Newspaper Page Text
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s 44 n ——l 1 9 3 MN
Sarannah Abend Zeitung.
Irof C Wanſemer, Redakteur.
LJahrgang
1. 1
Kette und · Einſchlag.
Eine Erzählung aus der geit der Baumwollennoth
in Mancheſter ;
wen
IJ. Smt h.
: : (Fortſetuna.) 5
„Ihr ſteht allein in der Welt und ſeid
bedititinrr als ich.“
„Dſt nicht. denn Outpie ib
und Kind tde Du's nl Veie
ſo werf ich's gerade zum Fenſter hinaus,
und Du kannſt dann Deine Floͤte allein
blaſen. Gütiger Himmel, Menſch, Du
zahlſt mir's ja wieder heim; denn mitein
ande werden Auer Geld verdienen.“
Ob der hliude John an dieſe Verſich
ernng glanbte oder nicht,ſo er er ſie
doch inſoernſtem. Toöne uor, daß Willie
ſich halb überzeugt fühlte und es endlich
ſich gefallen ließ, das Goldſtück als ein
Darlehen anzunehmen.
„So, das iſt abgemacht ; jetzt kein Wort
mehr darüber,“ ſagte der Muſitant.
Sein Freund drnckte ſhm die Hand,
und ſie temen mit einander·überein, daß
ſe auf den Abend einen gemeinſchaftlichen
Verſuch machen wollten.
„Aber mein Weib darf nichts davon
erfahren,“ bemerkte Willie aufgeregt.
John legte den Finger bedeutungsvoll
an ſeine Naſe, nicht bedenkend, daß dieſe
Geberde ſeinem blinden Freund gegenüber
keinen Sinn hatte.
„Wie greifen wir's an?“
„Ich will Dich abholen.
VBleibt lieber hier und nehmte Theil an
dem Mahl, das wir Enrer Güte verdan—
kei
Güte? Hältſt Du ſo Dein Verſpre
chen, Junge?“
„Willſt Du uns verlaſſen?“ fragte
Mrs. Hannan, als ihr Mann ſich erhob,
um den blinden John zu begleiten.
Nutr ans eine kleine Weile“
„Soll ãch mit Dir gehen?“
MNein, meine Liebe; Du brauchſt Dich
über meine Abweſenheit nicht zu beunrn
higen. Ich kann den Weg recht gut allein
zurückfinden.“
Martin, der Tags zuvor den blinden
John mit ſeiner Geige vor dem Spital
geſehen hatte, ließ ſeinͤn Vater nicht aus
dem Auge und bemerkte, daß derſelbe das
Flötenfutteral einſteckte. Er errieth die
Wahrheit, und Thränen rannen ihm über
die vor Scham glͤhenden Wangen.
„Was haſt Du, Martin?“ fragte die
Mutter.
„Nichts nichts.
Du kannſt, mich nicht käuſchen. Es
iſt etwas vorhefallen Sie aule ſogleich
an ihren Mann und griff nach ihrem Hut,
um ihm zu zufolgen
Mutter,“ ſagte Martin, ſie mit ſeinen
Arinen umfangend, „ich laſſe Sie nicht
aus· dem Haus.“
„Du laͤßt nicht.?“ ;
Ich bitte, bleibeů Sie ſolgen Sie
dein Vater nicht Ich denke, Sie koöͤnnen
mit vertranen.“
Riemand als mir ſelbſt in Dingen,
die ihu betreſfen.
zEr wird e d haben vor·Scham,“
rief der Kna n Thräunen ausbrechend,
„wenn er ahnet, daß Sie von ſeinem Vor—~
haben etwas wiſſen.“
Mrs. Hannan wurde leichenblaß.
„Er iſt fort, um mit dem blinden John
vor dem Spitai aufzuſpielen,“ flüſterte
Martin „für uns zu betteln.“
Die ungluůcklicheFraͤn raug verzweifelnd
die Hände und rief: „Ach Gott, wann
wird djeſe Průfung enden!“
„Was gibtss? Warum iſt Willie
ansgegangen?“ fragte die Wittwe, die
wie gewoöhnlich ſtrickend ju der Kaminecke
jaß. r— a
„Er begleitet John nach Hans, Ahne,“
antwortete Martin.
„Warum haſt On dies gelitten?“
Ich will ihm ſogleich nach,“ verſetzte
der Knabe, ſeine etir wegwiſchend.
„Aber Sie müſſen hier bleiben, Mutter,“
fügte er flͤſternd bei. „Verſprechen Sie
mir's,“
Mrs. Hannan niekte zuſtimmend, und
Martin eilte ſeinem Vaterach. Es war
ein ſchöner mondheller Abend und der
Knabe erkannte bald aus der hetzutten
Menſchengruppe, wo die zwei blinden
Muſikanten ſich aufgeſtellt hatten. Die
3uhoörer wareu meiſt brodloſe Arbeiter,
hungernde Weiber und Kinder; nur ſelten
bemerkte man eine der beſſeren Klaſſe an—-
gehörige Perſon auf dem Platze. Martin
xtterte, als. die Toͤue der Juſtrumente
ſein Ohr trafen. Sie ſpielten eben ein
Lieblingsſtück ſeines Vaters.
INicht ſo übel,“ flüůſterte John ſeinem
Gefährten zu, nachdem ſie zum Schluß
gekömmen. „Der zweite Theil ging beſ:
ſer als der erſte. Hörſt Du?“ fügte er bei
als dann udevs u gnlhrinnn den
Hut fiel u le beugte vor
Scham ſein Haupt.
Was bringen wir jetzt?“ fragte John.
Was Ihr wollt,“ flüſterte ſein Freund.
Und lohi begann einen Siegeshymnus.
„Gütiger-Himnmel, wer hätte gedacht,
daß es mit Ihnen ſo weit kommen koönnte!“
ſagten einige von den Webern, die Willie
Haͤnnan in ſeinen beſſeren Tagen gekannt
hatten, und ließen ihren letzten Penny in
den gut fallen.
„Mein armer, blinder Vater!“ dachte
Martin. „Er bettelt bettelt für nis
während ich in der Ferne ſtehe, als ob i
anich ſeiner ſchͤme. O Stolz Stolz, iſt
dies das Verſprechen, daß ich meiner deul
ſter gegeben habe?“ Und mit eutſchloſ
ſſenein Schritt arbeitete er ſich durch das
Erdrine: zu Willie hin, faßte ſeine Hand
und küßte ſie.
Wer iſt dies? fragte der Blinde.
„Vater! eutgegnete Martin.
„Mein Sohn, mein arme Knabel“ rief
Willie, den Arm um ſeinen Hals legend
Von den beſſer gekleideten Perſonen,
die ſich in der Nähe befanden, drängten
ſich einige borwaͤris und legten Silber—
müůnzen in den hut“ ;
„Hörſt On s?“ flüſterte John. „Muth
aeie Junge; es iſt keine Schande, arm
und blind zu ſein.“
„Schande?“ wiederholte Martin,der
ihn gehört hatte. „Ich bin ſtolzer auf
meinen; Bater, als wenn er reich waͤre und
ſein Geſicht hätte, denn wie wäre ſonſt
ſein treues Herz offenbar geworden? Es
iſt in ganz Mancheſter Niemand, der nicht
weiß, wie grauſam er von ſeinem falſchen
Freund verrathen und geplündert worden
nt“
Eine Stimme machte ſezt den Vor~
ſchlag, John Bentley auszuziſchen, und
Huuderte antworteten darauf mit Pfeifen
ůnd Grtnen „Er iſt der Erſte geweſen
der die Fabrik ſchloß, und hat es nie gut
gemeint mit den Armen,“ bhemerkte Einer.
„Er meint s nit Niemand gut, als mit
ſich ſelbſt, “ verſeßzte ein Weib, das ein
Kind auf dem Arm trug. „Dieſe Bentley's
n ein ſchlimmes Getteht
„Alle, bis auf die Miſis,“ riefen meh.
rere. 1
„Ja, wohl ein ſchlimmes Gezücht, Va~
ter und Sohn,“ ſagte ein achtbar ausſe
hender Mann, der in ſeinen jungen Jah·
ren mit Willie in der Fabrik gearbeitet
hatte. „Der Eine ſtahl dem armen
Schelm Willie das Patent für ſeine Krem—~
pelmaſchine, und der Maſter Friedrich —“
Martin eilte auf den Sprecher zu, faßte
ihn beim Arm und flüſterte: „Bst! Ihr
müßt rhm nicht wehe thun.“ Der Mann
verſtand ihn und ließ ſeinen Satz unbeen—
digt.
„Dieſe Theilnahmekundgebungen er
hoöhten in dem Gegenſtand derſelben die
nioraliſche Folter Der Blinde John,
der dies bemerkte, ſuchte ihr dadurch ein
Ende zu machen, daß er eine neue Weiſe
anhob. Während die beiden Blinden
ſpielten, arbeitete ſich eine einfach aber gut
gekleidete Frauengeſtalt durch die Menge,
ließ ihre Böoͤrſe in den Hut fallen und ver
ſchwand wieder, ehe die Zuſchauer ſich von
ihrer Ueberraſchung erholen konnten.
Niemand hatte ſie erkannt, als Martin.
Es war. ſeine Schweſter Ellen. Mit glü—
hender Wange und funklelndem Auge riß
der ſtolze Knabe die Börſe aus dem Hüt
und ſchleuderte ſie über die Köpfe der Um
ſtehenden in der Richtung, in welcher ſie
entwichen war, Ein Hurrahruf folgte auf
dieſe Handlung; die Zeugen derſelben ah
neten den Beweggrund.
„Was iſt vorgefallen?“ fragte Willie.
„Nichts,“ verſehte der Sohn. „Geben
Sie mir Ihren Arm. Es iſt Zeit, nach
Haus zurückzukehren. Die Mutter wird
in Sorge geratheu.“
„Ja, ja,“ entgegnete Willie mit ſchwa
cher Stimme, „wir wollen heimgehen.“
Auch der alte John zeigte ſich bereit, da
ſie mit ihrer Abendarbeit wohl zufrieden
ſein konnten; alle Drei entfernten ſich da~
her unter der ſtummen Theilnahme der
Umſtehenden.
Ellen, die eine Welt darum gegeben ha-~
würde, wenn ſie ihrem ſchwergekränkten
Vater hätte zu Füßen fallen und unter
heißen Thränen ſeine Verzeihung erflehen
können, folgte ihnen von Ferne, auf den
Arm Friedrich Bentley's geſtützt/ der von
dem erlebten Auftritt nicht weniger er
ſchüttert war als ſie.
„Beruhige Dich, meine Liebe,“ flůſterte
er.
„Das Herz bricht mir,“ ſchluchzte die
renige Tochter· „Wie habe ich einen ſo
guten, ſo liebevollen Vater täuſchen kön
nen!“
„Er wird Dir verzeihen.“
„Ach, daß Du recht hätteſt! Und mein
Bruder!“
„Er iſt ein edler Junge,“ rief Fritz
Bentley in einem Bewunderungsausbruch.
„Ich hätte ihm die Hand drücken mbgen.
als er entrüſtet die Boͤrſe fortwarf, oöb
ſchon mir's lieb wäre, er hätte ſie behalten.
Wir müſſen ans ein Mittel ſinnen, Deinen
Eltern ihre Armuth z erleichtern. Glanbſt
Du nicht, daß uns Deine Großmutter da~
ber behüůlflich ſein würde?“
„Ach nein,“ antwortete Ellen. „So
rauh, einfach und ungebildet ſie auch iſt,
beſiht ſie doch einen viel ſtarrſinnigeren
Stolz als der Vater, und ſie würde den
Antrag mit Verachtung zurůckweiſen.“
„So müſſen wir auf etwas Anderes
ſinnen. Wenn ich mich recht erinnere ſo
haſt Du einen Onkel und eine Tante in
Amerika. Haben ſie in letzter Zeit nichts
von ſich hören laſſen?“
„Seit dem Beginn dieſes verhängniß
vollen Kriegs nichts mehr.“
„Geht es ihnen gut?“
„Ich glanbe:“
„Dann macht ſich die Sache leicht. Ich
gehe morgen nach Liverpool und kann
dann wohl einen von unſeren Korreſpon
denten überreden, er ſolle Deinem Vater
die Anzeige machen, daß er von New.
Savannah, Ga., den 28. Februar 1872.
Jork Anftrag erhalten habe, ihm hundert
Pfund auszuzahlen. Wie heißen Deine
Verwandte ?“
„Beſſie Glyde und Samuel Hannan.“
„Das ſoll unverweilt geſchehen,“ fuhr
ihr Begleiter fort, indem er zärtlich ihren
Arm drůckte „Doch jetzt hoͤre mich an,
meine Liebe In drei Tagen kommt
mein Vater nach Mancheſter. Du weißt
wie wichtig es iſt, daß ich ihm keinen Vor—
wand gebe, mir ſeine Zuſage zu brechen.“
„Glaubſt Du, er ſuche l dazu?“
„Ich weiß es nicht, und Gott verhüte,
daß ich ihn ungerecht beſchnldige; indeß
unl ich ſagen, daß er gegen mich nie ein
gütiger Vater geweſen iſt. Erſt wenn ich
uter: Stellͤng in der Firma beſitze,
wird unſere Zukunft geſichert ſein.“
„Die Liebe brancht nnr wenig, “ bemerkte
Ellen ſchüchtern.
„Setzeſt Ou einen Zweifel in mich?“
„Nein. Der Zweifel würde mich töd
ten.“
Während ſie ſo ſprachen, waren ſie im
mer den Muſikanten nachgegangen, die ſie
jetzt in das Häuschen, Ellen's früůhere
glůckliche Heimat, eintreten ſahen.
„Das Herz wäre mir leichter,“ ſagte ſie
mit einem Seufzer, „wenn ich ſie ſehen
oder an der Thůre ein Gebet verrichten
könnte.“
„Du darfſt dies nicht wagen.“
Mit einem ſehnſůchtigen Blick wandte
ſie dem Plat den Rücken und ging mit
Friedrich Bentley ſchweigend ihres We
Ihr Leben wurde durch Gewiſſens
»iſſe verbittert, die unausbleibliche Strafe
des Ungehorſams der Kinder gegen ihre
Eltern
Zweiundvierzigſtes Kapitel.
Der ſtumme Schmerz, mit welchem
Mrs. Hannan ihren zurückkehrenden Gat—
ten umarmte, ſagte Villie deutlicher, als
es durch Worte hätte geſchehen können,
daß ihr der Grund ſeiner Abweſenheit kein
Geheimniß war.
rmi murmelte ſie —,„für mich.“
„Für uns Alle,“ entgegnete Willie, ihre
Thränen wegküſſend. „Mußte ich nicht
mein Aeußerſtes thun, um Frau, Mutter
und Kind vor dem Verhungern zu bewah—
ren?“
„Was gibt d denn, Willie?“ fragte die
Wittwe, die keine Ahnung von dem Vor—
gefallenen hatte.
„Kein Wort,“ flüſterte der Sohu ſeiner
Frau und dem blinden John zu. „Wir
wollen ihren Jammer nicht noch vergrö—
ßern.“
„Ich bin nicht hungrig,“ fügte die alte
Fran bei, „und eſſe kaͤm noch halb ſo
viel, als in meinen jungen Tagen.“
„Wir werden bald ein Nachteſſen ha
ben,“ agt John, einen Theil des erſam—
melten Geldes Martin in die Hand drüůk
kend. „Thu' Dein Beſtes damit,“ fnhr
er flüůſternd gegen den Knaben fort, „und
bleib' nicht laänge aus. Die Ahne, das
arme Ding, ſpricht, als ob ſie ſchon halb
verhungert ſei.“
„Wohin geht der Junge?“ fragte die
Großmutter, nachdem Martin das Zim
mer verlaſſen hatte.
„Ei, wenn Ihr's wiſſen müßt, auf den
Markt,“ verſette der blinde John, die
Hände reibend. „Drum jetzt Feuer an—
gemacht und den Keſſel darüber gehenkt
ich will mithelfen, denn ich weiß ſchon,
wo dieſe Sachen ſind Es iſt uicht das
erſte Mal, daß wir nmiteinander Thee
trinken.“
„Er taſtete ſich nach der Küchenecke hin,
wo früher der Porzellanſchrank geſtanden
er war jetzt fort ſammt ſeinem Inhalt.
„Ach du mein Himmel!“ ſagte der alte
Mann.
„Er iſt nur aus dem Weg geräumt,
daß nichts zerbrochen wird,“ bemerkte die
Großmutter ruhig, ohne jedoch mit dieſer
Erklärung den Blinden täuſchen zn können.
Friedrich Bentley und Ellen waren ſo
langſam gegangen, daß Martin ſie in der
Mitte von Tibbs Lane einholte. Der
Knabe erkannte ſeine Schweſter ſogleich,
würde aber an ihr vorübergeeilt ſein, wenn
ſie ihm nicht mit beweglichen Tönen zuge~
rufen hätte, er möchte anhalten und mit
ihr reden.
„Nicht, ſo lang er bei Dir iſt,“ verſette
der Bruͤder ſtolz.
„So laß mich allein,“ flůſterte Ellen
aufgeregt. Ihr Begleiter zögerte „Nur
einen Augenblick“
Friedrich ließ nur ungern ihren Arm
los und e ſich in einige Entfernnng zu—
rück Welche Verirrungen ihm auch zur
Laſt fallen mochten, er liebte ſie aufrichtig,
und ihre Demüthigung, ihre Verzweiflung
ſchnitt ihm in die Seele. 1
Bruder und Schweſter ſahen einander
eine Weile ſtumm an. „Martm ?“ſchluchzte
endlich die Letztere.
„Was ſoll s?“
“O, nur nicht dieſen Ton!“ rief ſie.
„Ich habe wohl Vorwürfe verdient, aber
nicht von Dir.“
„Nicht von mir?“ entgegnete der Kitabe.
„Wer war ſo ſtolz auf Dich, als ich? Die
erſte Schamroöͤthe, die je meine Wange
färbte, galt Dir. Armuth und Hunger
wie bitter ſie auch ſind, hätte ich ertragen
können, aber nicht die Schande.“
„O, ſchone mich, ſchone mich. Ich hätte
von Dir keine ſo harte Worte erwartet.“
„Warnm haſt Du mich angernjen
„Um mich nach den Eltern zu erkundi.
gen, antiaortete das arme Geſchöpf.
„Martin, “ fůgte ſie bei, indem ſie ans
ſihre Kniee niederfiel,„wenn Du wüßteſt,
a Schmerz mich quält und welche
Träume meinen Schlummer ängſtigen,
ſo wůrdeſt Du Mitleid mt mir haben.
Du haſt mich einmal geliebt Bei der
Erinnerung an dieſe Liebe beſchwöre ich
Dich, ſprich freundlich mit mir· Du
foönnteſt eines Tages Deine Härte gegen
mich bereuen.
MRte~
„Auch uicht, weun ich todt bin?“
Todir wiederholte Martin in großer
Beitoegung.
„Ohne die Verzeihung meiner Eltern
wird mich der Jammer in s Grab bringen“
„Du kannſt ſie erhalten/ wennDu
Deinen Verführer verlaͤßt und ihnen zu
Füßen fällſt. Ich will s mit Dir thun;
Du keunſt das Herz Deines armen, blin~
den Vaters.“
„„Ich wage es nicht,“ flüſterte Ellen
ſchauernd.
„Dann ſtirbſt Du nicht,“ verſethte ihr
Bruder geriugſchätig.
„Warte nnr, bis —“ Sie hielt inne.
„Bis wann?“ fragte Martin.
Die Prüfung war zu ſchwer für Ellen's
Kraäfte. Sie ſchwankte und würde ge—
ſtürzt ſein, wenn ſie der junge Menſch
nicht anfgefangen hätte. Mit Schrecken
bemerkte er im Mondſchein ihr leichen-~
blaſſes Geſicht; bei dem erſchütternden
Anblick ſchwanden Stolz, Zorn und
Scham, und er drückte ſie an ſeine Bruſt
„Es war unrecht, war grauſam von
mir, Ellen,“ ſagte er; „aber das EClend
unſerer Eltern hat mich bitter gemacht
Vergib ich habe kein Recht Dich zu ver
urtheilen; aber ich konnte dem Vater nicht
erlauben, Dein Geld, den Preis von ſei
ner Tochter Schande, anzunehmen. Es
war meine Pflicht ihn zu ſchüten in ſei~
ner Blindheit.
„Gott ſegne Dich Martin,“ ſeufzte das
arme Weſen. „Und Du willſt mit Rede—
ſtehen?“
„Ja, wenn Ou allein biſt.“
„Sprechen die Eltern nie von mir?“
„Nein, obſchon ich glaube, daß ſich Dein
Name in ihre Gebete miſcht. Doch jetzt
muß ich fort; ich ſoll etwas zu eſſen
bringen. Du kanuſt Dir denken, wie
ſehr der Hunger uns zuſehen mußte, um
unſeren Vater zu der Demüthigung zn
yrranlaſen. von der ODn Zeuge geweſen
iſt.“
„Das darf nicht wieder vorkommen.
Der Anblick hat mich faſt getödtet. Mar—-
tin lieber Martin, Du weißt, daß ich
bei allen meinen Fehlern wenigſtens keine
Lügnerin bin. Wenn ich Dir ſchwöre
o, und ich kann es mit voller Wahrheit
daß das Geld, das ich ench biete, nicht der
Sold der Schande iſt, und daß ihr es ohne
Erröthen annehmen könnt wirſt Dnu
es dennoch Brldwein
„Wenn Du mir nicht den Beweis lie—
ferſt ja. Doch laß mich jetzt und ber
ſuche mich nicht weiter Ich kann von
Dir kein Geld nehmen; denn ich würde
dadurch mein Recht verkaufen, den Elen—
den, der Dich verführt hat, zu haſſen und
zu verachten.“
Er drückte noch einen haſtigen Kuß auf
ihre bleichen Waugen und eilte, als ob er
ſich ſelbſt nicht trae, von hinuen.
„Nur noch eine Tage Muth, mein Herz,“
ſagte Friedrich Bentley, und die Prü—
fung iſt vorüber.“
„Oder Ellen in ihrem Grabe,“ hauchte
ſeine Begleiterin.
Miß Mein hatte den Wink von dem
Vorhandenſein eines Teſtaments mit al—
lem Eifer aufgegriffen und keine Gelegen
heit verſäumt, jeden Winkel, jedes Pult
in dem Comptoir der Fabrik auf das
Sorgfältigſte nach geheimen Schubfächern
zu durchſuchen. Nachdem ſich ihre Be—
mühungen erfolglos erwieſen, wandte ſie.
ihre Aufmerkſamtkeit dem kleinen Zimmer
der Privatwohnung zu, in welchem Gil
bert Haman oft bis in die Nacht hinein
geſeſſen hatte, um zu arbeiten. Kein Fet—
zen Papier entging ihrer Beachtung; aber
das Reſultat blieb ſtets das gleiche.
„Er iſt mir unbegreiflich,“ murmelte ſie
oft vor ſich hin. „Es gibt doch eine Vor~
ſehung, welche unmoöglich dulden kann,
daß dieſes ſchwere Unrecht fortdaure.“
Am meiſten überraſchte ſie jedoch das
Benchmen ihrer Nichte, die ihre Jagd
nach Etwas nothwendig bemerkt haben
mußte, aber nie eine Frage darůber fallen
ließ. :
„Die arme Marieldachte ba ʒ„Es
iſt gut, daß Jemand fuůr ſie handelt. Ich
bin doch begierig, ob Nichts ſie aus ihrer
Erſtarrung zu tecken rerno
Mit aller Kenntniß von Mrs Bentley's
Charakter war ſie doch nicht in die geheim
ſten Tiefen ihres Herzens eingedrungen,
denn dazu hätte ſie Gattin und Mutter
ſein můſſen.
Sie erhielt häͤufig geheime Mittheilun—
von Michael Haͤman, nahm aber keine
Rückſicht auf ſeine Ungeduld, weil ſie ſich
wohl denken mochte daͤß es, im Fall ſich
das Teſtament wirklich vorfand, nicht
räthlich war, John Bentley's bitterſtem
Feind einen Einfluß zu geſtatten. Sie
wollte nicht Rache, ſondern nur Gerech
tigkeit; denn der Schimpf, welcher den
Vater traf, mußte ja auch auf ſeine un—
ſuchldigen Kinder ſallit
adjel dungaltog)
Vergeßt die deutſche Sprache nicht.
Euch, die der deutſchen Heimathserde
; Für immerdar „Ade“ geſagt
Und hier am neuerbauten Herde
Im Herzen ſtille Sehnſucht trägt;
Euch ruf ich zu im frommen Glauben,
Euch bitte ich voll Zuverſicht:
„Laßt Ench nicht Euner Deutſchland
27 rauben, ;
Vergeßt die deutſche Sprache nicht!“
Wie Deutſchland's Helden einſt gefochten
Was deutſcher kühner Geiſt vollbracht,
.Was Freiheit, Einigkeit vermochten,
Sinkt nie in des Vergeſſens Nacht;
Das mag der Enkel ſtaunend leſen
In deutſcher Sprache, treu u. ſchlicht,
Und wieder wird, was einſt geweſen,
Vergeßt Ihr Deutſchland's Sprache
nicht.
D'rim Vater! den nach Tages Mühen
Des wackern Knaben Hand um—
ſchlingt
Vergiß nicht, deutſch ihn aufzuziehen,
Wach daß er deutſche Lieder ſingt;
Lehr' ihm Deutſch die zehn Gebote,
Und ſag' ihm, daß ein elftes ſpricht,
Bleib Deutſchland tren, tren bis zum
Tode;
Vergiß der Eltern Sprache nicht.
Und ihr, ihr wackern deutſchen Frauen,
Die ihr den Säugling liebend nährt,
O, leitet ſchon im Morgengrauen,
Sein Herz, daß es ſich deutſch be—
währt:
In eure Hände iſt gegeben,
Ob Ihr die Pflanze neigt zum Licht:
Vertrauend lenkt das junge Leben
Zum Stamm, der deutſche Sprache
ſpricht.
Gedenkt der letzten Segensworte,
Der Mahnung, die im Herzen klingt,
Womit Ihr durch die Scheidepforte
Einſt weinend aus der Heimat ging't;
Da riefen nach Euch deutſche Herzen:
„Auf Wiederſeh'n! vergeßt uns nicht!“
O, denkt daran in Luſt und Schmerzen,
Vergeßt der Heimat Sprache nicht!
Und Ihr, die Ihr mit kräft gen Händen
Des Geiſtes helle Fackel ſchwingt,
Laßt Euch nicht von demlrrlicht blenden,
Das gaukelnd, hüpfend Euch um—
ſpringt.
Bleibt deutſch! das ſei des Herzens
Mahnen,
Euch machte Gott es ſelbſt zur Pflicht;
Seid treu der Heimat und den Ahnen,
Vergeßt die deutſche Sprache nicht!
Doch wer, dereeinen Sprache müde,
Sich ſtolzer fühlt beim fremden Wort,
Verläugner wird an dem Geblüte
Den weiſt mit Schimpyt und Schande
ort!
Das Deutſchthum hegt nicht eitle Gecken,
Es fordert Herzen von Gewicht,
Und wer ſich opfert feilen Zwecken,
Den grüß die deutſche Sprache nicht!
Die deutſche Sprache ſoll erklingen,
Wo deutſche Hand den Heerd erbaut;
Frei aus dem Herzen ſoll ſich ringen
Das Lied im heimathlichen Lant!
Das Schöne, Edle, Ernſte, Große,
Und Trene, Wahrheit, Tugend, Licht,
Bleibt eigen unſers Herzens Sproſſe,
Vergißt die deutſche Sprache nicht!
Wenn dann nicht in zu fernen Tagen
Das macht ge Deutſchland ſich erhebt,
Wenn wir die Tricolore tragen,
Soweit ſich Gottes Himmel webt,
Dann wird des Enkels Herz erglühen
Im heißen Dank, der ſegnend ſpricht:
„Heil, Eltern, Euch! durch Euer Mühen
Vergaß die deutſche Sprach'ich nicht!“
Die armen Bonaparte's.
Die Ex- Kaiſerin Eugenie hat bekanntlich
dieſer Tage an einem Londoner Juwelier
ihre Diammanten verkauft. Mancher
wird glauben, die Bonaparte's ſeien unbe—
mittelt und der Verkauf geſchehe aus Noth.
Die Sache verhält ſich anders. Die Kai
ſerin entäußert ſich der Schmuckſachen,
weil ſie ihrer nicht mehr benöthigt iſt.
So außerordentlich koſtbar und reich
ſind die Ketten, Diademe, Brochen und
Ringe ausgeſtattet, daß eben nur eine
Kaiſerin ſie tragen kann. Für Chiſelhurſt
und jedes andere Aſyl ſind ſie nicht mehr
zu verwerthen. Es kommt hinzu, daß die
Exkaiſerin von jeher eine Frau war, die
zu rechnen verſtand und daher ihr Vermö—
en zu vergrößern wußte. Die 50,000
h Sterling, die der Juwelier gezahlt
hat, bringen eine anſehnliche Summe Zin—
ſen ein. Sie vermehren die „Erſparniſſe“
der Vorjahre. Worin dieſe beſtehen, weiß
man aus den geheimen Papieren, die in
St Cloud gefundeu wurden, als unſere
deutſchen Vorpoſten das Schloß beſetzten.
In des Kaiſers Schreibpult lag ein Ver—~
zeichniß der Effekten, die er, vorſichtig wie
er war, beim Londoner Bankhauſe Baring
deponirt hatte. Der Werth dieſes einen
Depots in Amſterdam befand ſich ein
rri und in Brüſſel ein drittes be—
ief ſich auf 124 Millionen Franes.
Es ſetzt ſich zuſammen aus amerikaniſchen
öprocentigen Bonds von 1862, aus ͤpro—
centiger ruſſiſcher Auleihe Stieglitz, 3pro—
centige ruſſiſch ~ engliſe Auleihe, preußi
ſcher roeentiger Anleihe, eugliſchen Con
els aus Actien engliſcher und belgiſcher
ahnen, aus sprocentiger tũůrkiſcher An-
I. Stern. Herausgeber.
No. 45.
ſleihe von 1865, aus Eiſenbahu Aktien
und Suez Kanal·Aktien. Von Letzteren
nt. eine geringe Zahl notirt; das meiſte
Geld ſteckt in ruſſiſchen, amerikaniſchen
und engliſchen Staatsanleihen. Merk
würdiger oder vorſichtiger Weiſe hielt ſich
der Kaiſer nicht mit franzoöſiſchen Werthen,
auf, und wohlweislich lag ſein Vermoͤgen
bei ausländiſchen Bankhaäͤuſern. Vier-~
hundert Millionen Franes in baarem
Gelde bewahrte die London Bank.
Deshalb braucht nirgends das Mitleid
ſich zu regen bei der Nachricht, die Kaiſerin
verkaufe ihre Diamanten und Perlen.
Die überreiche Beſitzerin von ſpaniſchen
Weinbergen hat die 80,000 Pfund Ster
ling ebenſo wenig nöthig, wie der hun—
dertfache Millionaͤr von Ciſelhurſt.
———
Eine ſchauerliche Maske.
George 111, König von England,
liebte von allen Künſten nur die Muſik
und dieſe ſelbſt noch, als er im Wahnſinn
faſt bis zum Thier herabſank. Er war
geizig wie Harpagon und haßte alle Prunk—
feſte, namentlich die prächtigen Maskera
den, welche im berühmten Londoner
Opernhaus im letzten Viertel des vorigen
Jahrhunderts von der engliſchen Ariſto
kratie abgehalten wurden. Ein ſolcher
Feind des Vergnügens Anderer war er,
daß er 1771 einen ſeiner Vertranten, den
Oberſten Luttrel, bewog, auf originelle
Art Grauſen und Entſetzen in den Kreis
der Fröhlichen zu tragen. Der tolle Oberſt
ein jüngerer Bruder der Herzogin von
Cumberland erſchien auf dem glän
zendſten Maskenball des genannten Jah
res in einem Sarg. Das Leichen
hemd und alles dazu Gehörige war ganz
dem Koſtüm gemäß, der Sarg ſelbſt aber,
worin er zu liegen ſchien, die Einfaſſung
des Ganzen. Die Inſchrift auf dem Deckel
war eine pathetiſche Erzählung, des In
halts, daß der häufige Genuß der Welt—
freuden den Todten in ſeinen Jünglings—-
jahren in's Grab gelegt hätee. Allge—
meines Entſetzen erregte dieſe grauſige Er
ſcheinung und viele Damen fielen in Ohn—
macht. Die Todtenmaske ſtand eine Zeit
lang unbeweglich in einem Winkel des
Saales und gab keinen Lant von ſich.
Einige muthvolle Damen baten dieſſelbe
vergeblich, am Vergnügen Theil zu neh—
men, um den ſrrguunen Anblick weni~
ger täuſchend zu machen. Man ſagte dem
Sarge endlich, daß es ſehr unanſtändig
ſei, die Luſtbarkeit einer zahlreichen Ge
ſellſchaft auf ſolche Weiſe zu ſtoören.
Auch dieſe Vorwürfe blieben ohne Wir—
kung, bis endlich eine Matroſenmaske ſich
näherte und alle anweſenden Kammeraden
zu verſammeln drohte, um den Todten
aus der Geſellſchaft der Lebendigen zu ent
fernen. Das half. Der Sarg wartete
das Leichenbegängniß nicht ab, ſondern
ging. ,
—— ——
Literatur.
Frank Leslie's Lady's Magacine and
Gacette of Fashion, 537. Pearl Str.
New York. Das Märzheft dieſes Da—
men· und Moden Journal iſt uns zuge
ſchickt worden. Es iſt ſehr reichlich ausge
ſtattet. Man findet darin die neueſten
Moden, und die Erzählungen werden de
nen die Engliſch verſtehen, ſehr intereſſant
n Wir empfehlen dieſes Werk unſeren
eutſchen Damen, als eine der beſten Zei
tungen, wenn nicht beſte, dieſer Art. Sie
erſcheint in monatlichen Heften. Der ſähr—
liche Preis iſt 8350. Das ſind die Hefte
reichlich werth.
„Deutſch amerikaniſche Farmer- Zeitung“.
Erſcheint am 15. jeden Monats in
New York. Man abonnirt auf dieſelbe
bei allen Buchhandlungen und Zeitungs—
agenturen. Die Zeitung koſtet 82. auf's
Jahr; das Poſtporto betrͤgt 5 Cents für's
Quartal. Herausgeber: Heinrich Kirchner
u. Co. Redacteur Nicholaus Jorchan;
Adreſſe: P. O. Bor 5161. Es ſind uns
einige Nummern von dieſem Journal zur
Hand gekommen, und nach dieſen zu ur
theilen, iſt das Blatt ſehr empfehlenswerth.
„L Aurore“,
iſt der Name eines franzöſiſchen Blattes,
das in Montreal, Canada, von Rev. T.
Lafleur, Rev. D. Cauſſirat, und Rev. C.
A. Dondiet redigirt und von L. E. Rivard
herausgegeben wird. Es enthält Literatur,
Muſik, Gedichte, Politiſche und Allge—
meine Neuigkeiten; auch Abhandlungen
über Gegenſtände der Wiſſenſchaften uͤnd
Landwirthſchaft. Der jährliche Suberip—
tionspreis iſt 822 Dieſes Blatt wurde
uns zugeſchickt mit der Bitte die Aufmerk~
ſamkeit der Franzoſen und aller die fran
zöſiſch ortra darauf zu richten. Zwei
der Redaeteure ſind reformirte Prediger
und Profeſſoren, der dritte iſt ein Bapti
ſtenprediger. Die Tendenz des Blattes
iſt entſchieden moraliſch, und zur Hebung
und Belehrnng der franzöſiſchen Canadier
beſtimmt Suüuberibenten würden durch
ihre Beiträge nicht nur ein gutes Unter
nehmen foördern, ſondern auch unpar
teiiſche und zuverläſſige Nachrichten ůber
die Verhältniſſe des nördlichen Amerika
erhalten, und zum ferneren Studium der
franzoſiſchen Sprache und Literatur ange
regt und angeleitet werden. Adrnſte:
L. E. Rivard, gelenet » Canada.