtiſch. „Meine
Liebe,“ begann der Kapitän, „ich erlanbe
mir, Dir meine Freunde, Mr. John Bent-~
ley und Mr. Erneſt Welby, vorzuſtellen.“
„Mr. John Bentley von Mancheſter?“
fragte die kleine Fran und reichte auf die
Bejahung ihres Gatten hin dem Englän—
der huldreich die Hand, während ſie gegen
den jungen Amerikaner nur den Kopf
verneigte.
(Fortſetznng folgt.)
Milliarden und Millionen.
Zufällig befand ich mich vor einigen
Tagen auf der Bezirkshaupteaſſe zu Mehtz,
um dem Landrentmeiſter einen freund—-
ſchaftlichen Beſuch zu machen. Ich weiß
nicht, wie sich der Leſer einen Landrent-~
meiſter vorſtellt. Ich für meine Perſon
hatte mir, noch ehe ich je einen zu Geſicht
bekommen, ſchon im Voraus ſein Bild
ausgemalt, wie man ja oft im Leben thut,
wenn man irgend eine neue Bekanntſchaft
macht. Ein ſtarker, ſtattlicher Mann, der
ſchon durch ſeine äußere Erſcheinung im
ponirt, freundlich und wohlwollend, aber
mit einem vornehmen Anſtrich, natürlich
von gewaltigen Rechnungsbüchern und
Geldſäcken umgeben, wohl gar in einem
Caſſengewoölbe, mit zwei gewehrſchultern
den Schildwachen am Eingange . . ...
und ganz ſo fand ich den unſrigen. Nur
diesmal war derſelbe ſo beſchäftigt, daß
er meinen freundlichen Gruß kaum flüch—
ſtig erwidern konnte, mich aber trotzdem
ſzum Bleiben einlud, um mir etwas zu
ſzeigen, das ich, wie er ſagte, wahrſcheinlich
ſnoch im Leben nicht geſehen hätte. Und
er hatte ganz Recht: das Schauſpiel, das
ſich mir darbot, war mir ebenſo nen wie
ſintereſſant. Es wurden nämlich gerade
auf der Haupteaſſe zehn Millionen em~
ſt32
J
ſpfangen, die am Morgen mit der Eiſen
bahn angekommen waren. Wie ſich das
leicht hinſchreibt und noch leichter lieſt:
zehn Millionen! Und welch kleines
Sümmchen im Vergleich zu einer Mil
liarde, oder gar zu den fünf Milliarden,
die Frankreich an nuns bezahlen muß l(ich
ſage nicht ohne Selbſtgefühl „uns,“ als
bekäme ich anch meinen Theil davon)
und doch wiederum, welche Maſſe Geldes
dieſe zehn Millionen, wenn man ſie ans
einem Hansen ſieht! Zehn zweiſpännige
große Gepäckwagen hielten bereits im in
neren Hofe des luſtizpalaſtes, in deſſen
unterem Stockwerke die Bezirkshaupteaſſe
mit ihren Bureaur liegt, und zehn andere
kamen langſam hereingefahren, alſo im
Ganzen zwanzig. Jeder Wagen hatte
außer dem Kutſcher vier Soldaten zur
Bedeckung, zu je vier Wagen gehörte
dann noch ein Corporal; und zwei Un—
teroffieiere und ein Feldwebel befehligten
den Zug, der auf dieſe Weiſe ſehr eine mi
litäriſchen Provianteolonne glich. So
waren ſie auch vom Bahnhofe durch die
Stadt gezogen, langſam und im Schritt
denn ihre Laſt, die wir gleich näher kennen
lernen werden, war ſehr bedeutend. Die
franzoöſiſche Bevölkerung blieb ans den
Trottairs ſtehen, oder eilte an die Fenſter
um den ominöſen Zug paſſiren zu ſehen
.Unſer Geld! moögen wohl viele ge—
dacht oder auch halblaut, oder da, wo ſie
unbelauſcht waren, ganz lant nnd mit
einem Fluch geſagt haben. . .unſer
Geld! Jawohl, ihr guten Leute, ener
Geld! aber wer trägt anders die Schuld
daran als ihr ſelbſt? Und dann iſt auch
dies ſcheinbar ſo bittere, ſchickſalsharte
Wort im Grunde nichts weiter als eine
Phraſe, wenigſtens für die neuen Reichs
laude; denn dieſe Gelder, die von Paris
als franzoöſiſche Kriegseontribntion nach
Berlin gegangen ſind, kommen direet von
dort hierher zurück, um hier im Lande als
Entſchäͤdigungsgelder für die durch Be
ſchießung, Brand oder ſonſtige Zerſtörung
entſtandenen Kriegsſchäden verwendet zu
werden, wobei man ſogar diejenigen be—
růckſichtigt, die durch bloße Reqguiſitionen
und durch die ſpäter ausgebrochene Rin—
derpeſt gelitten haben, und natürlich ſtets
lin ſehr liberaler, generöſer Weiſe. In
Straßburg allein ſind auf dieſe Weiſe be—
reits über vierzig Millionen Franken zur
Vertheilung gekoömmen und in der näch
ſten eun oer von Metz gegen zwölf
Millionen. Doch das nur nebenbei; ich
wollte es hier nur als einen neuen Beweis
anführen, daß die „ſo ſchwer heimgeſuchte“
Bevölkerung der Reichslande, wie ſie ſich
noch immer ſo gern neunt, auch in dieſer
Beziehung nicht über Härte oder Rück—
ſichtsloſigkeit zu klagen hat.
Doch zurück zu unſeren zehn Millionen,
Sie werden bereits abgeladen, und wenn
wir anders helfen wollen, ſo ſind wir ganz
willkommen; denn wenn auch ſchon viel
Hände dabei thätig ſind, ſo kann man
deren noch immer mehr gebrauchen. Wir
würden indeß Arme und Rücken dabei ge~
waltig anſtrengen müſſen; wir thun deß
halb wohl beſſer, nur zuzuſchauen. Die
Wagen ſtehen in Reih und Glied, und
einer nach dem andern fährt an der breiten
Steintreppe vor, die in das Caſſengewölbe
führt. Das Geld, lauter Fünffranken
ſtücke, befindet ſich in ſtarken leinenen ver~
ſiegelten Säcken, deren jeder zehntauſend
Franken enthält, und guf jedem Wagen
liegen fünfzig ſolcher Säcke, alſo eine
halbe Million. Das Gewicht eines Sa
ckes beträgt 50 Kilogramm, gleich 100
Pfund, genan genommen 50ã Kilogrammn
hdie fünfzig Säcke wiegen mithin etwas
über 5000 Pfund, alſo für zwei Pferde
hden ſchweren Packwagen mitgerechnet,
eine ganz anſehnliche Laſt. Acht kräftige
Arbeitsleute tragen auf dem Rüůcken Sack
für Sack die Treppe hinauf, durch den
kurzen Corridor und in das Caſſenge
ſwölbe hinein; ſie werden beim Aufladen
von einem Buchhalter controlirt, beim
Eettrheben von einem zweiten, und im
Gewölbe ſelbſt empfängt sie der Land—
rentmeiſter mit dem erſten Caſſirer. Die
Säcke werden ringsum an den Wänden
aufgeſtapelt, etwa bis in Manneshöhe,
dann wird vor die erſte Schicht eine zweite
hgelegt und ſofort; denn draußen fährt
immer ein Wagen nach dem anderen vor
und wird abgeladen. Im Ganzen bilde—
hten dieſe zehn Millionen fünfhundert
Säcke. Wer einen von dieſen Säcken
ſein nennen dürfte, nur einen! denkt viel
leicht mit heimlichem Seufzer mancher
von den Umſtehenden, (wer weiß vielleicht
auch mancher meiner Leſer) und vollends
mancher von den Trägern, für die eine
ſolche Summe ein Kröſusſchaß wärc.
Führe uns nicht in Verſuchung. . . · aber
der Gedanke liegt ziemlich nahe, mit einem
ſolchen Säcke, iin Gedränge der auf· und
abeilenden Leute und Arbeiter, ganz leiſe
ſund unbemerkt, anſtatt nach rechts, nach
links zu gehen und durch das offenſtehende
Foithor u entſchlüpfen. Wenn die fata—
len Laͤe nur nicht ſo verteufelt ſchwer
wären! Mit hundert Pfund auf dem Rü
cken (und „geſtohlenes Gut wiegt doppelt“
ſagt ein arabiſches Sprůchwort) entſchlüpft
ſich nicht ſo leicht und läuft ſich noch ſchwe~
hrer, wenn man etwa verfolgt werden
ſollte und nun das Weite müßte.
In Straßburg ſoll es aber doch im vori
gen Herbſt einmal paſſirt ſein, und man
; ʒ. noch heute darüber, wenn zufällig
das Geſpräch darauf kommt. Dort wur-
I. Stern, Herausgeber.
Laufende Nummer 65.
den namli h manchmal fünfzig und hun
detr niiltonen an einem Lage empfangen
je nigen die dabei betheiligt waren, noct
mit Schrecken zurückdenken. Und wirklich
hatte ich ein Arbeiter, oder vielmehr ein
ſßummler, hinzugeſchlichen, ſich mit in
ſßeih und Glied geſtellt und ſich auch
leinen Sack aufladen laſſen. Einer von
ſden wachthabenden Unterofficirene hatte
ſden Patron ſofort bemerkt und auf's
Korn genommen, ihn aber gewähren laſſen
ſum zu ſehen, wie der Spaß ablaufen
ſwürde. Aufgeladen hatte er den Sack
doch wie nun weiter und wie damit zum
Tempel hinaus gelangen? Er ſaßt ſich
Muth obwohl ihn bereits ein gelindes
Zittern ankommt und anſtatt den anderen
ſTrägern zu folgen, macht er Kehrt und
waakt mit ſeiner Laſt einige Schritte ſeit
ſwärts und noch einige und ſteht
lauf einmal mitten im Hofe gauz allein!
Nun hätte er gewiß Gott weiß was gege
ſben, um den Sack los zu ſein! Der helle
Angſtſchweiß ſteht ihm auf der Stirn, der
Unteroffizier tritt ruhig an ihn hinan und
ſfragt ihn barſch: „Wohin damit? Das iſt
der Weg nicht!“ Da ſtottert er einige un
ſverſtändliche Worte und bricht dann buch
ſſtäblich mit ſeinem Hundertpfundſack zu
ſſammen. Ein Paar Soldaten eilen hinzu
ſund tragen ihn hinein d. h. den
Sat nicht den armen Teufel, den man
lanfen läßt, ihm aber doch nachruft, ſich
ſuicht wieder blicken zu laſſen was man
ſihm gewiß nicht zu wiederholen brauchte
Der Leſer ſieht hieraus, daß es gar ſo
leicht nicht iſt, von den Millionenſendun
gen anch nur einen Zehntanſendfranken
ſack zu anneetiren, ſelbſt wenn man Luſt
dazu hätte
k Manchmal kommen die Millionen auch
ſin Gold an und zwar in Zwanzigfranken
ſtücken; das iſt dann gewiſſermaßen ein~
yernehmere Sendung, die auch leichter zu
handhaben iſt, denn ein Pfund gemünztes
Gold in Zwanzigfrankſtücken iſt gleich 15
55 Franken, alſo etwas über 400 Thaler
(genau 114 Thaler 20 Silbergroſchen,)
2500 Pfund machen alſo ſchon uͤber eine
Million Thaler. Die Goldſäcke ſind viel
kleiner, aber aus demſelben groben, grauen
ſLeinen, nur daß das Gold außerdem noch
ſin Rollen zu je tauſend Franken verpackt
iſt
J Mit dem Abladen der obigen zehn Mil
lionen ſinde ſiunterdeſſen nach mehrſtün
diger, angeſtrengter Arbeit fertig gewor
den: die Säcke ſind ſämmtlich eingeheimſt
die Zettel der verſchiedenen Aufſichtͤbe
amten, die Sack für Sack notiren mußten
ſwerden dem Haupteaſſirer übergeben und
dieſer überliefert ſie alsdann dem Land
rentmeiſter, der von dieſem Moment an
für die Summe verantwortlich iſt. Als
dann, wenn Alles fertig und in Ordnung
ů wird die ſchwere eiſerne Thůür des Caſ
ſengewölbes abgeſchloſſen, und zwar drei
fach, ducch drei verſchiedene Schlöſſer, zu
denen die drei erſten Caſſenbeamten, der
Landrentmeiſter, der Oberbuchhalter und
der Caſſirer, jeder einen beſonderen
Schliſſel beſitzen. Dieſe Trias iſt mithin
zu dem jedesmaligen Oeffnen der Thür
une des Gewölbes notwendig eine Maß~
ſregel, die bei allen Staatseaſſen vorge
ten iſt, denn das Geſetz muß ſtets
ſalle Eventnalitäten im Auge behalten;
bei ſo anerkannten und erprobten Ehren
männern, wie nnſere drei freilich blos
eine leere Form. Nachts werden die PVg
ſten gerdoppelt, und die Schildu,
dort im Corridor zwei Stundg
ſund abmarſchirt, mag gewiß
thümlichen Gefühlen die (
trachten und, wenn ſie and
lan das „Seſam, öffne d
ſendundeiner Nacht denken
jetzt von dieſen Millio
ſkein Groſchen mehr ohr
meiſters Unterſchrift, un
die letzte und wichtigſte,
: sende Zahlungsanweiſt
vorher noch verſchiede~
die Forderung geprüß
terſchrieben haben. U
an einem Tage meh
gezahlt, ſo daß die oh
vorhalten würden,
nener Zuſchuß käme.
Daß der größte
den Summe im La
n und zumeiſt in
zickfließt, ſagte ich
derhole es hier al
mal und ließe dieſe
rer Schrift drucken,
ſNeue darauf hinzn
lund liberal die der
lhier verfährt und w
gelegen ſein läͤßt, als
„billigen Forderung
recht zu werden, um
noch immer unfreu
völkerung zu beruhit
und die ſchweren Wu
zu ſind, weil ja do
ſammten heutigen Wel
„tigſte praktiſche Rolle ;
ſam geeignetſten, und je
und zur Vertheilung ge
ſer und willkommener
berne und goldene Saat?
Verſöͤhnungsmittel, auf d
Erdreich und wird hoffentlich
; erfreulicher Blüthe ſtehen.
~ (Paul ·Lindau'oõ „Ge